Klaus Birkelbach Heiner Meulemann Hrsg. Lebensdeutung und Lebensplanung in der Lebensmitte Vom Gymnasium bis zur Planung des Ruhestands Lebensdeutung und Lebensplanung in der Lebensmitte Klaus Birkelbach · Heiner Meulemann (Hrsg.) Lebensdeutung und Lebensplanung in der Lebensmitte Vom Gymnasium bis zur Planung des Ruhestands Herausgeber Klaus Birkelbach Heiner Meulemann Fakultät für Bildungswissenschaften Institut für Soziologie Universität Duisburg-Essen und Sozialpsychologie Essen, Deutschland Universität zu Köln Köln, Nordrhein-Westfalen Deutschland ISBN 978-3-658-15361-8 ISBN 978-3-658-15362-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-15362-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. 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Lektorat: Dr. Cori Antonia Mackrodt Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................... IX Teil I Lebensbereiche und Zufriedenheiten. Einleitung 1 Partner versus Kinder? Wie verändert sich die Wichtigkeit von Partnerschaft und Elternschaft im Familienverlauf? ......... 3 Barbara Wawrzyniak 2 Lebenszufriedenheit im Lebensverlauf: Allgemein, privat und beruflich .............................. 19 Anne Weber 3 Macht Religion glücklich – oder Glück religiös? ................ 49 Heiner Meulemann 4 Ehrenamt macht glücklich?! Der Einfluss des ehrenamtlichen Engagements auf die Lebenszufriedenheit ....... 73 Carina Piek Teil II Das Leben führen und über das Leben nachdenken. Einleitung 5 Bin ich meines Glückes Schmied? Die Kausalattribution des persönlichen Berufserfolgs und der sozialen Mobilität ........ 101 Heiner Meulemann 6 Herausforderungen und Konsolidierungen. Die Entwicklung der biografischen Selbstreflexion ............................. 131 Heiner Meulemann und Klaus Birkelbach V VI Inhaltsverzeichnis 7 Die Stabilität der biografischen Selbstreflexion ................. 155 Heiner Meulemann und Klaus Birkelbach 8 Herausforderungen und Bewältigungsstrategien. Lebenserfolg und Selbstbestimmung als Determinanten der biografischen Selbstreflexion ............................. 171 Heiner Meulemann und Klaus Birkelbach Teil III Säkularisierung als persönliche Entwicklung? Einleitung 9 Individualisierung oder Säkularisierung religiöser Praktiken und Überzeugungen im Lebenslauf? ................. 197 Klaus Birkelbach und Heiner Meulemann 10 Der lange Schatten der religiösen Sozialisation: Christliche Überzeugungen von der Jugend bis in die späte Lebensmitte ................................... 223 Klaus Birkelbach und Heiner Meulemann 11 Kirchliche Praxis von der Jugend bis in die späte Lebensmitte .... 251 Klaus Birkelbach und Heiner Meulemann Teil IV Soziale und politische Einstellungen. Einleitung 12 Wer kommt nach ganz oben? Leistung und askriptive Merkmale beim Eintritt in Führungspositionen ................ 285 Sebastian Neumeyer und Heiner Meulemann 13 Oberschicht und Elite – auch in den Köpfen? Die vertikale soziale Selbstverortung ......................... 319 Sebastian Neumeyer und Heiner Meulemann 14 Von Wertansprüchen an die Politik zur Anerkennung von Sachzwängen. Politische Werteinstellungen nach den prägenden Jahren ..................................... 347 Heiner Meulemann Teil V Lebenssituationen in der Lebensmitte. Einleitung 15 Der Einfluss von Ressourcen und Einstellungen auf das freiwillige Engagement in der späten Lebensmitte ........ 375 Christiane van der Kuil Inhaltsverzeichnis VII 16 Wenn Kinder ausziehen. Der Eintritt in die nachelterliche Familienphase ............................................ 397 Barbara Wawrzyniak Teil VI Kontinuität und Vielfalt der Planungen für Beruf und Ruhestand. Einleitung 17 Erfolg und Kontinuität im beruflichen Lebenslauf .............. 417 Heiner Meulemann 18 Erfolg und persönliche Ziele im beruflichen Lebenslauf .......... 443 Heiner Meulemann 19 Berufserfolg und die Planung eines aktiven Ruhestands ......... 459 Heiner Meulemann 20 Bis zum Ruhestand und danach. Eine Gesamtschau der beruflichen Lebensplanung in der späten Lebensmitte ........... 493 Heiner Meulemann Das Kölner Gymnasiastenpanel von 1969 bis 2010. Übersicht über die Befragungen und Analyse der Ausfälle. Ein Anhang .......................................... 505 Klaus Birkelbach Einleitung Lebensdeutung und Lebensplanung als Aufgaben der Lebensmitte In der Lebensmitte – der Mitte zwischen Jugend und Alter – ist man im Erwach- senenleben angekommen. In der Regel gilt: Man hat einen Beruf gefunden und ist erwerbstätig; man hat eine Familie gegründet, geheiratet und Kinder in die Welt gesetzt; man weiß, wo man weltanschaulich steht, welche Religion man unter- stützt und welcher politischen Partei man nahesteht. Wichtige berufliche, fami- liäre und intellektuelle Entscheidungen sind getroffen. Erfolge haben sich hier eingestellt und sind dort ausgeblieben. Erfolg zu haben bedeutet, dass andere das, was man ist und tut, anerkennen oder wertschätzen, etwas allgemeiner gespro- chen: dass sie ihm Prestige schenken. In der Lebensmitte sollte also gelten: Man weiß, wer man ist. Die Jugend ist abgeschlossen; die Aufgabe der Jugend, die Identitätsfindung, gelöst. Die gefundene Identität zu wahren ist die Aufgabe des Erwachsenen in der Lebensmitte: Das Prestige der beruflichen Aktivitäten soll gehalten oder vermehrt werden; die Partnerschaft fortgeführt und um die Elternschaft erweitert; die welt- anschaulichen Überzeugungen gegen Zweifel gefeit werden (Meulemann 2001, S. 19–20). Die Identitätswahrung setzt aber voraus, dass man sich der Identität vergewissert. Man muss sein Leben, so gut man kann, verstehen und deuten. Die Lebensdeutung der gewahrten Identität ist eine Aufgabe der Lebensmitte. Die „Dreiteilung des Lebenslaufs“ in Jugend, Lebensmitte und Alter (Kohli 1985) ist heute so geläufig, dass sie kaum mehr als historische Errungenschaft gesehen wird. Aber erst die „sichere Lebenszeit“ (Imhof 1984), die durch das Gesundheitswesen und die Sozialversicherungen ermöglichte Ausdehnung der Lebensdauer aller, hat nach der Lebensmitte die Lebensphase Alter hervorge- bracht. Erst heute kann jeder damit rechnen, nach dem Austritt aus dem Beruf IX X Einleitung noch einige Jahre im Ruhestand und nach dem Auszug der Kinder noch einige Jahre in nachelterlicher Gefährtenschaft zu leben. Dann aber muss man spätestens in der späten Lebensmitte mit dem unvermeidlichen Disengagement rechnen und planen, was man im Alter tun will. Identitätswahrung heißt dann, Kontinuität zwi- schen Lebensmitte und Alter zu erhalten und Aktivität dort anzustreben, wo sie nicht mehr durch Beruf und Familie erzwungen ist. Nicht umsonst sind Disenga- gement, Kontinuität und Aktivität die kanonisierten Perspektiven der Alterssozio- logie (Backes und Clemens 2003, S. 12–126; Cumming et al. 1960; Lehr 2000, S. 55–68; Prahl und Schroeter 1996, S. 119–124, 287–291). Wie in der Jugend, muss auch jetzt das Leben geplant und eine Identität gefunden werden. Anders als in der Jugend aber gilt: Das Alter wird vor dem Hintergrund der Lebensmitte geplant, sodass Identität weiterhin gewahrt bleiben und Kontinuität erreicht wer- den kann. Die Lebensplanung für das Alter ist eine Aufgabe der späten Lebens- mitte. Die Lebensdeutung in der Lebensmitte und die Lebensplanung in der spä- ten Lebensmitte sind die beiden Themen des vorliegenden Buches. Es berichtet Ergebnisse des Kölner Gymnasiastenpanels, das eine Erstbefragung ehemali- ger Gymnasiasten im 16. Lebensjahr 1969 und drei Wiederbefragungen im 30., 43. und 56. Lebensjahr umfasst. Diese Einleitung erläutert in Abschn. 1, welche Gegenstände unter den beiden Themen behandelt und welche Fragen zu ihnen in den einzelnen Kapiteln untersucht werden, und beschreibt in Abschn. 2, die Stichproben und die Erhebungsinstrumente. Themen der Lebensmitte Lebensbereiche und Lebenszufriedenheit Der Lebenserfolg, also die Wertschätzung meiner Entscheidungen durch andere, ist für mich eine objektive, gegebene Tatsache, die ich respektieren muss. Wenn ich aber mein Leben deuten will, muss ich über den Kreis meiner Wünsche hin- ausgreifen und mich an Maßstäbe halten, die auch für andere gelten. Der von den anderen beglaubigte Lebenserfolg ist daher der erste Orientierungspunkt für die Lebensdeutung. Zwei Formen der Lebensdeutung nach allgemeinen Maßstä- ben werden in den folgenden Kapiteln betrachtet: die Wichtigkeitsschätzung von Lebensbereichen und die Lebenszufriedenheit. Wie kann der Lebenserfolg beide beeinflussen? Lebensbereiche interpunktieren das Leben von uns allen. Jeder bewegt sich im täglichen Leben zwischen verschiedenen Bereichen. Die meisten verlassen Einleitung XI morgens das Haus, also den privaten Lebensbereich der Familie, um zur Arbeit, also in den öffentlichen Lebensbereich des Berufs, zu gehen, und kehren abends wieder zurück. Und viele besuchen manchmal abends eine politische Versamm- lung oder ein Kino und an manchen Sonntagmorgen einen Gottesdienst – machen also Ausflüge in Politik, Freizeit oder Religion. Zu leben heißt, Zeit zwischen den Ressorts eines Haushalts nach Präferenzen zu verteilen. Aber die Zeit ist weit- gehend durch die notwendigen Routinen des Alltags gebunden, sodass ihre Ver- teilung sich nicht stark zwischen Personen unterscheidet. Um die persönliche Wertschätzung der Lebensbereiche zu erfassen, muss man die Menschen danach fragen. Selbst wenn die Schwerkraft des Alltags die Zeit bei den meisten ähnlich verteilt, kann jeder die Wichtigkeit der Lebensbereiche individuell einschätzen. Die Wichtigkeitseinschätzung der Lebensbereiche ist also die erste Dimension der Lebensdeutung. Wer keine Familie hat, wird sie nicht für wichtig halten. Wer für den Beruf lebt, wird ihn für sehr wichtig und die Freizeit für weniger wichtig halten; wer den Beruf als Mittel sieht, wird die Freizeit für wichtiger halten als den Beruf. Die Frage ist, wie sehr der Lebenserfolg in Familie und Beruf – also Familien- und Berufsstatus – die Wichtigkeitsschätzung von Lebensbereichen bestimmt. Sie wird in Kap. 1 untersucht. Der Lebenserfolg in Beruf und Familie spiegelt sich weiterhin in der Zufrie- denheit mit ihnen und mit dem Leben überhaupt. Während aber der Lebenserfolg als Anerkennung anderer objektiv ist, ist die Lebenszufriedenheit subjektiv. Sie hängt nicht von den anderen ab. Nur ich kann sagen, wie zufrieden ich bin. So wenig ich meinen Lebenserfolg definieren kann, so sehr habe ich über ihn die Deutungshoheit. Deshalb empfindet es jeder als Anmaßung oder sogar Unver- schämtheit, wenn ein anderer ohne den Schutz der Intimität oder ohne therapeu- tische Kompetenz, also im Alltagsleben, ihm sagt: „Du bist so unzufrieden“. Weil der Lebenserfolg objektiv und die Lebenszufriedenheit subjektiv ist, spiegelt sich der erste in der zweiten nicht klar. Erfolgreiche Menschen sind zwar in der Regel zufriedener. Aber was dem einen ein großer Erfolg ist, hat für den anderen wenig Wert. Deshalb kann man die Lebenszufriedenheit als den eigentlichen, persön- lich gültigen oder subjektiven Lebenserfolg ansehen. Die Frage ist, wie sehr der Erfolg die Zufriedenheit bestimmt. Sie wird in Kap. 2 behandelt und in Kap. 3 und 4 um zwei besondere Perspektiven ergänzt. Was trägt die Religiosität zur Lebenszufriedenheit über die ganze Lebensmitte bei? Und was trägt ein ehren- amtliches Engagement in der späten Lebensmitte zur Lebenszufriedenheit bei? Die Zufriedenheit spiegelt den Erfolg aus einem weiteren Grund oft nur unscharf. Nicht immer ist jedem Erfolg eine spezifische Zufriedenheit zuge- ordnet. Oft fließen vielmehr mehrere Erfolge in einer Zufriedenheit zusammen; und je mehr es sind, desto gewichtiger wird die Zufriedenheit. Partnerschaft und