Herfried Mtinkler . Richard Saage (Hrsg.) Kultur und Politik Herfried Mlinkler . Richard Saage (Hrsg.) Kultur und Politik Brechungen der Fortschrittsperspektive heute Fur Iring Fetscher Westdeutscher Verlag CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kultur und Politik: Brechungen der Fort schrittsperspektive heute / Herfried Miinkler; Richard Saage (Hrsg.). - Opladen: Westdt. VerI., 1989 NE: MUnkler, Herfried [Hrsg.) Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Aile Rechte vorbehalten ISBN 978-3-531-12078-2 ISBN 978-3-322-91776-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-91776-8 © 1990 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschUtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzuHissig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfiiltigungen, Obersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter BUrlde, Darmstadt Satz: ITS Text und Satz GmbH, Herford Inhalt Vorwort der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 7 I. Linke Grundstromungen in der Literatur und ihre Perspektiven heute Frank Benseler Literatur als Kompensationshelfer gegen lebensweltliche Verluste: Asthetische Sinngebung am Beispiel von Peter Weiss und Christa Wolf. 9 Iring Fetscher Politische Satire in der Bundesrepublik Deutschland - Anmerkungen eines Sozialwissenschaftlers ..... . 19 Hans Griinberger Romischer Katholizismus als Herrschaftsform. Ein Versuch, Carl Schmitt und Thomas Bernhard parallel zu lesen. . . . . 33 II. Asthetik der Kritischen Theorie Her/ried Miinkler Yom Verlust des revolutionaren Subjekts. Die politische Dimension modemer und postmodemer Asthetiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 49 Otwin Massing Zur Rekonstruktion der "Asthetischen Theorie" Adomos. Versuch einer kritischen Annaherung. . . . . . . . . . . 75 Hauke Brunkhorst Eine Verteidigung der "Asthetischen Theorie" Adomos bei revisionistischer Distanzierung von seiner Geschichtsphilosophie . 89 Bernd Feuchtner Auf der Suche nach der verlorenen Revolution. Anmerkungen zu Adomos Begriff des Fortschritts in der Musik. . . . . . . . . 106 6 Inhalt III. Schri!tsteller und politische Willensbildung in der Demokratie Harry Pross Schriftsteller und politische Willensbildung in der Demokratie . 113 Wolfgang Michal Schriftsteller und Politik in der Demokratie: Wer rettetdie Wortkultur? . . . . 128 Ralph-Rainer Wuthenow Schriftsteller und politische Verantwortung in der Demokratie- Gestem und Heute. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132 Hilmar Hoffmann "Kultur fUr aIle" und die "neuen Freunde" der Kultur. . . . . . . . . . . . . . 138 IV. Konservative, neokonservative und postmoderne Zeitdiagnosen Kurt Lenk Wem geMrt das Volk? Vom konservativen Blick auf die Massen. . . . . . . . 143 Hans-Gerd Schumann Neo-Konservativismus: Wende oder Best11tigung des Status quo? . . . . . . . . 151 Eike Hennig "Disziplin in der Freiheit": Die patriotische Riickwende des bundesrepublikanischen Neokonservatismus. . . . . . . . 155 Richard Saage Aspekte postmodemer Aufkllirungskritik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Helmut Dubiel Die Industriegesellschaft im Gegenlicht der Modeme. Uberlegungen zu Ulrich Becks ,,Risikogesellschaft". . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Anhang: Drei Reden zu Ehren von Iring Fetscher Ilse Brusis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 Hans-Hermann Hartwich . 209 Herfried Munkler . ............................... 212 Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 215 Vorwort Von 1963 an, als er auf das Ordinariat fUr Politikwissenschaft der Johann-Wolfgang Goethe-Universitlit berufen wurde, bis zu seiner Emeritierung Ende des Sommerseme sters 1987 hat Iring Fetscher in Frankfurt Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Ideengeschichte ge1ehrt. Nach fiinfjahrigem Miliwdienst und kurzer Kriegsgefangenschaft hatte er 1946 in Tiibingen das Studium der Philosophie, Germa nistik und Romanistik aufgenommen. 1950 erfolgte die Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit iiber "Hegels Lehre Yom Menschen"; 1959 folgte die Habilitation mit der Arbeit "Rousseaus politische Philosophie", die nach wie vor als einer der maBgebli chen Beitdige zum Verstlindnis Rousseaus gilt. Seit Mitte der 50er Jahre richtete sich Fetschers wissenschaftliches Interesse zu nehmend auf die Erforschung des Marxismus: einerseits auf eine von Orthodoxien un verstellte Interpretation der Marxschen Theorie mit dem Ziel, deren humanistischen Kern wieder freizulegen; andererseits auf den offiziellen Marxismus in der Sowjet union und dessen spezifische Funktion als Instrument ideologischer Machtsicherung. Fetschers zahlreiche Arbeiten zur Erforschung des Marxismus fanden groBe Beach tung, wovon u.a. der jetzt in der 22. Auflage vorliegende Text- und Kommentarband "Von Marx zur Sowjetideologie" zeugt. Die Aufmerksamkeit des Politikwissenschaftlers Fetscher galt immer auch aktuel len politischen Entwicklungen in Deutschland: So bot er 1967 in einem zusammen mit Helga Grebing herausgegebenen Band iiber Rechtsextremismus und 1977 mit dem wissenschaftlichen Essay "Terrorismus und Reaktion" Deutungen fUr aktuelle Ent wicklungen an, die sich als wissenschaftliche Interventionen in politische Prozesse verstanden. In dem 1976 erstmals veroffentlichten Band "Oberlebensbedingungen der Menschheit" hat Fetscher die okologische Krise sowie das wachsende Gefahrdungsbe wuBtsein vieler Menschen einer vieldiskutierten sozialphilosophischen Deutung unter zogen. Seit Anfang der 80er Jahre war er u.a. mit Konzeptionen und Herausgabe eines Handbuchs der politischen Ideen beschaftigt, von dem inzwischen vier Bande vorlie gen. Neben seinen wissenschaftlichen Publikationen trat Fetscher als Satiriker und Marchenverwirrer hervor, wobei dem Band "Wer hat Dornroschen wachgekiiBt?" die groBte Aufmerksamkeit zuteil geworden ist. Die im Friihjahr 1987 anlaBlich des 65. Geburtstages erschienene Sammlung "Die Wirksamkeit der Traume" zeigt Fetscher als Essayist und Literaturkritiker. Die in den Themenbereichen seiner Veroffentlichun gen sichtbar werdende Breite seiner Interessen, gepaart mit einer hohen Sensibilitat fUr sich abzeichnende politisch-gesellschaftliche Entwicklungen, hat auch die in dieser Festschrift gesammelten Referate gepragt, die im Rahmen des Symposiums "Kultur und Politik" zu Ehren seines 65. Geburtstages Anfang Marz 1987 an der Johann-Wolf- 8 Vorwort gang-Goethe-Universitat Frankfurt gehalten wurden; sie werden erganzt durch einige Beitrage, die zur thematischen Abrundung des Bandes geschrieben wurden. Ihre Auto ren gehen von der Einsicht aus, daB die klaren und sinnfaIligen Orientierungen der Linken in der Politik ebenso wie in der Kultur in eine Krise geraten sind und einer neuen Standortbestimmung bediirfen. Gilt es, an das uneingelOste Erbe der Aufklarung anzukniipfen, indem man sich ihren Quellen im Licht der aktuellen Krise der Modeme emeut zuwendet? Oder ist die ehedem ffir das politische und kulturelle Selbstverstandnis der Linken verbindliche Perspektive eines sozialen Fortschritts, in des sen Perspektive es eine durch Freiheit, Gleichheit und Humanitat ausgezeichnete Gesellschaft zu verwirklichen gilt, irreversi bel zerbrochen? Die Auseinandersetzung mit der alten und die Suche nach einer neuen politisch-kulturellen Identitat der Linken durchzieht als Leitfrage samtIiche Beitrage des Bandes. Urn sie, wenn auch nur in Ansatzen und durchaus fragmentarisch, beant worten zu kannen, werden in vier Abschnitten die Themenfelder von Politik und Kul tur mitsamt ihren vielfaItigen Verflechtungen und Oberschneidungen untersucht: yom Begriff der Politischen Kultur bis zu Maglichkeiten von Kulturpolitik, anhand literari scher Grundstramungen, anhand der Sensibilitat philosophischer Asthetiken und der in ihnen der Kunst gestellten Aufgaben, anhand der Rolle und Funktion der Schriftsteller in der Demokratie, anhand linker wie neokonservativer Zeitdiagnosen. Was auf diese Weise entsteht, ist ein buntes Bild politi scher und kultureller Per spektiven, die sich der Linken eraffnen, kritische Revisionen, mitunter zufriedenstel lende Bilanzen, eher hoffnungsvolle, eher skeptische Ausblicke. Die Fiille der heute zu beobachtenden politisch-kulturellen Fragmentierungen der Linken findet in dem Band ihren Niederschlag,ohne daB diese Fragmentierungen als Verfall beklagt wfir den. Eher werden sie als eine Chance begriffen, aus der heraus neue Entwicklungen in Literatur, Kultur und Politik erwartet werden diirfen. AbschlieBend sei der Hans-Backler-Stiftung fUr die groBziigige finanzielle Unter stiitzung gedankt, mit der sie sowohl die Durchfiihrung des Symposiums "Kultur und Politik" als auch die Publikation dieses Bandes ermaglichte. Herfried MunklerlRichard Saage 1. Linke Grundstromungen in der Literatur und ihre Perspektiven heute Literatur als Kompensationshelfer gegen lebensweltliche Verluste: Asthetische Sinngebung am Beispiel von Peter Weiss und Christa Wolf Frank Benseler Wer uber Literatur spricht muB wissen, daB er Literatur produziert. Die Trennung yom Gegenstand ist hier noch weniger moglich, als bei anderer wissenschaftlicher Tatig keit. Mit Fachvortragen aus biographischem AnlaB huldigen wir einem alten groBen Brauch (Brecht) so, als sei nicht das Webersche Erbe in den Ergebnissen einer Denk schule, die sich nach dieser Stadt Frankfurt nennt, aufgebrochen. Ich denke anders. Iring Fetscher gilt mein erstes Wort, klarstellend, daB ich nicht uber ihn; sondem fUr ihn spreche. Die Rede gewinnt damit den Charakter jener antizipierten Indiskretion, wie sie ,offene Briefe' kennzeichnen. FUr die literarische Form bedeutet das, daB AuBerungen, die angeblich an alle sich richten, moglicherweise uber den kleinen Kreis hinaus veroffentlicht werden, merkwUrdigerweise in der Nahe der Gattung siedeln, die, dem konkretesten AnlaB entspringend, in der Reproduktion durch jeden einzelnen, auch bei gewandelten historischen und gesellschaftlichen Bezugen ein ,tua res agitur' evozieren. Solcher Zurechnung verdankt Literatur, ja Kunst uberhaupt, ihr Uberdauem in mythenloser Zeit. MuB ich hinzufugen, daB nicht weit von dieser Bemerkung sich fmdet, was als ,Ohnmacht des Objektiven' dem Werk von Adorno, wenigstens seiner Asthetik, innewohnt? Was immer also das Thema auch vorgibt, wir konnen nicht fiber Literatur spre chen; haben uns vielmehr im literarischen Diskurs seIber zu bewegen. Wenn ich schon in den ersten Satzen ausdrUcke, daB es hier - mit Weber geredet - urn den ,Streit der Gotter' geht, fUr den die experimentierenden Wissenschaften ebensowenig zustiindig sind wie die pragmatischen Randlungswissenschaften; dann sind auch die Randbedin gungen anzugeben, unter denen heute verstanden werden kann und solI, was wir uns zumuten, wenn wir uber, von, mit und durch Literatur sprechen. Rier ist doch der Ort, wo Adorno bestritt, daB es dasWahre im Falschen geben konne; hier auch wurde der ,Too der Literatur' ausgerufen - nicht als Feststellung, vielmehr als Forderung, die sich historisch ja immer dann ergeben hat, wenn, von Plato bis Mao, kulturrevolutio nare Utopie mit Praxis verwechselten; hier ist der Platz, wo Verlagskulturen jene scho nen Wucherungen zeigen, die - wer wollte den Ausdruck siikular antizipierend ver- 10 Frank Benseler wenden? - zu Paradigm en gegenwartiger (paradox gesprochen) aktueller Literaturge schichte ruhren; und nicht zuletzt, wenn die Reihung schon von der Asthetik tiber die Politik zum Kommerz gefiihrt hat: In dieser Stadt gibt es eine Dreibuchstabenzeitung, die als Werbegeschenk die Nachbildung jener Schriftscheibe aus Kreta verbreitet, de ren archaischer Inhalt noch unentziffert ist: als sei ein ironisch-realistischer Hinweis vonnoten, daB wir ,deutungslose Zeichen' bleiben. Sprechen wir von Literatur tiberhaupt, dann nicht von politischen Richtungen, nicht von links und rechts; sondern davon, daB Literatur umkompromittierbar das, was ist, ausdriickt, in einer Selektion des Besonderen, die das Charakteristische des Men schen, das Humane und darnit das Mitmenschliche hervortreten liBt. Bei deutscher Li teratur speziell geht es darum, daB sie seit dem !etzten Weltkrieg negativ jenes Biirger tum reprasentiert, dem sie sich stofflich verdankt. Dies gilt so nicht immer: Verschie dene Gesellschaftsformationen haben unterschiedliche charakteristische Reprasenta tionsformen - und es gibt durchaus positive, von Horaz bis Walt Whitman. Wir haben es bei der deutschen Nachkriegsliteratur durchaus mit etwas Bedenklichem zu tun: Sie stellt einen zersplitterten Spiegel dar, sie ist Repdisentativ in der Negation und noch eine Ausnahme, wie das atypische Buch von Heinrich Mann ,Ein Zeitalter wird be sichtigt', oder auch die ,Aufbauromane' der DDR, sie zeigen die Regel: Das okono misch GIanzende, in Realitat oder Vorschein, kann nicht mehr positiv sein. Die durch Schweigen besiegelten Bticher von Koppen und des spaten Boll belegen das. Was sich heute in der deutschen Literatur zeigt, geht dariiber hinaus, laBt sich epo chal anders verstehen, ist offenbar auch so gedacht. Es ist angebracht, nicht Urteile tiber die ,literarische Saison' (Benn) zu HUlen, als mtiBte die jeweils literaturwissen schaftIich antizipiert werden; vielmehr an beispielhaften Fallen zu exemplifizieren, was heute diskussionsf1ihig, erfahrbar und erlebbar wird, indem es als Kunst erscheint. Zuvor solI auf theoretische und sozialokonomische Rahmenbedingungen wenig stens hingewiesen werden. Zum einen: Erinnern wir uns an die McLuhansche Medien these, nach der das Medium die Botschaft ersetzt, Form und Inhalt ausmacht und an die seines Schiilers mit dem charakteristischen Namen Postman, der uns erkIart hat, wie das Zeitalter der Television und der Computeranwendungsausweitung die Einheit lichkeit manipulierter Unbildung, d.h. auch die Moglichkeit totaler AuBensteuerung (Riesman) herbeigefiihrt haben. Ubrigens hatte Huizinga schon lange vorher aus ahnli chen Grunden auf die beobachtbare zunehmende Puerilisierung der Welt hingewiesen. Nicht, als ob dadurch eine blasphemische Reduktion der menschlichen Fahigkeit zur Wissenschaft notwendig eintrate; denn gerade die Kommunikationsmaschinen als Summen vorgetaner geistiger Arbeit waren ja in der Lage, Paradigmen hOchster Diffe renziertheit total durchzusetzen. Ernst Jtinger hat mit der ihm eigenen stoischen Aku ratesse in seinem Roman ,Eumeswil' auf die dann durch Macht moglichen Differen zierungen des Zugangs zum von ihm ,Luminar' genannten Zentralcomputer und die Auswirkungen auf die politische Kultur eindrucksvoll hingewiesen. Nein, geschadigt wiirde das, was Odo Marquart neulich Vernunft, als. Verzicht auf die Anstrengung, dumm zu bleiben, genannt hat. Yom anderen Ende weltanschaulicher Ausrichtung her hat Gtinter Anders die schwere Erschtitterung der Menschen als ,Ikonomanie' ange prangert, denen Welt nur noch als Phantom und Matritze, d.h. reduziert geliefert und Literatur als Kompensationshe/fer 11 dadurch allein faktisch wird. Hier setzt ja der Streit urn das ,Projekt Moderne' an, der auf der Seite von Habermas ffir alteuropaische Werte gefiihrt wird; auf der anderen - ich nenne nur den Namen Luhmann stellvertretend - sich auf das verHiBt, was die autopoietisch gedachte Evolution aus dem Menschen in Zukunft machen wird. Und soziolikonomisch ist die Lage bestimmt durch die Tatsache des Weltmarktes, die Durchsetzung kapitalistischer Wirtschaftsformen so, daB davon al1ein heute Chan cen des Uberlebens abhangen. Mit anderen Worten, die ,Risikogesellschaft', von der U. Beck spricht, entwickelt sich zu einer manichaischen Totalitat: Die in der Compu terisierung der meisten Daseinsvollziige erlebbare technische Rationalitat, die geeignet ware, alle Menschen von unmittelbaren Nliten zu befreien, wird dazu genutzt, Zustan de praktisch zu machen, die weder mehr rational noch emotional erreichbar sind, zu der von R. Barthes prognostizierten sillcularen Riickverwandlung von Geschichte in Natur. Diese Lage HiBt sich ja in allen Bereichen des Lebens und auf all seinen klas senmiiBigen Abstufungen ab1esen: von den semantischen Kiimpfen an der intensiv ver schrfulkten Public-Relation und Politikfront, der gegeniiber Orwells ,Neusprech' eine embryonale und stiimperhafte Form darstellt, iiber reine Medienereignisse, die aber wirklichkeitsausllisend sind, bis zu den Kriminal- und Ideologiespielen, mit denen das Fernsehen taglich zu unterhalten glaubt, gibt es ,verpaBte Ideologie' in jeder Preisklas se, wobei - Helms hat darauf hingewiesen - nicht zu verkennen ist, daB damit eine Egalisierung raffmiertester Apperzeption sich vol1zieht Wenn dem egalitar-totalen Scheinobjektivismus so viel Macht gegeben oder zuge fallen ist, daB man von Fernsehexistenz reden kann (ich erinnere daran, daB die Men schen - dies ist ja tatsachlich hier in der Nahe, im Kloster Eberbach passiert - Reli quien aus den Requisiten gemacht haben, die das Fernsehen bei der VerfIlmung von U. Ecos ,1m Namen der Rose' gebraucht hatte, offenbar in dem Wahn, dies sei die Re alitat zu der Phantasie, die der Film ohnehin schon nur noch reduziert abforderte); dann geht Literatur auf andere Wege: weg von der AnmaBung der Sinnstiftung, von Verstehen, von eindimensionaler, namlich zweckmittelbezogener Rationalitat. Sie ver abschiedet sich von der Funktionalitat des gesellschaftlichen Sektors, der ffirs Ganze stehen klinnte oder - eher marginal-benutzbar sei. Sie riickt ab von Warencharakter und bezahlbarer Leistung, wo langst ja die Eigenverwertungen im Fernsehen die Ho norare der Originalfassung iibertreffen und literarische Wirkungen zunehmend haufIg nur den Kehrwert manipulativer Einsatze ausmachen. Wenn demokratische Formen einer antisolidarisch wirtschaftsverfaBten Gesellschaft hier; ideologische Petrifizierung bei kollektiver Entlastung dort (denn Gorbatschow ist ja noch nicht bis Berlin vorge drungen, wenn er sich auch ans Lulcicssche Konzept haIt) wirklichkeitsbestimmend sind: Wohin, mit welchem Inhalt bewegt sich, was will und worin schreibt sich ein das, was wir noch immer Literatur nennen? Ohne Ungeduld noch ein kurzer Exkurs zur Sache: Unter ebensolchen Bedingun gen haben Philosophen wie Feyerabend und Giinther ,anything goes' proklamiert, zwar Stufen unterhalb der Nietzsche-Erkenntnis, ,daB alles erlaubt sei'; aber doch ein deutig vom Gedanken eines Fortschritts, der sich durch Hartnackigkeit in der Zeit, einer Wahrheit, die sich durch ,Bohren dicker Bretter' erreichen lieBe, entfernt Statt