Gesine Foljanty-Jost (Hrsg.) Kommunalreform in Deutschland und Japan Stadtforschung aktuell Band113 Herausgegeben von Hellmut Wollmann Gesine Foljanty-Jost (Hrsg.) Kommunalreform in Deutschland und Japan Ökonomisierung und Demokratisierung in vergleichender Perspektive Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich /Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. 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Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16125-9 Inhaltsverzeichnis Gesine Foljanty-Jost Einleitung: Kommunaler Reformdruck aus vergleichender Perspektive .............................. 7 Jörg Bogumil Kommunale Selbstverwaltung unter Reformdruck – Aktuelle Partizipations- und Ökonomisierungstrends in Deutschland ............................ 17 Momoyo Hüstebeck Administrative und fiskalische Dezentralisierung in Japan – Instrumente zur Stärkung der japanischen lokalen Selbstverwaltung .............. 31 Sabine Kuhlmann Ökonomisierung der deutschen Kommunen: „Neue Steuerung“ und Privatisierung .............................................................. 59 Martin Schulz Ökonomisierung der Kommunen als Überlebensstrategie in Japan ................ 79 Annette Zimmer Eine traditionsreiche Partnerschaft: Kommunale Selbstverwaltung und bürgerschaftliches Engagement in Deutschland ...................................... 107 Gesine Foljanty-Jost Partnerschaft als Leitmotiv kommunaler Politik in Japan: Ressource für lokale Demokratie? ................................................................. 129 Carolin Funck, Tsutomu Kawada, Yoshimichi Yui Bürgerbeteiligung im Stadtteil: ein Vergleich von Kôbe und Berlin ............. 151 Minoru Tsubogo Neue Wählerinitiative in Japan – Die zweite Dezentralisierungsreform und die Entwicklung der Seikatsusha-Netzwerke als Lokalpartei .................. 169 6 Inhalt Marion Reiser, Everhard Holtmann Alter und neuer Lokalismus - Zu Rolle und Bedeutung parteifreier kommunaler Wählergemeinschaften in Deutschland .......................................................... 189 Autorenverzeichnis ......................................................................................... 221 Einleitung: Kommunaler Reformdruck aus vergleichender Perspektive Gesine Foljanty-Jost Japan als Vergleichsland für Deutschland ist bislang im Hinblick auf Kommu- nalpolitik hierzulande kaum in den Blick genommen worden1. Ursache mag der Ruf des politischen Systems Japan als ausgeprägt zentralistisch sein, was einen Vergleich zunächst als wenig ergiebig erscheinen lassen mag. Ein zweiter Blick allerdings eröffnet durchaus interessante Perspektiven auf dieses Land, die zu einer vergleichenden Diskussion einladen. 1. Parallelitäten: Anlass für Kommunalreformen Die Reform der Kommunalpolitik steht seit Jahrzehnten in Japan wie in Deutschland auf der politischen Agenda. Anlass war ökonomischer und politi- scher Druck. Angesichts struktureller Arbeitslosigkeit, sinkender Steuereinnah- men und einer Überforderung des Staates bei der Wahrung sozialer Sicherungs- systeme wurden im Verlaufe der Wirtschaftskrisen der 1970er und frühen 1980er Jahre sowie der Rezession der 1990er Jahre die Beziehungen zwischen Regierung und Kommunen einer Prüfung unterzogen. Die Frage lautete und lautet heute in beiden Ländern, wie die Leistungsfähigkeit der Kommunen trotz demografischen Wandels und chronisch knapper Finanzmittel erhalten und die Akzeptanz von Verwaltungshandeln gewahrt werden kann. Daneben ist politischer Reformdruck durch eine zunehmende Distanzie- rung der Wähler und Wählerinnen von den konventionellen Formen politischer Partizipation entstanden. Indikator ist hier wie dort die abnehmende Wahlbetei- ligung. Sie wird als Zeichen eines Legitimationsverlustes gesehen, der auch und vor allem die Kommunalpolitik betrifft. Gleichzeitig ist als gegenläufige Ent- wicklung jedoch seit den 1970er Jahren eine Zunahme an Partizipationsbegeh- ren seitens der Bürger und Bürgerinnen zu beobachten. In Deutschland lässt sich eine sinkende Bereitschaft zur Kandidatur für den Stadtrat feststellen, wogegen das freiwillige Engagement von Bürgern und Bürgerinnen in Vereinen ansteigt. Ähnlich erfreut sich auch in Japan bei gleichbleibend niedriger Wahlbeteiligung das freiwillige Ehrenamt zunehmender Beliebtheit. 1 Die wenigen vergleichend angelegten Studien beschäftigen sich vor allem mit europäischen Ländern. Vgl. Kersting/ Vetter 2003, Kuhlmann 2008. 8 Gesine Foljanty-Jost Das Zusammentreffen einer Krise der kommunalen Leistungsfähigkeit mit der Bereitschaft der Bürger und Bürgerinnen nach mehr Beteiligung hat in beiden Ländern Reformprozesse in Gang gesetzt. Diese sind eingebettet in umfangrei- chere Umstrukturierungsprozesse des politischen Systems in Form der Födera- lismusreform in Deutschland 2006 sowie der Dezentralisierungsreform in Japan 2000. Beide Reformpakete haben das Ziel, den Staat zu entlasten, die Verflech- tung von nationaler und regionaler Politik zu reduzieren und die Eigenverant- wortung der dezentralen Ebenen zu stärken. Dabei hat in den alten Bundeslän- dern wie auch in Japan seit den 1980er Jahren das angelsächsische Modell des New Public Management eine beträchtliche Rolle gespielt und Einfluss auf die Reformdebatten genommen. 2. Unterschiede im System der kommunalen Selbstverwaltung In Japan ist die kommunale Selbstverwaltung als Lehre aus den Erfahrungen zentralstaatlicher Dominanz während der Vorkriegszeit in der neuen Verfassung von 1946 verankert worden. Eingeführt wurde ein vertikal gestuftes Verwal- tungssystem mit 47 Regierungsbezirken (to-dô-fu-ken) und damals rund 3.500 Städten und Gemeinden (shi-chô-son) unterhalb der zentralstaatlichen Ebene. Die Einführung der Direktwahl der Gouverneure und Bürgermeister war ein maßgeblicher Bestandteil der Demokratisierungsmaßnahmen. In der politischen Praxis und in der Wissenschaft wurden jedoch stets die mangelhafte Umsetzung von lokaler Selbstverwaltung und das Übergewicht zentralstaatlicher Kontrolle beklagt. Neben einer unzureichenden Finanzauto- nomie werden bis heute die politische Dominanz der direkt gewählten Bürger- meister sowie die strukturelle und personelle Verflechtung von lokaler und zentraler Ebene als Ursache beschrieben. Die aktuelle Dezentralisierungsreform setzt hier an und zielt auf eine neue funktionale und gleichberechtigte Arbeits- teilung zwischen Zentralstaat und Gebietskörperschaften. Sie impliziert daher einen grundlegenden Paradigmenwechsel im politischen System Japans. In Deutschland finden die Reformen vor dem Hintergrund einer langen fö- deralen Tradition statt, die bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Nach 1945 orientierte sich die DDR an den Vorgaben der Sowjetunion und schaffte die Länder zugunsten eines real-sozialistischen, zentralistischen Verwaltungsstaates ab. Die Bundesrepublik knüpfte demgegenüber an die föderale Tradition an und verband sie mit einem parlamentarischen Regierungssystem. Nach der Wieder- vereinigung wurde das föderale System auch auf die ehemalige DDR ausgewei- tet und fünf neue Bundesländer geschaffen. Dezentralisierungsreformen basie- ren somit auf einer langen politischen Tradition. Sie zielen auf eine Reduzierung von funktionalen Schwachstellen des Systems ab, ohne einen grundlegenden Paradigmenwechsel zu bedeuten. Einleitung 9 3. Ähnliche Strategien mit unterschiedlicher Gewichtung Die eingeschlagenen Strategien zur Durchsetzung der Kommunalreform sind in Japan und Deutschland ähnlich und folgen der Doppelstrategie, neue Steue- rungsmodelle mit neuen Partizipationsangeboten zu kombinieren. In Fortfüh- rung des britischen New Public-Management-Ansatzes (NSM) werden seit den 1980er (Deutschland) bzw. 1990er (Japan) Jahren neue Steuerungsverfahren wie die Offenlegungspflicht der Verwaltung, Qualitätskontrolle, Privatisierung öf- fentlicher Dienste sowie eine Neudefinition des Bürgers als Kunde, aber auch als Partner – wenn auch nicht flächendeckend – von Kommunen eingeführt. Gleichzeitig lassen sich seit den 1990er Jahren in beiden Ländern Institu- tionalisierungstendenzen hin zu einer stärkeren Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen an der Formulierung und Implementation von Kommunalpolitik beobachten. Hierzu zählen die Einführung direktdemokratischer Verfahren wie die Direktwahl von Bürgermeistern in Deutschland, die Einführung eines Refe- rendums in Japan sowie die Förderung neuer Abstimmungsgremien wie Bür- gerkonferenzen oder Quartiersräte. Das Nebeneinander von neuen Steuerungsmodellen und erweiterten Betei- ligungsangeboten hat normativ positive Erwartungen an die Zukunft der Aus- gestaltung einer kommunalen Selbstverwaltung geweckt: so wird eine Verbesse- rung der Qualität lokaler Demokratie erwartet, wenn durch neue Formen direkt- demokratischer Beteiligung die Politikferne der lokalen Bevölkerung gestoppt und die Akzeptanz von Politik durch den Bürger erhöht wird. Gleichzeitig soll durch die Einführung neuer Steuerungsmechanismen eine effizientere Erstellung kommunaler Leistungen erreicht werden. Der Bürger wird nun als „Kun- de“ gesehen und wie man in Deutschland sagt: der Kunde ist König, d.h., die ursprüngliche Bürgerferne der Verwaltung wandelt sich. Gleichwohl stoßen die Reformen faktisch auf Grenzen, die zu optimisti- sche Erwartungen dämpfen: so ist durch Privatisierung kommunaler Leistungen eine faktische Verschlechterung der Leistungen für die BürgerInnen ebenso denkbar, wie ein Versagen direktdemokratischer Beteiligungsformen durch mangelnde Nutzung durch die BürgerInnen. Offen ist die Wechselwirkung von NSM und neuen Partizipationsangebo- ten. So kann die Einführung neuer Steuerungsmechanismen zu einer Relativie- rung des Einflusses der Gemeinderäte führen, während gleichzeitig direktdemo- kratische Beteiligungsformen wie das Referendum Druck auf die Räte ausüben und sich damit auf die Profilierung der Gemeinderäte als Kontrollorgan der Verwaltungsspitze auswirken können. Das Nebeneinander von Chancen und Hemmnissen, die sich für die lokale Selbstverwaltung aus der Mischung von neuen Steuerungsformen und neuen 10 Gesine Foljanty-Jost Partizipationsangeboten ergeben, ist der „rote Faden“, entlang derer die Beiträge in diesem Band organisiert sind. Die Beiträge von Bogumil und Hüstebeck haben einführenden Charakter und werfen ein Licht auf die unterschiedlichen Schwerpunkte in den Kommu- nalreformen der beiden Länder. Bogumil arbeitet die Bedeutung der Ökonomisierung von kommunalem Verwaltungshandeln als wichtigste Tendenz heraus. Er betont, dass im Falle Deutschlands die Pluralisierung der Institutionen und Steuerungsmodi auf kommunaler Ebene unübersehbar ist. Er sieht eine steigende Effizienz von Ver- waltungshandeln durch die Ökonomisierungstendenzen. Allerdings weist er auch auf die Gefahr politischer Steuerungsverluste als Folge der Privatisierung kommunaler Leistungserbringung hin, die bereits jetzt auf eine Fragmentierung der kommunalen Selbstverwaltung deuten. Momoyo Hüstebeck gibt einen umfangreichen Überblick über die Finanz- und Verwaltungsreformen in Japan, die im Zuge der Verabschiedung des Geset- zespakets zur Dezentralisierung seit 2000 umgesetzt werden. Sie zeigt, dass in Japan dieser Teil der aktuellen Reformen nur ein Teilbereich ist und endet mit dem Verweis, dass ebenso die politischen Reformen mit einem Zuwachs an Partizipationsangeboten relevant sind. Es folgen zwei Beiträge, die die Ökonomisierung als eine Strategie der Kommunen im Umgang mit Krisenerscheinungen analysieren. Im Hinblick auf die deutsche Situation stellt Sabine Kuhlmann auf der Grundlage einer empiri- schen Erhebung die aktuelle Ökonomisierungsbewegung in den deutschen Kommunen vor. Sie identifiziert im deutschen Kommunalsystem zwei grundle- gend unterschiedliche Entwicklungslinien: Dezentralisierungsreformen auf der einen Seite, die das Territorialprinzip stärken, und Privatisierungsreformen auf der anderen Seite, die auf eine neue funktionale Aufgabenorganisation hinaus- laufen. Der Gesamteffekt dieser konträren verwaltungspolitischen Reformen sei zum einen eine neue Mischung aus „klassischen“ (Weberianischen) Verwal- tungsprinzipien und NSM (Neues Steuerungsmodell) -bezogenen Reformele- menten. Allerdings weist sie darauf hin, dass gerade dort, wo die Einführung des NSM-Prinzips besonders radikal war, inzwischen eine Rückkehr zu „Max We- ber“ festzustellen ist. Teils werden die dezentralen Strukturen und betriebswirt- schaftlichen Verfahren bewusst reduziert. Teils wird im Verwaltungsalltag nach und nach wieder auf altbewährte Handlungsroutinen zurückgegriffen. Die deut- schen Kommunen unterliegen damit eher einem Trend zur Rezentralisierung und Rehierarchisierung, zu welchem auch die Finanzkrise einen erheblichen Beitrag geleistet hat. Martin Schulz argumentiert in seiner Analyse der Dezentralisierungspoliti- ken im Zeichen der gegenwärtigen Verschuldungskrise in Japan, dass eine poli-