Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg V M S OLKER ICHAEL TROCKA Kunstraub in der Antike Originalbeitrag erschienen in: Volker Michael Strocka (Hrsg.): Kunstraub – ein Siegerrecht?: Historische Fälle und juristische Einwände. Berlin: Arenhövel, 1999, S. 9-26 9 Kunstraub in der Antike Volker Michael Strocka Am 4. April 1997 hat das russische Parlament völ- stätigen scheinen, die Geschichte der Menschheit kerrechtswidrig alle bei Kriegsende aus Deutsch- wiederhole sich immer wieder, die andererseits land deportierten und fünfzig Jahre lang versteckt aber auch sehr spezifische Begründungen für gehaltenen Kunstwerke, Bücher und Archive zu Rechtmäßigkeit und Unrecht liefern. Vor allem of- endgültigem Besitz des russischen Volks erklärt. Am fenbaren die antiken Quellen oft eine ganz andere 14. Mai 1997 überstimmte der russische Föderati- Meinung vom Wesen und Nutzen der Beute, als wir onsrat den Protest Präsident Boris Nikolajewitsch sie gewöhnlich einem Kunstwerk beilegen. Jelzins und bestätigte die Entscheidung des Parla- Um 175 nach Christus schrieb der Historiker und ments. Archäologe Pausanias in seinem heute noch nützli- Man liest und hört in jüngster Zeit aber nicht nur chen, ja wegen zahlreicher sonst verlorener Details von der nach Rußland verbrachten »Beutekunst«. ganz unschätzbaren Reiseführer durch Griechen- Über den systematischen Verkauf von den Natio- land: »Das alte Kultbild der Athena Alea und dazu nalsozialisten konfiszierter moderner Gemälde auf auch die Zähne des kalydonischen Ebers nahm der dem Schweizer Kunstmarkt vor und während des römische Kaiser Augustus mit, nachdem er im Krieg Zweiten Weltkriegs und andere Machenschaften den Antonius besiegt hatte und die Bundesgenos- des Kunsthandels informierte kürzlich eine Arti- sen des Antonius, unter denen sich auch die Arka- kelserie »Raubkunst — unvergangene Vergangen- der außer den Mantineern befanden. Augustus hat heit« in der Neuen Zürcher Zeitung. Durch die Ga- aber offenbar nicht damit angefangen, von den Be- zetten gingen ebenso Bilder und Berichte von einem siegten Statuen und Götterbilder fortzuführen, son- wiederaufgetauchten Fragment des sagenhaften dern folgte nur einem längst geübten Brauch. Denn Bernsteinzimmers, das 1941 von deutschen Solda- als man nach der Eroberung von llion die Beute ten in Puschkin (Zarskoje Selo) bei Leningrad verteilte, wurde dem Sthenelos, dem Sohn des Ka- (St. Petersburg) abgebaut und nach Königsberg ge- paneus, das Holzbild des Zeus Herkeios gegeben. bracht worden war, wo es 1945 verbrannt sein soll. Und als viele Jahre später die Dorer Sizilien besie- Kürzlich las ich eine Notiz, wonach Ägypten vor- delten, versetzte Antiphemos, der Gründer von läufig auf die Rückgabe der Nofretete-Büste ver- Gela, nachdem er die Stadt der Sikaner Omphake zichtet. Schließlich meldete die Frankfurter Rund- zerstört hatte, eine von Daidalos gefertigte Statue schau am 15. Mai 1997, daß es anläßlich einer nach Gela. Von dem Perserkönig Xerxes, dem Ausstellung Streit gebe zwischen so ruhigen Nach- Sohn des Dareios, wissen wir, daß er außer dem, barn wie Dänen und Schweden, und zwar über was er in der Hauptstadt Athen erbeutete, auch aus den rechtmäßigen Verbleib der Krönungsrobe ihrer Brauron das Kultbild der brauronischen Artemis im 14. Jahrhundert gemeinsamen Königin Marga- raubte und den Milesiern, denen er vorwarf, in der rethe I., weil — so die Dänen — jene 1659 von den Seeschlacht gegen die Athener willentlich versagt Schweden gewaltsam aus dem Dom von Roskilde zu haben, raubte er den bronzenen Apollon in in den von Uppsala entführt worden sei ... Branchidai. Diesen sollte später Seleukos den Mile- siern wieder zuschicken; bei den Argivern aber ist Historische Beispiele von Kunstraub werden also bis in unsere Tage das, was sie aus Tiryns ver- unversehens brisant. Ihre nähere Betrachtung zeigt schleppt haben, und zwar das Schnitzbild bei der zudem, daß die inneren Beweggründe und die Hera, das andere im Tempel des Apollon Eleios äußeren Argumente von Siegern und Besiegten aufgestellt. Die Kyzikener aber zwangen die Pro- sich in allen Zeiten ähneln, wenn nicht im Grunde konnesier durch einen Krieg, sich bei ihnen nieder- gleichbleiben. zulassen, und raubten das Kultbild der Meter Din- Ich werde Fälle von Kunstraub in der Antike vor- dymēne, und bei diesem Kultbild ist das Gesicht führen, die einerseits die lähmende Ansicht zu be- statt aus Elfenbein aus den Zähnen von Flußpferden 10 Volker Michael Strocka gefertigt. Kaiser Augustus tat also nur, was von al- ters feststehende Sitte bei Griechen und Barbaren war«. 1 »Alles schon dagewesen«, könnte man meinen. Aber es muß auffallen, daß Pausanias nicht Kunst- werke in unserem Sinn aufführt, sondern ver- schleppte Kultbilder. Der Wert dieser Beutestücke lag offensichtlich nicht in ihrer ästhetischen Qualität oder im kostbaren Material – die trojanische Göt- terfigur war aus Holz, und erst der späte Antiquar fand den Unterschied zwischen Elfenbein und Nil- pferdzahn bemerkenswert–, sondern in ihrer numi- nosen Macht. Schon lange vor Pausanias' ältestem Beispiel wur- den Götterbilder des Feindes im Alten Orient ge- raubt: Bereits im 18. Jahrhundert vor Christus, wenn nicht im 19. Jahrhundert, je nach der Chro- nologie, verwüstete der elamitische Herrscher Kuter-Nahhunte I. das Reich von Akkade in Babylo- nien und entführte die Fruchtbarkeits- und Sieges- göttin Nanaja in seine Hauptstadt Susa. Wir wissen dies vom Assyrerkönig Assurbanipal (669-631 vor Christus), der seinerseits Elam plünderte. Er teilt in einer Inschrift mit: »Nanaja, die 1635 Jahre ge- zürnt hatte« – eine unkorrekte Angabe, richtig wären 1 100 bis 1200 Jahre – »Nanaja, die fortge- zogen war und sich in Elam, einer ihr unwürdigen Stätte, niedergelassen hatte, betraute mich mit ihrer Heimführung«.2 Die Anwesenheit der Göttin ist also an ihr Bild gebunden, dessen Besitz Schutz und Segen bewirkt. Mit dem Götterbild entzieht man dem Feind die Bedingung seiner Macht. Wir werden bald sehen, daß noch die Römer des 4. und 3. Jahrhunderts vor Christus so dachten. Ein anderes wichtiges Motiv, dem wir noch öfter be- gegnen werden, taucht hier zum ersten Mal auf: die Rückgabe, die Wiederherstellung des ursprüng- lichen Zustands. Im Lauf der tausendjährigen, wechselvollen Kämpfe zwischen den Reichen des Zweistromlands und den Bergvölkern waren um 1160 vor Christus wieder die Elamiter erfolgreich. Ihr König Schutruk-Nah- hunte eroberte Babylon und verwüstete das Land. Er plünderte nicht nur Tempel und nahm Götterbil- der weg, sondern er sammelte auch Standbilder und Stelen längst vergangener Könige des Feindes und stellte sie im Hauptheiligtum von Susa als Tro- phäen auf, so einige erhaltene Statuetten aus Esch- nuna. Schutruk-Nahhunte ließ in ein weiteres Beu- testück eingravieren: »Gott Inschuschinak stand mir bei. Ich schlug Akkad, und ich nahm die Statue des Manischtusu an mich und schickte sie nach Elam«.3 Aus Sippar entführte er die 2 m hohe Siegesstele des 1200 Jahre früher über Elam erfolgreichen 1 Siegesstele des Naramsin von Akkad (um 2259-2223 vor Herrschers Naramsin von Akkad: »Gott Inschu- Christus; Höhe 2 m), Paris, Muse du Louvre. Die Stele wurde von Schutruk-Nahhunte um 1 160 vor Christus aus Sippar nach Susa schinak stand mir bei, und so schlug ich Sippar, entführt (vgl. Abb. 2). und ich nahm die Stele des Naramsin an mich, be- Kunstraub in der Antike 11 hielt sie und sandte sie nach Elam, und dann stellte ich sie vor meinem Gott lnschuschinak auk<.4 Schließlich dankt ihm die Wissenschaft auch den Raub der damals über 700 Jahre alten Gesetzes- Stele des babylonischen Königs Hammurapi5, die in Susa die Zeiten unbeschädigt überdauert hat und am Ende des 19. Jahrhunderts nach Christus mit den andern elamitischen Beutestücken als Tro- phäe französischer Forscher in den Louvre gelang- te. Aus dem Alten Testament kennt man die zweimali- ge Tempelberaubung durch den König von Babel, Nebukadnezzar, in den Jahren 597 und 587 vor Christus, worauf die Babylonische Gefangenschaft der Juden folgte. War bei dem bildlosen jüdischen Kult auch keine Jahwestatue zu holen, so gab es genügend kostbare Geräte. Im 2. Buch der Könige ist zu lesen: »In jener Zeit zogen die Truppen Nebu- kadnezzars, des Königs von Babel, gegen Jerusa- lem und belagerten die Stadt. Als dann König Ne- bukadnezzar von Babel selbst vor der Stadt erschi- en, während seine Krieger sie belagerten, ging Jo- jachin, der König von Judo, mit seiner Mutter, sei- nen Dienern, Fürsten und Kämmerern zum König von Babel hinaus, und dieser nahm ihn im achten Jahr seiner Regierung fest. Wie der Herr angedroht hatte, nahm Nebukadnezzar auch alle Schätze des Hauses des Herrn und die Schätze des königlichen Palastes weg und zerbrach alle goldenen Geräte, die Salomo, der König von Israel, im Haus des 2 Gesetzesstele des Hammurapi (um 1930-1888 vor Christus; Herrn hatte anfertigen lassen. Von ganz Jerusalem Höhe 2,25 ml, Paris, Musēe du Louvre. Die Stele wurde von Schut- verschleppte er alle Vornehmen und alle wehrfähi- ruk-Nahhunte um 1160 vor Christus aus Babylon nach Susa ent- gen Männer, insgesamt zehntausend Mann, auch führt (vgl. Abb. 1). alle Schmiede und Schlosser. Von den Bürgern des Landes blieben nur die geringen Leute zurück«.6 Leibwache einen Teil als Wein- und Ackerbauern Dies geschah 597 vor Christus. Schon zwei Jahre zurück. Die bronzenen Säulen am Haus des Herrn, später belagerte Nebukadnezzar erneut Jerusalem, die fahrbaren Gestelle und das Eherne Meer beim weil sich der junge König Zidkija gegen ihn empört Haus des Herrn zerschlugen die Chaldäer und nah- hatte. Nach neuneinhalb Jahren gelang die Erobe- men alle Gegenstände aus Bronze mit nach Babel. rung, und die Beute war immer noch groß: »Am Auch die Töpfe, Schaufeln, Messer und Becher siebten Tag des fünften Monats – das ist im neun- sowie alle bronzenen Geräte, die man beim Tem- zehnten Jahr des Königs Nebukadnezzar, des Kö- peldienst verwendete, nahmen sie weg. Ebenso nigs von Babel – rückte Nebusaradan, der Kom- nahm der Kommandant der Leibwache die Kohlen- mandant der Leibwache und Diener des Königs von pfannen und die Schalen weg, die sämtlich aus Babel, in Jerusalem ein und steckte das Haus des Gold oder aus Silber waren, ferner die zwei Säu- Herrn, den königlichen Palast und alle Häuser Jeru- len, das eine ›Meer<, die Gestelle, die Salomo für salems in Brand. Jedes große Haus ließ er in Flam- das Haus des Herrn hatte anfertigen lassen – die men aufgehen. Auch die Umfassungsmauern Jeru- Bronze von all diesen Geräten war nicht zu wägen. salems rissen die chaldäischen Truppen, die dem Achtzehn Ellen betrug die Höhe der einen Säule, Kommandanten der Leibwache unterstanden, nie- und oben hatte sie ein Kapitell aus Bronze. Die der. Den Rest der Bevölkerung, der noch in der Höhe des einen Kapitells betrug fünf Ellen; das Ka- Stadt geblieben war, sowie alle, die zum König von pitell umgaben Flechtwerk und Granatäpfel, alles Babel übergelaufen waren, und den Rest der Hand- aus Bronze. Ebenso war es bei der zweiten Säule werker schleppte Nebusaradan, der Kommandant auf dem Flechtwerk.«? Im 1. Buch der Könige, Ka- der Leibwache, in die Verbannung. Nur von den pitel 6 und 7 findet man diese salomonische Tem- armen Leuten im Land ließ der Kommandant der pelausstattung noch genauer beschrieben. 12 Volker Michael Strocka 538 vor Christus erlebten die umgesiedelten Juden dem sich auch Athen beteiligte. Herodot schreibt: die wunderbare Wende: Kyros der Große, der »Sardes war abgebrannt und mit der Stadt auch König der Meder und Perser, entließ sie nach der das Heiligtum der Stammgöttin Kybele. Mit Beru- Eroberung Babylons in ihre Heimat, wo sie den fung darauf verbrannten später die Perser die Tem- Tempel wiederaufbauen durften. Von Kyros' Nach- pel in Hellas«.9 Nach dem Sieg in der Seeschlacht folger wurden sie auf Betreiben der Nachbarvölker bei Lade plünderten die Perser das Hauptheiligtum zwar daran gehindert, doch gelang es den Juden von Milet, den Apollontempel in Didyma, 494 vor 520 vor Christus, den neuen Perserkönig Dareios Christus.10 493 verbrannten sie die jonischen Städ- 11 von ihren durch Kyros verbrieften Rechten zu über- te samt den Heiligtümern. 490 wurde - als zeugen. Im Buch Esra steht: »Auf Befehl des Königs durchsichtige politische Geste - zwar das Apollon- Dareios forschte man nun in den Schatzhäusern heiligtum von Delos geschont, aber Stadt und Hei- nach, dort, wo in Babel die Urkunden aufbewahrt ligtümer von Naxos brandschatzten die Perser.12 wurden. In der Festung Ekbatana in der Provinz Ebenso verfuhren sie nach der Eroberung von Ere- Medien fand man eine Schriftrolle, in der geschrie- tria, das den jonischen Aufstand ebenfalls unter- ben war: Beurkundung: Im ersten Jahr des Königs stützt hatte. Herodot schreibt: »Die Perser drangen Kyros hat König Kyros einen Befehl erlassen, der ein, plünderten zunächst die Heiligtümer und zün- das Gotteshaus in Jerusalem betrifft: Das Haus soll deten sie zur Vergeltung für die in Sardes niederge- wieder aufgebaut werden als Ort, an dem man brannten Tempel an; dann machten sie die Einwoh- Opfer darbringt. Seine Fundamente sollen erhalten ner zu Sklaven, wie Dareios befohlen hatte«.13 bleiben. Seine Höhe soll sechzig Ellen betragen Zehn Jahre später, unter dem Großkönig Xerxes, und seine Breite zwanzig Ellen. Auf drei Lagen durchzogen die Perser bei ihrem zweiten Zug Quadersteinen soll eine Lage Holz kommen. Die gegen Athen sengend und brennend Phokis. Hero- Kosten bestreitet der königliche Hof. Auch soll man dot zählt zwölf phokische Städte auf, die geplün- die goldenen und silbernen Geräte des Gotteshau- dert und eingeäschert wurden, dazu noch das ses zurückgeben, die Nebukadnezzar aus dem Apollonheiligtum von Abai »mit vielen Schatzkam- Tempel von Jerusalem weggenommen und nach mern und Weihgeschenken«. Selbst auf das pan- Babel gebracht hat. Alles soll wieder an seinen hellenische Heiligtum des delphischen Apollons alten Platz in den Tempel von Jerusalem kommen hatten die Perser es abgesehen. »Andere«, weiß und in das Gotteshaus gebracht werden«.8 Dem- Herodot, »ließen sich von Wegführern nach dem nach hatte Nebukadnezzar die goldenen Geräte heiligen Bezirk von Delphi bringen, [...] weil sie das des Salomon doch nicht zerbrochen, oder es be- Heiligtum in Delphi plündern und dem König die deutet dieser Ausdruck nur eine rituelle Entwei- Schätze überbringen sollten. Xerxes aber kannte hung. Ferner geht daraus hervor, daß die sakrale alle Kostbarkeiten des Heiligtums, soweit sie nen- Beute keineswegs eingeschmolzen und zur Finan- nenswert waren - wie man mir erzählt hat -, besser zierung des Kriegs verwendet worden war, sondern als seine eigenen Schätze zu Hause. Jeder sprach als Unterpfand des Siegs über Jerusalem in den ba- von Delphi, besonders von den Weihgeschenken bylonischen Schatzkammern aufbewahrt blieb. des Kroisos, des Sohnes des Alyattes.«14 Genau das ermöglichte aber nun die Rückgabe, Herodots Kritik ist unverhohlen: Der reiche Perser- die Kyros gewiß nicht wegen seiner Verehrung des könig frevelte aus reiner Habsucht an den Göttern. Judengottes verfügte, sondern aus politischer Op- Die Strafe blieb nicht aus. Die anrückenden Plünde- portunität. rer wurden von Blitzen und Steinschlag getötet, die fliehenden von den verfolgenden Delphern nieder- Ich komme nun zu den Griechen, übergehe ältere gemacht. Das Heiligtum blieb unberührt. Beispiele, wie sie Pausanias erwähnt, und untersu- che zunächst die von beiden Seiten in den Perser- Daß nackte Habsucht keine religiösen Bedenken kriegen gemachte Beute. Unsere Hauptquelle ist kennt, schildert Herodot am Ende seines neunten Herodot, der Vater der Geschichtsschreibung. Für und letzten Buches, obwohl sich die Geschichte ihn ist der eigentliche Grund der uralten Feind- schon vor Beginn des Xerxeszugs zugetragen hatte: schaft zwischen Europa und Asien, Griechen und »Der Perser Artayktes war Statthalter des Xerxes in Persern eine Reihe von Fällen jeweils ungesühnten diesem Bezirk, ein schrecklicher Frevler, der sogar Frauenraubs - der lo, Europa, Medea und Helena. den König auf seinem Zug gegen Athen betrogen Der besondere Vorwand für die brutalen Zerstörun- hatte. Er raubte nämlich heimlich die Schätze des gen und Plünderungen während der Perserkriege Protesilaos, des Sohnes des Iphikles aus Elaius. In aber ist der jeweilige Frevel an den Heiligtümern Elaius auf der Chersones liegt das Grab des Prote- des Gegners. Es begann 498 vor Christus mit der silaos [des ersten vor Troja gefallenen Griechen] Einnahme von Sardes während des schlecht ge- und darum ein heiliger Bezirk, in dem es viele planten jonischen Aufstands gegen die Perser, an Schätze gab, goldne und silberne Schalen, Erz, Kunstraub in der Antike 13 Kleider und andere Weihgeschenke, die Artayktes Agora aufgestellten Bronzegruppe: die der Tyran- mit Erlaubnis des Königs wegnahm. Er hatte Xerxes nenmörder Harmodios und Aristogeiton. 514 vor durch folgende Worte getäuscht: Herr, hier steht Christus hatten sie die Tyrannen von Athen, die bei- das Haus eines Griechen, der gegen dich in den den Peisistratossöhne Hipparchos und Hippias bei Kampf zog und dabei seine gerechte Strafe im einem Umsturzversuch töten wollen, aber nur den Tode fand. Schenk mir sein Haus, damit sich jeder einen getroffen und waren dabei selbst umgekom- andere hüte, gegen dein Land ins Feld zu rücken.< men. Wenig später wurden sie von den Athenern Mit diesen Worten konnte er, wie zu erwarten, Xer- als Gründungsheroen der attischen Demokratie xes leicht überreden, ihm das Haus des Mannes zu ausgegeben, die tatsächlich erst von dem Alkmeo- überlassen; denn der ahnte nichts von dem, was niden Kleisthenes durchgesetzt wurde, der nur mit jener dachte. Artayktes hatte aber die Worte, Pro- spartanischer Hilfe an die Macht gekommen war. tesilaos sei gegen das Land des Königs gezogen, in Xerxes nahm also nach gutem altorientalischen folgendem Sinne gesagt: die Perser meinen, daß Brauch dem Gegner, wenn schon nicht das Kultbild ganz Asien ihnen und dem jeweiligen König gehö- weg – wie in Brauron und im Didymaion, was wir re. Als er die Erlaubnis erhalten hatte, brachte er schon von Pausanias hörten –, sondern das iden- die Schätze von Elaius nach Sestos und ließ den titätsstiftende Denkmal, wie sonst eine Gesetzesste- heiligen Bezirk besäen; und er erntete darauf. Sooft le oder Herrscherfigur, hier das erste Denkmal der er nach Elaius kam, pflegte er mit einer Frau Ver- ältesten Demokratie der Welt. Wie Dion Chrysosto- kehr im Heiligtum.«1 5 Aber auch Artayktes entging mos sechshundert Jahre später sagte, versklavte der gerechten Strafe nicht. Xerxes Harmodios und Aristogeiton und damit symbolisch Athen.» Hauptziel des Perserzugs war Athen. Nachdem die Auch in diesem Fall kam es zu einer Wiedergutma- meisten Athener auf Themistokles' Rat sich mit Hab chung: Rund 150 Jahre später sandte Alexander und Gut und den Kultbildern nach Salamis zurück- der Große die Bronzegruppe von Persien – wir wis- gezogen und ihre letzte Hoffnung auf die Flotte ge- sen leider nicht, aus welchem Palast des Großkö- setzt hatten, eroberte Xerxes 480 vor Christus, nigs – nach Athen zurück, wo sie – offenbar von ohne nennenswerten Widerstand zu finden, die Praxiteles restauriert18 – auf der Agora neben der Stadt und ihre von wenigen Frommen verteidigte jüngeren Tyrannenmördergruppe ihren Platz fand. Akropolis. Herodot sagt dazu nur kurz: »Als die Die Athener hatten nämlich sofort nach ihren Sie- Perser alle erschlagen hatten, plünderten sie den gen von Salamis und Plataiai eine neue Gruppe in Tempel und zerstörten die ganze Akropolis durch Auftrag gegeben, jetzt bei den Künstlern Kritios Feuer«.16 Von diesem Brand sind zahlreiche Spu- und Nesiotes. Seit langem kennen wir diese schon ren festgestellt worden. Die Überreste der Zer- 477/76 vor Christus aufgestellte Gruppe in mehre- störungen sind uns im sogenannten Perserschutt er- ren römischen Marmorkopien.19 Die vollständigste halten geblieben, der beim bald folgenden Wie- ist die Replik Farnese in der barocken, völlig irre- deraufbau der Akropolis zu ihrer Erweiterung ge- führenden Ergänzung und Aufstellung zu Neapel. nutzt und hinter den neuen Burgmauern verfüllt Der richtigen Komposition der beiden angreifenden wurde. Darin fanden sich zahlreiche archaische Freunde kommt der jetzt bald sechzig Jahre alte Mädchenfiguren aus strahlendem Marmor und Vorschlag von Ernst Buschor recht nahe.20 bunt bemalt, oder Torsen wie der sogenannte Kri- Ein besonderer Glücksfall hat unsere Kenntnis der tiosknabe, der wenige Jahre vor 480 vor Christus Bronzeoriginale wesentlich verbessert. In Baiae am zum ersten Mal die Norm des archaischen Kuros- Golf von Neapel Fand sich vor Jahrzehnten der typs durchbrach und – als Ausdruck der neuen de- Schutt einer römischen Bildhauerwerkstatt mit Hun- mokratischen Selbstbestimmung der Athener – Kör- derten von Fragmenten zerschlagener Gipsabgüsse perhaltung und Kopfwendung durch den eigenen berühmter griechischer Bronzewerke. Es ist das Willen lenkt und den Antagonismus von Kräften große Verdienst Walter-Herwig Schuchhardts und und Asymmetrien im Kontrapost ausgleicht. Für uns seiner Mitarbeiterin Christa von Hees-Landwehr, sind solche Fragmente kostbare Kunstwerke der zahlreiche Fragmente identifiziert zu haben, dar- ausgehenden Archaik oder der nach 500 vor Chri- unter mehrere der jüngeren Tyrannenmördergrup- stus beginnenden Klassik; die Perser hatten natür- pe. Das schönste ist zweifellos die rechte Gesichts- lich für diese Weihgeschenke reicher Athener kein hälfte des Aristogeiton, die alle Marmorkopien an Auge. Solche Beute hätte keinen Erlös gebracht. Sie Feinheit der Gestaltung übertrifft und nach deutli- plünderten offensichtlich nur Edelmetall und zer- chen Indizien vom Bronzeoriginal genommen wor- schlugen alles übrige. den sein muß, das ja noch in der Kaiserzeit an sei- Ein Kunstwerk jedoch entführte Xerxes aus Athen, nem Platz stand.21 Das Werk war in seiner mar- aber nicht wegen des zweifellos vorhandenen kanten Charakterisierung des angreifenden Jünge- Kunstwertes der von Antenor geschaffenen, auf der ren und des ihn deckenden Älteren ein in jeder Hin- 14 Volker Michael Strocka licht kontrapostisches Werk der frühen Klassik, des sogenannten Strengen Stils. Wie mir scheint, und ich folge hier einer klugen Hy- pothese von José Dörig22, ist uns auch von der Gruppe des Antenor, die Xerxes entführte, zumin- dest der Rest einer römischen Kopie, nämlich des Harmodioskopfes überkommen. Der im British Mu- seum aufbewahrte sogenannte Kopf Webb ist schon dadurch auffällig, daß er zu den verschwin- dend wenigen römischen Kopien nach archaischen Werken zählt. Er muß also eine ganz besondere Bedeutung besessen haben. Dieser typische Kuros- kopf mit seiner aufwendigen Krobylosfrisur und den ehemals eingelegten Augen ähnelt nun in meh- reren Einzelzügen so sehr der inschriftlich gesicher- ten Kore des Antenor von der Athener Akropolis, daß man auf denselben Schöpfer schließen kann. Freilich ist das Werk noch rein spätarchaisch, also in die allerersten Jahre der attischen Demokratie, jedenfalls vor 500 vor Christus zu datieren. Der ge- waltige Entwicklungsschritt innerhalb von rund 25 Jahren, der entschiedene Obergang von der Ar- chaik zur Klassik, wird im Vergleich mit dem jünge- ren Harmodioskopf deutlich. 3 »Kopf Webb«, London, British Museum. Römische Kopie wohl nach dem Harmodios der archaischen Tyrannenmörder-Gruppe Kehren wir nach diesem kunsthistorischen Exkurs des Antenor (vor 500 vor Christus), die Xerxes aus Athen entführ- te und Alexander der Große zurückbringen ließ. noch einmal zur Beute in den Perserkriegen zurück und fragen nach den Schätzen, welche die Grie- 4 Korinthischer Helm als Beuteweihung mit der Inschrift »Miltia- chen bei ihren Siegen erbeuteten. Kultbilder und re- des weihte [ihn] dem Zeus«, vielleicht aus der Schlacht von Mara- präsentative Statuen waren in den eroberten persi- thon (490 vor Christus). schen Feldlagern oder auf den Schiffen nicht zu fin- den, wohl aber kostbares Gerät und viele Waffen. Spolien dieser Art wurden nach altem Brauch aus Dank und zur ruhmreichen Erinnerung in die Hei- ligtümer geweiht. Überliefert wird, daß auf der Athener Akropolis das Schwert des Mardonios, der Panzer des Masistios und der »silberfüßige« Stuhl des Xerxes zu bestaunen waren.23 Nach Athen wurde auch das riesige Zelt des Xerxes gebracht. Dies erinnert durchaus an die Kriegsbeute des Markgrafen Ludwig Wilhelm I. von Baden (1655- 1707), unseres »Türken-Louis«, in Karlsruhe. In Olympia fanden sich bei den deutschen Ausgra- bungen sogar Helmweihungen aus den Perserkrie- gen. Die eingepunzte Inschrift eines Helms assyri- schen Typs sagt es klar: »Dem Zeus die Athener von den Medern«.24 Wahrscheinlich stammt der Helm bereits aus der Beute von Marathon. Ein zweiter, diesmal korinthischer Helm, trägt sogar den Namen des Miltiades, des Siegers von Marathon, aber keinen Hinweis auf die Herkunft.25 Taue und Schiffszierate von den Hellespontbrücken weihten die Athener nach 478 vor Christus auf die Akropo- lis, aber auch nach Delphi, wo sie eine eigene, 100 Fuß lange Halle dafür errichteten, deren heute noch erhaltene Inschrift dies bezeugt.26 Die Athe- Kunstraub in der Antike 15 nerhalle verweist auf die großen Siegesanatheme, Gebäude oder Statuenweihungen, die jeweils aus dem Erlös der Beute finanziert wurden, also selber keine eigentliche »Beutekunst« sind. Erwähnt sei nur die von allen Griechen gemeinsam nach Delphi gestiftete ehemals 6,70 m hohe eherne Schlan- gensäule, die einen goldenen Dreifuß trug. Acht- hundert Jahre später wurde sie Opfer eines kaiser- lichen Kunstraubs. Sie diente mit vielen anderen prominenten Werken dem Prestige der neuen Hauptstadt Konstantinopolis. Noch heute steht sie, allerdings in kläglichem Zustand, auf dem ehemali- gen Hippodrom im Herzen Istanbuls.27 In den folgenden Jahrzehnten beziehungsweise Jahrhunderten der griechischen Geschichte kam es immer wieder zu innergriechischen Kämpfen und damit zu systematischen Plünderungen. Ich habe aber keine Nachrichten gefunden, daß man die Kultstatuen anderer griechischer Poleis entführt oder profaniert hätte. Dies war den Karthagern vorbehalten, die am Ende des 5. Jahrhunderts vor Christus nach altorientalischem Brauch zahlreiche Götterstatuen aus den unterworfenen sizilischen Städten mitnahmen. So schickten sie eine aus Sy- rakus geraubte Apollonstatue ihrer Mutterstadt Tyros in Phönizien, wo diese »eximia religione«, wie es heißt28, verehrt wurde. Als dann Alexander der Große Tyros eingeschlossen hatte, sahen sich die Tyrer durch den Traum eines ängstlichen Bür- gers veranlaßt, den Apollon mit einer goldenen Kette an den Altar des Stadtgottes Herakles-Mel- gart zu fesseln, damit er nicht zu den Feinden über- laufe. Blanke Habsucht und demonstrativer Frevel auf der einen und Furcht vor dem Zorn der Götter auf der anderen Seite, bestimmten wechselweise das Han- deln der Griechen. Der Tyrann Dionysios I. von Sy- rakus, der 385 vor Christus bei einem Uberfall auf das etruskische Heiligtum von Pyrgi ungeheure Beute machte – nach Diodor im Wert von 1 .500 Ta- lenten29 –, plünderte auch griechische Heiligtümer. Cicero schreibt in »De natura deorum« eine Quelle aus, die wohl polemisch übertreibt: »Nachdem Dionysius das Heiligtum der Proserpina in Locri ge- plündert hatte, segelte er nach Syrakus. Während er bei günstigstem Wind Kurs hielt, sagte er la- 5 Bronzene Schlangensäule (Abschnitt; Höhe ehemals 6,70 m), chend: >Seht Ihr, Freunde, was für eine gute Fahrt die ursprünglich einen goldenen Dreifuß trug und als Siegesmal die unsterblichen Götter den Frevlern gewähren?< von Salamis (480 vor Christus) und Plataiai (479 vor Christus) in Und sobald dieser scharfsinnige Mensch sie voll Delphi aufgestellt wurde. Von dort unter Kaiser Konstantin I. (dem und ganz erfaßt hatte, blieb er bei dieser Meinung. Großen) um 330 nach Christus nach Konstantinopel verbracht, steht sie noch heute auf dem ehemaligen Hippodrom in Istanbul. Als er seine Flotte in der Peloponnes gelandet hatte und in das Heiligtum des Olympischen Zeus ge- kommen war, zog er ihm einen goldenen Umhang goldene Umhang zu schwer sei, im Winter aber zu aus, womit der Tyrann Gelon ihn aus dem Erlös der kalt. So warf er ihm einen wollenen Mantel über, karthagischen Beute geschmückt hatte. Und er indem er meinte, der sei für jede Jahreszeit geeig- machte sich über ihn lustig, daß im Sommer der net. Ebenso befahl er, den goldenen Bart des Aes- 16 Volker Michael Strocka culap von Epidaurus abzunehmen, weil es sich mißachtet wurde. Als vorbildlich schildert in diesem nicht schicke, daß der Sohn einen Bart trage, Zusammenhang Polybios Alexander den Großen: während in allen Heiligtümern der Vater [nämlich »Obwohl in solchem Maße über die Thebaner er- Apollo] unbärtig sei. Aus allen Heiligtümern befahl zürnt, daß er die Einwohner als Sklaven verkaufte er, die silbernen Tische wegzutragen. Da sie nach und die Stadt dem Erdboden gleichmachte, vergaß alter griechischer Art die Inschrift trugen Der guten er doch bei ihrer Einnahme nicht die den Göttern Götter [Eigentum]<, sagte er, von ihrer Güte wolle schuldige Ehrfurcht, sondern traf alle Vorsorge, er profitieren. Goldene Victorien, Schalen und daß nur ja nicht selbst eine ungewollte Verletzung Kränze, welche die Standbilder in ausgestreckten der Tempel und überhaupt der heiligen Stätten ge- Händen hielten, entfernte er ohne Zögern und schehe. Und als er nach Asien hinüberging, um die sagte, er nehme sie an, nicht weg. Es sei nämlich an den Griechen begangenen Frevel der Perser zu eine Torheit, von denen, die wir um gute Gaben bit- rächen, suchte er an den Menschen die Strafe zu ten, diese nicht nehmen zu wollen, wenn sie sie uns vollziehen, die sie durch ihre Taten verdient hatten, aufdrängen. Derselbe Dionysius soll auch alles, alles aber, was den Göttern geweiht war, ließ er was er, wie gesagt, den Heiligtümern entzogen unangetastet, obwohl sich die Perser in Griechen- hatte, auf dem Markt ausgestellt und durch einen land gerade hieran am meisten vergangen hat- Ausrufer verkauft haben; und nachdem er das Geld ten.«3 eingenommen, habe er verfügt, daß jeder, was er Von Kunstbeute um der Kunst willen ist erstmals an an heiligen Gegenständen besitze, vor einem be- dieser Stelle die Rede: Alexander soll bei der so- stimmten Tag in das jeweilige Heiligtum zurückbrin- eben erwähnten Zerstörung Thebens im Jahre 335 gen müsse. So fügte er dem Frevel gegen die Göt- vor Christus ein Gemälde des noch von Plinius ter noch Unrecht gegenüber Menschen zu.«30 gerühmten Thebaners Aristeides nach Pella mitge- nommen haben, das eine erschütternde Szene bei Diese Demonstration der Ohnmacht der Götter der Einnahme einer Stadt zeigte.33 wird durch eine andere Geschichte widerlegt, die sich rund hundert Jahre später, nämlich 277 vor Die Römer kannten Alexanders Skrupel nicht. Christus, im selben Persephone-Heiligtum von Lo- Außerhalb des ager Romanus gab es keine »loca kroi in Unteritalien zutrug: Livius berichtet von einer sacra«, also nach römischem Sakralrecht geweihte — übrigens erfolgreichen — Beschwerde der Ge- Orte. Folglich waren auch fremde Götterbilder sandten von Lokroi vor dem römischen Senat über keine »res sacrae«, eine Tempelplünderung kein die nun schon dritte Plünderung ihres Heiligtums »sacrilegium«. Man mußte nur streng darauf ach- durch den Praetor Q. Pleminius im Jahr 204 vor ten, daß ein solcher Tempel nicht auf eigenem Ge- Christus, was ein Sakrileg war, da an Verbündeten biet oder dem der Verbündeten lag. Andernfalls verübt.31 Sie appellierten in ihrer Rede an die römi- wurde ein Übergriff, ein »sacrilegium«, schwer be- sche Götterfurcht: »Proserpina hat bei uns ein Hei- straft. Ergab sich ein Gegner auf Gedeih und Ver- ligtum, einen Tempel, von dessen Unverletzlichkeit derb, mußte er auch seine »delubra et divina ihr, wie ich glaube, im Kriege mit Pyrrhus etwas omnia«, also alle »res sacrae« übergeben, woraus vernommen habt. Als er nämlich auf der Rückkehr Rom eine Verpflichtung gegenüber diesen Göttern aus Sizilien mit seiner Flotte vor Locri vorbeifuhr, erwuchs. Ihre Kulte wurden nur dann nach Rom beging er unter andern Schandtaten auch einen übernommen, wenn die betreffende Stadt aus- Raub an dem bis dahin von niemand angetasteten gelöscht worden war. Eine solche Kultübertragung Schatze der Proserpina« — nicht als erster, wie wir geschah auf dem Weg der »evocatio«, der Heraus- von Cicero hörten —, »lud dann das Geld auf seine rufung.34 Das erste, durchaus legendär klingende Schiffe, und rückte selbst zu Lande weiter. Was ge- Beispiel überliefert Livius. Bei der 396 vor Christus schah, versammelte Väter? Den Tag darauf überfiel erfolgten Einnahme von Veji, der Rom allzu nahe- die Flotte der schrecklichste Sturm, und warf alle gelegenen alten etruskischen Rivalin, hatte der rö- Schiffe, welche die heiligen Gelder führten, auf un- mische Feldherr M. Furius Camillus sehr reiche sern Strand. Der König, bei allem Dünkel doch end- Beute gemacht: »Als schon aller menschliche Besitz lich durch einen so großen Verlust über das Dasein aus Veji herausgeschafft war, begann man auch höherer Wesen belehrt, hieß das Geld zusammen- die Weihgeschenke für die Götter und die Götter suchen und wieder in den Schatz der Proserpina selbst wegzuschaffen, aber mehr nach der Art von legen. Dennoch hatte er seitdem kein Glück; und frommen Verehrern als von Räubern. Denn aus verjagt aus Italien starb er bei seinem unbesonne- dem ganzen Heer ausgesuchte junge Männer, sau- nen nächtlichen Einbruche in Argos eines unrühmli- ber gewaschen, in weißem Gewand, denen aufge- chen und schimpflichen Todes.« tragen worden war, die Königin Juno nach Rom zu Die Unverletzlichkeit der Heiligtümer wird immer schaffen, betraten ehrfurchtsvoll das Heiligtum, leg- wieder eingeschärft, gerade weil sie wohl oft ten zunächst voll Scheu Hand an, weil nach etruski- Kunstraub in der Antike 17 scher Sitte nur ein Priester aus einer bestimmten Fa- südlichen Fuß des römischen Kapitols gibt uns eine milie dieses Götterbild zu berühren pflegte. Als Anschauung von einer solchen Weihung. 264 vor dann einer, ob nun auf göttliche Eingebung oder Christus eroberte und zerstörte der römische Konsul aus jugendlichem Übermut, fragte: >Willst du nach M. Fulvius Flaccus die etruskische Stadt Volsinii, Rom gehen, Juno?<, riefen die übrigen, die Göttin wahrscheinlich das heutige Orvieto. Von Zonaras37 habe zustimmend genickt. Die Legende wurde spä- wissen wir, daß die Volsinier die Römer wegen ter noch ausgeschmückt: Man habe auch eine Stim- eines Sklavenaufstands um Hilfe gebeten hatten; me gehört, die >Ja< sagte. Jedenfalls haben wir ge- aber diese nutzten die Gelegenheit, die potentiell funden, sie habe sich, als wenn sie gerne folgte, mit gefährliche Stadt zu schleifen und ihre Bewohner ganz einfachen Werkzeugen von ihrem Platz ent- woanders anzusiedeln. Der volsinische Gott Ver- fernen und leicht und bequem transportieren lassen tumnus folgte der »evocatio« und erhielt einen Tem- und sei unversehrt zum Aventin gelangt, ihrem ewi- pel auf dem Aventin. Metrodoros von Skepsis, der gen Wohnsitz, wohin die Gelübde des römischen Römerhasser auf Seiten Mithridates' VI. von Pontos, Diktators sie gerufen hatten und wo derselbe Ca- meinte freilich, die Römer hätten Volsinii nur wegen millus, der die Gelübde getan hatte, ihr später den 2.000 Bronzestatuen erobert.38 Nun hat die er- Tempel weihte.«35 wähnte Grabung im Heiligtum der Fortuna und der Dieses Kultbild der Juno Regina war gewiß ein ar- Mater Matuta außer zwei Altären Blöcke einer chaisches Sitzbild aus Terrakotta, wie damals üb- Weihinschrift an den Tag gebracht, die lautet: lich, und sah vermutlich den wiedergefundenen »M[arco] . Folvio. Q[uinti] . f[ilia] . Cosol . d[edet]. grandiosen Tonstatuen vom Dachfirst des Minerva- Volsinio . capto«.39 Auf einer runden Basis in der Tempels derselben Stadt Veji ähnlich, die ein be- Mittelachse zwischen den beiden Tempeln sind deutender etruskischer Künstler im ausgehenden Reste von hier aufgestellten Bronzestatuetten erhal- 6. Jahrhundert vor Christus geschaffen hat.36 Das ten. Sie stammen wahrscheinlich aus der Beute von Kultbild wurde weder seines Material – noch seines Volsinii oder eher vom benachbarten fanum Vol- Kunstwerts wegen nach Rom verbracht, sondern tumnae. Damit liegt der Verdacht nahe, daß die aus religiöser Logik, die der altorientalischen Auf- Römer nur eine beträchtliche Zahl etruskischer fassung nahesteht: Man nimmt dem vernichteten Votivstatuetten erbeuteten. Gegner mit seinen Göttern die Grundlage seiner Macht und sichert sie sich selbst durch korrekte Ver- Von wirklichem Kunstraub kann man erst sprechen, ehrung der fremden Kultbilder. Solche »evocatio- als die Römer in griechischen Städten zu plündern nes« beschränken sich freilich auf das 4. und Gelegenheit hatten. Die Eroberung des rebellischen 3. Jahrhundert vor Christus und die unmittelbaren Syrakus durch M. Claudius Marcellus im Jahr 211 Nachbarvölker der Römer. Griechische und andere vor Christus wird schon in den antiken Quellen, von Götter verehrte man erst nach Konsultation der Si- Livius und Plutarch, als Beginn einer bedenklichen byllinischen Bücher und auf Beschluß des Senats. Entwicklung gesehen: »Marcellus schaffte nach der Beim Beutemachen waren die römischen Feldherrn Eroberung von Syrakus die Wertgegenstände der und ihre Heere also nicht durch religiöse Rücksich- Stadt, Statuen und Gemälde, die es in Syrakus im ten gehemmt. In der Verfügung über die Beute hatte Überfluß gab, nach Rom. Es waren allerdings der Feldherr erstaunlich große Freiheiten, aber feindliche Beutestücke und nach Kriegsrecht erwor- auch selbstverständliche Verpflichtungen: Beute ben; aber hier wurde der Anfang gemacht, für (praeda) aus Privatbesitz – Geld, Sachen oder griechische Kunstwerke zu schwärmen; auch der Sklaven – wurde privat verwendet und konnte somit Anfang zu der Willkür, alles Heilige und Unheilige auch, wenigstens zum Teil, den Soldaten überlas- ohne Unterschied zu plündern. Diese Willkür sen werden. Beute aus öffentlichem Besitz (manu- wandte sich schließlich gegen die römischen Göt- biae), also ein Staatsschatz, aber auch Kunstwerke ter, und zwar zuerst gegen den Tempel, den Mar- aus öffentlichen Gebäuden und aus Heiligtümern, cellus so herrlich geschmückt hatte. Die von Marcus wurde vom Feldherrn dem Staatsbesitz, dem Marcellus geweihten Tempel am Capenertor wur- »aerarium«, zugeführt, zum Schmuck von Plätzen den nämlich wegen der kostbaren Stücke dieser oder öffentlichen Gebäuden bestimmt oder diente Art, wovon aber nur noch ein recht kleiner Teil vor- ihm zur Einlösung der vor oder während des Kriegs handen ist, häufig von Fremden besichtigt.«40 Also den Göttern gelobten »vota«, etwa der Errichtung schon damals Kritik am Tourismus als einer Profa- und Ausstattung eines Tempels. Damit konnten sa- nierung! Marcellus weihte nicht nur Statuen und krale Beutestücke wieder zu »res sacrae« im römi- Gemälde in den von ihm errichteten Doppeltempel schen Sinne werden. des Honos und der Virtus. Er bedachte auch ihm Ein erst Anfang der sechziger Jahre unseres Jahr- wichtige, weit entfernte Heiligtümer wie das Kabiri- hunderts gemachter Fund im Heiligtum der Fortuna on auf Samothrake und das der Athena von Lindos und der Mater Matuta (heute S. Omobono) am auf Rhodos41. Für sich privat behielt er nur einen
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