Albrecht Guschel Volker Kirchberg Hrsg. Kultur in der Stadt Stadtsoziologische Analysen zur Kultur Kultur in der Stadt Albrecht Göschel Volker Kirchberg (Hrsg.) Kultur in der Stadt Stadtsoziologische Analysen zur Kultur Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1998 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papter. ISBN 978-3-8100-2052-9 ISBN 978-3-663-10580-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10580-0 © 1998 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1998 Das Werk einschließlich aller semer Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere filr Vervielfliltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhaltsverzeichnis Albrecht Göschel und Volker Kirchberg Einleitung: Kultur der Stadt - Kultur in der Stadt . . .. . . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . 7 Pierre Bourdieu Ortseffekte .. . .. . .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. .. . .. . .. . . .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. . . .. .. . . .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. . . 17 Sharon Zukin Städte und die Ökonomie der Symbole . .. . .. . . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. . .. . . .. .. .. 27 Volker Kirchberg Stadtkultur in der Urban Political Economy........................................... 41 Christine Hannemann und Werner Sewing Gebaute Stadtkultur: Architektur als Identitätskonstrukt ...................... 55 Volker Kirchberg Kulturerlebnis Stadt. Money, Art and Public Places ............................. 81 Uwe Rada Die Urbanisierung der Angst. Von einer kulturellen zur sozialen und räumlichen Technik der Verdrängung ................................................... 101 Harvey Molotch Kunst als das Herzstück einer regionalen Ökonomie . . .. .. .. ... . .. .. .. .. .. . .. .. . 121 lürgen Friedrichs Soziale Netzwerke und die Kreativität einer Stadt ................................ 145 Johannes Boettner Die Stadt im Mehr-Arenen-StreB. Weimar auf dem Weg zur Kulturstadt Europas ............................................................................... 165 6 Albrecht Göschel, Volker Kirchberg Detlef Ipsen Ökologie als Stadtkultur . .. .. . .. . . .. .. .. . . .. . .. .. ... .. . .. .. . . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. 189 Elisabeth Heidenreich Urbane Kultur. Plädoyer für eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf die Stadt........................................................................................... 215 Albrecht Göschel Kultur in der Stadt - Kulturpolitik in der Stadt . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. . . .. .. .. . 229 Die Autoren . .. .. .. .. .. .. . . .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. . .. ... .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . .. . .. 255 Einleitung Kultur der Stadt - Kultur in der Stadt Albrecht Göschel, Volker Kirchberg Die Begriffe Kultur und Stadt verweisen beide auf Gegenentwürfe zu Natur. Durch diese gemeinsame Konnotation scheinen sie häufig zu verschmelzen, zu Synonymen zu werden, so daß es manchmal wenig ergiebig wirkt, von Kultur in der Stadt oder Kultur der Stadt zu sprechen. Das gilt nicht minder, wenn man einen weniger umfassenden, einen neuzeitlichen oder aufkläreri schen Begriff von Kultur und Stadt zugrunde legt. Wie Kultur und Stadt als Gegenpole zu Natur von deren Zwängen befreien sollen, so bildet Stadtkultur auch das Gegenmodell zu feudaler Ordnung. Stadt und Kultur befreien nicht nur von Natur sondern auch von transzendental begründeten Normen und Traditionen, Abhängigkeiten und Hörigkeiten. In der bürgerlichen Kultur der · Stadt vollzieht sich die Selbstkultivierung des Menschen. Stadt und Stadtkul tur sind Ausdruck dieses emanzipatorischen Schritts. Die Stadt wird kulturel ler Mechanismus und kulturelles Symbol dieser Selbstkultivierung des Bür gers, so daß auch aus dieser aufklärerischen Sicht Stadt und Kultur als Syn onyme erscheinen und verschmelzen können. Auf drei Ebenen, deren Zusammenhang in emphatischer Weise das auf klärerische Bild von Urbanität als kultureller und politischer Utopie prägt, scheint sich diese Idee der Stadt als Selbstkultivierung zu konkretisieren: Zum einen als Bild des Zivilen in der politischen Selbstbestimmung und Selbstverwaltung autonomer Bürger im autonomen Gemeinwesen (Salin); zum zweiten im freien Tauschverkehr des Marktes zwischen freien, autono men Produzenten (Weber); und zum dritten in den Medien und Symbolen der Selbstkultivierung, also in Wissenschaft, Bildung und Kunst, in den formel len und informellen Einrichtungen ihrer häufig kaum unterschiedenen Pro duktion und Rezeption durch ein öffentliches, urteilendes Publikum (Ten bruck). Eine historische und soziologische Betrachtung hebt entgegen diesen Universalistischen Ansprüchen des Urbanen in der Regel die Egoismen und Begrenzungen des Lokalen, des Städtischen hervor: in der Selbstbestimmung die Durchsetzung partialer und lokaler Interessen (Lynd), im Markt die Be gründung von Ungleichheit (Marx), in Kunst, Wissenschaft und Bildung de- 8 Albrecht Göschel, Volker Kirchberg ren Legitimation von Hegemonie, "symbolischer Gewalt" und Selbstdarstel lung (Veblen), in den räumlichen und baulichen Formen deren "strukturelle Gewalt" (Hegemann, Keim). Und dennoch klingt im Begriff des Urbanen und der Stadtkultur noch die Begründung universaler ziviler Normen bürger licher Gleichheit und Freiheit nach. Diese geistesgeschichtliche Tradition von Stadtkultur scheint zumindest mit der europäischen Stadt - und einigen nord amerikanischen Städten - so fest verbunden zu sein, daß sie das Bild von Stadt, Stadtkultur und Kultur noch immer prägen, auch wenn man kaum ei nen historischen oder lokalen Punkt finden wird, an dem diese Utopie der "Selbstkultivierung aller Bürger" auch nur ansatzweise realisiert war. Die Be griffe von Stadt, Urbanität und Stadtkultur haben ihren stimulierenden, em phatischen Klang behalten. Die Gemeinsamkeiten der Beiträge dieses Bandes liegen nun in der Be hauptung einer neuen Dimension von Kontextualisierungen der Stadtkultur, einer Instrumentalisierung, die zwar mit dem Universalistischen Erbe spielt, es aber partial nutzt und dabei nach der bürgerlichen und Industriestadt des 19. Jahrhunderts (Engels) ein weiteres mal verspielt. Während der aufkläreri sche Begriff von Stadt und Kultur, von Öffentlichkeit, Markt und Selbstkul tivierung die Universalistische Narrnativität dieses Modells herausstellt, ver folgt Stadtsoziologie die Folgen der Kontextualisierung und Partialisierung dieser bürgerlichen Utopie. Und in diesem Vorgang, so legen die Beiträge des Bandes nahe, ist gegenwärtig eine neue Stufe, eine neue Qualität von An eignung und Ausgrenzung erreicht. Im kontextualistischen Kulturbegriff, der an die Stelle von Kultur der Stadt Kulturen in der Stadt setzt - nicht als Ebenen der einen, bürgerlichen, zivilen, urbanen Kultur, sondern als Gegensätze-erschüttern Stadtsoziologie und Stadtforschung die ehemals universale Narrnativität von Kultur und de ren symbolische Manifestation. In der Analyse einzelner Lebensstile als Kul turen (Park), in der Forschung zur Segregation als Kongruenz sozialer, räum licher und symbolischer Exklusion (Herlyn), in einer "neuen Urbanität" (Häußermann und Siebel), die die politische Aufladung des Urbanen einfor dert, ohne auf einen universalen Begriff des Öffentlichen zu rekurrieren, schlägt sich der Perspektivenwechsel auf Kultur und Stadt - auf Stadtkultur - nieder, der die sozial- und kulturwissenschaftliche Stadtforschung wohl nicht nur begleitet, sondern sie mehr oder weniger hervorgebracht hat (Lichtblau 1996). Alle Beiträge dieses Bandes kommentieren diesen Bedeutungswand~l von Kultur, Stadtkultur oder Kultur in der Stadt unter den Bedingungen von Globalisierung und wachsenden Ungleichheiten auch in den entwickelten In dustriestaaten. An die Stelle universaler Normativität, für die Stadtkultur stand, scheinen einerseits Bilder des Städtischen zu treten, die diese Utopie auf Wohlstand, Eleganz, Dynamik, Kreativität und - konsumentenspezifische - Schönheit reduzieren, um über die Zustimmung zu diesen Bildern die Zu- Kultur der Stadt - Kultur in der Stadt 9 stimmung der größten Zahl zu globalen Produkten zu erreichen. Andererseits werden durch Zurichtung der Stadt nach diesen Bildern diejenigen, die an diesem Wohlstand nicht teilnehmen können, aus dem Bild der Stadt ausge schlossen. Sie werden unsichtbar, nicht nur ins Abseits gedrängt. Stadtkultur erscheint, so legen die Beiträge nahe, nicht als Mechanismus und Manifesta tion unvollständig integrierender, universalistischer Normen der Selbstbe stimmung, Selbstkultivierung und Selbstdarstellung intersubjektiver Auto nomie, sondern als "symbolische Gewalt" (Bourdieu), als Mechanismus und Manifestation von Herrschaft derjenigen, die am Wohlstand partizipieren und als Ausschluß derjenigen, denen dies nicht gelingt. Auch in den europäischen Städten, in den Zentren von Wohlstand, Sozi al- und Rechtsstaatlichkeit, scheinen sich Bedingungen frühindustrieller Städte zu rekonstruieren, in denen soziale Segregation mit Zeichensystemen verbunden war, die für Unsichtbarkeit von Benachteiligung und damit für dessen Verdrängung aus einem allgemeinen Bewußtsein, aus der politischen und symbolischen Öffentlichkeit sorgten. Die gegenwärtige Globalisierung bewirkt wieder größere Gefälle zwischen, aber auch innerhalb von Städten, als sie in der Blüte des Wohlfahrtsstaates üblich waren und drängt wieder be nachteiligte Bevölkerungsgruppen ins "Aus der Vorstädte" (Dubet und La peyronnie 1992), die zwar bis zur Unsichtbarkeit ausgegrenzt werden, den noch aber an den medial vermittelten Wohlstandsbildern partizipieren. Auf die Rekonstruktion solcher Exklusion unter neuen Bedingungen aufmerksam zu machen, ist das Anliegen des Essays von Pierre Bourdieu. Wie einer städtischen Ökonomie der "Wachstumskoalition", die mit Ver satzstücken alter Urbanität, mit symbolischer Raumaneignung (Simmel) und kollektivem Gedächtnis (Halbwachs) spielt und sie als profitsteigernde, ab grenzende Raumformungen, als Inszenierungen und Symbolarrangements einsetzt, diese Ausgrenzungen gelingen, zeigt die neue Erweiterung der Theorie einer Urban Political Economy, der die Beiträge von Sharon Zukin und Volker Kirchberg gewidmet sind und den als Untersuchungskonzept be kannter zu machen, ein Anliegen des Bandes ist. Sharon Zukins detaillierte Beschreibung der Ökonomie der Symbole macht vor allem an Beispielen aus New Y ork deutlich, wie sehr dieser bedeu tende Zweig der städtischen Wirtschaft auf den Kulturkonsum als Kapital quelle angewiesen ist, wie sehr dafür die öffentliche Sphäre marktgerecht zerteilt und geformt wird und wie diese materialistische Kontextualisierung jede Art des öffentlichen kulturellen Diskurses nicht nur in Deutschland (zum Beispiel bei der Errichtung von Gedenkstätten) verhindert. Der Grundgedanke der Urban Political Economy Theorie, so Volker Kirchberg, ist die unterschiedliche Bewertung des städtischen Bodens als Tausch- oder Gebrauchswert. Bei der Ausgestaltung von Stadträumen stehen sich idealtypisch zwei Gruppen mit gegensätzlichen Interessen gegenüber, die "Wachstumskoalition" zusammen mit der Immobilienwirtschaft auf der 10 Albrecht Göschel, Volker Kirchberg einen, die Bewohner und alltäglichen Nutzer der Stadträume auf der anderen Seite. Die Akteure der Wachstumskoalition betreiben Raumformungen und Ausgrenzungen durch Symbole, um an bestimmte Orte die Bilder vom "gu ten Leben" zu heften, Versatzstücke des Städtischen als Bilder zu produzie ren und in konsumierbare Erlebnisse zu verwandeln, für ein städtisches Pu blikum, das Urbanität als Warenvielfalt, als Konsumangebot auch von Räu men und Raumsymbolen versteht und erwartet. In welchem Ausmaß eine öffentliche Stadtpolitik diesem Konzept der Aneignung des öffentlichen Raumes durch private Symbolsysteme von Marktmacht und W obistandsversprechen für zahlungskräftige Konsumenten gruppen verpflichtet ist, demonstrieren Christine Hannemann und Werner Sewing am Beispiel der architektonischen Hauptstadtrekonstruktion Berlins. Parallel zum Verlust einer universalistischen Kultur als Medium ziviler Selbstkultivierung erscheint die gebaute moderne Stadt vom Verlust des gleichfalls universal gedachten Mediums der Öffentlichkeit geprägt zu sein. Aber nicht nur das Allgemeine, Offene, das allen Zugängliche oder die Sym bolisierung einer politischen Öffentlichkeit, in der sich Stadtgesellschaft ver band und traf, sogar die symbolische Heterogenität verschiedener Architek turformen als Ausdruck der Differenzierung von Lebensstilen und Ungleich heiten wird aus dem Bild, aus dem Text der Stadt eliminiert. Nicht nur die Innenstadtzonen des Konsums, der globalen Waren- und Dienstleistungsanbieter sind von dieser Zurichtung des Raumes geprägt. Durch die Gestaltungsmacht der global agierenden Eliten einer Ökonomie der Symbole vor Ort, denen die Stadt vor allem Kulisse und Ambiente ihres Wohlstandes darstellt, die der Stadt als Nutzer, nicht als Bürger begegnen, unterliegen auch Wohngebiete den gleichen Modellen der Raumformung und Ausgrenzung anderer Lebensformen und Lebensstile. Vor allem an aktuellen Beispielen aus Harnburg und Berlin zeigt Volker Kirchberg die makro-, me so- und mikrosoziologischen Ursachen, Realisationen und Folgen der sym bolischen Raumaneignung und Ausgrenzung für die Qualität und dominante Zielrichtung von "Kultur in der Stadt". Es entsteht eine neue Stadtkultur aus diversen, inszenierten "Kulturerlebnissen" für wenige in ausgesuchten Teil räumen der Stadt, deren Konsum ein Sein verspricht wie das anderer Waren auch (Schulze 1992), mit der Idee einer Selbstbestimmung und Selbstkulti vierung im Urbanen aber nichts mehr zu tun hat. Daß nicht eine Stadtkultur sondern kontextuelle Kulturen die Stadt der Gegenwart bestimmen, daß diese Teilkulturen sich wechselseitig bedrohen und ausschließen, daß sie für einander unverständlich bleiben und die Stadt nicht zur Heimat sondern zum Angstraum werden lassen, beschreibt Uwe Rada in seinem Essay über das Berlin der - nicht vollzogenen - deutschen Einheit. Stadt als unentzifferbarer Text stellt keine Kultur der Öffentlichkeit sondern der Hysterie her. Distanz und passageresVerhalten in einer vom Pri vaten unterschiedenen Öffentlichkeit (Bahrdt), Blasiertheit und Regeln des
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