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Lebensgeschichte und Marginalisierung: Hermeneutische Fallrekonstruktionen gescheiterter Sozialisationsverläufe von Jugendlichen PDF

356 Pages·1994·10.636 MB·German
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Eberhard Nölke Lebensgeschichte und Marginalisierung Eberhard Nölke Lebensgeschichte und Marginalisierung Hermeneutische Fallrekonstruktionen gescheiterter Sozialisationsverläufe von Jugendlichen ~ Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Nölke, Eberhard: Lebensgeschichte und Marginalisierung : hermeneutische Fallrekonstruktionen gescheiterter Sozialisationsverläufe von Jugendlichen / Eberhard Nölke. (DUV: Psychologie) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1993 ISBN 978-3-8244-4152-5 ISBN 978-3-663-14595-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-14595-0 © Springer Fachmedien Wiesbaden 1994 Ursprünglich erschienen bei Deutscher Universitäts-Verlag GmbH, Wiesbaden 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorarm gebleichtem und säurefreiem Papier ISBN 978-3-8244-4152-5 Für Marylin Danksagung Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung der langjährigen praktischen Arbeit mit marginalisierten Jugendlichen und jungen Etwachsenen sowie der Teilhabe an einer hermeneutisch-fallrekonstruktiven Forschungspraxis, die auch Bestandteil eines Forschungs projektes an der ].-W. Goethe Universität Frankfurt war, das der Weiterbildung von psycho sozialen Fachkräften diente, die mit randständigenjugendlichen arbeiten. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Arno Combe, der mich bei der Verfertigung der Arbeit in zahlreichen Diskussionen ,geduldig mit fachlichem und persönlichem Rat unter stützte. Herrn Prof. Dr. Iben verdanke ich zahlreiche Anregungen und kritische Anmerkungen zur Marginalisierungsproblematik. Prof. Dr, Oevermann danke ich für wertvolle Hinweise zur Interpretation des Materials sowie meinen Frankfurter Kollegen Hermann Müller und Dr. Werner Helsper, mit denen ich gemeinsam viele Texte interpretiert und zu Weiterbildungszwecken aufbereitet habe. Der Weg zur biographischen Forschung wurde mir wesentlich durch Prof. Dr. Fritz Schütze eröffnet. Auch ihm gilt mein besonderer Dank. Nicht zuletzt gilt meine Verbundenheit und mein Dank all jenen Jugendlichen und jungen Etwachsenen, die mir mit ihrer Erzählung ihr Vertrauen schenkten. FrankfurVMain, im September 1993 Eberhard Nölke Inhalt Einleitung ................................................................................................................................. 13 I. Theoretische Bezugspunkte der Arbeit ............................................................................... 17 1. Zur Bedeutung einer biographie analytischen Perspektive für die Rekonstruktion von Sozialisationsprozessen ............................................................................................... 17 1.1. Biographieforschung als interdisziplinärer Bezugspunkt ......................................... 17 1.2. Zur Bedeutung und Reichweite alltäglicher biographischer Artikulation ................ 18 1.3. Zur Bedeutung der Biographie als identitäl~stiftender Bezugspunkt im Rahmen lebensgeschichtlicher Rekonstruktion ....................................................................... 20 2. Individualisierung und Biographisierung als moderner Vergesellschaftungsmodus: Zum Verhältnis von Individualisierung und Marginalisierung]ugendlicher ................... 23 2.1. Widersprüchliche Individualisierung und Veränderungen jugendlichen Aufwachsens ............................................................................................................... 25 2.2. Individualisierung: Vergesellschaftungsmodus sozialer Ungleichheit? .................... 26 2.3. Individualisierung und Anomie - Bewältigungsformen struktureller Be- nachteiligung ............................................................................................................. 30 2.4. Anomische Entstrukturierung und deviante Subkultur ............................................ 33 2.5. Sozialstrukturelle Benachteiligung als Teufelskreis: Marginalisierungs- prozesse im Kontext öffentlicher, selektiver Zuschreibungspraxis ............................ 37 3. Individualisierung und Institutionalisierung sozialer Hilfe und Kontrolle ...................... 40 3.1. Zwischen Technokratisierung und Professionalisierung: Zur Strukturlogik psychosozialer Hilfe 3.2 Strukturelle Paradoxien im Interventionssystem Jugendhilfe .................................. 44 II. Methodenteil ....................................................................................................................... 51 1. Allgemeine Anmerkungen zum methodischen Vorgehen ................................................. 51 1.1. Zur Auswahl des biographisch-narrativen Einzelinterviews als Erhebungs- verfahren .................................................................................................................... 52 9 2. Zum biographieanalytischen Verfahren von Fritz Schütze ............................................... 55 2.1. Zum Konzept des biographischen Handlungsschematas und der Verlaufskurve ..... 55 2.2. Institutionelle Ablaufschemata und biographischer W:j.l1dlungsprozeß .................. 56 2.3. Autobiographische Stegreiferzählung ........................................................................ 57 2.4. Relevante Schritte des Auswertungsverfahrens biographisch-narrativer Interviews ................................................................................................................... 58 3. Zum methodischen Auswertungsverfahren der objektiven Hermeneutik .......................... 60 3.1. Zum Begriff der latenten Sinnstruktur ...................................................................... 61 3.2. Text und Protokoll als Konstitutivum für die Analyse sozialer Handlungs- einheiten ..................................................................................................................... 61 3.3. Zum Stellenwert des Verfahrens der objektiven Hermeneutik im Rahmen der vorliegenden Arbeit ..................................................................................................... 62 4. Zur Auswahl und Rekrutierung der Informanten .............................................................. 63 III. Empirischer Teil ................................................................................................................ 65 1. Einleitung ........................................................................................................................... 65 2. Einzelfallstudien ................................................................................................................. 67 2.1. Portrait David ............................................................................................................. 67 2.1.1. Analyse der objektiven Daten zur Familienbiographie: Entwicklung riskanter Strukturhypothesen ............................................................................. 67 2.1.2. Strukturelle Beschreibung der Haupterzählung ................................................ 71 2.1.3. Biographische Gesamtform: Prozeß der Erfahrungsaufschichtung im Zusammenwirken von Verlaufskurve und Handlungsschemata ..................... 148 2.2. Portrait Sabine Schneider ........................................................................................ 159 2.2.1. Analyse der objektiven Daten zur Familienbiographie und Entwicklung erster Strukturhypothesen ................................................................................ 159 2.2.2. Strukturelle Beschreibung der Haupterzählung .............................................. 164 10 2.2.3. Biographische Gesamtform: Prozeß der Erfahrungsaufschichtung im Zusammenwirken von Verlaufskurve und Handlungsschemata ..................... 246 2.3. Kurzportraits ............................................................................................................. 257 2.3.1. Fallstudie Marcus .............................................................................................. 257 2.3.2. Fallstudie Ann-Kathrin ..................................................................................... 272 3. Fallvergleichende Kontrastierungen im Hinblick auf die Dimensionen Familie, Schule und Institutionen der Jugendhilfe ........................................................................ 282 3.1. Familie und Marginalisierung: Einleitende Bemerkungen .................................... 282 3.1.1. Zur biographischen Bedeutung von Mißbrauch und Gewalt ......................... 284 3.1.2 Zur biographischen Bedeutung früher Vernachlässigung ............................... 290 3.l.3. Das Auseinanderfallen der Familie als biographische Bruchstelle ................... 292 3.1.4. Ablösung vom Elternhaus: Zwischen Bindung und Prozessierung .................. 294 3.1.5. Verarbeitungs-und Bewältigungsformen familialer Probleme ....................... 296 3.2. Schulerfahrungen marginalisierter Jugendlicher ................................................... 298 3.2.1. Probleme des Übergangs von der Familie zur Schule ..................................... 300 3.2.2. Der mit einem Schulwechsel einhergehende Milieuwechsel: Bruch mit dem bislang vertrauten schulischen Milieu ..................................................... 304 3.2.3. Die Schule als Kampfarena .............................................................................. 305 3.2.4. Zur Bedeutung des familialen Bedingungspotentials im Prozeß der Entkoppelung von der Schule .......................................................................... 310 3.2.5. Die peers als außerschulisches kompensatorisches Milieu .............................. 311 3.2.6. Zur biographischen Bedeutung schulischer Straf-und Kontroll- interventionen ................................................................................................... 313 3.3. Erfahrungen marginalisierter Jugendlicher mit Institutionen der Jugendhilfe ..... 314 3.3.1. Integrationsprobleme und Paradoxien institutioneller Ersatzerziehung ....... 317 3.3.2. Beziehungsstörungen zwischen Jugendlichen und Sozialarbeitern! Erziehern ........................................................................................................... 323 3.3.3. Systematische Paradoxien und widersprüchliche Handlungspraxis im Berufsfeld Jugendhilfe ....................................................................................... 328 4. Schluß ............................................................................................................................... 331 Literatur ................................................................................................................................... 355 11 Wer den Lauf der menschlichen Dinge kennt, und weiß, wie dasjenige oft im Fortgange des Lebens sehr wichtig werden kann, was anfänglich klein und unbedeutend schien, der wird sich an die anschei nende Geringfügigkeit mancher Umstände, die hier erzählt werden, nicht stoßen. Karl Philipp Moritz, 17851 Einleitung Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, anhand biographisch-narrativer Interviews mit Jugendlichen gescheiterte Bildungsverläufe und Prozesse der Marginalisierung zu rekon struieren.2 Marginalisierung als zu rekonstruierender biographischer Prozeß soll dabei unter Berücksichtigung seiner fallspezifischen Komplexität so erfaßt werden, daß das Wechselspiel und Ineinandergreifen von milieuspezifischen Strukturen, familialen Sozialisationsprozessen, Bildungs-sowie öffentlichen Erziehungsrnaßnahmen prozessual in den Blick gerät. Ein solch umfassender und detaillierter Rückgriff auf Biographien erfolgt nicht voraussetzungslos, sondern steht im Zusammpnhang mit der These, daß die umfassenden gesellschaflichen Rationalisierungs- und Individualisierungsprozesse ein individuelles und institutionelles Konflikt- und Widerspruchspotential hervorbringen, das den sinnstiftenden Bezug auf tradierte Muster der Lebensführung erschwert und den einzelnen ein hohes Maß an selbst zu verantwortender biographischer Planung auferlegt. Die Notwendigkeit, in selbstreflexiver Ver gegenwärtigung die biographischen Entwürfe ins Verhältnis zu den institutionellen Möglichkeiten zu setzen, stellt eine zentrale Aufgabe jugendlichen Aufwachsens und ein ver ändertes Anforderungsprofil für Eltern und Erziehende dar. Inwieweit die Freisetzung aus tra dierten Bezugssystemen, die abnehmende Orientierungsverbindlichkeit und wachsende Be deutung biographischer Orientierungsleistungen bei einem gleichermaßen sich ausdifferen zierenden Angebot an institutionellen Hilfeangeboten eine Erweiterung der Autonomie potentiale oder ein Potential für steigende Anfälligkeit und Überforderung darstellt, kann nicht ohne Bezugnahme auf die in den unterschiedlichen sozialen Milieus, Familien, Bil dungs- und Erziehungseinrichtungen bestehenden typischen Strukturen, Zwänge und Handlungsressourcen entschieden werden. So ist zu fragen, ob nicht die "Durchschlagskraft des Individualisierungscodes"3 eine sozial gestufte Ungleichheitsrelation offenbart, die ihren Ausdruck darin findet, daß sich die biographischen Gestaltungs- und Handlungsmöglichkeiten in jenen Gruppen anders voll ziehen, die aufgrund ihrer psychosozialen und materiellen Ressourcen bereits benachteiligt sind und in geringerem Maße an den vorhandenen Bildungsmöglichkeiten zu partizipieren vermögen? Insoweit die Möglichkeiten des Zugriffs auf die eigene Biographie unter den widersprüchlichen Bedingungen der Freisetzung und Enttraditionalisierung an die Ausbil dung einer autonomen und fl.exiblen Ich-Identität und den Erwerb entsprechender Hand lungskompetenzen gebunden sind, stellt sich die Frage, wie sich der Erwerb entsprechender Handlungskompetenzen, die eine Reflexion auf die eigene Biographie erlauben, gerade unter den erschwerten Bedingungen nur noch begrenzt möglicher und abgeschwächter identitäts- 13

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