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Kriminalität und Sicherheitspolitik: Analysen aus London, Paris, Berlin und New York PDF

134 Pages·2003·3.433 MB·German
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Kriminalität und Sicherheitspolitik Sylke Nissen (Hrsg.) Kriminalität und Sicherheitspolitik Analysen aus London, Paris, Berlin und New York Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2003 Die Beiträge von Janet Poster, Sophie Body-Gendrot und Peter Marcuse wurden von Sylke Nissen aus dem Englischen ins Deutsche übertragen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Tite1datensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-3960-6 ISBN 978-3-663-10561-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10561-9 © 2003 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Verlag Leske + Budrich, Opladen 2003 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für VervieWiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Springer Fachrnedien Wiesbaden GmbH Inhalt Sylke Nissen Sicherheitspolitik auf lokaler Ebene. Zur Einleitung .. ... ... ... ......... ... ........ 7 Janet Foster Kriminalität und Strafverfolgung in London. Zur Interdependenz von öffentlichem Klima, Medien und Politik .......... 13 Sophie Body-Gendrot Von sozialer Prävention zu kompromissloser Strafanwendung: Paris und seine Peripherie ............ ........ ... ........ .............. ............. ..... .... ..... 43 Volker Eick "Und das ist auch gut so ... " Polizieren im Berlin des 21. Jahrhunderts 67 Peter Marcuse Die Manipulation der Kriminalitätsangst. Anti-Terrorismus als Verlagerung der Unsicherheit nach dem 11. September ........................ ... ........ ... ....... ........ ......... ... ................ .... ..... 89 Sylke Nissen Vom Nutzen des Kriminalitätsschadens oder: Verbrechen zahlt sich aus ........................................................................ 103 Literatur ................................................................................................... 127 Autorinnen und Autoren .......................................................................... 137 Sylke Nissen Sicherheitspolitik auf lokaler Ebene. Zur Einleitung Großstadtforschung hat eine lange Tradition und beschäftigt sich immer wieder mit den Spezifika, die das Zusammenleben von vielen Menschen auf engem Raum hervorbringt. Die Heterogenität von Menschen und Lebensstilen, ideel ler und materieller Reichtum, kulturelle Vielfalt und ökonomisches Potential von Metropolen gelten als Ausweis ihrer Attraktivität. Diese Eigenschaften machen sie jedoch nicht nur für viele Bürger zum lebenswerten Wohnort und für Besucher interessant, sondern auch zum Ort von Handlungen am Rande der Legalität. Durch ihre Anonymität sind Großstädte Anziehungspunkte für ge sellschaftliche Randgruppen, für Immigranten, sozial Schwache, illegale Exi stenzen und Kriminelle. Armut, Kriminalität und Illegalität verstärken die oh nehin vorhandenen Tendenzen zur Polarisierung in den Städten und rufen Be darf an öffentlich wie privat hergestellter Sicherheit hervor. Die Möglichkeiten der Städte, auf soziale Probleme und Kriminalität zu reagieren, sind strukturell vielfältig, faktisch zeigen die in diesem Band ver sammelten Analysen aus New York und London, Paris und Berlin, dass die Wahl der Mittel immer deutlicher zugunsten einer verschärften Sicherheits politik ausfällt. Die Frage, ob und wie eine Kombination von kriminalitäts und sozialpolitischen Konzepten in den Städten politisch gestaltet werden könnte, stellt sich angesichts der Dominanz der Kriminalitätsbekämpfung kaum noch. Die vorliegenden Beiträge verbindet daher die Beobachtung, dass die Relevanz von Kriminalität in Städten erheblich zugenommen hat und Kriminalitätsbekämpfung als lokalpolitische Aufgabe seit einiger Zeit einen anderen Charakter erhält. An den politischen Deutungen von Kriminalität läßt sich ein Wechsel von der Ursachenforschung und -bekämpfung zur Im plementation von Präventions- und Kontrollmaßnahmen feststellen. Die Analysen aus den vier Städten machen deutlich, wie unterschiedliche Groß städte mit unterschiedlichen politisch-administrativen Strukturen und unter schiedlichen politischen Hintergründen gleichwohl auf ein gemeinsames Ziel zu steuern, nämlich auf die Etablierung einer effizienten Polizeipolitik im lo kalen Rahmen, mit der das Kriminalitätsproblem erfolgreich bearbeitet und der Erfolg den politischen Akteuren zu geschrieben werden kann. 8 Sylke Nissen In allen vier Großstädten, die in diesem Band untersucht werden, haben vor nicht all zu langer Zeit politische Zäsuren statt gefunden. In London be endete die Wahl des Bürgermeisters Ken Livingstone im Jahr 2000 ein 14jähriges Vakuum, in Paris wurde im Frühjahr 2001 mit Bertrand Delanoe zum ersten Mal ein Sozialist ins Bürgermeisteramt gewählt. In New York City ging 2001 mit der Wahl Michael Bloombergs die Ära Giuliani zu Ende und im selben Jahr löste der Sozialdemokrat Klaus Wowereit Eberhard Diep gen als Regierender Bürgermeister in Berlin ab, der abgesehen von einer kur zen Unterbrechung zwischen 1989 und 1991 seit 1984 dieses Amt inne ge habt hatte. Angesichts der politischen Einschnitte und der damit verbundenen Neuorientierung oder -akzentuierung kommunaler Strategien ist die Untersu chung der lokalpolitischen Bedeutung von Kriminalität und Kriminalitätsbe kämpfung gerade in diesen Städten besonders lohnenswert. Die ersten beiden Analysen aus London und Paris betonen die starke Be deutung der jeweiligen Zentralregierung für die kommunale Ebene. Die sicher heitspolitische Handlungsfähigkeit der lokalen politischen und Polizeiadmi nistrationen wird in diesen beiden Städten erheblich durch externe Faktoren eingeschränkt. In London ist der Einfluss der Regierung auch noch nach der Wahl von Bürgermeister Livingstone und seinem Stadtrat wirksam, wie Janet Foster zu Beginn ihres Beitrages in der Auseinandersetzung mit den neuen 10- kalpolitischen Strukturen der britischen Hauptstadt zeigt. Die Neuordnung der Londoner Administration hat nicht verhindern können, dass die sicherheitspo litische Verantwortung des Londoner Bürgermeisters mit den Interessen der Polizeileitung und des Innenministeriums in Konflikt gerät. Foster untersucht politische Strategien, Polizeiarbeit und die Politik der Kriminalitätsbekämpfung in London. Dabei geht sie den Gefahren eines Kampfes gegen das Verbrechen nach, der ohne tiefgründiges Verständnis von dessen Komplexität geführt wird und der auch die Implikationen von Gewalt- und Kriminalitätsdarstellungen in den Medien vernachlässigt, die doch als ein vitaler Auslöser des politischen Kriminalitätsdiskurses anzuse hen sind. Wie in vielen anderen europäischen Städten ist Kriminalität in zwischen auch in London ein äußerst profiliertes Thema und wie anderswo können es sich Politiker zur Zeit nicht erlauben, Nachsicht bei der Bekämp fung von Kriminalität zu zeigen. Die New Labour-Regierung hat mit dem Hinweis to be tough on crime Polizei und andere Behörden zu erhöhten Anstrengungen zur Kriminalitätssenkung angetrieben. Die zahllosen Video Überwachungskameras, die Einwohner und Touristen in London an U Bahn-Eingängen, an Busspuren und Ampeln, an Regierungsgebäuden, Konsulaten, Banken, Firmenvertretungen und auch an Pubs bei Schritt und Tritt verfolgen, sind bizarrer Ausdruck der überzogenen, aber auch ge schürten Sicherheitsobsession. Allerdings, so Foster, beruht der beobacht bare Politikwandel häufig auf irrigen Basisannahmen und wird von kurzfri stigen und stark vereinfachenden Vorstellungen über die Dynamik der Kriminalitätsprävention beeinflußt. Einleitung 9 Der Beitrag von Foster bezieht sich empirisch auf zwei Fallstudien: Zum einen richtet sich ihr Interesse auf einen Untersuchungsausschuß, der sich mit dem Tod eines farbigen Jugendlichen in London und dem Polizeiverhalten im Anschluss an diesen Vorfall beschäftigt. Zum anderen beschäftigt sie sich am Beispiel von Straßenkriminalität mit "Moralpaniken", die medial verstärkt und politisch instrumentalisiert werden. Für London folgt aus Fosters Analyse, dass bislang weder die Schaffung neuer administrativer Strukturen noch die Inaugu ration eines Bürgermeisters großen Einfluß auf Kriminalität und policing in der britischen Hauptstadt gehabt haben. Öffentliche Sicherheit bleibt fest in der Hand der Polizei und der britischen Regierung, die in ihrer tough on crime Rhetorik von Teilen der Medien unterstützt wird. Aus den Fallstudien werden zudem die Politisierung von Kriminalität und der daraus resultierende Wandel in der Sicherheitspolitik deutlich, der sich in einem nachlassenden Interesse an der Erforschung und Bekämpfung der Ursachen von Kriminalität und in der Zunahme harter Maßnahmen zur Kriminalitätsprävention manifestiert. Diese Tendenz stellt auch Sophie Body-Gendrot im zweiten Kapitel für Paris fest. Sie skizziert die französische Hauptstadt zunächst als "sanfte" glo bal city und wählt dieses Bild als Hintergrund für ihre Diskussion der Ent wicklung und Spezifika von Kriminalität, Sicherheitspolitik und Sicherheits gefühl in Paris. Die Popularität von Prävention als nationaler Strategie zur Verhinderung und Bekämpfung von Kriminalität war auf einem Höhepunkt angelangt, als die französische Linke in den 1980er Jahren die Regierung übernahm. Ende der 80er Jahre lösten sich diese Handlungskonzepte jedoch in allgemeiner politique de la ville auf und die Prioritäten der Stadtpolitik lagen nach den Vorstellungen der französischen Bürgermeister in der Wiederaufnahme von Sozialwohnungsprojekten und Stadtentwicklung. Anfang der 1990er Jahre traf die Rückkehr der Rechten an die Macht mit Anzeichen zusammen, dass das französische Präventionsmodell sich verbraucht hatte, so dass Politiker aller Richtungen nach repressiveren Maßnahmen riefen. Body-Gendrot zeigt, dass die dann Ende der 1990er Jahre zum ersten Mal unterzeichneten lokalen Sicherheitskontrakte (contrats local de securite) und die darin verankerte "bürgernahe" Polizeiarbeit die Rückkehr der nationalen Polizeibehörde als Hauptakteur markieren. Sie erklärt das dieser Entwicklung inhärente Risiko, das aus dem Aufeinandertreffen verschiedener institutioneller Akteure einer seits und einem sicherheitspolitischen top down-Ansatz andererseits entste hen kann, der Bürger und soziales Kapital unberücksichtigt läßt. Darüber hinaus zeigt sie die Spaltung der Stadt in ein eher gesichertes Zentrum und wachsende Unsicherheit in der Peripherie. Diejenigen, die Angst vor Kriminalität haben, weil die Opferwahrscheinlichkeit hoch ist, le ben eher in den vernachlässigten banlieues der Peripherie. Dort wird auf Kriminalität mit polizeilicher Härte reagiert, was die Zustimmung auch jener hervorruft, die im gesicherten Zentrum zwar nur eine allgemeine Besorgnis wegen der Kriminalitätsentwicklung äußern, aber für die politischen Akteure 10 Sylke Nissen als Wähler von hoher Bedeutung sind. Das politische Interesse an der Ge währleistung von urbaner Sicherheit richtet sich daher in Paris eher auf das Zentrum der Stadt, während die sichtbaren Maßnahmen zur Bekämpfung der Kriminalität eher in den äußeren Ringen stattfinden. Diese Kluft zwischen Zentrum und Peripherie ist der sichtbare Ausdruck der Spaltung der Stadt in Reich und Arm. Aber Paris ist diesbezüglich natürlich keine Ausnahme. Alle Metropolen zeigen Formen räumlicher Segregation, und wie in Paris kann man auch in Berlin sicherheitspolitische Reaktionen auf Spaltungstendenzen beobachten. In seinem Beitrag dokumentiert Volker Eick, wie die zentralen Sicherheitsa genturen der Stadt - die Landespolizei, das kommerzielle Sicherheitsgewerbe und freie Träger (Nonprojits) -, unter dem Deckmantel integrativer Ziele ag gressive Sicherheits- und Ordnungs politik im Auftrag des Senats umsetzen und ihre Aktivitäten auf spezifische städtische Areale und marginalisierte Bevölkerungsgruppen konzentrieren. Die Berliner Landespolizei hat durch neu geschaffene Instrumentarien die Voraussetzungen dafür erhalten, an be stimmten Orten der Stadt Aufenthaltsverbote zu erteilen und Bürgerrechte zu suspendieren. Die Zusammenarbeit zwischen Polizei und kommerziellen Si cherheitsdiensten wurde zudem unter dem neuen SPDIPDS-Senat vertraglich fixiert und ausgebaut. Damit eröffnen sich den privaten Sicherheitsdiensten neue Handlungsfelder im öffentlichen Raum, die es ihnen ermöglichen sol len, zu gleichberechtigten Partnern der Polizei aufzusteigen. Dabei, so Eick, konzentriert sich der Einsatz dieser Sicherheitsdienste, deren Mitarbeiter zu Niedrigstlöhnen und tarifrechtlich kaum gesicherten Arbeitsbedingungen tä tig sind, in weiten Teilen auf die Beseitigung und Kontrolle von städtischen Armen. Auch die dritte Gruppe sicherheitspolitischer Akteure in Berlin wird zu nehmend im öffentlichen Raum tätig. Ein Konglomerat aus gemeinnützigen Organisationen beschäftigt als Maßnahmeträger des Arbeitsamtes Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger und bildet sie im Vorgehen gegen incivilities und disorder aus. Ihre Tätigkeiten werden als Integrationsmaßnahmen von Hil feempfängern beschrieben, in der Praxis laufen sie jedoch darauf hinaus, dass Arme andere Arme aus Parks, von öffentlichen Plätzen oder Orten der high consumption vertreiben müssen. Eick hebt die über verschiedene Senate in Berlin ungebrochene Kontinuität dieser Vertreibungspolitik hervor, die auf eine Beseitigung der Armen, nicht aber auf eine Beseitigung der Armut zielt. Im vierten Kapitel dehnt Peter Marcuse, ausgehend von den New Yorker Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre, den Analyserahmen über die städti schen Grenzen aus. Er interessiert sich für die Wirkung von politischen Stra tegien, die zwar im Namen der Kriminalitätsprävention ergriffen wurden, faktisch jedoch demokratiepolitische Disziplinierung erzeugen sollen. Am Beispiel der jüngeren Entwicklung New York Citys zeigt Marcuse den Ein fluss von Maßnahmen, die vorgeblich der Verminderung von Kriminalität dienen sollen, auf die sozialen Funktionen von Städten. Einleitung 11 Unter der Führung des konservativen Bürgermeisters Rudolph Giuliani verfolgte New York City eine Kriminalpolitik, die landläufig als zero to lerance-Strategie bezeichnet wird. Gemäß der Theorie der "zerbrochenen Fensterscheiben" bezog sich Null-Toleranz in New York City im ersten Schritt auf die Bekämpfung von kleineren Beeinträchtigungen der Lebens qualität wie durch Bettler in der U-Bahn oder das unaufgeforderte Reinigen von Windschutzscheiben an Ampeln. Zugleich wurde aber auch begonnen, präventiv die Gefahr öffentlicher Ruhestörungen zu bekämpfen. Immer wie der wurden Zusammenkünfte oder Demonstrationen vor dem Rathaus ver boten, auch wenn diese Maßnahmen von den Gerichten wiederholt als ver fassungswidrig verurteilt wurden. Insgesamt erzeugte diese Politik, so Mar cuse, eine repressive law and order-Atmosphäre in der Stadt, indem sie die Verhaltensfreiheit und die Vielfalt in einigen Stadtvierteln ebenso ein schränkte wie die Rede- und Versammlungsfreiheit in der Öffentlichkeit. Der Effekt auf die schwere Kriminalität war dagegen nicht bemerkenswert. Marcuses Kernthese lautet nun, dass die Ursachen von Kriminalität oder Möglichkeiten ihrer Prävention nicht die entscheidenden Determinanten da für sind, welche Politik zur Kontrolle und Bekämpfung von Kriminalität er griffen wird. Vielmehr bestimmen politisch perzipierte Kontrollerfordernisse, die durch wachsende Spannungen zwischen sozialen, ökonomischen, ethni schen Gruppen in der Stadt entstehen, die Wahl der sicherheitspolitischen Maßnahmen. Kriminalitätskontrolle ist folglich ein Mittel, um Unzufrieden heit und Widerstand zu unterdrücken. Diese These ist allerdings im gegen wärtigen öffentlichen Diskurs nicht sehr prominent, denn der 11. September 2001 hat der Kriminalitätsdiskussion eine neue Variante hinzugefügt: den Anti-Terrorismus. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 wurde der repressive Aspekt der Kriminalitätsbekämpfungsmaßnahmen deutlich verstärkt. Befug nisse, Überwachungen mit Hinweis auf Schutz gegen terroristische Akte zu installieren, wurden ausgedehnt. Der legale Aktionsradius von Immigranten wurde auf lokaler wie nationaler Ebene verringert und auch die Intoleranz der Bevölkerung gegenüber abweichendem Verhalten, schon gegenüber abwei chendem Aussehen, hat die Handlungsfreiheit für viele Bürger eingeschränkt. Die freiheitsbeschränkende Wirkung der zahlreichen politischen Maßnahmen ist konsistent in einem konservativen Demokratieverständnis, das die Angst vor Terrorismus dazu nutzt, um Strategien zu institutionalisieren und zu ver teidigen, die von ihren Befürwortern auch ohne die Drohung des Terrorismus gewünscht werden. Es gibt keinen rationalen Zusammenhang dieser Strategi en mit der terroristischen Gefahr, sondern eher mit der Aufrechterhaltung ei ner stabilen gesellschaftlichen "Ordnung" ohne unwillkommene Opposition oder die Manifestation von Alternativen. Marcuse kommt daher zu dem Schluß, dass die Maßnahmen zur Kontrolle von Kriminalität oder Terroris mus selbst eine Bedrohung demokratischer Gesellschaften darstellen, die sie eigentlich schützen sollen. 12 Sylke Nissen Im letzten Beitrag dieses Bandes gehe ich der allen vorangegangenen Analysen inhärenten These einer politischen Funktion des Kriminalitätsdiskur ses und der Kriminalitätspolitik nach. Die Kriminalsoziologie führt seit langem eine umfangreiche Debatte über ökonomische, gesellschaftliche oder soziale Funktionen von Kriminalität. Dabei wird einerseits die vielfältige Disfunktio nalität von Kriminalität diskutiert, andererseits werden individuell und gesell schaftlich positive Funktionen von Kriminalität thematisiert. Vor allem der er ste Diskussionsstrang führt die öffentliche wie fach wissenschaftliche Diskussi on dazu, über Strategien zur Kriminalitätsverringerung und -vermeidung nach zudenken. Die empirische Dominanz dieser Herangehensweise ist überdeutlich und wird mit dem statistisch belegten Kriminalitätsanstieg begründet. Bei ge nauerem Hinsehen mehren sich allerdings die Zweifel an der Aussagefähigkeit von Daten zur Kriminalität. Die rhetorische und praktische Vehemenz der Kriminalitätsbekämpfung muss also andere Ursachen haben. In Fortführung der Funktionalitätsüberlegungen suche ich die Gründe für den erheblichen Stellenwert, den Kriminalität und Kriminalitätsbekämpfung in der Stadtpolitik erlangt haben, in der politisch-taktischen Bedeutung von Sicherheitspolitik vor allem für politische Akteure. Gerade auf der lokalen Ebene, wo politische Akteure ihrer Klientel be sonders nah sind und enge Rückkoppelung zwischen Politik und Bevölke rung herrscht, spielen Kriminalität und Sicherheitspolitik strategisch für poli tische Akteure eine bedeutsame Rolle und eignen sich besonders gut zur Er langung politischen Erfolges. Die politisch intentionale Verankerung von Kriminalität auf der lokalen Politik-Agenda zahlt sich aus, weil der sachliche Erfolg zum einen verhältnismäßig leicht herzustellen ist und zum zweiten die politischen Akteure durch ihren Einsatz in diesem Politikfeld grundsätzlich Handlungs- und Problemlösungsfähigkeit beweisen können. In New York City ist Rudolph Giuliani mit einer solchen politischen Instrumentalisierung von Kriminalität bereits außerordentlich erfolgreich gewesen. Und auch in den anderen, in diesem Band diskutierten Städten bekommt der Bedeutungs zuwachs von Kriminalität und Sicherheitspolitik als Ausdruck rationalen Akteursinteresses einen politisch-strategischen Sinn, der über die Frage des Positionskampfes kriminologischer Schulen hinausgeht. Die hier in diesem Band zusammengetragenen Aufsätze gehen auf eine Ad Hoc-Gruppe zum Thema Sozialpolitik und Polizei in New York, London, Paris und Berlin. Ein neuer Sicherheitsmix in Metropolen? zurück, die auf dem 31. Kongress für Soziologie im Oktober 2002 in Leipzig zusammenkam. Ich danke der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und der Leipziger Kon gressorganisation für die Unterstützung bei der Vorbereitung der Ad Hoc Gruppe und allen Autorinnen und Autoren dieses Bandes für ihr Engagement und ihre Kooperation.

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