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Kommentar Psychotherapie–Richtlinien PDF

217 Pages·2011·8.314 MB·German
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Der Faber-Haarstrick-Kommentar zu den Psychotherapie-Richtlinien wurde von Franz-Rudolf Faber und Rudolf Haarstrick begründet und von den beiden Autoren erstmals 1989 vorgelegt. Dr. med. Franz-Rudolf Faber (1919–2010) war Dr. med. Rudolf Haarstrick (1919–1997) war Ner- Nervenarzt und Psychoanalytiker und hat von 1953 venarzt und arbeitete über lange Jahre als niederge- an bis 1984 die von ihm gegründete Clemens-Au- lassener Psychoanalytiker in Bremen. Neben seiner gust-Klinik für Psychosomatische Medizin und Psy- umfangreichen Praxistätigkeit verfolgte er bereits chotherapie in Neuenkirchen/Oldenburg geleitet. früh das Ziel, Psychotherapie im Leistungskatalog Neben dieser Tätigkeit hat Faber Ende der 50er Jah- der gesetzlichen Krankenversicherung zu veran- re Gespräche über die Einführung der ambulanten kern. Gemeinsam mit Franz-Rudolf Faber entwi- Psychotherapie in die kassenärztliche Versorgung ckelte er in einem kleinen Kreis von „Psychothera- maßgeblich mit initiiert und die dann folgenden peuten der ersten Stunde“ die heute noch im Grund- langjährigen Verhandlungen zwischen den beteilig- satz gültigen Prinzipien der ambulanten psychothe- ten Interessengruppen mit gestaltet und moderiert. rapeutischen Versorgung. Neben Faber war Nach Verabschiedung der Psychotherapie-Richtlini- Haarstrick ebenfalls langjähriger Sachverständiger en und Inkrafttreten derselben im Oktober 1967 hat für den Bereich Psychotherapie in der gemeinsamen Faber bereits Anfang 1968 eine erste Kommentie- Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen. rung im Deutschen Ärzteblatt vorgelegt. Aus zu- Schließlich war er bis zu seinem Tod 1997 Sachver- nächst vereinzelten weiteren Kommentaren ging ständiger bei den Anhörungen des 1998 verabschie- dann in gemeinsamer Arbeit mit seinem kongenia- deten Gesetzes über die Berufe des Psychologischen len Freund Rudolf Haarstrick der Faber-Haarstrick- Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendli- Kommentar zu den Psychotherapie-Richtlinien her- chenpsychotherapeuten. Er hat wesentlich dazu bei- vor – erstmals 1989 in Buchform und dann in regel- getragen, dass die Grundsätze der Richtlinien-Psy- mäßigen Neuauflagen erschienen. Schließlich war chotherapie in der vertragsärztlichen Versorgung Faber mehr als 30 Jahre lang Sachverständiger für auch unter geänderten gesetzlichen Rahmenbedin- den Bereich Psychotherapie in der gemeinsamen gungen erhalten geblieben sind. Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen und Durch seine Klarheit des Denkens verstand Haar- hat in dieser Funktion die Weiterentwicklung der strick zu überzeugen. Er bleibt in Erinnerung als ein Richtlinien-Psychotherapie begleitet und mit gestal- Mensch, der den Streit vermied, ohne ihn zu scheuen tet. und der den Konsens suchte, ohne ihn zu erkaufen. Stets von ausgleichender Freundlichkeit, vertrat er seine Auffassung mit Klarheit und Bestimmtheit. Ulrich Rüger Er war von gewinnender Liebenswürdigkeit und konnte so Vertreter gegensätzlicher Standpunkt zu Kompromissen bewegen. Ulrich Rüger Andreas Dahm Dieter Kallinke Faber/Haarstrick Kommentar Psychotherapie-Richtlinien 9., aktualisierte und ergänzte Auflage auf der Basis der aktuell gültigen Psychotherapie-Richtlinien (Stand Herbst 2011) Unter Mitarbeit von Martin Schmidt Zuschriften an: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Hackerbrücke 6, 80335 München, [email protected] Wichtiger Hinweis für den Benutzer Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemach- ten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschten Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflich- tung, anhand weiterer schriftlicher Informationsquellen zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Buch abweichen und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden in der Regel besonders kenntlich gemacht (®). Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warenna- men handelt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten 9. Auflage 2012 © Elsevier GmbH, München Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. 12 13 14 15 12 11 10 9 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint. Planung: Inga Dopatka, München Lektorat: Dr. Bernhard Gall, München Redaktion: Dr. Iris Gall, Greifenberg Herstellung: Rainald Schwarz, Dietmar Radünz, Cornelia Reiter, München Satz: abavo GmbH, Buchloe; TnQ, Chennai/Indien Druck und Bindung: L.E.G.O. S.p.A., Lavis, Italien Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Büro für Gestaltung, Neu-Ulm ISBN Print 978-3-437-22863-6 ISBN e-Book 978-3-437-59345-1 Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter www.elsevier.de und www.elsevier.com Autoren Dr. med. Andreas Dahm Prof. Dr. med. Ulrich Rüger Referatsleiter „Psychotherapie“ bei der Kassenärztlichen Ehem. Leiter der Abteilung Psychosomatik und Psycho- Bundesvereinigung therapie am Universitätsklinikum Göttingen Herbert-Lewin-Platz 2 Mittelbergring 59 10623 Berlin 37085 Göttingen Dr. med. Dipl.-Psych. Dieter Kallinke Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Martin H. Schmidt Facharzt für Psychotherapeutische Medizin Facharzt f. Kinder-und Jugendpsychiatrie und -psycho- Keplerstr. 22 therapie 69120 Heidelberg Zentralinstitut f. seelische Gesundheit 68159 Mannheim Vorwort zur 9. Auflage Die Arbeit an der 9. Auflage des Kommentars wurde gesetzt, und er hat insbesondere die Aufgabe, den überschattet vom Tod Franz-Rudolf Fabers, der am interpretatorischen Spielraum dieser Vorschriften 24. Februar 2010 im Alter von 90 Jahren verstorben für den Einzelfall auszuweisen. ist. Um die Erinnerung an die Begründer des „Faber/ Ein Kommentar zur Psychotherapie-Richtlinie Haarstrick“ zu erhalten, wird dem Kommentar eine kann diese selbst nicht verändern. Auch haben die Würdigung von Franz-Rudolf Faber und Rudolf Kommentatoren nicht die Aufgabe, die wissen- Haarstrick vorangestellt. schaftlichen Grundlagen von Behandlungsverfahren Der „Faber/Haarstrick“ ist inzwischen zu einer fe- zu überprüfen. Dies obliegt dem wissenschaftlichen sten Institution geworden. Er ist eng mit der jetzt Beirat „Psychotherapie“ gemäß §  11 PT-Gesetz. über 40-jährigen Geschichte der Richtlinien-Psycho- Ebenso wenig haben die Kommentatoren zur Ein- therapie in Deutschland verbunden und aus dieser führung von Behandlungsverfahren in die vertrags- nicht mehr wegzudenken. Nach dem Tod von Ru- ärztliche Versorgung Stellung zu nehmen. Hierfür dolf Haarstrick 1997 hatte sich Rudolf Faber mit der sind die entsprechenden Gremien des Gemeinsa- 6. Auflage (2003) als verantwortlicher Verfasser zu- men Bundesausschusses (G-BA) zuständig. Ein rückgezogen und seine Funktion auf Ulrich Rüger Kommentar ist eben nur ein Kommentar und be- übertragen. Die langjährige bewährte Zusammenar- zieht letztlich seine Legitimation daraus, inwieweit beit mit Andreas Dahm und Dieter Kallinke blieb er Hilfestellung für die Praxis und Entscheidungs- erhalten und hat so die notwendige Kontinuität ge- grundlage in strittigen Fällen sein kann. währleistet. Die Substanz der Richtlinien für Psychotherapie Die Implementierung der Psychotherapie in das ist in ihrer über 40-jährigen Entwicklung im We- medizinische Versorgungssystem benötigte von An- sentlichen unverändert erhalten geblieben. Dazu beginn an eine kommentierende Begleitung. Hier zählt die Orientierung an einem Krankheitsbegriff. galt es, zwischen dem zwangsläufig eingrenzenden Die daran ausgerichtete ätiologische Festlegung der und strukturierenden Regelwerk der Richtlinien Indikationsbereiche, der Differenzialindikation und und dem notwendigen Spielraum im individuellen der Begrenzungen der angewandten Verfahren hat Einzelfall zu vermitteln. Dementsprechend betont im Grundsatz unverändert Gültigkeit behalten. Da- der Kommentar auf der einen Seite den notwendi- mit werden im Rahmen der Richtlinien-Psychothe- gen Gestaltungsrahmen für die therapeutische Pra- rapie auch weiterhin die Implikationen der kurati- xis, setzt einem Ausufern des Systems andererseits ven Versorgung (entsprechend Sozialgesetzbuch aber Grenzen. SGB V) von Patienten berücksichtigt. Ein Kommentar ist kein Gesetz und auch keine Die Durchsicht und Aktualisierung der jetzt vor- verbindliche Richtlinie. Vielmehr stellt er den inter- liegenden 9. Auflage haben für den allgemeinen Teil pretatorischen Rahmen von Gesetzen, Vorschriften Andreas Dahm und Ulrich Rüger durchgeführt; für oder Richtlinien dar. Ein guter Kommentar soll die Aktualisierung der Kommentierung der psycho- nicht die persönliche, möglicherweise sehr individu- analytisch begründeten Verfahren war Ulrich Rüger elle Auffassung eines verantwortlichen Autors wie- zuständig; für die Verhaltenstherapie übernahm die- dergeben, sondern soll bei der praktischen Umset- se Aufgabe wie auch in den vorangegangenen Aufla- zung von Vorschriften eine Hilfestellung geben, die gen Dieter Kallinke, wobei die Verhaltenstherapie sich in ihren Grundsätzen auf einen breiten Konsens bei Kindern und Jugendlichen (Kapitel 4.14) von stützen kann. Trotzdem soll ein Kommentar sich Martin Schmidt völlig neu verfasst wurde. Schließ- nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner aller lich hat Andreas Dahm als verantwortlicher Referat- möglichen Auffassungen gründen. Damit wäre er sleiter Psychotherapie der Kassenärztlichen Bundes- überflüssig. Vielmehr sind ihm durch die Gesetze vereinigung mit seinen Kenntnissen und Informa- oder Vorschriften, auf die er sich bezieht, Grenzen tionen geholfen, den Kommentar im Hinblick auf VIII Vorwort zur 9. Auflage Unstimmigkeiten zur gültigen Psychotherapie- • Änderung der Psychotherapie-Richtlinie seit Er- Richtlinie kritisch zu überprüfen und entsprechende scheinen der letzten Auflage dieses Kommentars Änderungen vorzunehmen. Insbesondere hat An- (2009): Im Jahre 2008 wurde eine Neufassung der dreas Dahm die Einarbeitung und Kommentierung Richtlinie und 2009 eine Ergänzung der Psycho- von Änderungen der Psychotherapie-Richtlinie vor- therapie-Richtlinie rechtskräftig: Ergänzung bei genommen und dabei veränderte Nomenklatur und der Prüfung von Indikationsbereichen der Richt- neu eingeführte Struktur und Paraphierung der linien Psychotherapie um die „gemischten Stö- Richtlinie berücksichtigt. rungen“ (§ 22). 2011 wurde die Indikation bei Ab- Der Kommentar hat drei Schwerpunkte: hängigkeitserkrankungen geändert (§ 22 (2) 1). 1. Die sachliche Erläuterung der Texte: • Änderung der Psychotherapie-Vereinbarungen Die Texte der Richtlinie und der Vereinbarungen seit Erscheinen der letzten Auflage des Kommen- werden in ihrem Wortlaut kommentiert, um deren tars (2009): Redaktionelle Anpassungen einiger Zielrichtung zu verdeutlichen. PTV-Formblätter 2. Verfahrens- und Entscheidungsgrundsätze des • Im Kommentar vorgenommene inhaltliche Neu- Gutachterverfahrens: formulierungen/ Ergänzungen/ Präzisierungen: Der Kommentar enthält ausführliche Hinweise zum Kommentierung der seit 2008 vorgenommenen Verständnis des Gutachterverfahrens. Hier wurde Änderungen in den Psychotherapie-Richtlinien ein Konsens der Begutachtungspraxis im Rahmen (Stand 2010). regelmäßiger Klausurtagungen unter Leitung der 1967 waren zunächst ausschließlich die psychoanaly- Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) erar- tisch begründeten Verfahren in den Leistungskatalog beitet. Die Kommentierung stützt sich daher auch der GKV aufgenommen worden. Dadurch bedingt auf eine breite Meinungsbildung von vielen in der wurde – auch noch nach Aufnahme der Verhaltens- Richtlinien-Psychotherapie erfahrenen Fachleuten. therapie in den Leistungskatalog der GKV 1987 – ein Neu berücksichtigt als wesentliche Ergebnisse dieser erheblicher Teil der verfahrensübergreifenden As- Klausurtagungen und von Anregungen aus dem pekte im Rahmen der psychoanalytisch begründeten Kreis der Gutachter aus den Jahren 2008 und 2009 Verfahren kommentiert (Kapitel 3). In der 9. Auflage sind neu verfasst: wurde eine weitgehende „Entflechtung“ der betref- • Qualitätsanforderungen an die Diagnostik (Kap. fenden Themen vorgenommen. Ein Teil davon wur- 2.4) de in einem neuen Kapitel „Verfahrensübergreifende • Eigenes Kapitel für die Prognose (Kap. 2.7), in Aspekte“ (Kapitel 6) zusammengefasst, ein anderer dem bisher im Kommentar an verschiedenen eher grundsätzlicher Teil (z. B. Diagnostik, Progno- Stellen aufgeführte Kriterien zusammengefasst se) wurde in das Kapitel 2 (Allgemeine Vorausset- wurden zungen …) aufgenommen. Wir hoffen, dass der • Traumatherapeutische Interventionen im Rah- Kommentar damit an Übersichtlichkeit gewinnt. men der Richtlinien-Psychotherapie (Kap. 3.4.1). Es ist uns nicht möglich, die Namen all derer zu • Das Gutachterverfahren als Teil der Qualitätssi- nennen, die durch ihre Anmerkungen und Diskussi- cherung onsbeiträge zur Weiterführung des Kommentars • Erweiterte Hinweise zur Psychotherapie in unter- und zum Zustandekommen der jetzt 9. Auflage bei- schiedlichen institutionellen Rahmenbedingun- getragen haben. gen. Ein besonderer Dank gilt Ludwig Barth, der das 3. Einbeziehung des aktuellen Diskussionsstandes Kapitel 12 (Beihilfevorschriften) mit gestaltet hat, im Unterausschuss Psychotherapie des Gemein- und Martin Schmidt, der das Kapitel über die Ver- samen Bundesausschusses in der besonderen haltenstherapie bei Kindern und Jugendlichen (4.14) Zusammensetzung für Fragen der Psychothera- neu verfasst hat sowie Annette Streeck-Fischer, pie: Christa Schaff und Hans Hopf für ihre Vorschläge Hier war die notwendige Rückkopplung über die bei der Bearbeitung des Kapitels (3.6) Kinder- und ständige Präsenz von Andreas Dahm als Referatslei- Jugendlichenpsychotherapie im Rahmen der psy- ter Psychotherapie der KBV gewährleistet. choanalytisch begründeten Verfahren. Vorwort zur 9. Auflage IX Unsere dankbare Erinnerung gilt Rudolf Faber Frau Inga Dopatka danken wir für die gute Vor- und Rudolf Haarstrick. Die beiden Begründer des planung der 9. Auflage und Herrn Dr. Bernhard Gall Kommentars haben diesen über Jahre hinweg für die sorgfältige Lektorierung und vielfältige Hilfe durch die Genauigkeit ihrer Darstellung und ihre bei der Neugestaltung des Kommentars. Verbundenheit mit seinem fachlichen Anliegen Wir sind zuversichtlich, dass der Kommentar entscheidend geprägt. Damit haben sie die Grund- auch in Zukunft ein wichtiges Instrument im Rah- lage für ein die Zeit überdauerndes Werk und für men der psychotherapeutischen Versorgung bleiben die Weiterführung durch die heutige Autorengrup- wird – Hilfestellung für die Praxis und Entschei- pe gelegt. dungsgrundlage in strittigen Fällen. Oktober 2011 Ulrich Rüger, Göttingen Andreas Dahm, Berlin Dieter Kallinke, Heidelberg Die Texte werden im Kommentar wie folgt zitiert: Psychotherapie-Richtlinien 2011 (R: …) Psychotherapie-Vereinbarungen – RVO 2008 (V: …) Die erste Ziffer bezeichnet die Seite, die zweite (und dritte) die Zeile. KAPITEL Zur Einführung der 1 Psychotherapie in die kassenärztliche Versorgung 1.1 Erste Phase 1967–1976 Richtlinien festgelegt und begrenzt, um die sinnvolle 10 Verwendung der Mittel der Versichertengemein- schaft zu sichern. Andererseits mussten die thera- Die erste Phase begann, als 1967 die ersten Psycho- peutischen Gesichtspunkte einer Behandlung unter 60 therapie-Richtlinien in Kraft gesetzt worden waren. neurosenpsychologischen Kriterien in möglichst Diese Richtlinien stellten einen ersten Versuch dar, großem Umfang gewahrt werden, um den therapeu- 15 ätiologisch orientierte Psychotherapie unter Berück- tischen Prozess in seiner Eigengesetzlichkeit nicht zu sichtigung ihrer Eigengesetzlichkeit mit dem Krank- stören. heitsbegriff der Reichsversicherungsordnung in der Manche Kritiker hielten die Eigenfinanzierung 65 damals gültigen Rechtsnorm wie auch mit den ge- der Therapie durch den Patienten – zumindest mit setzlichen Erfordernissen der Notwendigkeit, einem größeren Eigenanteil – für eine Conditio si- 20 Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit in Einklang ne qua non und sahen dessen Motivation für die zu bringen. Therapie in der vollen Finanzierung durch die Als seelische Krankheit im Sinne der Reichsversi- Krankenkasse als gefährdet an. Die Versuche, eine 70 cherungsordnung galten damals „aktuelle seelische Kompromisslösung zu finden, scheiterten an den Störungen, bei denen ein zeitlich und ursächlich ab- Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung. 25 grenzbarer Zusammenhang der Psychodynamik der Schwerer wog jedoch, dass in die therapeutische Neurose mit einer gegenwärtig wirksamen Konflikt- Dyade ein entscheidend wichtiger Dritter, die situation angenommen werden muss“. Allerdings Krankenkasse, aufgenommen wurde. Die Einfüh- 75 konnten auch die im akuten Krankheitsgeschehen rung eines Gutachterverfahrens für Psychotherapie bedeutungsvoll gewordenen Persönlichkeitselemen- wurde als restriktiv empfunden, zumal der Solidar- 30 te Gegenstand der Behandlung werden, sofern ihnen gemeinschaft der Versicherten ohnehin für Psycho- – in das Krankheitsgeschehen integriert – eine wich- therapie ein unverhältnismäßig geringer Kosten- tige ätiologische Bedeutung von pathogener Wirk- aufwand zugemutet worden war. Spätere Untersu- 80 samkeit zugeschrieben werden musste. chungen haben bestätigt, dass in den Jahren 1978 Die Strukturveränderung der neurotischen Per- bis 1983 der durchschnittliche Anteil der 35 sönlichkeit eines Kranken – über die Beseitigung der psychodia gnostischen und psychotherapeutischen aktuellen Störung hinaus – wurde nicht als Aufgabe Leistungen am Gesamtvolumen der kassenärztli- der kassenärztlichen Versorgung anerkannt. Damit chen Versorgung etwa 0,56 % betrug (aktuelle Zah- 85 musste von der Psychoanalyse in der gesetzlichen len s. › Kap. 1.7). Krankenversicherung eine Eingrenzung erwartet Vor allem aber schien das Gutachterverfahren 40 werden, die ihrem bisher gewachsenen und in der durch anonymisierte Offenlegung der Therapiein- Theorie systematisierten Selbstverständnis wider- halte einen unzumutbaren Eingriff in die therapeuti- sprach. In der kassenärztlichen Versorgung wurde sche Beziehung zwischen Patient und Therapeut 90 die Psychoanalyse ausschließlich als Behandlungs- darzustellen. Die Kritiker übersahen dabei aller- methode seelischer Krankheiten, und dies zunächst dings, dass eine Selbstbeteiligung der Patienten bei 45 nur bei aktuellen seelischen Störungen, in Anspruch Kindern, Jugendlichen und nichterwerbstätigen genommen und damit analytische Psychotherapie. Ehefrauen in jedem Fall immer einen „zahlenden Der psychotherapeutische Aufgabenbereich der Dritten“ (Vater oder Ehemann) zur Voraussetzung 95 gesetzlichen Krankenversicherung wurde in den gehabt hatte und dass sich für diese Patienten im- 2 1 Zur Einführung der Psychotherapie in die kassenärztliche Versorgung 1 mer ein – die Therapie stark beeinträchtigendes – tenversorgungsträger oder auf andere Kostenträger Abhängigkeitsverhältnis ergab, das einer freien Ent- verwiesen werden. Schließlich musste das 1974 in 50 faltung der Persönlichkeit dieser Patienten schädi- Kraft getretene Gesetz über die Angleichung der 1 gend im Wege stand. Für die therapeutische Situati- Leistungen zur Rehabilitation berücksichtigt wer- 5 on dieser Patienten war eine Regelung über die den, das den Krankenkassen die Aufgabe zuwies, Krankenversicherung eindeutig eine Befreiung. auch Behinderte zur Besserung ihres Zustands und Aber auch für die erwerbstätigen Patienten erwiesen zur Wiedereingliederung in Arbeit, Beruf und Ge- 55 sich die Probleme, die man beim Wegfall einer di- sellschaft psychotherapeutisch zu behandeln. Die rekten Eigenbeteiligung der Patienten befürchtet Umstellung auf diesen größeren Aufgabenbereich 10 hatte, in der Praxis als lösbar. erforderte eine wesentliche Erweiterung sowohl des Andererseits haben die Forderungen seitens der Indikationsumfangs wie auch der Leistungsgrenzen gesetzlichen Krankenversicherung fruchtbare Im- der Richtlinien. 60 pulse für die Entwicklung der psychoanalytisch be- gründeten Verfahren gegeben. Zur Differenzierung 15 der Therapieverfahren wurde z. B. der Begriff der 1.3 Dritte Phase 1987–1989 „tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie“ (Theodor Winkler) mit den Richtlinien erst ge- 65 schaffen. Die dritte Phase der psychotherapeutischen Versor- 20 gung begann mit den Richtlinien vom 1.10.1987, in denen 1.2 Zweite Phase 1976–1987 a) die Verhaltenstherapie Bestandteil der Psycho- 70 therapie-Richtlinien wurde und b) die psychosomatische Grundversorgung als Er- 25 Die zweite Phase begann mit der Neufassung der gänzung der kassenärztlichen Psychotherapie defi- Psychotherapie-Richtlinien im Jahr 1976. Entgegen niert worden war. der Erwartung vieler Therapeuten war die psycho- 75 therapeutische Behandlung unter den Bedingungen der kassenärztlichen Versorgung – wenn natürlich 1.3.1 Einführung der  30 auch nicht ohne anfängliche Schwierigkeiten – im Verhaltenstherapie Ganzen zufriedenstellend realisiert worden. Die Ab- grenzung der aktuellen Störungen von den chronifi- Engagierte Verhaltenstherapeuten drängten auf- 80 zierten neurotischen Erkrankungen hatte sich in grund ihrer wachsenden Erfahrungen in der Kran- der Praxis durchführen lassen, weil für die chronifi- kenbehandlung auf eine Beteiligung an der psycho- 35 zierten psychischen Erkrankungen andere Kosten- therapeutischen Versorgung im kassenärztlichen träger als die Krankenkasse zur Verfügung standen. Bereich. Allerdings stieß die Einordnung der lern- Die Neufassung war dann aber notwendig gewor- theoretisch begründeten Verhaltensmodifikatio- 85 den, weil die Rechtsprechung der Sozialgerichte nen in das System der gesetzlichen Krankenversi- auch die Behandlung chronifizierter Erkrankungen cherung auf fast noch größere Schwierigkeiten, als 40 dem Aufgabenbereich der gesetzlichen Kranken- sie 1967 bereits bei der Psychoanalyse bestanden kassen zugewiesen und damit den Krankheitsbegriff hatten. Auch die Psychoanalyse hatte sich ja einen der Reichsversicherungsordnung erweitert hatte. weitaus größeren Aufgabenbereich erschlossen, als 90 Die Rentenversicherungsträger hatten 1974 ihre das Leistungsrecht der Krankenkassen mit dem frühere Bereitschaft aufgegeben, die analytische Psy- geltenden Krankheitsbegriff hätte abdecken kön- 45 chotherapie bei chronisch erkrankten Patienten im nen. Die „Modifikation unerwünschten Verhal- Rahmen eines sogenannten „ambulanten Heilver- tens“ war zunächst das erklärte Ziel der lerntheore- fahrens“ als Kann-Leistung zu übernehmen. Im Gut- tisch begründeten Psychotherapien gewesen; es bot 95 achterverfahren konnte also nicht mehr auf den Ren- deshalb noch mehr Schwierigkeiten hinsichtlich 1.3 Dritte Phase 1987–1989 3 1 der Eingrenzung des Indikationskatalogs und der • D ie Anwendung der Verhaltenstherapie erfolgt in Definition der zugehörigen therapeutischen Ver- der kassenärztlichen Versorgung unter systemati- 50 fahren, weil die Verhaltenstherapie bisher einen scher Einbeziehung der Psycho- und Organpa- Krankheitsbegriff nicht anerkannt oder geschaffen thologie in die Diagnostik und in die Therapieplä- 1 5 hatte. ne. In langwierigen und auch kontrovers geführten • D ie Behandlungskonzepte der Verhaltenstherapie Diskussionen zwischen Krankenkassen, Kassenärzt- sind durch die Entwicklung eines Störungsmo- 55 licher Bundesvereinigung und Sachverständigen der dells und einer übergeordneten Behandlungsstra- Psychotherapie konnte die Verhaltenstherapie tegie bestimmt. Diese bildet die Grundlage für die 10 schließlich in die Psychotherapie-Richtlinien aufge- Ableitung der einzelnen Interventionen sowie de- nommen werden und dort ihren definierten Aufga- ren zeitlicher Abfolge. benbereich finden. • D ie Behandlung ist am individuellen Krank- 60 heitsgeschehen des Patienten orientiert. Bezugs- personen, besonders der eigenen Familie des 15 Die Voraussetzungen für die  Patienten, können und müssen ggf. in die Be- Einführung der Verhaltenstherapie   handlung einbezogen werden – bei Kindern und in die Psychotherapie-Richtlinien Jugendlichen im Sinne einer „begleitenden Psy- 65 chotherapie“ – um ihnen Einsichten in die pa- Die Verhaltenstherapie wurde in die Psychothera- thogene Struktur des Interaktionsfelds zu ver- 20 pie-Richtlinien als ein Verfahren aufgenommen, mitteln und um diese Struktur zu verändern. dem „ein umfassendes Theoriesystem der Krank- Wenn Bezugspersonen aber selbst behandlungs- heitsentstehung zugrunde liegt“ und dessen „spezifi- bedürftig sind, müssen sie einer eigenen psycho- 70 sche Behandlungsmethoden in ihrer therapeuti- therapeutischen Behandlung unter Einschaltung schen Wirksamkeit belegt sind“ (R: B § 13). des für sie zuständigen Kostenträgers zugeführt 25 Diese Einschätzung des Bundesausschusses für werden. Transindividuelle Zielsetzungen der Ärzte und Krankenkassen beruht im Wesentlichen Therapie werden grundsätzlich vermieden. „Fa- auf folgenden Feststellungen: milientherapie“ in diesem (systemischen) Sinne 75 • D ie Verhaltenstherapie verfügt über Vorausset- ist aus versicherungsrechtlichen Gründen bisher zungen für eine ätiologisch orientierte Diagnostik nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versor- 30 seelischer Krankheiten durch eine komplexe Ver- gung. haltensanalyse und über langjährig bewährte, • D ie Anwendung einzelner verhaltenstherapeuti- spezifische Methoden zur ambulanten Behand- scher und anderer psychotherapeutischer Metho- 80 lung seelisch kranker Patienten. den und Techniken wird der „übergeordneten Be- • D ie komplexe Verhaltensanalyse umfasst – über handlungsstrategie“ subsidiär eingefügt (z. B. Ent- 35 eine phänomenologische Darstellung sympto- spannungsverfahren, hypnotherapeutische Tech- matischen Verhaltens hinaus – eine anamnes- niken, Trainingsmethoden, Methoden der tisch, aktuell und perspektivisch ausgerichtete kognitiven Umstrukturierung). Mit der Integrati- 85 Bedingungsanalyse und eine Funktionsanalyse, on verschiedener Interventionen wird der Grund- die individuell wie auch systemisch orientiert charakter des verhaltenstherapeutischen Konzep- 40 ist. tes gewahrt. Eine additive, symptomorientierte • D as Krankheitsgeschehen wird in der Verhal- Anwendung verschiedener Methoden gilt nicht als tenstherapie „ganzheitlich“ gesehen (R: A § 3). Verhaltenstherapie im Sinne der Psychotherapie- 90 Motorische, physiologische, kognitive und emo- Richtlinien. tionale Vorgänge sind in den Begriff des „Verhal- • D urch verhaltenstherapiebezogene Selbsterfah- 45 tens“ eingeschlossen. Die Erfassung des Motiva- rung des Therapeuten werden Voraussetzungen tions- und Bedingungsgefüges des Patienten gilt geschaffen, die manipulative, nicht personen- als Voraussetzung für therapeutische Interventi- und therapiegerechte Einwirkungen auf den Pati- 95 onen. enten weitgehend vermeiden lassen, vor allem

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