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Kritische Erwachsenenbildung: Analysen und Anstöße PDF

179 Pages·2010·0.9 MB·German
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Ludwig A. Pongratz Kritische Erwachsenenbildung Ludwig A.Pongratz Kritische Erwachsenenbildung Analysen und Anstöße Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Stefanie Laux VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesond ere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17685-7 Inhalt Vorwort..................................................................................................................7 1. Kritische Erwachsenenbildung: ein Interview ..................................................9 2. Aufstörende Erbschaft: eine Erinnerung..........................................................13 3. Kritisches Verhalten: eine Vergegenwärtigung...............................................29 4. Konstruktivistische Erwachsenenbildung: eine Kritik.....................................46 5. Polemische Spitzen: eine Erwiderung..............................................................74 6. Verhinderte Erfahrung: ein Problemaufriss.....................................................87 7. Verkaufte Bildung: ein Einspruch..................................................................106 8. Kontrolliert autonom: ein Lagebericht...........................................................120 9. Radikaler Systemumbau: eine Skizze............................................................138 10. Lernen lebenslänglich: eine Absage.............................................................153 Literatur..............................................................................................................167 Textnachweise....................................................................................................180 Vorwort Manchmal entwickeln Texte eine Eigendynamik und überholen die Absichten ih- res Autors. So jedenfalls verhält es sich im vorliegenden Fall. Die ursprüngliche Intention dieser Publikation bestand darin, eine aktualisierte Neuauflage der Auf- satzsammlung „Zeitgeistsurfer. Beiträge zur Kritik der Erwachsenenbildung“ (2003) vorzubereiten. Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahrzehnt vergangen und die Idee, eine ‚runderneuerte‘ Publikation vorzulegen, mauserte sich längst zu einer Aufsatz- sammlung, die einen neuen, programmatischen Titel verdient: „Kritische Er- wachsenenbildung“. Sie greift frühere Publikationen – teils in überarbeiteter Form – auf und ergänzt sie durch neuere Analysen zu bildungstheoretischen, bil- dungspolitischen, erkenntnistheoretischen oder didaktischen Problemstellungen. Aufs Ganze gesehen geht es darum, im Feld der Erwachsenenbildung das zu erproben, was Max Horkheimer, der Nestor der Frankfurter Schule, als ‚kriti- sches Verhalten‘ bezeichnete. Kritisches Verhalten orientiert sich in erster Linie nicht an der Funktionssicherung von Systemabläufen oder der Praktikabilität von Lösungsvorschlägen. Sein Hauptinteresse gilt der Frage, welche treibenden Kräf- te die gesellschaftliche Situation bestimmen und inwieweit sich die Gegenwarts- gesellschaft – und mit ihr das Feld der Erwachsenen- und Weiterbildung – dabei in Widerspruchslagen verstrickt. An diesen Ungereimtheiten entzündet sich die theoretische wie praktische Kritik, um das zum Zuge kommen zu lassen, was die Verhältnisse häufig genug nur rhetorisch bedienen: den Anspruch der Menschen auf Selbstverfügung. Im Kontext aktueller Reformen kommt dieser Anspruch gewöhnlich nur in reduzierter oder pervertiert Form zum Zug: nämlich als Bereitschaft und Fähig- keit zur Selbstvermarktung. Doch weigert sich Kritische Erwachsenenbildung, die unterstellte Gleichung von Selbstvermarktung und Selbstverfügung zu ratifi- zieren. Sie markiert Unterschiede; sie bringt sich als Differenzdenken zur Gel- tung. Auf diese Weise gewinnt erwachsenenpädagogische Theorie den Charakter 88 Kritische Erwachsenenbildung einer experimentellen Suchbewegung. Ihre Zielperspektive knüpft – wenngleich in gebrochener Form – an die Tradition der Aufklärung an. Noch immer steht der Anspruch, ein selbst bestimmtes Leben führen zu können, auf der pädagogischen Tagesordnung. Aachen, im Mai 2010 1. Kritische Erwachsenenbildung: ein Interview Anfang 2006 lud mich Rolf Arnold zu einem so genannten ‚kalten Interview‘ ein, in dem ich meine theoretische Position in der Erwachsenenpädagogik mar- kieren sollte. Er legte mir fünf Fragen bzw. Satzanfänge vor, die ich relativ knapp beantworten sollte. Das Interview bietet einen ersten Einstieg in themati- sche Akzentsetzungen und Problematisierungsweisen Kritischer Erwachsenen- bildung. Wenn ich an die „Bildung Erwachsener“ denke, dann... „...kommen mir als erstes meine eigenen Bildungserfahrungen in den Sinn. Im Gedächtnis haften geblieben sind weniger Crash-Kurse, die mich mit speziellen Computeranwendungen vertraut machen sollten, als vielmehr Seminare, die mich in ungewöhnliche, irritierende Situationen brachten: etwa die ‚Erzähl- Werkstatt‘ im Ostviertel meiner Stadt, in der Menschen unterschiedlichster Her- kunft ihre Lebensgeschichten erzählten und aufschrieben, oder das ‚Training in gewaltfreier Aktion‘ als Vorbereitung auf eine Kampagne der Friedensbewe- gung. Zugleich befällt mich angesichts der aktuellen Umbrüche im Feld der Er- wachsenen- und Weiterbildung das Gefühl, dass solche Lernerfahrungen zuneh- mend an den Rand gedrängt werden und keinen Ort mehr finden. Als Ideal wird uns stattdessen das Bild eines effizienten, pragmatischen, Punkte sammelnden Dauerlerners präsentiert.“ Worin liegt das Spezifische Ihres Zugangs zur Erwachsenenpädagogik so- wie insbesondere Ihrer Forschung und Theorie? „Nun, den großen Reformprogrammen nationaler und internationaler Bildungs- organisationen, die zur Zeit dabei sind, mit immensen Geldmitteln ein neues Re- gime des lebenslangen Lernens zu etablieren, begegne ich mit einer gewissen Skepsis. Meine Texte, meine theoretischen Analysen stehen quer zur grassieren- 1100 Kritische Erwachsenenbildung den Frischwärts-Rhetorik der aktuellen Bildungsreform. Vielleicht könnte man auch so sagen: Es geht mir vor allem darum, die Unruhe, die spannungsvollen Widersprüche der Gegenwartsgesellschaft zu erfassen, in denen sich die Bil- dungsarbeit mit Erwachsenen vollzieht. Dazu braucht man gewissermaßen ein seismographisches Instrumentarium. Ich finde es vor allem in kritischen Gegen- wartsanalysen: etwa in den gesellschaftstheoretischen Entwürfe Theodor W. Ad- ornos oder Michel Foucaults. Beide sind natürlich keine Theoretiker der Erwach- senenbildung, doch verhelfen sie uns zu einem anderen, durchaus befremdlichen Blick auf die Dinge. Ihr Blickwinkel lässt die erwachsenenpädagogische Land- schaft in einem anderen Licht erscheinen. Er inspiriert meine Wahrnehmung der aktuellen Situation wie auch meine kritische Arbeit am theoretischen Selbstver- ständnis der Erwachsenenbildung.“ Welchen besonderen Chancen (um nicht zu sagen: „Herausforderungen“) sehen sich Erwachsenenbildung und Erwachsenenpädagogik derzeit gegen- über? „Was uns zur Zeit als Chancen und Herausforderungen verkauft wird, halte ich eher für Problemanzeigen: Hinter dem Schlagwort von der individualisierten, selbstorganisierten und vernetzten Weiterbildung taucht – ich sprach es bereits an – ein neues Regime auf: das Regime des lebenslangen Lernens, das mit neuar- tigen, gouvernementalen Strategien die Menschen unter Kontrolle zu nehmen versucht. Hier kann nicht der Ort sein, die Logik dieser Strategien eingehender zu analysieren, doch will ich zumindest auf die widersprüchliche Konstellation aufmerksam machen, in die sich diese neuen Kontrollformen verstricken: Sie müssen, um zur Wirkung zu gelangen, die Menschen nicht nur in immer feinma- schigere disziplinierende Netzwerke einspinnen; sie müssen den Menschen zu- gleich ein steigendes Maß an Reflexivität und Eigenverantwortlichkeit zugeste- hen. Dies ist sozusagen die Sollbruchstelle der heraufziehenden Kontrollgesell- schaft, wie Gilles Deleuze unseren gegenwärtigen gesellschaftlichen Zustand be- zeichnet. Es ist die Einbruchsstelle für eine Bildungserfahrung, die die Logik des Konsumierens und Akkumulierens, der Steigerung und Verwertung von Human- kapital überschreitet. Hier zeigt sich Bildung als das, was sie sein kann: als Bruch mit der herrschenden Realität. Der kürzeste Name für Bildung lautet dem- nach: Unterbrechung.“ 1. Kritische Erwachsenenbildung: ein Interview 1111 Welche Gefahren bestehen für die Erwachsenenbildung und ihre Wissen- schaft? „Indem ich soeben über die Risiken der Kontrollgesellschaft gesprochen habe, habe ich auch schon vieles über ihre Gefahren gesagt. Die größte Gefahr für die Erwachsenenbildung ist vielleicht diejenige, die sie schon immer begleitet hat: sich bereitwillig von fremden Interessen in Dienst nehmen zu lassen im guten Glauben, auf diese Weise der Entwicklung, dem Fortschritt, der Aufklärung der Menschen – lauter hehren Zielen also – zu dienen. Doch müssen wir uns der bit- teren Einsicht stellen, dass der Plan von der Abschaffung des Dunkels (so lautet der Titel eines spannenden Romans von Peter Hoeg) uns die finstersten Zeiten bescherte. Dieser irritierenden Erfahrung haben Horkheimer und Adorno bereits in ihrer ‚Dialektik der Aufklärung‘ Ausdruck verliehen. Wir können sie auch in den Entwicklungen und Umbrüchen der Erwachsenenbildung wiederfinden. Häufig genug hat die Erwachsenenbildung ihre wachsende gesellschaftliche Re- levanz mit dem Verlust an kritischer Substanz bezahlt. Wenn es stimmt, dass – wie bereits angemerkt – der kürzeste Name für Bildung ‚Unterbrechung‘ lautet, dann sollte der Ruf nach Netzwerken oder Vernetzung nicht nur Zustimmung, sondern ebenso sehr Skepsis auslösen. Vielleicht ist dies der sicherste Weg, die Erwachsenenbildung an die Kandare zu nehmen und ihre widerständigen Mo- mente zu schleifen.“ Welches sollten die drei prioritären Fragestellungen einer zukünftigen Er- wachsenenbildungsforschung sein? „Erwachsenenbildung gehört zu den Errungenschaften der Moderne. Sie ist ein Kind der Aufklärung – auch wenn sie in die Widersprüche dieses Aufklärungs- prozesses verstrickt bleibt. Dieses aufklärerische Erbe kann sie weder einfach ab- schütteln, noch gegen Geld verhökern. Bildung ist ein Menschenrecht – und sol- che Rechte kann man nicht verkaufen. Dagegen laufen die neuen sozialen Bewe- gungen mit guten Gründen Sturm. In diesen Tagen findet das Weltsozialforum in Caracas statt. Die Menschen, die dort zusammen kommen, stellen eindringliche Fragen, Fragen, denen sich auch die Erwachsenenbildung nicht entziehen kann. Eine dieser zentralen Fragen lautet: Ist Erwachsenenbildung (bzw. Bildung über- haupt) eine Ware? Und was bleibt von ihr übrig, wenn sie nur noch unter Ver- wertungskategorien begriffen wird? Damit verbindet sich ein weitere Problemzu- sammenhang: Wenn Bildung tatsächlich mehr und etwas anderes ist als eine Ware, wenn sie in ökonomischen Tauschverhältnissen nicht aufgeht, wie ist dann eine andere Bildung möglich? Dies ist die zweite grundlegende Frage, vor die 1122 Kritische Erwachsenenbildung sich die Erwachsenenbildung gestellt sieht. Mit dieser Frage verbindet sich ein Blickwechsel, der die Fixierung auf Effizienz- und (Selbst-) Vermarktungsinter- essen löst. Die Frage lautet dann nicht: Wie kann sich jedermann noch effizienter als Besitzer und Verkäufer akkumulierter Bildung ins Spiel bringen? Die dahin- ter stehende Bildungsvorstellung bezeichnet der brasilianische Volkspädagoge Paulo Freire zutreffend als Bankiers-Konzept der Bildung. In sinngemäßer Wei- se spricht z. B. Erich Fromm vom Haben-Modus, der die Existenzweise der mo- dernen Menschen im Tiefsten bestimme und sie unglücklich mache, auch – oder gerade weil – ihnen allenthalben das Glück versprochen wird. Wenn jedoch Bil- dung ihrem eigenen Selbstverständnis nach nicht als Besitz, als Investition, als Ware begriffen werden kann, dann rückt das tätige, handelnde, eigenständige – kurz: das mündige – Subjekt ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Frage lautet dann: Wie können die Eigenkräfte des Menschen gefördert und entwickelt wer- den? Wie können wir den Mut finden, die Strategien zu durchkreuzen, zu unter- laufen oder umzuwenden, mit denen die Kontrollgesellschaft sich unserer be- mächtigt? Auf solche unbequemen Fragen gibt es keine vorgefertigten Antwor- ten. Sie müssen allererst entdeckt oder erfunden werden. Kritische Erwachsenen- bildung erweist sich so gesehen als Entdeckungsreise, als Aufbruch zu neuen Ufern. Das macht sie für mich so attraktiv und spannend.“

Description:
Mit dieser Aufsatzsammlung werden aktuelle Themengebiete der erwachsenenpädagogischen Theoriedebatte aufgegriffen und kritisch diskutiert. Wichtige Orientierungspunkte sind vor allem eine Kritische (Bildungs-) Theorie und die Machtanalytik Foucaults. Angesichts der gesellschaftlichen Krisendynamik,
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