RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft Karsten Berr Hrsg. Landschafts- architekturtheorie Aktuelle Zugänge, Perspektiven und Positionen RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft Herausgegeben von O. Kühne, Tübingen, Deutschland S. Kinder, Tübingen, Deutschland O. Schnur, Berlin, Deutschland Im Zuge des „spatial turns“ der Sozial- und Geisteswissenschaften hat sich die Zahl der wissenschaftlichen Forschungen in diesem Bereich deutlich erhöht. Mit der Reihe „RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft“ wird Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern ein Forum angeboten, innovative Ansätze der Anthropogeographie und sozi- alwissenschaftlichen Raumforschung zu präsentieren. Die Reihe orientiert sich an grundsätzlichen Fragen des gesellschaftlichen Raumverständnisses. Dabei ist es das Ziel, unterschiedliche Theorieansätze der anthropogeographischen und sozialwissenschaftli- chen Stadt- und Regionalforschung zu integrieren. Räumliche Bezüge sollen dabei insbe- sondere auf mikro- und mesoskaliger Ebene liegen. Die Reihe umfasst theoretische sowie theoriegeleitete empirische Arbeiten. Dazu gehören Monographien und Sammelbände, aber auch Einführungen in Teilaspekte der stadt- und regionalbezogenen geographischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Ergänzend werden auch Tagungsbände und Qualifikationsarbeiten (Dissertationen, Habilitationsschriften) publiziert. Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Olaf Kühne, Universität Tübingen Prof. Dr. Sebastian Kinder, Universität Tübingen PD Dr. Olaf Schnur, Berlin Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/10584 Karsten Berr (Hrsg.) Landschaftsarchitekturtheorie Aktuelle Zugänge, Perspektiven und Positionen Herausgeber Karsten Berr Universität Vechta Vechta, Deutschland RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft ISBN 978-3-658-18837-5 ISBN 978-3-658-18838-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-18838-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detail- lierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Mackrodt Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhaltsverzeichnis Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Karsten Berr Teil I Aktuelle Zugänge zu Möglichkeiten und Zweck theoretischer Reflexion und Theorievermittlung in der Landschaftsarchitektur Wissenschaftliche Grundlagen der Landschaftsarchitektur ................ 21 Jörg Dettmar Know-how und Know-why: Plädoyer für die Stärkung der Theorievermittlung im Studium der Landschaftsarchitektur ............... 51 Constanze A. Petrow Landschaftsarchitekturtheorie ........................................ 71 Nicole Uhrig Mit beiden Augen sehen: Vom Nutzen des Theoretischen für die Praxis ....... 85 Almut Jirku Teil II A ktuelle Perspektiven der Theoriebildung in der Landschaftsarchitektur Über das Verhältnis von Handwerk und Mundwerk ....................... 105 Klaus Prange Was war Landschaft vor ihrer Konstruktion durch die Wissenschaft? ....... 111 Achim Hahn Überlegungen zu einem proto-theoretischen Unterbau der Landschaftsarchitektur .............................................. 123 Karsten Berr Zum Nachdenken über Landschaftsarchitektur .......................... 165 Sebastian Feldhusen V VI Inhaltsverzeichnis Teil III Aktuelle Positionen zur Landschaftsarchitektur Das Programm Entwurfsbasierte Promotion PEP der Entwurfsfachgebiete Architektur und Landschaftsarchitektur der TU Berlin ................... 187 Jürgen Weidinger Topology and Phenomenology in Landscape Architecture .................. 195 Anette Freytag Wie soll der Landschaftsarchitekt mit Natur umgehen? ................... 227 Gesine Schepers Einführung Karsten Berr Theorie-Skepsis, Theorie-Ablehnung und Theorie-Feindlichkeit sind weitverbreitet – und zwar im Alltag ebenso wie an den Schnittstellen von Praxis und Theorie. Landschafts- architektur und Landschaftsarchitekturtheorie machen hier allemal keine Ausnahme. Theorie-Skepsis ist auch keineswegs ein nur aktuelles Problem, sondern sie ist so alt wie theoretische Bemühungen überhaupt und steigert sich häufig bis zur Theoriefeindlichkeit. Peter Zima hat für die Sozial- und Kulturwissenschaften eine Diagnose gestellt, die auf Theorie schlechthin zutreffen mag: In einer Zeit (…) in der mancherorts Theoriefeindlichkeit zum guten Ton gehört, mag es verwegen erscheinen, eine Frage aufzuwerfen (…): Was ist Theorie? Das wissen wir doch längst, werden die einen einwenden, ohne lange nachzudenken, während die anderen beden- kenlos behaupten werden, daß wir das gar nicht zu wissen brauchen (Zima 2004, S. 1). Das heißt: Jede Reflexion auf das eigene Tun und Denken wird skeptisch bis argwöh- nisch betrachtet. Als Hintergrund einer solchen Theorie-Skepsis lässt sich eine besondere außerwissenschaftliche Verwendungsweise des Theorie-Begriffes (Thiel 2004, S. 260; Wildfeuer 2011, S. 1775 f.; Lembeck 2011, S. 2180 ff.) rekonstruieren: „Theorie“ kann einmal als vages Vermutungswissen über Sachverhalte oder die zweckmäßige Durchfüh- rung von Handlungen, zum anderen als weltfremdes, abstraktes und pragmatisch erfolg- loses Theoretisieren im Gegensatz zu einem realitätsnahen, erfahrungsgesättigten und pragmatisch erfolgreichen Handeln verstanden werden. Oft werden in diesem Sinne auch der „gesunde Menschenverstand“ und eine praxisbewährte Alltagserfahrung gegen theo- retische Deutungs-, Erklärungs- und Problemlösungsvorschläge ins Feld geführt. K. Berr (*) Edewecht, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 1 K. Berr (Hrsg.), Landschaftsarchitekturtheorie, RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft, DOI 10.1007/978-3-658-18838-2_1 2 K. Berr Immanuel Kant hat dieses berühmte, in vielen Facetten schillernde Theorie-Praxis- Problem eigens thematisiert, und zwar in der kleinen Schrift Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (Kant 1964). Dieser „Gemeinspruch“ fasst die alltagsweltlichen Vorurteile gegen Theorie prägnant zusam- men. Mehr oder weniger ausdrücklich wird Praxis im Rahmen solcher Vorurteile „umge- ben mit der Aura der Konkretheit, der Authentizität und des an Wirklichkeit Geerdeten und Bewährten, während Theorie als das Abstrakte, Nicht-Authentische und Realitäts- lose diffamiert wird“ (Wildfeuer 2011, S. 1776). Aber auch in fachlichen Kreisen und praktischen Disziplinen oder Fächern ist dies das allseits bekannte Kreuz der Theoreti- ker, die sich häufig mit ihren theoretischen Anstrengungen gegenüber den so genannten „Praktikern“ rechtfertigen müssen. Kants prominente Antwort auf eine Form der Theo- riefeindlichkeit, die letztlich die Nutzlosigkeit der Theorie für Handlungsorientierungen in der Praxis behauptet, ist unmissverständlich und wegweisend: Es kann also niemand sich für praktisch bewandert in einer Wissenschaft ausgeben und doch die Theorie verachten, ohne sich bloß zu geben, daß er in seinem Fache ein Ignorant sei: indem er glaubt, durch Herumtappen in Versuchen und Erfahrungen, ohne sich gewisse Prin- zipien (die eigentlich das ausmachen, was man Theorie nennt) zu sammeln, und ohne sich ein Ganzes (welches, wenn dabei methodisch verfahren wird, System heißt) über sein Geschäft gedacht zu haben, weiter kommen zu können, als ihn die Theorie zu bringen vermag (Kant 1964, S. 128). Überhaupt, so Kant, lässt sich das mögliche Scheitern eines konkreten Handelns nicht umstandslos auf den vermeintlichen Mangel ‚bloßer‘ Theorie zurückführen. Vielmehr lag das Scheitern „nicht an der Theorie, wenn sie zur Praxis noch wenig taugte, sondern daran, daß nicht genug Theorie da war, welche der Mann von der Erfahrung hätte ler- nen sollen“ (Kant 1964, S. 127). Kants Antwort ist ohne Weiteres klar verständlich und fällt zweifelsohne zugunsten der Theorie aus. Doch genügt dieser Verweis auf Kant, um eine hartnäckige Theorie-Skepsis abzuwehren und unbekümmert Theoriearbeit zu leis- ten – etwa in der und für die Landschaftsarchitektur? Auf welche Schwierigkeiten und Widerstände trifft solche Theoriearbeit, welche spezifischen Rahmenbedingungen muss sie berücksichtigen? Wie ist es überhaupt um die Landschaftsarchitektur und wie um die Landschaftsarchitekturtheorie bestellt? Was die Frage nach der Landschaftsarchitektur anbelangt, kann sicherlich konstatiert werden: Die Landschaftsarchitektur hat keinen leichten Stand. Zum einen wird sie in ihrer Bedeutung gerne von den Architekten und Stadtplanern sowie Umwelt- oder Natur- schützern in den Schatten gestellt oder als bloße Dekorationsveranstaltung für architek- tonische Bauten oder städtebauliche Räume angesehen. Zum anderen führt sie in der öffentlichen und medialen Wahrnehmung ein (teils durchaus selbst verschuldetes) Schat- tendasein, insofern ihre Leistungen nicht wahrgenommen, thematisiert oder anerkannt werden (vgl. Petrow 2013). An den Universitäten gehört die Landschaftsarchitektur zu jenen Disziplinen, die im Kampf um akademische Reputation, wissenschaftspolitisches Renommee und finanzielle Ressourcen, die häufig an Drittmittel, Publikationen und Einführung 3 Forschungsleistungen geknüpft sind, an den Rand gedrängt zu werden droht. In diesem „Kampf um Anerkennung“ (Honneth 1992; Eisel 1997) bzw. im Kampf um kollegiale „Aufmerksamkeit“ und institutionelle Sicherung im gegenwärtigen „Wissenschaftsbe- trieb“ (Franck 2007) wird die Landschaftsarchitektur, die sich als „verwissenschaftlich- tes Handwerk“ (Eisel 1992, S. 3) bzw. als „akademisierte Profession“ (Hard 1991, S. 18) unsicher zwischen handwerklicher Herkunft und wissenschaftlichen Ansprüchen bewegt, dazu gedrängt, sich an externen Wissenschaftsstandards zu orientieren und sich an Eva- luierungskriterien messen zu lassen, die der Eigenlogik ihrer spezifischen Wissenserzeu- gung unangemessen sind (vgl. Weidinger 2013). Im Verteilungskampf um Drittmittel musste sich die Landschaftsarchitektur sogar den „Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit und Theorielosigkeit“ gefallen lassen – diese Entwicklung führte gleichsam „zwingend“ zur „Diskriminierung der Landschaftsarchitektur“ (Eisel 2007, S. 27). Bereits 1938 beschrieb Martin Heidegger den Charakter der neuzeitlichen Wissen- schaft als „Betrieb“, sprach vom „Betriebscharakter der Forschung“ (Heidegger 1963, S. 77) und vom „Institutscharakter der Wissenschaften“, der in nichts anderem bestehe als in der „Sicherstellung des Vorrangs des Verfahrens vor dem Seienden (Natur und Geschichte), das jeweils in der Forschung gegenständlich wird“ (Heidegger 1963, S. 78). Das „Verfahren“ richte sich mithilfe seiner Ergebnisse „jeweils zu einem neuen Vorgehen“ und „auf die durch es selbst eröffneten Möglichkeiten des Vorgehens ein“ (Heidegger 1963, S. 77), um etwa die „wechselweise Überprüfung und Mitteilung der Ergebnisse [zu] fördern“ – etwa indem der so verstandene Forscher häufig „Tagungen“ und „Kongresse“ besuche (Heidegger 1963, S. 78). Diese Dynamik des gegenwärtigen Wissenschaftssystems wirkt sich folgerichtig auch auf die Theoriebildung in der Land- schaftsarchitektur aus. Die Theorie der Landschaftsarchitektur steht somit ebenfalls im Schatten des gegen- wärtigen Kampfes um Anerkennung und Aufmerksamkeit. Entsprechend lassen sich Bemühungen um Anschluss an so genannte „richtige“ Wissenschaften und folgerich- tig um eine „Verwissenschaftlichung“ des Fachs beobachten. Im Zentrum dieser Ver- wissenschaftlichungsbemühungen steht häufig das Entwerfen. So wird der Entwurf beispielsweise als „innovative Form von Wissenschaft“ (Prominski 2004, S. 17), als „eigenständige Erkenntnisform“, als „Creating Knowledge“ (von Seggern et al. 2008) oder als „experimentelles Erfinden“ (Latz 2008) interpretiert. Diese Entwicklung wird inzwischen zunehmend auch kritisch betrachtet und dem hochschulpolitischen Trend eines unterschwellig wirksamen Zwangs zur wissenschaftlichen Valorisierung des eige- nen Faches (Ammon und Froschauer 2013, S. 17) und einer damit einhergehenden „ver- ordneten Verwissenschaftlichung des Entwerfens“ (Weidinger 2013) zugeordnet. Solche Theoriebemühungen – etwa in der Entwurfslehre – führen aber oft genug lediglich zu einem „ambitionierten Theoriegewurstel“ der Lehrenden und zu prätentiösen Versuchen, die eigene wissenschaftliche Position aufzuwerten (Eisel 2003, S. 9). Noch vor einigen Jahren wurde hingegen häufig ein „Theoriedefizit“ (z. B. Körner 1991; Stimmann 1998; Eisel 2003, 2007; Prominski 2004) oder gar eine „Theoriefeindlichkeit“ (Selle 2010, S. 93) beklagt. So monierte Udo Weilacher ausdrücklich die Theorie- und
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