Ekkart Zimmermann· Krisen, Staatsstreiche und Revolutionen Studien zur Sozialwissenschaft Band 47 Westdeutscher Verlag Ekkart Zimmermann Krisen, Staatsstreiche und Revolutionen Theorien, Daten und neuere Forschungsansiitze Westdeutscher Verlag CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Zimmermann, Ekkart. Krisen, Staatsstreiche und Revolutionen: Theorien, Daten u. neuere Forschungsansatze/Ekkart Zimmermann. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1981. (Studien zur Sozialwissenschaft; Bd. 47) ISBN 978-3-531-11487-3 ISBN 978-3-322-96989-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-96989-7 NE:GT © 1981 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Umschlaggestaltung: studio fUr visuelle kommunikation, Diisseldorf Aile Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfiiltigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung 8 1. Einleitung 9 2. Demokratie und Protest 13 2.1 Beziehungen zwischen Demokratie und Protest 14 2.2 Protest als Preis fUr das Oberleben von Demokratien? 17 2.3 Zu den Folgen von Protest .................. . 19 3. Krisen und Krisenfolgen: Zur Entwicklung eines neuen krisentheoretischen Ansatzes ........................................... 23 3.1 Einleitung ....................................... 23 3.2 Krise: einige Definitionen, Typologien und Ansatze ............ 24 3.3 Legitimitat und Legitimitatskrisen: zur Entwicklung eines syntheti- schen Modells ..................................... 26 3.4 Einige andere Erklarungsskizzen ......................... 48 3.5 Krisen und Krisenfolgen in demokratischen Industriegesellschaften: einige operation ale Oberlegungen zu einem Forschungsprojekt ..... 53 3.5.1 Einleitung: Zur Abgrenzung des Forschungsvorhabens ...... 53 3.5.2 Ein vereinfachtes operation ales Modell zur Analyse von Krisen und Krisenfolgen in demokratischen Industriegesellschaften . .. 55 3.5.3 Politische Systemkrisen als Entscheidungsherausforderungen .. 60 3.5.4 Reaktionen auf Krisen ........................ 67 3.5.5 Aktiver Dissens ....................... 70 3.5.6 Pradeterminierte Variablen ("Krisenursachen") .. 71 3.5.7 Schlugbemerkungen ......................... . 73 4. MilitCirische Staatsstreiche im internationalen Vergleich ............ . 75 4.1 Definitionen und Typologien .......................... . 79 4.2 Zur Erklarung militarischer Staatsstreiche .................. . 84 4.2.1 Merkmale des Militars als Bestimmungsgriinde fur die Inzidenz von Staatsstreichen ....................... . 84 Unzufriedenheit des Militars ....... . 85 Groge des Militars .................... . 86 Professionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. ......... 89 4.2.2 Wirtschaftliche Bestimmungsgriinde . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 91 Wirtschaftliche Entwicklung . . . . .. 91 Wirtschaftlicher Niedergang ........................ 92 5 4.2.3 Sozio-politische Bestimmungsgrunde .................. 94 Soziale Mobilisierung ............................ 94 Pratorianismus ................................ 96 Demokratie und politische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 109 Diffusion .................................... 110 Koloniale Erbschaft ............................. 114 Militarhilfe ................................... 115 Auslandische Vetomacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117 Militariscbe Staatsstreiche in der Vergangenheit . . . . . . . . . .. 117 Spaltungen im Militar ............................ 119 Personliche Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 121 Externer Krieg ................................ 122 Innere Unruh en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122 Kultureller Pluralismus ........................... 123 4.2.4 Einige taktische und analytische Oberlegungen ........... 123 4.3 Ein Kausalmodell zur Erklarung militarischer Staatsstreiche . . . . . .. 125 Einige Folgerungen ................................. 128 5. Vergleicbende Revolutionsanalyse: Auf dem Wege zu einer kritiscben 8e standsaufnabme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 135 5.1 Einleitende Bemerkungen ............................. 135 5.2 Zur Definition von Revolutionen ........................ 138 5.3 Revolutionstypologien ............................... 145 5.4 Versuche der Erklarung von Revolutionen .................. 153 5.4.1 Personlichkeitsansatze ........................... 153 5.4.2 Auf dem Wege zur Entwicklung einer sozial-strukturellen und politischen Erklarung: einige zentrale Variablen . . . . . . . . . .. 154 5.4.3 Die theoretischen Ansatze von Huntington, Moore und Skoc- pol ..................... :.................. 165 5.4.3.1 Huntington . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 165 5.4.3.2 Moore ................................ 171 5.4.3.3 Skocpol ............................... 181 5.4.4 Einige Bemerkungen tiber Bauern und Bauernrevolutionen (unter Einschlug zweier Exkurse tiber Guerillakrieg und politi schen Terrorismus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183 Guerillakrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 190 Politischer Terrorismus .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 194 5.4.5 "Natural-history-Ansatze" ......................... 206 5.4.6 Einige weitere empirische Revolutionsstudien ............ 208 5.4.6.1 Die J-Kurven-Hypothese (Davies) .............. 210 5.4.6.2 "Eine Theorie der Revolution" (TanterIMidlarsky) 213 5.4.6.3 "Auf dem Wege zu einer Theorie politischer Instabilitat in Lateinamerika" (MidlarskyITanter) ........... 214 5.4.6.4 Die Studie von Calvert ..................... 215 5.4.6.5 Eine Studie tiber cubanische Arbeiter (Zeitlin) . . . . .. 216 6 5.4.6.6 Sozialgeschichtliche Analysen revolutionarer Pro teste .. 217 5.4.6.6.1 Analysen kollektiver Gewalt in Frankreich, Italien und Deutschland von 1830 bis 1930 (Tilly und Mitarbeiter) ............... 217 5.4.6.6.2 Analysen revolutionarer Massen (Rude) .... 236 5.4.7 Ein Kausalmodell von Revolutionen .................... 249 5.5 Die cross-nationale Analyse von Revolutionen: einige SchluBbemerkun- gen und Folgerungen ................................. 257 6. Schluftbemerkungen .... 264 Anmerkungen ....................... . 267 Bibliographie . . . . ... . 340 Personenregister . . . . . . .. 408 Sachregister . . . . . . .. . ....... . 420 Abbildungen 2-1 Demokratie und Protest: ein Kausalmodell .................... 16 3 -1 Ein langfristiges Kausalmodell der Beziehungen zwischen "Kernvaria- bien", die das Oberdauern politischer Systeme erklaren ............ 33 3-2 Ein "kurzfristiges" Modell der Beziehungen zwischen "Kernvariablen", die das Oberdauern politischer Systeme erklaren ................ 40 3-3 Ein (einfaches) operationales Modell zur Analyse von Krisen und Krisen- folgen in demokratischen Industriegesellschaften ................ 55 4-1 Ein Kausalmodell militarischer Staatsstreiche .................. 126 5 -1 Revolutionen und andere F ormen (gewaltsamen) politischen Protests .. 149 5-2 Ein einfaches Modell revolutionaren Umsturzes ................. 163 5-3 Bediirfnisbefriedigung und Revolution (die J-Kurven-Hypothese) .. 210 5-4 Das allgemeine Kausalmodell von Tilly et al. ................... 227 5-5 Eine revidierte Fassung von Tillys Modell des Machtkampfes ........ 232 5-6 Kausalmodell wichtiger Variablen, die vermutlich die Wahrscheinlichkeit einer Mobilisierung des Akteurs A in einer Situation potentiellen Kon- fliktes mit Akteur B beeinflussen ........... 236 5-7 Ein Kausalmodell von Revolutionen ........................ 250 Tabellen 3-1 Das politische System: seine Anhanger und Gegner .............. 42 3-2 Eine Typologie von Krisensituationen ........ .............. 52 3-3 Ergebnisse von Krisen: Zur Struktur der abhangigen Variable(n) . 59 4-1 Eine Obersicht iiber die Haufigkeit militarischer Staatsstreiche ....... 76 4-2 Regionale Verteilung militarischer Staatsstreiche ................ 76 4-3 Einige abhangige Variablen bei der Analyse militarischer Staatsstreiche . 131 7 Vorbemerkung Der Gesamthochschule Wuppertal danke ich, dag sie mir bei dem knappsten Gut heutiger Hochschul- und Forschungspolitik, einer kompetenten Schreibkraft, auf unbiirokratische Weise geholfen hat. Frau Edith Meier hat das Manuskript schnell und gewohnt zuverlassig getippt. Ihr gilt mein besonderer Dank. Fiir Kommentare zu friiheren Fassungen einzelner Abschnitte der vorliegenden Arbeit habe ich ver schiedenen Kollegen und Freunden zu danken. Dies ist auch bereits an anderer Stelle geschehen, so dag ich hier namentlich nur Erich Weede (Universitat zu Kaln) hervorheben machte. Ihm verdanke ich eine Vielzahl von Anregungen im Laufe der Jahre. Urn dem Leser eventuelle Doppelarbeit zu ersparen, ist schlieglich zu vermerken, dag die Kapitel 1 und 6 der vorliegenden Arbeit neu geschrieben worden sind, die Kapitel 3-5 in einer yom Material her zum Teil umfangreicheren Weise auch an demorts behandelt worden sind (Zimmermann 1981; 1979a; 1978), teilweise aber auch hier fortgefiihrt sind und dag das Kapitel 2 eine Umarbeitung eines vor kurzem erschienenen Zeitschriftenaufsatzes darstellt (Zimmermann 1980b; mein entspre chender Dank gilt Verlag und Herausgebem des Archivs fiir Rechts-und Sozialphilo sophie). Erstmalig wird hier in deutscher Sprache versucht, die Forschungen iiber Krisen, militarische Staatsstreiche und Revolutionen im Zusammenhang zu behan deln. 8 1. Einleitung Karl Marx hatte oder machte es sich einfach, wenn er Mitte des 19. Jahrhunderts behauptete, daB "eine Revolution nur moglich im Gefolge einer ... Krisis [ist]. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese. ,,1 Denn weder haben Krisen wie behauptet notwendig zu Revolutionen geflihrt, noch ist ohne weiteres klar (zumindest nicht aus international vergleichender Perspektive), was Krisen sind, wie diese in (fortge schrittenen) Industriegesellschaften entstehen und wie auf diese reagiert wird. Ahn lich unzureichend ware der Versuch, Krisen und Revolutionen allein liber das Krite rium der Verbreitung und der Intensitat des Gewaltgebrauches zu verknlipfen. Eine solche Analyse wiirde zusatzlich noch dadurch kompliziert, daB (militarische) Staatsstreiche als Konflikte unter Eliten, in denen Gewalt die entscheidende Rolle spielt, selbst wenn diese nicht eingesetzt wird, in die Untersuchung miteinzubezie hen waren. Coups waren auch noch in anderer Hinsicht mit Revolutionen in Beziehung zu setzen: werden namlich Revolutionen nur post festum als grundlegender sozialer und politischer Wandel definiert, so waren beide Varianten einer "Revolution", re volutionare Staatsstreiche und die sogenannten Massenrevolutionen, in ein-und die selbe Analyse miteinzubeziehen. In den langfristigen Konsequenzen mogen revolu tionare militarische Staatsstreiche ein interessantes Vergleichsobjekt zu Revolutionen darstellen. Doch wird zumindest letztere Perspektive hier ausgeklammert. In jedem Fall kann ein Kausalmodell revolutionarer Staatsstreiche mit weniger explikativen Variablen als ein Modell von Massenrevolutionen auskommen. Aulkrdem sei hier bereits hervorgehoben, daB liber die wechselseitigen Zusam menhange von Krisen, Staatsstreichen des Militars (urn die es hier geht) und Revolu tionen vergleichsweise wenig ausgesagt wird. Vielmehr stehen diese drei Teile weit gehend nebeneinander. Dies ist einerseits in dem Ziel dieser Arbeit begrlindet, Stand der Theorienbildung und empirische Befunde in drei bislang in der Forschung eher getrennt behandelten (aber zusammengehorigen) Forschungsbereichen aufzuarbei ten - der vergleichenden Krisenforschung, der Analyse militarischer Staatsstreiche und der vergleichenden Revolutionsanalyse -, Sackgassen, aber auch Wege der Fort entwicklung aufzuzeigen und letztere - wo im Rahmen der vorliegenden Arbeit moglich - selbst bereits zu gehen. (Daraus erklart sich auch z. T. der Untertitel die ser Arbeit: "Theorien, Daten und neuere Forschungsansatze".) Zum anderen hat dies seine Ursache darin, daB yom "Einzelnen zum Ganzen" vorangeschritten wer den muB. Betrachtet man den empirisch begriindeten Wissensstand in den drei Ge bieten und bedenkt man auBerdem, wie selten Revolutionen sind und welche Kon sequenzen dies fUr eine empirisch betriebene hypothesentestende Wissenschaft hat (bzw. haben kann), so erscheint diese Beschrankung zum gegenwartigen Zeitpunkt ratsam. 9 Auch bleibt als Unterscheidung zu beachten, daB die Ausfiihrungen im Krisen kapitel (Kap. 3) vorwiegend analytischer Natur sind und sich weitgehend auf west liche Industriegesellschaften beziehen, die Aussagen iiber die Ursachen (und Konse quenzen) von militarischen Staatsstreichen dagegen vorwiegend Lander der soge nannten Dritten Welt zum Gegenstand haben und die Abschnitte iiber Revolutionen eine Mischung aus analytischen Aussagen und historischen Beziigen darstellen. Kurz urn, abgesehen von den theoretischen Grundfragen, welche Faktoren in einer Ge sellschaft zu Krisen, Krisen unter Eliten (Coups) und zu revolutionaren Umstiirzen fiihren und/oder beitragen, sind die Raum-Zeit-Beziige in den drei Kapiteln stark verschieden. Beriicksichtigt man das vorliegende empirische Material und halt zu gleich an einer grundsatzlich analytischen Ausrichtung der Darstellung fest, so laBt sich eine solche "Inkonsistenz" nicht vermeiden. Sie kann sogar im Gegenteil als eine Art differentia specifica von Vorteil sein. Dies wiirde etwa implizieren, daB Re volutionen in fortgeschrittenen Industriegesellschaften u. a. deshalb relativ unwahr scheinlich sind, weil sich die historischen Bedingungen, die andernorts und/oder zu anderen Zeiten Revolutionen erlaubt haben, verandert haben. Der Aspekt der politischen Gewalt wird hier nicht in den Vordergrund geriickt (s. dazu die Analyse bei Zimmermann 1977) und auch nicht mehr in weitgehend isolierter Betrachtung abgehandelt (was damals wegen des Erschreckens iiber den Ausbruch der Gewalt inden 1960er J ahren undfriihen 1970er Jahren verstandlich war), sondern vielmehr in einen weiteren Kontext, den von Systemstabilitat bzw. im Faile von Revolutionen: Systemtransformation eingebettet. Die Frage der politischen Ge walt bleibt also nicht auf den Einsatz von Gewalt in Auseinandersetzungen zwischen Eliten im Rahmen militarischer Staatsstreiche beschrankt. Auch werden zu Anfang in knapper summarischer Form einige der wesentlichen Resultate aus der verglei chenden makropolitischen Gewaltforschung in weiterfiihrender Interpretation be handelt. Dabei steht die Frage der Beziehung zwischen Demokratie und gewaltsa mem Protest im Vordergrund. Die vorliegende Arbeit ist aus der Sicht der makropolitischen Konfliktforschung (s. Zimmermann 1978 a) geschrieben, fiir die die quantitative Ausrichtung, nicht nur begrenzt auf jeweils ein spezielles Land oder eine kleinere Untersuchungsein heit, sondern nach Moglichkeit in Form internationaler Vergleiche kennzeichnend ist. (In diesem Sinne ist - zumindest der Richtung nach - die Qualifikation: "neue re" [natiirlich nicht ausschlieBlich] Forschungsansatze im Untertitel zu verstehen). Der Schwerpunkt liegt hier auf sozialstrukturellen und politischen Bedingungen fiir Krisen, militarische Staatsstreiche und Revolutionen, nicht auf der Vielfalt ideolo gischer Faktoren (oder der Struktur von Ideensystemen) und ihrem EinfluB auf die hier zu behandelnden Phiinomene. Damit soli keineswegs die Bedeutsamkeit von po litischen Ideen in Abrede gestellt werden. Angesichts der Unmenge von Publikatio nen zu den genannten Untersuchungsgebieten war eine Beschrankung wie im hier genannten Sinne notwendig, urn iiberhaupt einen Weg durch die Materialfulle finden zu konnen. Ferner gehen wir - im Einklang mit wahrscheinlich den meisten Sozial wissenschaftlern - von der Pramisse aus, daB der EinfluB sozialstruktureller und po litischer Faktoren wahrscheinlich groBer als der von Ideensystemen (zumindest in 10