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Laienkompetenz im psychosozialen Bereich: Beratung — Erziehung — Therapie PDF

231 Pages·1997·6.353 MB·German
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Hildegard Müller-Kohlenberg Laienkompetenz im psychosozialen Bereich Beratung - Erziehung - Therapie Leske + Budrich, Opladen 1996 Gedruckt.auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme MüUer-Kohlenberg, Hildegard : Laienkompetenz im psychosozialen Bereich: Beratung - Erziehung - Therapie Hildegard Müller-Kohlenberg. - Opladen : Leske und Budrich, 1996 ISBN 978-3-8100-1673-7 ISBN 978-3-322-95855-6 (eBook) DOI 10.007/978-3-322-95855-6 © 1996 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Hildegard Müller-Kohlenberg Laienkompetenz im psychosozialen Bereich Vorbemerkung Die Wissenschafts- bzw. Professionsgeschichte in den Disziplinen Psycho therapie und Sozialpädagogik/Sozialarbeit betonte lange Zeit in eindimensio naler Weise die Fortentwicklung von methodischem Wissen und Können als Basis für eine professionelle Arbeit. Selbst als die "persönliche Beziehung" als wichtiger Faktor erfolgreichen Wirkens bereits bekannt war, wurde diese noch als Teil der fachlichen Qualifikation aufgefaßt. Die Verbesserung der Praxis wurde insbesondere von einer Intensivierung der Ausbildung und ei ner Revision der Curricula erwartet. Der Blick auf die erfolgreiche Hilfe von Laien schien uninteressant; de ren Leistungen, die unübersehbar gewesen wären, wenn man hingesehen hätte, wurden aufgrund vorgefaßter Denkkategorien nicht wahrgenommen. Empirische Untersuchungen zu diesem Thema wurden zwar punktuell immer wieder veröffentlicht, blieben aber nahezu unbeachtet. Obwohl die hier vorliegende Monographie überwiegend auf empirischen Untersuchungen zur Arbeit und den Arbeitsergebnissen von unausgebildeten Personen im psychosozialen Bereich basiert, stelle ich nur gelegentlich eige ne empirische Forschungsergebnisse dar. Es handelt sich vielmehr großen teils um die Zusammenstellung von Veröffentlichungen zu diesem Thema, die z.T. bereits Jahre und Jahrzehnte verfügbar sind. Sie wurden aber - wie ich meine - nicht gebührend aufgegriffen und systematisiert, naheliegende Konsequenzen wurden aus den Ergebnissen nicht gezogen. Diese Tatsache verlangt die Erinnerung an Erkenntnisse, die trotz ihrer beträchtlichen Bedeu tung, die sie für die Bereitstellung von Hilfsangeboten hätten haben müssen, unberücksichtigt blieben. Das Buch enthält daher eine Sammlung verlorengegangener Studien, die - wenn sie in den richtigen Zusammenhang gestellt werden - sowohl die praktische Organisation psychosozialer Hilfe wie den theoretischen Diskurs neu beleben müßten. Insofern war es notwendig, ältere Literatur durchzusehen, und es erwies sich häufig als lohnend, daraus zu zitieren. Eine kontinuierliche Entwicklung der Fragestellung in der jüngeren Disziplingeschichte existiert allerdings nicht. Der Faden ist immer wieder abgerissen. Mehr als sonst finden sich da her in diesem Buch Verweise auf ältere Literatur. 5 Im ersten Kapitel werden grundlegende Arbeiten referiert, auf die ich be reits in anderem Zusammenhang verwiesen habe. Da sie zum Verständnis. der weiteren Teile des Buches jedoch entscheidend sind, erlaube ich mir, sie hier in einer erweiterten Fassung nochmals zu entfalten. Durch den Verweis auf empirische Studien zur Laientätigkeit möchte ich zugleich auch den Mut der Autoren und Autorinnen hervorheben, Fragestel lungen zu bearbeiten, die neben dem Trend lagen und liegen. Ihnen widme ich die folgende Arbeit. Osnabrück, Juni 1996 H.M.-K. 6 Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung ............................................................ ......................... 5 Die ÄquiefTektivität von Laien und Professionellen im psychosozialen Bereich .................................................................. 11 Wissenschaft - berufliche Praxis - Alltagshandeln .......................... 23 Erziehungswissenschaft und pädagogische (Berufs-)Praxis .................. 23 Wissenschaft und Weltanschauung in Therapie bzw. Beratung ............ 26 Mutmaßungen über den Zusammenhang von Motivation, Ausbildung und Erreichung von Helferkompetenz .......................... ........................ 29 Kognitions-bias-Hypothese ................................................................... 30 Altruismus-Verdikt-Hypothese ............................................................. 31 Motiv-Divergenz-Hypothese ................................................................. 31 Arationalitäts-Hypothese ....................................................................... 32 Perspektiven-Differenz-Hypothese ....................................................... 34 Die "Entdeckung" der Laienkompetenz ............................................ 37 Entwicklung in den USA seit ca. 1960 .................................................. 37 Unterschiedliche Fragestellungen in der Forschung .............................. 39 Schätzungen hinsichtlich des Umfangs der Laientätigkeit .................... 46 Terminologische Anmerkungen zur verwendeten Begrifflichkeit ........ 48 Wünsche und Erwartungen aus Sicht der Klienten ......................... 51 Unterschiedliche Perspektiven in der Evaluationsforschung ................ 51 Sichtweise von Psychiatriepatienten ..................................................... 54 Resozialisierungsprojekte im Urteil betroffener Jugendlicher .............. 58 Sechs Faktoren, die eine gelungene Betreuungsbeziehung charakterisieren ...................... ..... .................. ....... ... ...... ...... ........ .......... 61 1. Gegenseitigkeit .... .... ...................... ......... .... ......... ....... ....... ........ ........ 61 2. Einbettung in den Alltag ................. .......................................... ......... 62 3. Transparenz der Kontrollfunktion ..................................................... 63 7 4. Lockere entspannte Abnosphäre ....................................................... 64 5. Bereitschaft zu persönlicher Offenheit des Betreuers bzw. der Betreuerin .. ...... ..... ....... ........ ... ..... .... ....... ... .............................. ........ 65 6. Gemeinsame Aktivitäten ................................................................... 65 Zwei Doppelportraits: Betreuer und Betreute ........................................ 67 Karsten und logo ....... ....................................... ...... ....... ........................ 67 Rolf und Rainer . ..... ..... ..... ....... ............................... ............................... 71 Laienengagement in zwei gesellschaftlichen Feldern ....................... 77 Laientätigkeit in der Straffälligenhilfe .................................................. 77 Geschichtliche Entwicklung .................................................................. 77 Die Compania di Santa Maria della Croce .... ............................ ............ 77 Die Pennsylvanische Gefängnisgesellschaft .......................................... 78 Europäische Laienbewegungen nach dem Vorbild der Pennsylvanischen Gefängnisgesellschaft .............................................. 78 Straffälligenhilfe seit der Weimarer Republik ...... ............ .............. ....... 79 Ehrenamtliche Helfer im Strafvollzug ................ ............................ ....... 80 Ehrenamtliche Helfer in der Bewährungszeit und nach der Entlassung ....................................................................................... 89 Laienberater und Laienhelfer in der Familienerziehung ................. 95 Geschichte der Familienhilfe durch Laien ............................................. 95 Institution und Familie - Berufserzieher und Laien .............................. 97 Professionelle Anleitung für Eltern und Pflegeeltern ............................ 101 Laien in familien unterstützenden Institutionen ............ ...................... ... 102 Die Helferpersönlichkeit: Einstellungen, Kompetenzen und Motivationen ............ ................................ ................... ........... ....... 109 Methodologische Probleme bei der Konstruktion von "Helfertypen" ... 109 Ist Altruismus als Motivation möglich? ................................................ 109 Freiwillige Hilfe und das KOHLBERGsche Modell der moralischen Entwicklung .......................................................................................... 112 Unipolare oder bipolare Modelle der Motivation? ................................ 113 Veränderung der Motivation im Verlauf des Engagements .................. 115 Drei Beispiele möglicher Typisierung .. .... ........ ....................... .............. 118 Biographische Genese ........................................................................... 118 Verhältnis von Ehrenamt zur Berufstätigkeit ..... .... ...... ......... ...... ....... ... 122 Orientierung an Normen und Überzeugungen ...................................... 122 Unterscheidet sich die "Helferpersönlichkeit" von "Nicht-Helfern"? ... 124 8 Engagement und Kompetenz ausgewählter Personengmppen ....... 127 Personen im Ruhestand ......................................................................... 127 Patienten helfen Patienten .................... ............................ ..................... 131 Ehemalige Drogenkonsumenten als Laienhelfer ................................... 138 Hilfe durch Kinder? .................. ............................................................. 141 Engagement in der Arbeitslosigkeit .............................. .............. .......... 146 Vier Helferportraits ............................................................................... 148 Frau J., Seele und Zentrum der Insel..................................................... 148 Herr K., Haus- und Lehrmeister alter Art ............................................. 152 Frau A., Begleiterin in den Wochen der Todesangst ............................. 153 Ehepaar M., Nicht Beruf - aber "berufen" ............................................ 157 Triangulation der personenbezogenen Hilfe: Zur Kooperation von Laien und Professionellen .............................. 165 Bisherige Praktiken und Modelle der Kooperation ............................... 165 Triangulation und die zweiseitige Orientierung der Professionellen ..... 169 Probleme bei der Implementierung des triangulierten Modells ............ 172 Ausbildung für Laien - ein Widerspmch? ........................................ 177 Schulung empathischer Kompetenzen .................................................. 177 Responsive und initiative VerhaItenskompetenzen ............................... 179 "Skill"-orientierte Programme ............................................................... 180 Lerntheoretisch orientierte Programme .......................................... ....... 185 Lernen in der enthierarchisierten Praxis ...................... .......................... 186 Quasi-professionelle Curricula .............................................................. 188 Laien als "AIternativexperten" .............................................................. 190 Programme zur Wissensvermittlung ..................................................... 190 Einwände gegen Laientätigkeit .......................................................... 193 Verarmung durch Vereinnahmung? ...................................................... 193 Ist das Ehrenamt frauenfeindlich ? ......................................................... 196 Verstrickung in Übertragung und Gegenübertragung ........................... 201 Abschließende Bemerkungen ....................................... ....................... 207 Literaturverzeichnis ............................................................................ 211 9 Die Äquieffektivität von Laien und Professionellen im psychosozialen Bereich Die Äquieffektivitätsthese bildet die Grundlage dieser Studie. Ihre Kernaus sage wird zunächst knapp vorgestellt, um in den folgenden Teilen belegt und differenziert zu werden: Zwischen unausgebildeten HelferInnen im psychosozialen Bereich und den Angehörigen entsprechender akademischer Berufsgruppen - wie (klini schen) PsychologInnen, (Sozial)-PädagogInnen oder PsychotherapeutInnen - besteht hinsichtlich der Wirksamkeit ihrer Hilfeleistungen kein nennenswer ter Unterschied. Eine akademische Ausbildung bewirkt nicht die Steigerung der Hilfequalität, die man erwartet. Die verbreitete Überzeugung, daß man für die Ausübung von wirksamer Einzelfallhilfe oder Gruppenarbeit eine an wissenschaftlichen Standards ori entierte Ausbildung benötige, hat sich empirisch nicht bestätigen lassen. Die Erfolge der Arbeit werden durch ein (Fach)-Hochschulstudium bzw. eine Therapeutenausbilung nicht nachweisbar verbessert. Allerdings werden sie dadurch auch nicht schlechter; die Ausbildung hat kaum Konsequenzen in bezug auf den Ertrag der Hilfeleistung, wenn man ,,Ertrag" durch das verbes serte Befinden des Patienten oder Hilfsbedürftigen definiert. Diese Aussage ist nicht mißzuverstehen als Wirkungslosigkeit der Behandlung. Für die ver breiteten Schulen und Methoden der Psychotherapie wurde in umfassenden Analysen hohe Wirksamkeit gegenüber unbehandelten Kontrollgruppen fest gestellt. Da die Effekte von Laientätigkeit sich nicht signifikant von der Ar beit professioneller Kräfte unterscheidet, gilt die Aussage für beide Gruppen. Aufgrund der Forschungslage kann noch nicht im Detail entschieden werden, ob die Qualität der Hilfeleistung gleichartig ist, jedenfalls aber ist sie äquivalent bzw. äquieffektiv. Während ausgebildete Helfer und Helferinnen über Kompetenzen verfügen, die zwar je nach wissenschaftlichem Standort unterschiedlich sind, die aber im allgemeinen in einem akademischen Studi um erworben wurden, ist das "Kapital" des Laienhelfers sein Engagement, seine Bereitschaft zu Anteilnahme und persönlichem Einsatz. Über die Be ziehung zwischen Kompetenz und Engagement ist wenig bekannt. In jedem Akt der Hilfeleistung sind beide Komponenten integriert. Aus der Sicht Pro fessioneller wird der Aspekt der Kompetenz für den Erfolg der Hilfeleistung im allgemeinen besonders hervorgehoben; aus Sicht der Patienten oder Kli- 11 enten tritt die Frage der menschlichen Zuwendung und des Interesses an der eigenen Person - des Engagements - in den Vordergrund. Geschieht die hel fende Zuwendung auf beruflich-geschäftlicher Basis, wie es in Kliniken, nie dergelassenen Praxen und Beratungsstellen üblich ist, so ist die Glaubwür digkeit der menschlichen Anteilnahme im Vergleich zur Hilfeleistung frei williger Helfer und Helferinnen zwar erschwert, die BerufshelferInnen und TherapeutInnen erreichen aber trotz der ungünstigeren Voraussetzungen meist - allerdings nicht immer - ebenso gute Erfolge wie unbezahlte und un ausgebildete LaienhelferInnen. Die Äquieffektivitätsthese wirkt irritierend: sie enthält vielfältige metho dologische Implikationen, steht im Widerspruch zum akademischen Selbst verständnis und der an expliziten Persönlichkeitstheorien orientierten Fach praxis. Sie wirft wissenschaftstheoretische Fragen nach der Reichweite em pirischer Befunde auf und tangiert wissenssoziologische Areale der Durch setzbarkeit oder Unterdrückung von Erkenntnissen. Die These verlangt des halb eine sorgfältige Prüfung. Es liegen glücklicherweise zahlreiche Arbeiten vor, die das Thema unter verschiedensten Gesichtspunkten beleuchten, so daß ein mosaikartiges Ta bleau (beschreibend, prüfend, paraphrasierend, analysierend, erklärend) zu sammengetragen werden kann, um den Antworten auf offene Fragen näher zu kommen. Die ersten deutlichen Hinweise auf die Äquieffektivität von Laien und Professionellen stammen aus dem Jahr 1968 (CARKHUFF). Seit dieser Zeit werden bis auf den heutigen Tag hauptsächlich zwei Fragen gestellt: Erstens, stimmt dieser Befund überhaupt oder handelt es sich um ein methodisches Artefakt; zweitens, wie sind die Beobachtungen - sofern die stimmen - zu erklären? Die zweite Frage erhitzt die Gemüter weit weniger als die erste, und es wurden zu ihrer Beantwortung nur vergleichsweise geringere An strengungen unternommen. Der wissenschaftliche Aufwand, der in bezug auf die Überprüfung der Äquieffektivitätsbefunde betrieben wurde (also die erste Frage: "Stimmt das überhaupt?"), erreichte dagegen einen erheblichen Um fang. Es liegen nicht nur zahlreiche empirische Studien vor - von Fallanaly sen bis hin zu umfangreichen Vergleichsuntersuchungen - sondern auch Me taanalysen, die sich die einzelnen unabhängigen Studien noch einmal vorge nommen haben, und darüber hinaus, wie im Falle der Metaanalysen von DURLAK (1973, 1979) zusätzlich Metaanalysen (NIETZEL u.a. 1981; HATTIE u.a. 1984; BERMAN u.a. 1985; GUNZELMANN u.a. 1987). Diese Meta-Meta analysen (gemeint ist die nochmalige Überprüfung der zusammenfassenden Ergebnisse) erfolgten häufig in kritischer bzw. betont kontroverser Herange hensweise, entpuppten sich dann aber jedesmal als Bestätigung der ursprüng lichen Aussage, nämlich die Ebenbürtigkeit von Laien und Professionellen in der personenbezogenen psychosozialen Hilfe. Die Methoden wurden dabei sukzessiv präzisiert und verschärft. Das Ergebnis des knapp zwanzigjährigen 12

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