Kompendium Physikalische Medizin Michael N. Berliner Kompendium Physikalische Medizin Orientiert am Gegenstandskatalog fiir die arztliche Ausbildung AO (A) Dr. Michael N. Berliner Klinik fUr Rheumatologie, Physikalische Medizin und Balneologie der Justus-Liebig-UniversiUit GieSen (Leiter: Prof. Dr. K. L. Schmidt) LudwigstraSe 37-39 6350 Bad Nauheim Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Berliner, Michael N.: Kompendium physikalische Medizin: orientiert am Gegenstandskatalog fUr die arztliche Ausbildung AD (A) / Michael N. Berliner. - Darmstadt: Steinkopff, 1992 ISBN-13 :978-3-7985-0928-3 e-ISBN-13 :978-3-642-85421-7 DOl: 10.1007/978-3-642-85421-7 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschUtzt. Die dadurch begrUndeten Rechte, insbesondere die der Dbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funk sendung, der Mikroverfilmung oder der Vervieifiiltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsan1agen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Ver vie1faltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. Sep tember 1965 in der Fassung vom 24. Juni 1985 zu1assig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zu widerhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Copyright © 1992 by Dr. Dietrich SteinkopffVerlag, GmbH & Co. KG, Darmstadt Verlagsredaktion: Sabine MUller - Herstellung: Heinz J. Schafer Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veroffent lichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB so1che Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dUrften. Gesamtherstellung: Druckerei Meininger, Neustadt Gedruckt auf saurefreiem Papier Vorwort Das neu erschienene Kompendium Physikalische Medizin ist eine am Gegenstands katalog flir den zweiten Abschnitt der Arztlichen Prlifung (GK 3) orientierte Dar stellung und richtet sich dementsprechend zunachst an Studierende der Medizin. Kenntnisse der fachlibergreifenden Physikalischen Medizin mit ihren vielfaltigen Therapiemoglichkeiten werden zwar in den Ausbildungsvorschriften der arztlichen Approbatioitsordnung verlangt, nehmen aber in der Praxis der universitaren Lehre nur einen bescheidenen Rang ein. Leider verfligen auch noch langst nicht aIle Hochschulen tiber entsprechende Abteilungen oder Lehrstlihle. In Erganzung zu den speziellen und ausfiihrlichen Werken des Fachgebietes ist es Aufgabe des vorliegenden Textes, eine kurz zusammengefaBte Ubersicht tiber die im Gegen standskatalog geforderten Inhalte und Lemziele der Physikalischen Medizin zu geben. Das Kompendium libemimmt die vorgegebene Gliederung in allgemeine Grundlagen, Methodenlehre mit den einzelnen Therapieformen sowie Pravention und Rehabilitation. Darliberhinaus solI das Buch, das gewollt auf eine Vertiefung und weiterfiihrende Interpretation des Stoffgebietes verzichtet, Interesse am Fach wecken und anregen, sich schwerpunktmaBig weitergehendes theoretisches, aber auch praktisches Wissen anzueignen. Als naturwissenschaftlich gepragte Disziplin umfaBt die Physikalische Therapie einen groBen Anteil der klassischen Naturheilverfahren. Physiotherapeutische An wendungen losen nicht nur Soforteffekte aus, sondem zeigen vor allem langerfristig eine Besserung von funktionellen und organischen Storungen, so daB ihre Bedeu tung im Zusammenspiel mit anderen Therapieformen nicht zuletzt wegen des stei genden Anteils alterer und chronisch kranker Menschen noch zunehmen wird. GieBen - Bad Nauheim, Sommer 1992 Michael N. Berliner v Inhaltsverzeichnis v Vorwort ............................................................................ 1 Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Grundbegritfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Therapeutische Reaktionen .......................................... 3 1.3 Verlaufskriterien....................................................... 6 2 Methodenlehre. . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.1 Bewegungstherapie, Krankengymnastik ........................... 9 2.1.1 Physiologische Grundlagen .............................................. 9 2.1.2 Indikationen und Kontraindikationen .................................. 10 2.1.3 Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 12 2.1.3.1 Konventionelle Krankengymnastik ..................................... 12 2.1.3.2 Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage .............. 13 2.1.4 Dosierung .............................................................. " 14 2.2 Massage ................................................................. 16 2.2.1 Techniken ................................................................ 16 2.2.1.1 Klassische Massage ...................................................... 16 2.2.1.2 Reflexzonenmassage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 17 2.2.1.3 Unterwasserdruckstrahlmassage ........................................ 17 2.2.1.4 Manuelle Lymphdrainage ............................................... 18 2.2.2 Indikationen und Kontraindikationen .......................... ;....... 18 2.2.3 Verordnungsweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 21 2.3 Hydro- und Thermotherapie ......................................... 23 2.3.1 Physiologische Grundlagen .............................................. 23 2.3.2 Praxis der Hydrotherapie ............................................... 25 2.3.2.1 Bader ..................................................................... 25 2.3.2.2 Glisse ..................................................................... 28 2.3.2.3 Wickel, Packungen, Waschungen ....................................... 28 2.3.3 Indikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 29 2.3.4 Kryotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 30 2.4 Elektrotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 32 2.4.1 Physiologische Grundlagen .............................................. 32 2.4.2 Praxis der Elektrotherapie .......................................... ~ ... 33 2.4.2.1 Niederfrequenztherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 34 VII 2.4.2.2 Mittelfrequenztherapie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 38 2.4.2.3 Hochfrequenztherapie ................................................... 39 2.4.3 Indikationen und Kontraindikationen der Elektrotherapie ............ 40 2.4.4 Ultraschalltherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 42 2.5 Lichttherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 45 2.5.1 Behandlungen mit sichtbarem Licht .................................... 45 2.5.2 Heliotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 45 2.5.3 Ultraviolettstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 46 2.5.4 Infrarotstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 48 2.6 Aerosoltherapie ........................................................ 50 2.6.1 Physiologische Grundlagen .............................................. 50 2.6.2 Praxis der Inhalationstherapie ......................... . . . . . . . . . . . . . . . .. 51 2.6.3 Indikationen und Kontraindikationen .................................. 51 2.7 Balneologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53 2.7.1 Heilwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53 2.7.1.1 Badekur .................................................................. 54 2.7.1.2 Trinkkur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 57 2.7.1.3 Inhalation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 58 2.7.2 Heilgase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59 2.7.3 Peloide ................................................................... 59 2.7.4 Heilbader und Kurorte .................................................. 61 2.8 Medizinische Klimatologie ........................................... 63 2.8.1 Biotrope Wettereinfliisse ................................................ 63 2.8.2 Klimatische Wirkungskomplexe ........................................ 64 2.8.3 Klimatherapie ............................................................ 65 2.8.3.1 Klimatherapie im Mittelgebirge ......................................... 65 2.8.3.2 Klimatherapie im Hochgebirge ......................................... 66 2.8.3.3 Klimatherapie an Meereskiisten ........................................ 67 2.8.4 Indikationen und Kontraindikationen .................................. 69 3 Pravention und Rehabilitation ................................... 71 3.1 Pravention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 71 3.2 Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 71 Weiterfiihrende Literatur ......................................................... 73 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 75 VIII 1 Allgemeine Grundlagen 1.1 Grundbegriffe Die Physikalische Medizin versteht sich als der Teil der naturwissenschaftlich ge pdigten Heilkunde, der sich fUr Diagnostik und Therapie in der Krankenbehand lung iiberwiegend physikalischer Einfliisse bedient. Neben diesem iibergeordneten Begriffwerden auch die Bezeichnungen Physikalische Therapie und Physiotherapie verwendet, die besonders den physikalischen und physiologischen Therapieansatz betonen. Aufgabe der Physikalischen Therapie ist das AnstoBen physiologischer Reaktionen durch die Einwirkung physikalischer Reize von auBen. Ziele sind dabei nicht nur die Beeinflussung lokaler Dysfunktionen einzelner Organe, sondern auch und vor allem die Behandlung des gesamten Organismus und damit auch des gesamten Patienten. Das vorwiegend an der "Behandlung" orientierte Fachgebiet der Physikalischen Medizin (Therapie) bezieht rein physikalisch-diagnostische Techniken, wie sie die radiologische und anderweitige bildgebende Diagnostik darstellen, aufgrund unterschiedlicher Traditionen und eigenstandiger Entwick lungen nicht mit ein. Auch die Therapie mit ionisierenden Strahlen - strenggenom men auch eine physikalische Therapie - gehOrt nicht mit zum Aufgabengebiet der Physikalischen Medizin. Ein breites Spektrum unterschiedlicher Anwendungen kommt im Rahmen der Physikalischen Therapie zum Einsatz. Methodisch werden Verfahren der Bewe gungstherapie (einschlieBlich Ergotherapie), Mechanotherapie, Hydro- und Ther motherapie, Elektromedizin, Lichttherapie, Aerosoltherapie, Balneologie und der medizinischen Klimatologie unterschieden. In der Praxis werden haufig meh rere unterschiedliche Verfahren bei wiederholten Anwendungen kombiniert, so daB sich ein vielfaltiges und fein abstufbares Therapie-Spektrum ergibt, das damit auch ein individuelles Behandlungsschema erlaubt. Aber nicht nur die Kombination einze1ner physikalisch-therapeutischer Anwendungen fiihrt zu einer Vielfalt von Behandlungsmoglichkeiten, auch einzelne - vorwiegend natiirlich vorkommende - Therapieformen vereinigen als organische Einheit mehrere physikalische Ansatze. So ist besonders die Thalassotherapie (thalasso = Meer) eine Kombination von Balneo-, Klima-, Aerosol-und Lichttherapie. Ahnliche multifaktorielle Wirkungen gibt es auch in der Klimatherapie. Die Wirkprinzipien der physikalischen Therapie werden wesentlich dadurch ge pragt, daB physiologische Reaktionen, Regulationen und Adaptationsvorgange angestoBen und optimiert werden. Ausloser fUr diese biologischen Antworten sind die vielfaltigen Reize, die durch unterschiedliche Einwirkungen der Physikalischen Therapie am inneren und auBeren Milieu des Organismus, also letztendlich auf zellularer und molekularer Ebene, gesetzt werden. Diese kausale Verkniipfung 1 wird auch als Reiz-Reaktionsgeschehen bezeichnet. Samtliche physikalischen The rapieverfahreri beziehen die Funktionsiibung mit ein. Bei der Reaktionstherapie werden durch differente physikalisch-therapeu tische Reize unterschiedliche Rezeptoren erregt. Nach Art des Reizes sprechen Thermo-, Druck-, Beriihrungs-, Chemo- oder Photorezeptoren an. Uber Nerven zellen werden diese Erregungen als Folge von Aktionspotentialen fortgeleitet und der Organismus damit zu einer physiologischen Reaktion gezwungen. Um eine Reaktion auszulosen muB eine Mindestreizschwelle iiberschritten werden. Es gilt das "Alles-oder-Nichts-Gesetz". Quantitative Reaktionsabstufungen sind dann von der Zahl der erregten Rezeptoren abhangig. Die ausgelosten Reaktionen konnen sowohl lokal begrenzt ablaufen (z. B. ortliche Durchblutungsveranderungen) als auch den gesamten Organismus zu einer Antwort notigen (z. B. funktionelles Kreis lauftraining) . Die RegnIationstherapie nutzt das Vorhandensein von Regelkreisen. Die Rege lungen konnen auf nervos-reflektorischem oder hormonalem Weg erfolgen. Auf gabe der Physikalischen Therapie ist es, durch wiederholte Reize ein Uben und besseres Ansprechen physiologischer Regelungen zu bewirken (z. B. Gegenregu lation bei thermischen Reizen). Die vegetative Innervation benutzt dabei unter schiedliche Reflexbogen. So unterscheidet man kutiviszerale, viszerokutane, vis zeromotorische und viszeroviszerale Reflexe. Unter Einschaltung zentralnervoser Strukturen werden auch bedingte Reflexe physikalisch-therapeutisch in der Regu lationstherapie genutzt (z. B. bei Krankengymnastik und Ergotherapie). Nur eine regelmaBig wiederholte Beanspruchung der Regulationen bewirkt eine Steigerung der Selbstordnungsleistung. Durch eine verbesserte Regulationsqualitat wird eine Optimierung der Funktionen erreicht. Funktionsabweichungen konnen damit in Richtung einer Normalisierung geregelt werden. GestOrte vegetative Gleichge wichte werden wieder ausgeglichen, Koordination und Wechselwirkungen unter schiedlicher Funktionssysteme werden optimiert. Ziel ist die "Homoostase", ein bestandiger Zustand von Regulation und Gegenregulation mit maximaler Anpas sungsfahigkeit. Lebewesen konnen sich anpassen. Das macht sich die Physikalische Medizin in ihrer Wirkung als Adaptationstherapie zu eigen. Die physiologische Adaptation ruhrt zu funktionellen und morphologischen Adaptaten, wenn ein Reiz wiederholt auf Zellen oder ein Organsystem einwirkt. Eine funktionelle Adaptation stellt dabei die Anpassungsleistung an einen veranderten Regulationsbedarf dar. So ist zum Beispiel eine groBere Auswurfleistung des Herzens bei regelmaBiger korperlicher Anstrengung (Training) ein solches Adaptat. Auch andauemde Sollwertverstellun gen im Regelgeschehen des Organismus sind funktionelle Adaptate. Davon unter schieden werden morphologische Adaptationen. Hierbei kommt es unter wieder holter Reizeinwirkung zu anatomisch-morphologischen Veranderungen, wie zum Beispiel dem Auftreten einer Polyglobulie bei latentem Sauerstoffmangel im Ho henklima oder der kompensatorischen Hypertrophie einzelner gesunder Muskeln infolge erhOhter Beanspruchung nach traumatischem Ausfall anderer Anteile der Muskulatur. Ausgelost werden diese Adaptationen durch auBere Reize - Stresso ren. Dabei lassen sich spezifische von unspezifischen Adaptaten unterscheiden. Wahrend im ersten Fall immer nur ein bestimmter Reiz (Stressor) eine definierte Anpassung auslost, konnen unspezifische Adaptate durch unterschiedliche Reize 2 provoziert werden. So kann eine Durchblutungssteigerung durch eine verstarkte Kreislaufbelastung wie auch durch eine vermehrte Warmezufuhr erfolgen. Inner halb der Physikalischen Therapie erfolgt die funktionelle und :tnorphologische Adaptation durch das wiederholte Setzen von Einzelreizen wie auch durch Ubungen (z. B. kompensierte Muskelkraft durch Krankengymnastik, verbesserte Hautdurch blutung durch Hydro- und Thermotherapie u. a.). Nach der Vorstellung des "All gemeinen Adaptationssyndroms" (Selye) konnen die Anpassungsvorgange bei zu starken Stressoren tiber das optimale Stadium einer erhohten Resistenz in einen Zustand der Erschopfung und Desadaptation tibergehen. Dieses muB bei der Do sierung physikalisch-therapeutischer Reize unbedingt beachtet werden. 1.2 Therapeutiscbe Reaktionen Thermische, mechanische, chemische und aktinische Einwirkungen reagieren als elementare Reize direkt an spezifischen Rezeptoren. Durch adaquate Reize werden eindeutige Reaktionen ausgelost. Das Ansprechen einzelner Rezeptoren auf nicht adaquate Reizungen erfolgt meist erst nach groBerer Energieeinwirkung. So sind beispielsweise Druckrezeptoren auch durch Kaltreize erregbar. Sinneszellen auf der Netzhaut ("Lichtrezeptoren") signalisieren auf mechanischen Druck Licht empfindungen. Die Physikalische Therapie entfaltet ihre Wirkung tiber das wohl dosierte Setzen von unterschiedlichen Reizen. Zur Abstufung und Quantifizierung mtissen daher therapeutische Reizparameter unterschieden werden: Die Modalitat gibt die Art des therapeutisch eingesetzten Reizes an (thermisch, mechanisch etc.). Dabei werden nicht nur direkt Rezeptoren erregt, es kommt auch tiber allgemeine Protoplasmareize tiber freigesetzte Transmitterstoffe wie Hist amin, Serotonin oder Adrenalin zu vegetativen Reaktionen. Die Reizqualitat hangt wesentlich von einstellbaren ReizgroBen der Therapie und den individuellen Be dingungen (Zustand des Patienten) abo Die Reizstarke ist abhangig von der GroBe der eingesetzten Energie. Je nach Behandlungsmethode treten thermische, mechanische oder andere Einwirkungen auf. Allerdings gibt es keine line are Beziehung zwischen Starke und der zugeord neten Reaktion. Nach einem Optimum schlagt bei weiter zunehmender Reizstarke eine physiologische in eine pathologische Reaktion um. Zu starke Reize konnen blockieren und eine gegenteilige Wirkung induzieren. Mit der Reizdauer wird einmal der zeitliche Umfang beschrieben, mit dem der Einzelreiz einwirkt. Dazu kommt noch die Behandlungsdauer insgesamt, die bei wiederholten Anwendungen, Z. B. im Rahmen einer Kur, von Bedeutung ist. Ein zelreize konnen dabei relativ kurz einwirken (z. B. Massagegriff oder Anwendung einer Elektrotherapie) oder auch ein langanhaltendes Kontinuum darstellen, wie etwa bei einer Klimatherapie. Von besonderer Bedeutung ist auch das Reiziutervall. Es stellt die zeitliche Abfolge der Einzelreize dar. Auch hier gefahrden falsche Dosierungen den The rapieerfolg. So konnen zu kurze Pausen zu vorschneller Ermtidung und patholo gischen Reaktionen fiihren. Zu groBe Abstande zwischen Einzelreizen behindem 3 den Ubungseffekt und die Adaptationsmoglichkeit. Unterschiedliche Organ systeme haben auch einen unterschiedlichen Erholungsbedarf. Auch Lokalisation und GroBe der Reiztlache stellen notwendige Reizparameter dar. Durch unterschiedliche Verteilung der Rezeptoren auf der Haut ergeben sich qualifizierbare Unterschiede der zu erwartenden Reaktionen. Ein plotzlicher Kal tereiz am Stamm wird intensiver empfunden als an den Extremitaten. Auch konnen Uber kutiviszerale Reflexe sehr unterschiedliche Fernwirkungen entstehen, ent sprechend der lokalen Einwirkung der Einzelreize (Reflexzonen). Uber die ge wahlte GroBe der Reizflache lassen sich feinste Abstufungen in der Intensitat der Einzelreize setzen. Davon macht beispielsweise die Kneipp'sche Hydrotherapie besonderen Gebrauch. Zur Beurteilung der durch die Physikalische Therapie ausgelosten Reize mUssen primare von sekundaren Reaktionen unterschieden werden. Unter einer Primiir· reaktion wird die unmittelbar ausgelOste physiologische Antwort auf einen physi kalischen Reiz verstanden. So entsteht beispielsweise nach einer lokalen Warme einwirkung eine GefaBerweiterung. Oder es kommt nach einem kurzen Kaltreiz zu einer reaktiven Hyperamie. Die Primarreaktion wird auch als Immediatwirkung bezeichnet. Die volle Wirksamkeit einer Physikalischen Therapie wird aber erst nach Einsetzen der Seknndarreaktion erreicht. Durch die wiederholte Anwendung von Einzelreizen mit ihren primaren Reaktionen kommt es wie bei einer Ubungs behandlung zu schnelleren und optimierten Anpassungen. Diese Sekundarreaktio nen stellen Adaptate mit Langzeitwirkung dar und mUssen von den Sofortwirkungen der primaren Reaktionen abgegrenzt werden. Die physiologischen Sekundarreak tionen resultieren im wesentlichen aus Habituation (Gewohnung), funktioneller Adaptation (verbesserter Regulation) und trophisch-plastischer Adaptation (mor phologische Anpassung). Das Auslosen von Sekundarreaktionen ist das angestrebte therapeutische Ziel in der Physikalischen Medizin. Insbesondere die Applikation von seriellen Reizen (iterative Reize), die z.B. in der Hydro- und Balneotherapie eine groBe Rolle spielen, bewirkt eine funktionelle Kapazitatsverbesserung und fUhrt so zu einer verstarkten Resistenz des Individuums ("Abhartung"). Als Beispiel sei der wechselwarme GuB angefUhrt. Die unterschiedlichen thermischen Reize bewirken zum einen eine verbesserte Tonisierung der Venen (kreislaufstabilisie rend). Weiter kommt es zu einer schnelleren Gegenregulation bei thermischen Belastungen, so daB auch die Gefahr einer ungenUgenden thermischen Adaptation ("Erkaltung") geringer wird. Die Sekundarreaktionen entsprechen einem Ubungs effekt, der sich erst nach einer entsprechenden Anzahl Von Anwendungen optimal einstellt. Nach Absetzen dieser Behandlungen verlieren sich die gUnstigen Effekte nach einiger Zeit wieder, ahnlich einem Trainingsmangel. Die Wirkungsstarke einer Physikalischen Therapie ist nicht nur durch den un mittelbaren thermischen, mechanischen, elektrophysiologischen oder anderweiti gen Reiz bestimmt, sondern wesentlich auch von der individuellen Ausgangslage des Patienten abhangig. So konnen gleich stark dosierte Einzelreize unterschiedlich groBe Reaktionen auslosen. Die Ausgangslage beschreibt die vegetative Innerva tion und damit die Betonung einer sympathikoton oder parasympathikoton ge pragten Reaktionslage. Dabei spielen neben der individuellen - von der Augen blicksituation gepragten - Ausgangslage auch langerfristige konstitutionsabhangige Merkmale und vegetative Stigmata eine Rolle. Der vegetative Tonus wird we sent- 4