Konspiration Andreas Anton • Michael Schetsche Michael K. Walter (Hrsg.) Konspiration Soziologie des Verschwörungsdenkens Herausgeber M.A. Andreas Anton M.A. Michael K. Walter IGPP Freiburg, Deutschland Universität Bremen, Deutschland Dr. Michael Schetsche IGPP Freiburg, Deutschland ISBN 978-3-531-19323-6 ISBN 978-3-531-19324-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19324-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Hier ist also ein blinder Fleck, bei dem man nicht weiß, was durch ihn alles unsichtbar bleibt. Vielleicht sehr wenig, vielleicht etwas mehr.“ (Georg Vobruba: Verschwörungstheorien1) 1 Aus dem Editorial der Zeitschrift Soziologie (Jg. 35, Heft 3, 2006, S. 281). Inhaltsverzeichnis Konspiration. Soziologie des Verschwörungsdenkens 1. Einleitung: Wirklichkeitskonstruktion zwischen Orthodoxie und Heterodoxie – zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien (Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter) ............................. 9 I. Fallstudien 2. Ach, wie gut, dass niemand weiß...! Ortho- und heterodoxe Perspektiven auf die Ermordung John F. Kennedys (Gerd H. Hövelmann) ...................... 27 3. Die P2-Loge und die geheimen Gladio-Truppen in Italien (Regine Igel) .. 69 4. Die diskrete Macht der Bilderberger (Marcus Klöckner) ............................. 91 5. AIDS und seine Erreger – ein Gespinst von Hypothesen, Erkenntnissen und Verschwörungstheorien (Erhard Geißler) ............................................... 113 6. D ie Bennewitz-Aff äre: staatliches Handeln zwischen Vertuschung und Verschwörung (Ingbert Jüdt) ............................................................................. 139 7. Verschwörungstheorien zum 11. September (Andreas Anton) ................... 157 II. Mediale Diskurse 8. Der Kampf um die Wirklichkeit. Mediale Legitimationsstrategien gegenüber Verschwörungstheorien zum 11. September (Michael K. Walter) .............. 181 8 Inhaltsverzeichnis 9. „Google WTC-7“ – Zur ambivalenten Position von marginalisiertem Wissen im Internet (René König) ..................................................................... 203 10. Who watches the Watchm... – Verschwörungstheoretische Symbol- haft igkeit im Comic (Sven Großhans) ............................................................. 221 11. Verschwörungen und Verschwörungstheorien im Film (Matthias Hurst) .................................................................................................. 239 III. Th eoretische Perspektiven 12. Konspirationistisches Denken in den USA (Michael Butter) ...................... 259 13. Gerüchte, Verschwörungstheorien und Propaganda (David Coady) ......... 277 14. Sinnvoller Unsinn – Unheilvoller Sinn (Sascha Pommrenke) ..................... 301 15. Spekulative Kommunikation und ihre Stigmatisierung (Oliver E. Kuhn) .................................................................................................. 327 Autorin und Autoren des Bandes.......................................................................... 349 1 Einleitung: Wirklichkeitskonstruktion zwischen Orthodoxie und Heterodoxie – zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter 1 Verschwörungstheorien als Problem Über längere Zeit gab es eine im doppelten Wortsinne merkwürdige Diskrepanz zwischen der gesellschaft lichen Relevanz von Verschwörungstheorien und deren wissenschaft licher Erforschung. Ursache scheint auf den ersten Blick eine die- sem kulturellen Phänomen anhaft ende ‚Unseriosität‘, was off ensichtlich zu einer gewissen Furcht führte, durch eine Beschäft igung mit diesem Th ema die eigene wissenschaft liche Reputation zu beschädigen. Die Wenigen, die es dennoch wag- ten, sich mit Verschwörungstheorien auseinanderzusetzen, grenzten sich in aller Deutlichkeit von ihrem Untersuchungsgegenstand ab, um am Ende nicht selbst zu jenen ‚Verschwörungstheoretikern‘ gezählt zu werden, denen spätestens seit dem paradigmatischen Essay Th e Paranoid Style in American Politics (1964) des US- amerikanischen Historikers Richard Hofstadter ein Hang zu paranoiden Denk- formen diagnostiziert wurde. Somit herrschte eine Perspektive auf das Th ema ‚Verschwörungstheorien‘ vor, die Distanz zum Untersuchungsgegenstand nicht nur bewahrt, sondern sie analytisch auch noch einmal explizit markiert und da- mit das Phänomen gesellschaft spolitisch (und wohl auch sozialethisch) diskredi- A. Anton et al. (Hrsg.), Konspiration, DOI 10.1007/978-3-531-19324-3_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 10 Andreas Anton, Michael Schetsche, Michael K. Walter tiert hat. Ab Mitte der 1990er Jahre wurden Verschwörungstheorien zunehmend zum Gegenstand geistes- und sozialwissenschaft licher Analysen, die sich jedoch überwiegend in der ‚Tradition‘ vorangegangener Arbeiten bewegten. Die Leitper- spektive entsprechender Untersuchungen ist dabei durch eine essentialistische Herangehensweise gekennzeichnet, mit der Verschwörungstheorien prinzipiell als illegitimes Wissen betrachtet werden, das sich durch seinen negativen onto- logischen Status, respektive fi ktiven Charakter, auszeichnet. Die in Verschwö- rungsdiskursen prozessierten Wissensbestände erscheinen in dreifacher Hinsicht problematisch: Erstens, so wird pauschal behauptet, beruhen sie auf unwahren, unbewiesenen, erfundenen Behauptungen oder Vermutungen (mithin: ‚sachlich falschen‘ Wirklichkeitsaussagen). Zweitens wird angenommen, der ‚Glaube‘ (be- reits die Verwendung dieses Terminus markiert die szientistische Distanzierung vom betreff enden Wissen) an eine entsprechende Verschwörungswirklichkeit würde nicht nur einfach auf sachlich falschen Alltagsüberzeugungen beruhen, sondern darüber hinaus Zweifel an der geistigen Gesundheit jener ‚Gläubigen‘ erlauben, wenn nicht gar nahelegen. Und drittens schließlich stellten Verschwö- rungstheorien eine politische Gefahr dar, da sie den Nährboden für irrationale, politisch extreme Haltungen böten – und damit nicht nur gesellschaft lich riskant, sondern eben auch sozialethisch verwerfl ich seien. Entsprechend dieser im sozialpsychologischen wie gesellschaft spolitischen Sinne pathologisierenden Beurteilung scheinen das Phänomen selbst, insbesonde- re jedoch dessen – regelmäßig konstatierte – überaus weite kulturelle Verbreitung nicht nur in hohem Maße erklärungsbedürft ig, sondern auch ‚behandlungsbe- dürft ig‘. So wundert es nicht, dass mögliche Ursachen von Verschwörungstheo- rien in der überwiegenden Zahl wissenschaft licher Arbeiten zum Th ema in einen problematisierenden, negativen oder sogar pathologisierenden Zusammenhang gestellt werden. Die folgende (exemplarisch zu verstehende1) Aufl istung gibt in aller Kürze einen Überblick über verschiedene bestehende Ansätze zur Erklärung der Ent- stehung und Verbreitung von Verschwörungstheorien: • „Verweltlichung eines religiösen Aberglaubens“ (Popper 1992); • Misstrauen, Angst, Gefühle der Sinnlosigkeit, Verlorenheit und Ohnmacht, Autoritätshörigkeit, geringes Selbstwertgefühl und Benachteiligung (Goertzel 1994 und Abalakina-Paap et al. 1999); • „Paranoia-Haltung“ (Pipes 1998); 1 Siehe hierzu Anton (2011, S. 61f.). Einleitung 11 • strukturelle Elemente der klinischen Paranoia als Erklärungsmodell für kol- lektive Verschwörungstheorien (Groh 1999); • pathogene Störungen in der frühkindlichen Eltern-Kind-Beziehung (Maaz 2001); • „Verschwörungsmentalität“, „autoritäre Persönlichkeit“, Verunsicherung und Desorientierung in Krisen- und Umbruchsphasen (Pfahl-Traughber 2002); • politische Entfremdung (Heins 2005). All diesen Diagnoseversuchen ist gemeinsam, dass sie von dem dargelegten drei- fachen Problematisierungskontext geprägt sind, also vorrangig die negativen so- zialpsychologischen und gesellschaft spolitischen Auswirkungen von Verschwö- rungstheorien in den Blick nehmen. Die axiomatische Grundannahme, dass es sich bei Verschwörungstheorien stets um ‚sachlich falsches‘ Wissen handelt, kommt dabei meist schon in der Basisdefi nition der einzelnen Autoren und Auto- rinnen zum Ausdruck. So defi niert etwa Daniel Pipes eine Verschwörungstheorie „als eine real nicht existente, aus Angst befürchtete Verschwörung“ (Pipes 1998, S. 45). Ganz ähnlich stellen für Ruth Groh Verschwörungstheorien – im Gegensatz zu „realen historischen Verschwörungen“, deren Existenz durchaus zugestanden wird – „imaginäre Verschwörungen“ (Groh R. 2001) dar. Auf Grundlage dieser Prämisse konzentrieren sich diese theoretischen Erklä- rungsansätze vornehmlich auf die Rekonstruktion immanenter Strukturmerk- male, anhand derer die kognitive Inferiorität verschwörungstheoretischen Den- kens demonstriert werden kann. Verschwörungstheorien wird dabei prinzipiell eine epistemische Naivität zugewiesen: Es handele sich bei ihnen um monokau- sale, nach außen hin abgeschlossene (d. h. nicht-falsifi zierbare) und komplexi- tätsreduzierte Erklärungszusammenhänge, die komplexe Ereignisse auf das Wir- ken weniger identifi zierbarer Akteure reduzieren (so Groh 1999; Caumanns und Niendorf 2001; Barkun 2006, S. 7; Jaecker 2005, S. 10). Zur funktionalistischen Erklärung von Verschwörungstheorien greift man dann auf gänzlich unspezifi sche sozialpsychologische Th eorieelemente zurück; so werden ihnen etwa Funktionen der Kontingenzbewältigung oder der kognitiven Dissonanzreduktion zugeschrieben. Und vor dem Hintergrund eines vermuteten ‚anthropologisch tiefen‘ menschlichen Orientierungsbedürfnisses werden sie als „Bewältigungsstrategien“ (Caumanns und Niendorf 2001, S. 109) interpretiert, die das Individuum via reduktionistischer Weltdeutung psychisch entlasten sollen. Mit anderen Worten: Die in der wissenschaft lichen Sinnwelt (notwendig) theo- retisch überkomplex konstruierte soziale Umwelt erscheint in der Lebenswelt als Ursache psychologisch naiver und politisch fehlgeleiteter Versuche der Komplexi- tätsreduktion. Voraussetzung von all dem ist (und bleibt bis in die Gegenwart)
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