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Kulturpolitisches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland/Deutsche Demokratische Republik im Vergleich PDF

826 Pages·1983·143.237 MB·German
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Kulturpolitlsches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland/ Deutsche Demokratische Republik im Vergleich Dem Andenken von Peter Christian Ludz Kulturpolitisches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland/ Deutsche Demokratische Republik im Vergleich Herausgegeben von Wolfgang R. Langenbucher, Ralf Rytlewski und Bernd Weyergraf J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung Stuttgart Redaktion: Bernd Weyergraf (geschäftsführend) Wolfgang R. Langenbucher Ralf Rytlewski Zeitweilig: Helga Welsh Hildegard Möller Marlene Müller Melanie Walz CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kulturpolitisches Wörterbuch Bundesrepublik Deutschland, Deutsche Demokratische Republik im Vergleich/ hrsg. von Wolfgang R. Langenbucher ,. . -Stuttgart: Metzler, 1983. ISBN 978-3-476-00480-2 ISBN 978-3-476-03156-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03156-3 NE: Langenbucher, Wolfgang R. [Hrsg.] © 1983 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1983 Inhalt Vorwort 7 Stichwörter A-Z 11 Benutzerhinweise 778 Namenregister 779 Sach-und Begriffsregister 797 Institutionenregister 809 Abkürzungsverzeichnis 818 Autorenregister 820 Nachschlagewerke und Dokumenta tionen -eine Auswahlbibliographie 823 Vorwort Der Plan zu diesem Wörterbuch entstand, angeregt ren sprechen? Gibt es noch eine übergreifende na durch Bernd Lutz, in der Mitte der siebziger Jahre. tionale Identität oder doch wenigstens Gemeinsam Der Gedanke war, eine kritische Bestandsaufnah keiten im Kulturellen? me des kulturellen Spektrums in beiden deutschen Auf diese für die Vergleichsproblematik so Staaten zu versuchen. Anders als das 1970 in der grundlegenden Fragen haben die einzelnen Beiträ DDR in erster Auflage erschienene »Kulturpoliti ge unterschiedliche Antworten gefunden. Die wech sche Wörterbuch«, das auch als eine Herausforde selseitige Beleuchtung eines getrennten Volke& mit rung angesehen werden mußte, sollte dieses Vorha gemeinsamer Vergangenheit gibt - und dies wäre ben von vornherein vergleichend angelegt werden. nicht das geringste Ergebnis dieses Unternehmens - Es ist im nachhinein nicht immer leicht, die Ein Aufschlüsse über den jeweils eigenen Standort im flüsse zu benennen, die zu diesem Buch beigetragen Geschichtsprozeß und über die Verwirklichungs haben. Zweifellos war die Zeitstimmung der The chancen einer Kultur, verstanden als selbstbestimm matik günstig. Die vorbereitenden Arbeiten konn te Umweltaneignung unter den Leitbildern der To ten und mußten auf eine politisch, kulturell und leranz, der Gleichberechtigung, der Chancengleich wissenschaftlich veränderte Situation im eigenen heit - einer Kultur, deren Begriffe um Bezüge zum Land reagieren. Kulturpolitik und damit auch der System der materiellen gesellschaftlichen Verhält Frage nach den gesellschaftlichen Bedingungen nisse und zu alltäglichen Lebens-und Arbeitsbedin kultureller Produktion und kultureller Teilhabe gungen erweitert wurde. wurde ein größeres Gewicht beigemessen. Zudem An Voraussetzungen, unter denen dieses Buch zeigte sich eine neue Sensibilität für die als selbstver zustande kam, ist ebenso die Entwicklung einer ständlich erachteten Lebens- und Ausdrucksfor neuen politischen Kultur seit Ende der sechziger men, die bis dahin als Gegenstand kultursoziologi Jahre zu nennen, in der sozialpsychologischen Be scher Betrachtung kaum beachtet worden waren. trachtungsweisen wichtig wurden und ein genaue Unter dem Einfluß der Massenmedien und der sich res Verständnis subkultureller Erscheinungsformen wandelnden Freizeitgewohnheiten waren die Gren entstand. Probleme der Kulturindustrie und der kul zen zwischen sogenannter hoher und trivialer, all turellen Partizipation in der Industriegesellschaft, täglicher Kultur fließend geworden - und zwar von der Emanzipation, der Minderheiten, der gesell zwei Seiten her, in ihren Herstellungsweisen und in schaftlichen Funktion der Kunst wurden neu for den Formen ihrer Aneignung. Das wirkte auf den muliert, Einstellungen zur eigenen Geschichte und Kulturbegriff zurück, der nun weiter gefaßt wurde Tradition neu zu bestimmen versucht. Nicht zuletzt und sich - auch dies ein Erbe der Aufbruchstim haben Fragestellungen, wie sie im Umfeld kulturan mung der späten sechziger Jahre - mit einem kultur thropologischer Forschung entwickelt wurden, politischen Engagement in der Tradition der Auf dazu beigetragen, den Blick für die eigenen Lebens klärung verband und die Kulturinstitutionen in ih formen zu schärfen, sie gleichsam im Spiegel des rem Selbstverständnis veränderte. Solches Engage Fremden zu betrachten. So gesehen, kommt dem, ment, dem wir uns bei unseren konzeptionellen was wir gemeinsam mit den Autoren methodisch Überlegungen verpflichtet fühlten, geriet zusehends erreichen wollten, die Bezeichnung einer Ethnologie in Gegensatz zu einer, allerdings zur Selbstreflexion der Deutschen, bezogen im wesentlichen auf die wiederum herausfordernden neukonservativen kulturelle Konstellation in beiden Staaten, sicher Strömung, die unter dem Schlagwort der»T endenz am nächsten. wende« um die Mitte des vergangenen Jahrzehnts Peter Christian Ludz, dem die Leitung dieses die Politik und das politische Klima der Bundesre Projekts zunächst anvertraut worden war, konnte an publik Deutschland mitzubestimmen begann. den Arbeiten nur in ihren Anfängen teilnehmen. Schließlich hatte sich mit den zwischen den bei Nach seinem Tod kam es vor allem darauf an, das den deutschen Staaten Anfang der siebziger Jahre Stichwortfeld näher zu bestimmen. Es zeigte sich abgeschlossenen Verträgen auch deren Verhältnis bald, daß schon aus Gründen der Übersichtlichkeit zueinander gewandelt. Mit dem neu erwachten In eine zu weit gefächerte Nomenklatur unserer Inten teresse an der DDR gewannen die Fragen, wie und tion zuwidergelaufen wäre, weil bei der Begrenzung unter welchen sozialen, politischen, wirtschaftli des Gesamtumfangs eine Vielzahl kleinerer Artikel chen und ideologischen Voraussetzungen sich beide der Analyse und Interpretation zu wenig Raum Gesellschaften bei vergleichbarer Ausgangslage gelassen hätte. Erst eine Beschränkung auf größere, entwickelt haben, eine neue Aktualität. Wie weit umfassend angelegte Stichwörter schuf den Auto reichen die Unterschiede im institutionellen Be ren die Möglichkeit, in zusammenhängender Argu reich, im Bewußtsein, in der Lebenswirklichkeit der mentation Strömungen und Entwicklungstenden Bürger? Läßt sich zu Recht schon, dreieinhalb Jahr zen zu verfolgen und auch kontroverse Standpunkte zehnte nach Kriegsende, von zwei deutschen Kultu- darzustellen. 7 Vorwort Bei der Ausarbeitung der Nomenklatur war auch liegen auf der Hand. Es konnte nicht angehen, die die Sinnfälligkeit des Terminus kulturpolitisch zu interdisziplinäre Anlage des Projekts lediglich bedenken. Würde diese Bezeichnung nicht die Kon durch eine nur zusätzliche Hereinnahme von Stich zeption dieses Wörterbuchs mißverstehen lassen, in wörtern auszuweisen, die in den entsprechenden dem Kulturpolitik in ihrem traditionellen und um Fachwörterbüchern besser aufgehoben wären. Viel gangssprachlichen Verständnis nur einen geringen mehr kam es darauf an, die verschiedenen Themen und nicht einmal den wichtigsten Teil seiner weitge aus der Begrenzung herauszulösen, in der sie nach steckten Thematik beansprucht. Uns schien aber den Bedürfnissen ihrer fachwissenschaftlichen Zu dieser Begriff als Bestandteil des Titels im Blick auf ordnung üblicherweise gesehen und abgehandelt seine in den letzten Jahren sich durchsetzende Be werden. Dies setzte eine exemplarische Auswahl deutungserweiterung gerechtfertigt. Ebenso wie Po der Fakten und in der Analyse eine symptomatische litik und Kultur nicht mehr nur mit Bereichen jen Vorgehensweise voraus, die bis in die Einzelunter seits des alltäglichen Lebenshorizonts gleichgesetzt suchung hinein ihr Augenmerk auch auf die mikro werden, kommt auch diesem Wort eine auf die historische Dimension der Institutionen und Phä Mitwirkung des einzelnen und die Bestimmung sei nomene unterhalb einer großflächig operierenden nes sozialen Orts abzielende Bedeutungskompo Sozial-und Zeitgeschichte richtete. Sicher mußten nente zu. Und dies auch in dem Sinn, daß die die einzelnen Stichwörter so umfassend wie möglich einzelnen Kulturelemente und -erscheinungen in unter institutionellen und organisatorischen Ge beiden Staaten unter ihrem besonderen politischen sichtspunkten vorgestellt werden, die von der Sache Aspekt betrachtet werden können, wie sie unter den und dem Anspruch auf Information her geboten historisch geprägten Umständen gesellschaftlichen waren. Doch sollten sie auch als besonderer, kultu Lebens organisiert werden und zur Wirkung gelan reller Ausdruck der geschichtlichen Entwicklung gen. Die Übernahme des Begriffs der Kulturpolitik des gesellschaftlichen Lebens in beiden deutschen für ein Werk, dessen Inhalt über seine übliche Ver Staaten interpretiert werden. wendung hinausreicht, soll auch dazu beitragen, Von diesen Überlegungen haben wir uns bei der den Zusammenhang von Kultur und Politik unter Ausarbeitung der Stichwortsystematik leiten lassen. einem für viele Benutzer sicher ungewohnt weiten Sie umfaßt acht Hauptgruppen: Blickwinkel zu sehen. 1. Kulturpolitik Das traditionelle Gerüst der Stichwörter bilden II. Kulturvermittlung mit ihrem kommunikati neben den kulturpolitischen Themen im engeren ons-, sprach- und kunstwissenschaftlichen Sinn diejenigen Einrichtungen, die mit der Pflege Aspekt, unterteilt in Medien und Institutio und Vermittlung der Kultur in Beziehung stehen. nen Ihnen entsprechen Stichwörter wie Theater, Mu III. Voraussetzungen und Grundlagen der Kul seen, Archive bis hin zu den Medien und den Berei turvermittlung, des Kulturerwerbs und der chen, in denen Bildung erworben und eine Teilnah kulturellen Teilhabe, gegliedert in Wahrneh me am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird. mungsformen, Ausbildung, familiale, soziale Einen wichtigen Zugang zum Aufbauprinzip der und ökonomische Grundlagen Nomenklatur eröffnete ferner die Frage nach den IV. Bereich der Alltagskultur mit den Teilaspek Formen der Kulturproduktion und den Vorausset ten des sozialen Umfelds, der materiellen Re zungen ihrer Wirkung. Hier waren mit den Kunst produktion und der sozialen Interaktion gattungen auch die beruflichen, rechtlichen und V. Kulturelle und ästhetische Produktion, die theoretischen Grundlagen in Stichwörtern etwa zur auch den theoretischen Aspekt mit ein Ästhetik, zur Intelligenz, zu Künstlern und Schrift schließt stellern oder zum Verhältnis von Kunst und Gesell VI. Kultursoziologische und kulturanthropologi schaft zur Sprache zu bringen. Eine entscheidende sche Aspekte Überlegung war vor allem, daß eine Gesellschaft in VII. Historische und politische Aspekte wesentlichen Bereichen ihres Selbstbewußtseins VIII. Philosophische und sozialpsychologische As blind bleiben muß, solange Fragen der Alltagsexi pekte. stenz, der Wahrnehmungsformen, des Affektwan Was die Anlage der Stichwörter im einzelnen an dels oder der materiellen Reproduktion unberück geht, so war es unerläßlich, einen Orientierungsrah sichtigt bleiben. Gerade der Aufnahme solcher men vorzugeben, der bei aller erforderlichen, in der Stichwörter wie Hören, Sehen, Sinnlichkeit, Angst, Sache und der thematischen Vielfalt begründeten Essen und Trinken galt daher unser besonderes In Eigenverantwortlichkeit der Autoren doch so weit teresse. Sie sollten den kulturanalytischen und eth wie möglich Einheitlichkeit und Geschlossenheit nosoziologischen Ansatz des Kulturpolitischen Wör des Ganzen gewährleisten sollte. Dies war um so terbuchs verdeutlichen und den Unterschied zu zwingender, als sich bald zeigte, daß die Zahl der Werken rein fachlexikalischen Zuschnitts begrün Mitarbeiter die Grenzen weit überschritt, innerhalb den helfen. derer regelmäßige Gesamtkonferenzen noch mög Die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens lich gewesen wären. Dies hatte seine Gründe in der 8 Vorwort Neuartigkeit der Fragestellung, in der Spezialisie dieses Landes entspricht. Wünschbar wäre es sicher rung der angesprochenen Stichwortautoren, vor al gewesen, wenn die Stichwörter von Autoren beider lem jedoch in der breit angelegten Nomenklatur, in Staaten gemeinsam verfaßt worden wären. Viel die Themen aus den verschiedensten Forschungs leicht ergibt sich dazu in absehbarer Zeit eine Mög und Arbeitsbereichen aufgenommen werden muß lichkeit. ten, wenn anders die Intention, ein Tableau der Es ist uns nicht in allen Stücken gelungen, unse Lebenswirklichkeit beider Staaten zu entwerfen, ren Plan eines kulturtheoretisch und ethnologisch nicht verlorengehen sollte. orientierten Panoramas zu realisieren. Dies zeigte In der Regel werden die Beiträge durch eine sich insbesondere bei den Formen der symbolischen knappe Stichwortdefinition eingeleitet. Bei dem hi Interaktion. Stichwörter wie »Zeichen«, »Symbol«, storischen Aspekt liegt der Akzent naturgemäß auf »Umgangsformen« oder »Mythos«, in denen die der Zeit nach 1945. Doch war es, um durchgängige komplexen Strukturen der Lebensäußerungen hät Traditionslinien herauszuarbeiten, Brüche und ten beschrieben und analysiert werden können, wä Kontinuitäten aufzuzeigen, fast durchweg erforder ren wegen des Mangels an einschlägigen Vorarbei lich, bis in die Zeit des Nationalsozialismus und die ten wohl nur über eigene Forschungsaufträge zu der Weimarer Republik zurückzugehen. Die an verwirklichen gewesen. Nicht zum wenigsten verste schließende Behandlung der institutionellen, orga hen wir dieses Projekt auch als ein Experiment. nisatorischen und rechtlichen Faktoren sollte auch Dennoch sind wir überzeugt, daß es notwendig war, unter funktionalen Gesichtspunkten erfolgen. Der mit dieser kulturvergleichenden Bestandsaufnahme interpretierenden und vergleichenden Darstellung einen Anfang zu machen. wurde ein resümierender Abschnitt eingeräumt. Wenn nach Jahren vieler Gespräche, Konsulta Hier sollten konträre Meinungen zu Wort kommen, tionen und einem umfangreichen Briefwechsel mit auf Widersprüche zu offiziellen Selbstdarstellungen Kollegen und Beratern aus einer großen Zahl von hingewiesen, Vereinfachungen aufgelöst werden. Fachgebieten, mit Kulturproduzierenden und Prak Es stand den Autoren frei, faktographische Infor tikern der Kulturpolitik das Kulturpolitische Wörter mation und lexikalische Objektivität mit Wertungen buch vorgelegt werden kann, so ist dies in erster auf der Grundlage des aktuellen Forschungs-und Linie das Verdienst der nahezu zweihundert Auto Wissensstandes zu verbinden. Wir wollten nicht nur ren. Zusätzlich zu ihren eigenen Beiträgen haben eine reine Zustandsbeschreibung der Institutionen, viele von ihnen bei der Beurteilung von Exposes Verhältnisse und Strukturen vorlegen. und Artikelentwürfen engagiert geholfen. Danken Es ist offenkundig, daß die Beiträge dieses Wör möchten wir auch denen, die uns insbesondere bei terbuchs aus der Sicht, der Kenntnis, der Sprache Stichwörtern aus uns weniger vertrauten Diszipli der Bundesrepublik konzipiert und geschrieben nen kritisch beraten haben, sowie den Mitarbeitern wurden und, mit wenigen Ausnahmen, nicht aus der und Helfern der Redaktion. Besonders hilfreich war unmittelbaren Lebenserfahrung der DDR. Daraus uns die Unterstützung der Bibliothek und des Ar ergibt sich unvermeidlich eine Asymmetrie der Dar chivs des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn. Nicht stellung und gewiß auch des kritisch-analytischen zuletzt gilt unser Dank der Geschäftsführung und Impetus. Es entspricht der Erfahrung, daß das, was dem Lektorat des J. B. Metzler Verlags, die uns in einem näher ist und unmittelbar berührt, kritischer schwierigen Phasen mit großem Entgegenkommen gesehen wird. Nicht immer waren die Quellen zu unterstützt haben und auch die Geduld aufbrach gänglich, aus denen für die DDR die Beschreibung ten, die ein solches Vorhaben von allen Beteiligten der Sachverhalte hätte schöpfen können, so daß fordert. vielfach auf offiziöse Veröffentlichungen zurückge griffen werden mußte und die Darstellung weniger widerspruchsvoll ausfiel, als es der realen Situation Berlin/München, Oktober 1982 Die Herausgeber 9 Aberglaube Aberglaube Mittel der »betrügenden Priesterschaft« und des »Despotismus« bezeichnet, die versuchen, »aus der Dummheit und Verwirrung des Volks den Vortheil Vergleichbar ähnlichen mittelhochdeutschen Wort der ruhigen Beherrschung« zu ziehen (G. W. F. bildungen wie »Abergunst« für Mißgunst, »Aber Hegel, Sämtliche Werke, hrsg. von H. Glockner, Bd. list« für Unklugheit, bedeutet A. ursprünglich 2, Phänomenologie des Geistes, S. 416f.). Ähnlich »Mißglaube«, »verkehrter Glaube«. Das Wort formuliert noch heute das »Philosophische Wörter erscheint im 15. Jh. und setzt sich im 16. Jh. als buch« (Berlin (Ost) "1971) der DDR, daß der reli Ersatz für das lateinische superstitio durch, das psy giöse A. in der Klassengesellschaft, insbesondere chische Überspannung, Exaltation, ängstliche unter den ausgebeuteten und unterdrückten, in Übererregung angesichts des Jenseitigen bezeichne Unwissenheit gehaltenen Massen des Volkes stän te, wie sie sich etwa im Gespensterglauben und in dig genährt und von den herrschenden Ausbeuter der Furcht vor Geistern manifestierte. klassen in vielfältigen Formen zur Festigung ihrer Polemisch gebraucht, enthält der Begriff A. einen Macht gefördert werde. doppelten Vorwurf und verweist sowohl auf ein Die Ethnographie und Mythologieforschung des intellektuelles als auch moralisches Manko, auf 19. Jh. studiert Formen des A. weitgehend unter einen falschen Glauben und auf eine überängstli einem evolutionistischen Gesichtspunkt als fossile che, moralisch-psychische Fehlhaltung in religiösen Relikte untergegangener religiöser Welten und als Dingen. In diesem polemischen Sinn wird der Rückstände aus magischen und mythischen Welt Begriff superstitio in der Auseinandersetzung der bildern. Diese Betrachtungsweise charakterisiert christlichen Theologie mit der Welt der antiken auch die marxistisch-leninistiche Philosophie, die Religion gebraucht (A. Augustinus). Der Abergläu A. zwar weitgehend mit Religion schlechthin syn bische wird als der durch den biblischen Sündenfall onym setzt, darunter jedoch im engeren Sinn Reste in seiner Vernunft verdunkelte, unwissende Mensch älterer Entwicklungsstufen der Religion versteht. A. begriffen, A. somit von der versehrten Natur des wäre demnach Teil historisch überwundener gefallenen, unerlösten Menschen her gedeutet. In Gesellschafts-und Weltanschaungsformen und sei der theologischen Auffassung als Erbsündenfolge deshalb auch noch heute besonders in kapitalisti erscheint A. so als »alter« und heidnisch-vorchristli schen Ländern verbreitet. Der Hinweis auf die cher Glaube, als Rückfall in heilsgeschichtlich über Kommerzialisierung des A. etwa in der Talismanin wundene Phasen des menschlichen Bewußtseins. dustrie, im okkultistischen Buchmarkt, in der Astro Zugleich wird aber die Wirklichkeit und Wirksam logie soll diese Argumentation stützen. keit des A. hinsichtlich der Existenz wahrsageri Die psychologische Seite der einstigen theologi scher und zauberischer Praktiken, in denen das Wir schen Kritik am A. als Furcht des unerlösten Men ken von Dämonen sichtbar werde, theologisch aner schen vor Dämonen hat sich in den modernen Exi kannt. Wo sich Menschen im Dämonen- und Sa stenzpsychologien säkularisiert fortgesetzt. Für sie tanskult solchen numinosen Mächten verschreiben, gilt A. als eine von vielen Erscheinungsformen der wollen die Dämonen die Unwissenden täuschen, existentiellen Angst. um sie zu »besitzen« und sich der Unterworfenen Die heutige volkskundliche Forschung betrachtet bemächtigen zu können. A. Augustinus erkennt das A. als Rest früherer Glaubens-und Wissenssysteme politische Interesse der superstitio Romanorum dar und untersucht ihn als geschichtliches Phänomen, in, daß sich die staatlichen Machthaber die dämoni nicht im Sinne weltanschaulicher Polemik. Sie deckt schen Täuschungen zunutze gemacht hätten, um durch Quellen- und Herkunftsforschung die ihre Völker wirkungsvoller zu beherrschen (A. ursprünglichen theoretischen Zusammenhänge auf, Augustinus, De civitate dei, IV, 32). Bis in die heu in denen die verschiedenen Inhalte des A. gründen. tige Zeit bleibt der Begriff A. geprägt durch den Spätantik-neuplatonische Kosmologie, mittelalter christlichen Bezug auf ein überwundenes Altes, den liche Dämonenlehre, Satanologie und Engellehre, »alten Menschen«, der der Taufgnade noch nicht jüdische Kabbala, renaissancezeitliche Astrologie, teilhaftig geworden ist, und die »alte Religion« des Alchemie, Magie und naturphilosophische Speku vorchristlichen Heidentums. lation, moderne physikalische, medizinische und Zu Beginn der Neuzeit wird der bisher theolo pharmazeutische Forschung gehören zu den zahl gisch bestimmte Begriff des A. verweltlichend abge reichen Wissenssystemen, denen sich superstitions wandelt. Die Philosophie der-+Aujklärungund die geschichtliche Herkunftsforschung zuzuwenden wissenschaftliche Weltanschauung des 19. Jh. hat. Inhaltlich und entstehungsgeschichtlich gese begreifen A. nicht länger als Zeichen der Sünde, hen handelt es sich beim A. in der Regel um ver sondern als Ausdruck eines noch unfreien, unmün stümmelte Reste oder um mißverstandene Frag digen und in überkommenen Vorurteilen verstrick mente verschiedener Glaubenswelten und Diszipli ten Bewußtseins. Auch die Aufklärung gibt der Kri nen. In funktionaler Hinsicht dient A. als Vehikel tik des A. eine politische Richtung. G. W. F. Hegel für irrationale Erfahrungs-und Ausdrucksmöglich faßt die Argumentation zusammen, wenn er A. als keiten des Menschen. Insofern erscheint in ihm eine 11

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