Lars Holtkamp Kommunale Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie Gesellschaftspolitik und Staatstätigkeit Band 30 Herausgegeben von Bernhard Blanke Roland Czada Gerhard Lehmbruch Susanne Lütz Herbert Obinger Manfred G.Schmidt Lars Holtkamp Kommunale Konkordanz- und Konkurrenz- demokratie Parteien und Bürgermeister in der repräsentativen Demokratie Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Monika Mülhausen Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Satz:Gerald Piuk Druck und buchbinderische Verarbeitung:Krips b.v.,Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15651-4 I nhalt Vorwort ................................................................................................................................7 1 Einleitung...................................................................................................................9 1.1 Untersuchungsgegenstand und fragestellung....................................................11 1.2 Theoretischer Bezug...............................................................................................18 1.2.1 Verhandlungsdemokratische Ansätze in der vergleichenden Regierungslehre.............................................................18 1.2.2 Parteienforschung.....................................................................................24 1.2.2.1 Ursachen für (lokale) Honoratiorenparteien.........................................28 1.2.2.2 Lokalparteien in der Kartellparteienphase............................................34 1.2.3 Besonderheiten lokaler Politik.................................................................38 1.3 Untersuchungshypothesen....................................................................................43 1.4 Untersuchungsmethodik und Untersuchungsaufbau.......................................44 2 Ideengeschichtliche Entwicklung der kommunalen Selbstverwaltung..........50 2.1 Der rechtswissenschaftliche Diskurs....................................................................51 2.1.1 Juristischer Diskurs im 19. Jahrhundert.................................................53 2.1.2 Juristischer Diskurs in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus..................................................................................57 2.1.3 Juristischer Diskurs in der Bundesrepublik...........................................62 2.2 Der politikwissenschaftliche Diskurs...................................................................67 2.2.1 Lokale Politikforschung in den 60er und 70er Jahren..........................70 2.2.2 Lokale Politikforschung in den 80er Jahren...........................................76 2.2.3 Lokale Politikforschung seit den 90er Jahren........................................80 2.2.4 Konkordanzdemokratische Ansätze.......................................................83 2.3 Zusammenfassung..................................................................................................90 3 Entwicklung der kommunalen Parteien in der Bundesrepuplik Deutschland zwischen 1945 und 2005.................................................................98 3.1 Wandel kommunaler Rahmenbedingungen.......................................................99 3.1.1 Rechtliche Rahmenbedingungen.............................................................99 3.1.2 Gemeindegröße........................................................................................109 3.1.3 Organisationsgrad der Parteien.............................................................112 3.1.4 Regionale politische Kultur....................................................................113 6 Inhaltsverzeichnis 3.1.5 Einfluss der nationalen Parteiorganisationen......................................116 3.1.6 Modell für den aktuellen Querschnittsvergleich................................120 3.2 Nominierungsphase.............................................................................................122 3.2.1 Parteiinterne Wahlen..............................................................................126 3.2.2 Nominierungsprozesse der Ratskandidaten.......................................130 3.2.3 Nominierungsprozesse der Bürgermeisterkandidaten......................144 3.2.4 Resümee....................................................................................................153 3.3 Wahlkampfphase..................................................................................................159 3.4 Wahl........................................................................................................................171 3.4.1 Wahlverhalten..........................................................................................171 3.4.2 Wahlerfolge der Wählergemeinschaften..............................................173 3.4.2.1 Einfluss des Kommunalrechts und der Gemeindegröße...................175 3.4.2.2 Einfluss des Parteienwandels................................................................180 3.4.2.3 Strukturwandel der Wählergemeinschaften........................................182 3.4.2.4 Fazit...........................................................................................................185 3.5 Regierungsphase...................................................................................................186 3.5.1 Personelle Parteipolitisierung................................................................186 3.5.2 Prozedurale Parteipolitisierung............................................................202 3.5.3 Inhaltliche Parteipolitisierung in der kommunalen Haushaltspolitik......................................................................................226 3.5.4 Exekutive Führerschaft...........................................................................236 3.5.5 Exkurs: Direktdemokratische Vetopositionen.....................................261 4 Zusammenfassung, normative Bewertung und Ausblick..............................268 4.1 Konkordanz- und konkurrenzdemokratische Muster der repräsentativen Demokratie auf kommunaler Ebene......................................268 4.2 Normative Bewertung der Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie........272 4.3 Trends in Richtung Konkordanzdemokratie....................................................279 4.4 Die kommunale Ebene als Hoffnungsträger in der Parteienkrise?................287 Literatur............................................................................................................................291 Anhang.............................................................................................................................329 Auswertungen.................................................................................................................341 Abbildungsverzeichnis...................................................................................................350 V orwort Das hier vorliegende Buch, das gegenüber der im September 2006 an der FernUni- versität in Hagen als Habilitationsschrift eingereichten Fassung leicht überarbeitet und gekürzt wurde, befasst sich mit unterschiedlichen Mustern der repräsentati- ven Demokratie auf kommunaler Ebene. Ausgehend von langjährigen Beobach- tungen in diversen Forschungsprojekten zu Kommunen unterschiedlicher Größe und in unterschiedlichen Bundesländern wie auch im Rahmen meiner Tätigkeit als Ratsmitglied in einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt seit 1989 erlebte ich, dass Kommunalpolitik durchaus unterschiedlich organisiert sein kann. Dabei ist nicht einfach jede Kommune anders, sondern es lassen sich in Bezug auf diese Unter- schiede aus meiner Sicht Regelmäßigkeiten feststellen, die in diesem Buch in komprimierter Form beschrieben, erklärt und bewertet werden sollen. Auf kommunaler Ebene lassen sich danach aus meiner Sicht zwei Extremty- pen der repräsentativen Demokratie unterscheiden. Die kommunale Konkordanz- demokratie ist geprägt durch eine geringe Parteipolitisierung von Rat und Bür- germeistern in der Nominierungs-, Wahlkampf-, Wahl- und Regierungsphase bei gleichzeitig starker Dominanz des Bürgermeisters. Demgegenüber zeichnet sich kommunale Konkurrenzdemokratie durch eine starke Parteipolitisierung in allen Phasen und einen weniger einflussreichen Bürgermeister aus. Diese beiden Ex- tremtypen der repräsentativen Demokratie dienen in dieser Arbeit als Hinter- grundfolie, um Untersuchungen zur Kommunalpolitik im Längs- und Quer- schnittvergleich auf einem Intervall zwischen Konkordanz- und Konkurrenzde- mokratie einordnen zu können. Mit dieser Analyse verbinde ich vor allem drei Anliegen: Erstens soll durch diese Perspektive die in der lokalen Politikforschung dominante und vehement vertretene These einer stärkeren Parteipolitisierung der Kommu- nalpolitik kritisch hinterfragt werden. Auch für die kommunale Ebene gilt aus meiner Sicht, dass „nach dem Rom der Demokratie mehrere Wege führen“ (Lehm- bruch 1987: 1) können, die vorbehaltlos empirisch zu untersuchen sind. Zweitens soll mit diesem Buch erstmalig ein Überblick über die vielfältigen empirischen Untersuchungen zur repräsentativen Demokratie auf kommunaler Ebene gegeben werden. Über die Jahre hinweg sind viele hochwertige studentische Arbeiten und Dissertationen entstanden, deren Ergebnisse bisher kaum zusam- mengetragen und veröffentlicht wurden. Wie ich an der Fernuniversität in Hagen erleben durfte, verfügen viele Studenten und Promoventen über intensive Fach- kenntnisse in Kommunalverwaltung und -politik. Der relativ unproblematische 8 Vorwort Feldzugang zur Kommunalpolitik ermöglicht es ihnen zudem (fast nur in diesem Bereich) eigenständige und tiefgehendere empirische Untersuchungen durchzu- führen. Dabei erweist es sich aber immer wieder als problematisch, dass in der lokalen Politikforschung bisher kaum Überblickswerke zum Forschungsstand und zu Forschungsperspektiven der repräsentativen Demokratie vorgelegt wurden. Die in diesem Buch entwickelten Demokratietypen und skizzierten Erklärungsfak- toren für unterschiedliche Konfliktregelungsmuster in der Kommunalpolitik sollen damit auch ein Analyseraster bieten, das zukünftige studentische Arbeiten und Dissertationen „anleiten“ könnte. Drittens soll versucht werden, die empirischen Untersuchungen der lokalen Politikforschung aus dem „kommunalwissenschaftlichen Ghetto“ herauszuführen und stärker als bisher Bezüge zur vorwiegend national ausgerichteten Parteienfor- schung und vergleichenden Regierungslehre herzustellen. Wenn ich mit dem vorliegenden Buch zumindest einen kleinen Beitrag zur Er- reichung dieser nicht unambitionierten Ziele leisten könnte, dann wäre aus meiner Sicht schon viel erreicht. Ohne die Hilfestellung verschiedenster Personen und die infrastrukturelle Ab- sicherung wäre diese Arbeit kaum zu realisieren gewesen. Hier ist als Erstes Su- sanne Lütz, Jörg Bogumil und Roland Czada zu danken, die mir einerseits an der Fernuniversität in Hagen eine weitgehende Autonomie meiner Lehr- und For- schungsaktivitäten gewährten und andererseits in Gesprächen und ihren Publika- tionen sehr wichtige Hinweise für die theoretische Ausrichtung des Forschungs- vorhabens gaben. Zudem hatte ich in vielen gemeinsamen Publikationen mit Jörg Bogumil die Möglichkeit, die Bandbreite kommunal- und verwaltungswissen- schaftlich relevanter Fragestellungen zu erkunden und verdanke ihm somit auch viele empirische Anregungen. Aus meiner alten Bochumer Zeit möchte ich mich insbesondere bei meinem Doktorvater Uwe Andersen und bei Klaus Schubert herzlich bedanken, die mein Interesse an einer lebendigen, aktuelle praxisnahe Fragen empirisch aufgreifenden Politikwissenschaft nachhaltig bestärkt haben. Zahlreiche Hinweise zur Konzipie- rung und publikationsreifen Überarbeitung der Habilitationsschrift verdanke ich zudem Gerhard Banner, Arthur Benz, Marian Döhler, Thomas Eimer, David Geh- ne, Hubert Heinelt, Everhard Holtmann, Angelika Vetter und Hans-Georg Weh- ling. Bei der Erstellung von Grafiken, Formatierungs- und Korrekturarbeiten habe ich zudem auf die fachkundige Hilfe von Thomas Eimer, Eugen Holtkamp und Gerald Piuk zurückgreifen können. Zum Schluss gilt mein Dank meinen Eltern und meiner Freundin Sonja, die mich liebevoll in dieser Zeit unterstützt haben. 1 Einleitung Der Einfluss von Parteien in der Kommunalpolitik gehört seit Jahrzehnten zum Standardthema der lokalen Politikforschung. Die Debatte des Parteieneinflusses auf kommunaler Ebene ist gekennzeichnet durch eine hohe normative Aufladung – einige Autoren sprechen sogar von einem „Bekenntnisstreit“ (Holtmann 1998: 208). Während viele Politikwissenschaftler nach wie vor eine parteienstaatlich strukturierte, konkurrenzdemokratische Kommunalpolitik propagieren, präferie- ren viele Wähler und die rechtswissenschaftlich geprägte Kommunalwissenschaft eher die kommunale Konkordanzdemokratie. Danach soll der Einfluss von Partei- en auf die Kommunalpolitik stark reduziert werden und der Bürgermeister bei gleichzeitig konsensualen Konfliktregelungsmustern im Gemeinderat die kommu- nale Szenerie dominieren. Aber nicht nur für die kommunale Ebene wird die Rolle von Parteien in der Demokratie vermehrt kritisch diskutiert. Bereits zum Anfang der 90er Jahre wurde die zunehmende Distanz zwischen Bürgern und Parteien in den Massenmedien vorwiegend mit Bezug auf die Bundesebene auf den Begriff der Parteienverdros- senheit gebracht. Auch wenn die politikwissenschaftliche Parteienforschung in Deutschland relativ reserviert auf diese Krisenszenarien reagiert, zumal allein seit 1949 zehn Parteienkrisen in Deutschland konstatiert wurden (von Alemann 2000: 187), wird diese Ablösung der Parteien von ihrer gesellschaftlichen Basis bei gleichzeitigem Vordringen in alle staatlichen Bereiche in der Diskussion über den Parteienwandel weitgehend bestätigt und auch zunehmend aus normativer Per- spektive problematisiert (von Beyme 2000: 202). Die spätestens seit den 90er Jahren rückläufige Zahl der Parteimitgliedschaften, die Überalterung der Parteien und die Abnahme der Parteiidentifikation der Wähler sind deutliche Anzeichen für die zunehmende Distanz zwischen Parteien und Bürgern und wird nicht mehr aus- schließlich auf gesellschaftliche Veränderungsprozesse, sondern bedingt auch auf die „Kommunikations-, Realitäts- und Problemlösungsverluste“ (Oberreuter 2003: 98) der Parteien zurückgeführt. Zunehmend wird auch die institutionelle Privile- gierung der politischen Klasse durch Kartellabsprachen problematisiert (von Prittwitz 2000: 10). Durch diese Prozesse der sozialen Schließung könne der Wäh- 10 1 Einleitung ler einzelne Politiker kaum noch zur Verantwortung ziehen, womit Frustration und politische Apathie forciert würden (Borchert 2003: 40, 55). Insgesamt wird vermehrt befürchtet, dass der Trend auf Bundesebene in Rich- tung losgelöste und basislose Parteien geht (Wiesendahl 2003: 37) und die Parteien damit viele der ihnen für das politische System zugeschriebenen Funktionen, die gerade auf der Vermittlung zwischen Gesellschaft und Staat basieren, kaum noch erfüllen. Dabei richtet sich das Interesse in der Diskussion über mögliche Reformen des Parteienstaats zunehmend wiederum auch auf die lokale Ebene. Durch die Refor- men der kommunalrechtlichen Rahmenbedingungen in den 90er Jahren fungieren die Kommunen zum Teil als Vorbild für die höheren föderalen Ebenen. So werden Vorschläge bzgl. eines stärker personenorientierten Wahlrechts bzw. zur Direkt- wahl der Ministerpräsidenten und zur Einführung von Volksentscheiden zwecks Begrenzung des Parteieneinflusses mit Verweis auf Erfahrungen in der kommuna- len Praxis von vielen Politikwissenschaftlern auch für die Ebene der Bundesländer und des Bundes ernsthaft in Erwägung gezogen, wenn nicht gar befürwortet (De- cker 2001; von Prittwitz 2003; Borchert 2003: 222f.; Dittberner 2004: 266).1 Oder es wird eine Erweiterung des klassischen Mitgliederkonzeptes der Parteien gefordert, um den im Zuge des Wertewandels gewachsenen Ansprüchen an eine thematisch gebundene und zeitlich limitierte Partizipation besser gerecht zu werden. Hierfür sei vor allem die lokale Ebene prädestiniert, auf der durch runde Tisch die Bürger wieder vermehrt in die Politik und bedingt auch in die Parteien miteinbezogen werden könnten (Mielke 2003: 165; Mielke 2005: 128). Insgesamt sollen sich die lokalen Parteien vermehrt gegenüber den Bürgern öffnen, weil sich bürgerschaftli- ches Engagement am ehesten in den Kommunen realisieren lasse (Langguth 2003: 183). Eine Netzwerkbildung und Öffnung der parteiinternen Willensbildung zu anderen zivilgesellschaftlichen Akteuren vorrangig auf der lokalen Ebene wird als große Chance gesehen, um „die gesellschaftliche Verankerung der Parteien zu erhalten bzw. zurück zu gewinnen“ (Florack et al. 2005: 107). Die Kommunalpoli- tik sei das „Basiscamp der Demokratie“, in dem die Parteien den Bürgern wieder inhaltliche Orientierungen vermitteln könnten (Florack et al. 2004: 27). Durchweg fällt bei dieser Bezugnahme auf die lokale Ebene auf, dass sie in der Parteienforschung eher kursorisch und klischeehaft erfolgt und Hinweise auf em- pirische Forschungsergebnisse gänzlich fehlen. Einschätzungen ohne jeglichen empirischen Beleg, wie beispielsweise dass das Kumulieren und Panaschieren in 1 Grundsätzlich kritisch zu dieser auch von Juristen wie Hans Herbert von Arnim (2000) angestoß- enen Reformdiskussion vgl. van Ooyen (2000: 165); Wirthensohn (1999).