Günter Mayer und Michael Tilly Lebensform und Lebensnorm im Antiken Judentum Deuterocanonical and Cognate Literature Studies Edited by Friedrich V. Reiterer, Beate Ego and Tobias Nicklas Volume 30 Günter Mayer und Michael Tilly Lebensform und Lebensnorm im Antiken Judentum Untersuchungen zur jüdischen Religionssoziologie und Theologie in hellenistisch-römischer Zeit Herausgegeben von Daniel Schumann DE GRUYTER ISBN 978-3-11-041590-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041691-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041697-8 ISSN 1865-1666 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Printing and binding: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com Vorwort EsisteingroßesGlückundeinbesonderesGut,dasssichvieletheologischeFa- kultätenderzentralenBedeutungderliterarischenundnichtliterarischenQuellen des antikenJudentumsfürdieBibelwissenschaft bewusstsindund mitderEta- blierungjudaistischerForschungsstellen,derKombinationderDisziplinenNeues Testamentund Judaistik wiein Kiel,oderderErhaltungvonInstitutenwiedem InstitutfürAntikesJudentumundhellenistischeReligionsgeschichteinTübingen, denInstitutenfürJudaistikinGöttingenundMainzoderdemInstitutumJudaicum DelitzschianuminMünsterderJudaistikihrenfestenPlatzimRaumderTheologie einräumen,undsievondortnichtmehrwegzudenkenist. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich ein methodischer Paradigmen- wechsel durchgesetzt, bei dem die von Samuel Sandmel als Parallelomania be- zeichnete, methodisch unreflektierte Verwendung antik-jüdischer Quellen im Zusammenhang bibelexegetischen Arbeitens einem methodisch verantworteten Umgang mit jüdischen Texten und Artefakten gewichen ist. Diesem Paradig- menwechselisteszuverdanken,dassdieJudaistikkeineHilfswissenschaftmehr andeutschen Fakultätendarstellt,dassdiejüdischenQuellen nichtmehrstein- bruchartig für jedes vermeintlich vergleichswürdige Lexem oder Motiv ausge- beutet werden, dass jüdische Autoren wie Flavius Josephus und Philo von Ale- xandriennunmehralseigenständigeundkreativeDenkerbetrachtetwerden,um ihreAussagegehalteund ihreeigene Genialitätzuwürdigen,und dass die Sept- uagintanichtmehrinersterLiniealsBibelderentstehendenchristlichenKirche, sondern in ihrer Bedeutung als monumentales jüdisches Übersetzerwerk wahr- genommen wird. Um diese geschilderten paradigmatischen Ansätze zur Erfor- schungantik-jüdischerQuellenhabensichdiebeidenAutorenGünterMayerund MichaelTilly,derenausgewählteBeiträgezurTheologieundReligionsgeschichte des antiken Judentums in diesem Band versammelt sind, in besonderer Weise verdientgemacht. Günter Mayer (06.04.1936–29.12.2004), dessen Todestag sich im Jahr der Abfassung dieses Vorwortes zum elften Mal jährt, begann seine akademische Laufbahn 1960 in Mainz bei Prof.Dr. Eugen Ludwig Rapp,bei dem er miteiner Übersetzung und Kommentierung des Mischnatraktates Para¹ zum Dr. theol. promoviert wurde. Nach der Promotion habilitierte er sich 1970 in Münster bei Die Mischna:Text, Übersetzung und ausführliche Erklärung mit eingehenden geschichtlichen und sprachlichen Einleitungen und textkritischen Anhängen, Bd.VI/4, Toharot: Para (Die Rote Kuh)(Berlinu.a.:WalterdeGruyter,1964). VI Vorwort Prof. Dr. Karl Heinrich Rengstorf mit der Arbeit „Ein Zaun um die Tora“.² Eng verbunden mit Günter Mayer blieb die Evangelisch-Theologische Fakultät der JohannesGutenberg-UniversitätinMainz,anderernachseinerUmhabilitierung 1970imFach„ChristlicheOrientalistikundJudaistik“zunächstalsPrivatdozent arbeiteteundspäteralsProfessorfür„GeschichteundLiteraturdesbiblischenund nachbiblischen Judentums“ lehrte. Nach der Umstrukturierung und Umbenen- nung des Studienfachs „Christliche Orientalistik und Judaistik“ in „Judaistik“ wurdeGünterMayerNachfolgervonEugenLudwigRapp.DemFachJudaistik,das er bis zu seiner Emeritierung in seiner ganzen Breite in Forschung und Lehre vertrat,verschaffteMayerdievolleAkzeptanzimFächerkanondertheologischen Fakultät. Zugleich etablierte er die Judaistik als festen Bestandteil des Theolo- giestudiums. Einen wichtigen und für die deutschsprachige Judaistik zentralen ArbeitsschwerpunktsetzteGünterMayeralsHerausgeberderStuttgarterTosefta- Edition, zu der er als Autor die Traktate ‘Orla,Terumot, Kil’ajim,Ta‘ani’ot und Re‘ijjabeisteuerte.AlswegweisenderwiessichseineMonographie„Diejüdische Frauinderhellenistisch-römischenAntike“³.DiezahlreichenvonGünterMayer verfasstenLexikonartikel⁴gebendarüberhinausZeugnisseinerherausragenden philologischen Kompetenz. Schließlich seien noch seine wissenschaftlichen Aufsätze und Zeitschriftenbeiträgein Erinnerunggerufen, mitderenerstmaliger SammlungindiesemBandanGünterMayererinnertundihmgedachtwerdensoll. Den Auftakt bildet eine umfassende geschichtliche und theologische Dar- stellungderbiblischenBücherdesErstenTestaments,dieeinenbreitenBogenvon der Entstehung des Kanons der jüdischen Bibel über die antiken Bibelüberset- zungen,die Apokryphen und Pseudepigraphen bis hin zur modernen Bibelwis- senschaftschlägt.ErgänztwirddieseDarstellungdurchdenForschungsbeitragLa ToradanslaLittératureRabbinique,dersichvorallemmitdemToraverständnisim rabbinischen Judentum, genauer mit dem göttlichen Ursprung der Tora, ihrer soteriologischenBedeutungunddenausihrabgeleitetenNormenfürdieOrtho- praxieauseinandersetzt.SodannwirdeineSkizzedesAbrahambildesindenjü- dischenSchriftenaushellenistisch-römischerZeiterstellt,wobeidieAnwendung verschiedenerMotivewiedaseinesuniversalenVaters,einesKulturbringers,eines philosophischenSchuloberhauptesundeinesidealenHerrscherszumVorschein tritt. Der Funktion von Gebeten in den alttestamentlichen Apokryphen widmet sich ein Beitrag, der sowohl ihre geschichtsdeutende Rolle als auch ihre hym- EinZaunumdieTora:TraditionundInterpretationimrabbinischenRechtdargestelltamTose- ftatraktatKil’ajim,StDel15(Stuttgart:Kohlhammer,1973). Stuttgart:Kohlhammer,1987. SieheinAuswahldieArt.„רבד“,„חכי“,„סוכ“,„ףסכ“und„רזנ“inThWAT2–5(1974–1986)oder dieArt.„JosephusFlavius“,„Midrasch/Midraschim“und„Mischna“inTRE17.22.23(1988–1993). Vorwort VII nologische Ausrichtung aufzeigt. In der Studie über eine Homilie zu Thr 1,1 im MidraschEkhaRabbatiundüberdendortgebrauchtenBegriff„Fels“alspoetische Gottesbezeichnung erhellt Mayer eine sich auch bei Justin und dem Tannaiten Abba Benjamin begegnende Auseinandersetzungzwischen den schriftgelehrten AutoritätenbeiderSchwesterreligionenumdierichtigeundwahrhafteAuslegung der Schrift. Es schließen sich zwei Untersuchungen zur Erziehung und zur So- zialisationdesKindesimantikenJudentuman,dievomInteressegeleitetsind,die Geschlechterrollen der verschiedenen Familienmitglieder zu ergründen, die in- nerfamiliäreWertvermittlungzubeschreibenunddasantik-jüdischeSchulcurri- culum darzustellen. In seiner Analyse zur herrscherlichen Titulatur Gottes bei Philo von Alexandrien legt Mayer sein Augenmerk vor allem auf die Beziehung GotteszurWelt,diesichineinervollkommenenMonarchiemanifestiert,unddie Beziehung Gottes zum Menschen, die sich aus einer zweifachen Bewegung zu- sammensetzt,nämlichderheilvollenZuwendungGotteszumMenschenunddem Aufbruch des freien Menschen zu Gott. Der neunte und letzte Beitrag Günter MayersübernormativeundformativeLebensvollzügegehtganzgrundsätzlichder Frage nach, welche Sitten und Gesetze während der hellenistisch-römischen EpochediejüdischeIdentitätbegründeten,einenJudenalsoalsJudenkenntlich machten. Abgerundet wird dieser Band mit acht Beiträgen von Michael Tilly, einem langjährigenMitarbeiterGünterMayers.An denAnfangdieserReihesind Über- legungen über das stark idealisierte Bild Judäas, Jerusalems und des dortigen Tempels im Reisebericht des Aristeasbriefs (83–120) gestellt. Der Autor zeigt dabei,dassderStildesBerichtsvonhellenistisch-literarischerKulturgeprägtist, und dass die Beschreibungder Tempelquelle rezeptionsgeschichtlich auf altori- entalischen Mythologumena und biblischer Heilsprophetie – dem Verfassungs- entwurfEzechiels(40–48)unddenVisionenJoels(4,18)undSacharjas(14,8)– fußt. In den beiden folgenden Aufsätzen wird das antik-jüdische Funeralwesen einer genauen Betrachtung unterzogen. Dabei wird zum einen anhand einer eingehendenStudieüberTraditionskomplexeinMischna,Toseftaunddenbeiden Talmudim zu Mo’ed Qaṭan die durch die Rabbinen regulierte und an Familien- traditionenorientierteVielgestaltigkeitderjüdischenTrauerritendargestelltund zum anderen der heilsgeschichtliche Hintergrund der von priesterlicher Rein- heitshalakha bestimmten Tempelrolle beleuchtet, die die Bestimmungen zur TotenunreinheitaufganzIsraelausweitetunddamitwohlwenigeraneineaufdie Lebenswirklichkeit ausgerichtete Rechtspraxis ausgerichtet ist, sondern einen Entwurf für die in naher Zukunft erwartete Heilszeit bietet. Sodann folgt eine StudiezurHamartiologiedesLiberAntiquitatumBiblicarum,inderdeutlichwird, dass die Darstellungen über die Sünden der Stämme Israels dem Ziel dienen, GottesunwandelbareGerechtigkeit,seinStrafhandelnaberauchdieMöglichkeit VIII Vorwort zurbußfertigenUmkehrseinesVolkesoffenzulegen.DaranschließeneinAufsatz über die Rezeptionsgeschichte des Danielbuches im hellenistischen Judentum, der die produktive Verarbeitung, Auslegung und Fortschreibung der Danieltra- dition untersucht, und zwei weitere auslegungsgeschichtlich geprägte Beiträge zur griechischen Prophetenübersetzung, genauer zu Mal 2,1–9.10–6 und Jes 66,14b‒24, die die identitätsstiftenden und der religiösen Selbstvergewisserung dienenden Aktualisierungstendenzen dieser Übersetzungen aufdecken, an. Den AbschlussbildeteineUntersuchungzurPolemikimapologetischenWerkContra ApionemdesFlaviusJosephus,der,vomherrschendenAntijudaismusseinerZeit motiviert, seine literarischen Gegner mit gleißendem Spott bedenkt, die unge- rechtfertigtenAnschuldigungengegenseinVolkzuentkräftenversuchtundseine römischen Adressaten zugleich gegen antijüdische Kritik zu immunisieren be- absichtigt. MeinDankgiltFrauMariettaHämmerlefürihrenunermüdlichenEinsatzbei der Durchsicht und Aufbereitung der Manuskripte sowie den studentischen HilfskräftenLauraBramkamp,Eva-MariaTaphorn,FelixWalzundPierreSchmid fürwichtigeKorrekturhinweiseunddieAnfertigungdesStellenregisters. Den Herausgebern der DCLS, Friedrich V. Reiterer, Beate Ego und Tobias Nicklas, sei auf diesem Weg für die Aufnahme in die wichtige Reihe gedankt. Dankbar zuerwähnen sind ebensodieVerlagsmitarbeiterdesVerlagsWalterde Gruyter, insbesondere Sophie Wagenhofer und Johannes Parche, für die un- komplizierteundzuvorkommendeZusammenarbeit. Münster,imMärz2015 DanielSchumann Inhaltsübersicht Vorwort V Günter Mayer Die Bibel und ihre Geschichte La Tora dans la Littérature Rabbinique Aspekte des Abrahambildes in der hellenistisch-jüdischen Literatur Die Funktion der Gebete in den alttestamentlichen Apokryphen Der „Fels“. Ein Beitrag zur christlich-jüdischen Auseinandersetzung im ./. Jh. Zur Sozialisation des Kindes und Jugendlichen im antiken Judentum Erziehung und Schule im antiken Judentum Die herrscherliche Titulatur Gottes bei Philo von Alexandria Lebensnorm und Lebensform in den griechisch überlieferten jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit Michael Tilly Geographie und Weltordnung im Aristeasbrief „Wenn ein Stein bewegt wird…“. Tod und Trauer im Judentum in der römischen Kaiserzeit Tod und Trauer in der Tempelrolle Die Sünden Israels und der Heiden: Beobachtungen zu LibAnt ,–