LasCasas Bericht von der Verwüstung der West indischen Länder Herausgegeben von Hans Magnus Enz'ensberger insel taschenbuch Bartolome de Las Casas (1474-1566), der Bischof von Chiapas in Mexiko, lebte seit l 502 in den spanischen Kolonien Mittelamerikas und wurde Zeuge der Ausrottung der Indianer durch die Conquista doren. Er veröffentlichte seinen Bericht 1552, die Dokumentation eines Völkermords von riesigen Ausmaßen, eine Sammlung von Greueln und Monstrositäten, über die die Diskussion nie zum Still stand kam. Der Kommentar Enzensbergers bringt Daten über die Glaubwürdigkeit des Berichts und berücksichtigt auch die Argumente der Gegenseite. insel taschenbuch 553 Las Casas Verwüstung der Westindischen Länder Bartolomi de LasCasas Kurzgefaßter Bericht von der der ~rwüstung Westindischen Länder HERAUSGEGEBEN VON HANS MAGNUS ENZENSBERGER INSEL VERLAG Deutsch von D. W. Andreä Titel des Originals: Brevisima relaci6n de Ia destrucci6n de las Indias occidentales. Die deutsche Übersetzung von Andreä erschien erstmaJs 1790 in Berlin. insel taschenbuch 553 Erste Auflage 1981 ©Insel Verlag Frankfurt am Main 1966 Alle Rechte vorbehalten Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus Satz: LibroSatz Kriftel Druck: Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany 6 7 8 9 - 95 94 93 92 Kurzgefaßter Bericht von der i-erwüstung der Westindischen IJinder Indien1 ward im Jahr Ein tausend vierhundert und zwei und neunzig entdeckt. Im folgenden Jahre bauten sich bereits spa nische Christen darin an, so daß nunmehr seit neun und vierzig Jahren sich eine Menge Spanier daselbst befinden. Die Gegend wo sie zuerst sich niederließen, war die große herrliche Insel Hispaniola2, die gegen sechshundert Meilen im Umkreis ent hält. Rings um sie her liegen überall noch andere sehr große Inseln, die sämtlich - denn wir haben sie alle besehen - so bewohnt, so stark mit eingeborenen Indianern besetzt waren, als das volkreichste Land in der Welt. Das feste Land welches dieser Insel am nächsten liegt, ist ungefähr zweihundert und fünfzig Meilen von derselben ent fernt, und erstreckt sich auf zehntausend Meilen längs der Seeküste hin. So viel hat man nur erst entdeckt; aber täglich entdeckt man desselben noch mehr. In denjenigen Gegenden, die bis zum Jahr ein tausend fünfhundert und ein und vierzig bekannt geworden sind, wimmelte es von lebendigen Ge schöpfen, wie in einem Bienenstock. Es schien nicht anders, als habe Gott die ganze Masse, oder doch wenigstens den größten Teil des Menschengeschlechtes, in diesen Erdstrich verpflanzt. Alle diese unzähligen Menschen von verschiedenem Schlage, schuf Gott einfältiglich, ohne Falsch und Arg. Sie waren sehr folgsam, äußerst treu, sowohl ihren ursprünglichen Her ren, als den Christen welchen sie dienten; waren demütig, geduldig, friedliebend und ruhig; kannten weder Streit, noch Zwietracht, noch Zank; wußten nicht einmal, daß Groll oder Haß oder Zwietracht oder Rachsucht in der Welt vorhanden sei. Es sind Leute von schwächlicher zarter Leibesbeschaffen heit, sie können nicht viel Beschwerden ertragen, und sterben 9 leicht an der geringsten Unpäßlichkeit. Fürstensöhne und Leute von Stande, die bei uns in Üppigkeit und Wohlleben erzogen wurden, sind vielleicht nicht so schwächlich, wie diejenigen, die bei ihnen unter die Klasse der Tagelöhner gerechnet werden. Sie sind hiernächst sehr arme Leute, besit zen wenig von den Gütern der Erde und trachten auch nicht darnach; deswegen sind sie auch weder stolz, noch hoffärtig, noch habsüchtig. Ihre Nahrung ist von der Art, daß selbst die heiligen Väter in der Wüste nicht spärlicher, armseliger, küm merlicher gelebt haben mögen. Ihre Kleidung ist gewöhnlich ein Stück Fell, womit sie die Scham bedecken; wenn es hoch kommt, so tragen sie einen Mantel von baumwollenem Zeug, der etwa anderthalb oder zwei Ellen ins Gevierte enthält. Ihr Lager besteht aus einer Matte von Schilf; höchstens schlafen sie in Decken, die wie Netze aufgehangen, und von den Einwoh nern der Insel Hispaniola Hamacas3 genannt werden. Sie sind von schnellem, unbefangenem, durchdringendem Fassungs vermögen; gelehrig und empfänglich für gute Grundsätze, voll Fähigkeit unsern heiligen katholischen Glauben anzuneh men, und sich an gottseligen Wandel zu gewöhnen. In dieser Rücksicht findet man bei ihnen weit weniger Hindernisse als bei allen übrigen Sterblichen, die Gott auf diesem Erdball erschuf. Sobald sie nur das geringste von Glaubenssachen hö ren, sind sie äußerst begierig noch mehr zu lernen, bezeigen auch sehr viel Eifer im Gebrauch der Sakramente, wie in gottesdienstlichen Handlungen überhaupt. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß Gott denjenigen Geistlichen, welche sie hierin befriedigen wollen, die Gabe der Geduld in vorzügli chem Maße verleihen muß. Mit einem Wort, ich habe es häufig mit angehört, daß weltliche Spanier sogar, die mehrere Jahre sich dort aufgehalten hatten, und die Gutmütigkeit dieses Volkes nicht in Abrede stellen konnten, zu sagen pflegten: diese Leute wären die glücklichsten auf der Welt, wofern sie nur die wahre Erkenntnis Gottes besäßen. IO