Robert Hettlage · Susanne Wagner Petra Deger Kollektive Identität in Krisen Ethnizität in Region, Nation, Europa Robert Hettlage · Petra Deger Susanne Wagner (Hrsg.) Kollektive Identität in Krisen Robert Bettlage · Petra Deger Susanne Wagner (Hrsg.) unter Mitwirkung von Krzysztof Glass und Barbara Serloth Kollektive Identität in Krisen Ethnizität in ReLigion) Nation) Europa Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH ISBN 978-3-531-1 2827-6 ISBN 978-3-322-89577-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-89577-6 Alle Rechre vorbehalten © 1997 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1997. Das Werk einschließlich aller seiner Teile isr urheberrechdich geschürzt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechrsgeserzres isr ohne Zustimmung des Verlags unzu lässig und strafbar. Das gilr insbesondere für Vervielfälrigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. h rrp:l /www.wesrdeurschervlg.de Umschlaggesralrung: Horst Diecer Bürkle, Darmsrade Umschlagbild: A. Rojahn, Auffremde Anweisung, 1987, Öl a. Lw. 120 x 90 Inhalt Vorwort. ................................................................................................................... 9 I. Identität und Integration Robert Heulage Identität und Integration: Ethno-Mobilisierung zwischen Region, Nation und Europa-eine Einführung ............................................................... l2 II. Nation und Ethnizität: Theoretische Perspektiven Friedrich Heckmann Ethnos -eine imaginierte oder reale Gruppe? Über Ethnizität als soziologische Kategorie .................................................. .46 Christian Giordano Ethnizität: Prozesse und Diskurse im interkulturellen Vergleich .................... 56 Bernd Este/ Modeme Nationsverständnisse: Nation als Gemeinschaft.. ............................ 73 Barbara Serloth Der Mythos der nationalstaatliehen Homogenität.. ......................................... 86 IIJ. Ethnische Strategien in West-und Südeuropa PetraDeger Ethnische Grenzziehungen, Bürgerstatus und multikulturelle Gesellschaft. Gastarbeiter in Deutschland ............................................................................ 98 Dieter Goetze Ethnische und nationale Strategien in Katalonien ......................................... ll2 Watther L. Bernecker Ethnischer Nationalismus im Baskenland ..................................................... 123 Inhalt 7 V. Nation und Ethnizität: Europäische Perspektiven Sighard Necke! und Karen Körber Last exit ethnicity? Zur politischen Konstruktion von Ethnizität in den USA und Deutschland. ...................................................................... 310 Robert Heulage Euro-Visionen. Identitätsfir.dung zwischen Region, Nation und transnationaler Union ....... 320 Verzeichnis der Autoren .................................................................................. 358 Vorwort In einer hitzigen Debatte mit Jeffrey Alexander, George Ritzer u.a. über den natio nalen Charakter soziologischer Theorie hat Richard Münch jüngst die These auf gestellt, daß Gesellschaftswissenschaften im allgemeinen eine Tendenz zum Eth nozentrismus hätten - nicht nur wegen des Hanges, ihre Ideen auf die eigenen Gesellschaften anzuwenden, sondern auch wegen der größeren Vertrautheit mit dem spezifischen Alltag dieser Gesellschaften. 1 Es sei hingegen die Chance gerade der europäischen Sozialwissenschaften, dieser Verengung zu entgehen: Wegen der hohen Fragmentierung und der z.T. geringen Größenordnung mancher Nationen seien die Europäer besonders gezwungen, über die Grenzen hinwegzuschauen und sich mit der "varietas" auseinanderzusetzen. Das ist seit der "großen Transformati on" gegen Ende des 20. Jhs., also der "Revolution" von 1989, als Impuls und Auf trag noch deutlicher geworden. Zu den ersten Forschern, die sich vom Staunen über den Zusammenbruch des dualen Machtsystems in Europa erholt hatten und zu konkreten grenzüberschrei tenden Aktionen geschritten waren, um "Europa (neu) zu denken" (Edgar Morin), gehörten die Mitglieder der "Österreichischen Gesellschaft für Mitteleuropäische Studien" (ÖGfMS). Angeregt durch die alte und neue Scharnierfunktion der Öster reichischen Metropole Wien und die vielen persönlichen Kontakte mit Forschern aus mittel- und osteuropäischen Ländern unternahmen sie es, den alten Ost-West Dualismus sprengende Zusammenkünfte mit Kotlegen und Kotleginnen aus dem "anderen", nun wieder nahegerückten Europa zu organisieren, um gesamteuropäi sche Identitäten, die Herausforderung der Transformationsprozesse, die Vergan genheitsbewältigung und die Normalisierung einer "civil society" zu diskutieren. Und das hieß zunächst einmal, Kommunikationsbarrieren zu überwinden, For schungstraditionen und Probleme kennenzulernen und Kontaktnetze aufzubauen. Nach den ersten Tagungen, die jeweils im ehemaligen "Osten" stattfanden, kam die Idee auf, diese Treffen - hinsichtlich der Teilnehmer und Tagungsorte - noch stärker zu europäisieren. Als Ausdruck dieses Wunsches fiel die Wahl für die Tagung vom Sommer 1995 aufdie Universität Regensburg. Vg l. hierzu die Debatte in der Schweizerischen Zeitschrift für Soziologie Bd. 21 und Bd. 22 ( 1995 u. 1996). 10 Vorwort Das internationale Symposium stand unter dem Generalthema: "Ethno regionalisierung oder Ethnoperipherisierung? Über Parallelitäten und Diskonti nuitäten des west- und mitteleuropäischen Transformationsprozesses". Es hätte nicht durchgeführt werden können, wenn nicht einige günstige Voraussetzungen die Organisation erleichtert hätten. Zunächst und vor allem ist das bewährte Organisationsteam der ÖGfMS, Mag. Dr. Krzysztof Glass und Mag. Dr. Barbara Serloth, hervorzuheben, das seine her vorragenden Kontakte nach Polen, Ungarn, Tschechien und Ex-Jugoslawien spie len ließ, um Referenten und Interessenten aus diesen Ländern einzuladen und auch später einige ausgewählte Manuskripte der Autoren Mittel-Ost-Europas zu sam meln. Deswegen geht unser herzlicher Dank an diese beiden Stützen der ÖGfMS, die auch Autoren dieses Bandes sind. Ohne ihren großen organisatorischen Einsatz wäre die Tagung in Regensburg so nicht zustande gekommen! Unverzichtbar für die Durchführung der Konferenz, aber auch für die nun vor liegende Publikation erwies sich die Bereitschaft der Deutschen Forschungsge meinschaft, der Regensburger Universitätsstiftung Hans Vielberth, der Universität Wien und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, über die bürokrati schen Regeln der Antragstellung hinwegzusehen und schnelle, großzügige finan zielle Hilfe zu leisten. Auch ihnen sind wir zu großem Dank verpflichtet. Einge schlossen ist darin ebenfalls der Dank an den Westdeutschen Verlag, der diesen Band in seiner Entstehung von Anfang an ermutigt hat. Symposien und Publikationen bedürfen auch der "Macher" im Hintergrund. Hier konnte ich mich wie immer auf ein eingespieltes Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl I für Soziologie verlassen - allen voran Birgit Schubert und Barbara Grabmann, M.A., die mit bewährtem Organisationstalent die Fäden gezogen haben, aber auch Petra Koller, Sabine Niedermeier und Christof Heigl, die sich um den Ablauf der Tagung "vor Ort" und später um das Korrek turlesen der Manuskripte verdient gemacht haben. Eine besondere Erwähnung verdienen schließlich Petra Deger, M.A., und Su sanne Wagner, M.A., die mich in meiner Herausgebertätigkeit mit hohem Einsatz und großer Kompetenz unterstützt haben. Ihnen ist es zu einem nicht geringen Teil zu verdanken, daß die Autoren ihre Manuskripte rechtzeitig und in der gewünsch ten Form abgeliefert haben. Hoffen wir, daß es uns damit gelungen ist, einen Beitrag zu leisten, um "Europa zu denken" -eine Aufgabe, die angesichts der neu aufkommenden Natio nalismen, Ethnofragmentierungen und Regionalisierungstendenzen in "Ost und West" dringlicher ist als je zuvor. Regensburg/Base/, im September 1996 Prof Dr. Dr. Robert Hett/age Identität und Integration. Ethno-Mobilisierung zwischen Region, Nation und Europa-eineEinführung Robert Nettlage Etwa seit 1 500 Jahren kennen wir politische Versuche, Europa aufzubauen sowie Wirtschaftsordnungen und intellektuelle Bewegungen, die europäischen Charakter trugen. Eine politisch-kulturelle Einheit hingegen konnten sie alle nicht erzielen, immer stand ihnen der Geist der Spaltung und Unterdrückung entgegen. Das 20. Jahrhundert trägt seinen Anteil an dieser Einschätzung. Es ist glücklicherweise aber ebenfalls ein Jahrhundert, das, zunächst im Westen, eine beachtliche und einmalige europäische Einigungspolitik entwickelte. Seit dem überraschenden Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" im "Osten" dieses Konti nents scheint sich auch für die mittel- und osteuropäischen Staaten die Möglichkeit zu eröffnen, nach Europa ,,zurückzukehren". A) Europäische Interdependenzen? Zunächst kam der Eindruck auf, daß Europa nunmehr als Ganzes auf dem Weg "zu sich" sei. Endlich gelangte ein einziges Europa in Griffnähe. Aber nur sieben Jahre Erfahrung mit der "Wende" zeigen, daß Hoffnungen und Realitäten nur schwer zur Deckung kommen. Als das Großexperiment eines vereinten Europas schließlich hätte beginnen können, waren alle gänzlich unvorbereitet und überfordert. Tragfä hige und vor allem zügig zu verwirklichende Konzepte waren nicht in Sicht, so daß die anfängliche Euphorie schnell wieder von Bedenken und Ratlosigkeiten überlagert wurde. Das ist so verwunderlich nicht, handelt es sich doch bei dieser Entwicklung nicht allein um eine radikale Veränderung der wirtschaftlichen und politischen Ordnungen im ehemaligen Ostblock, sondern durch seine Rückwirkungen auf die westlichen Gesellschaften vermutlich um einen wahrhaft europäischen Umbau mit geopolitischen Dimensionen. Der Analysebedarf ist entsprechend hoch. Das zeigt sich daran, daß in West und Ost folgende Fragen auf eine Antwort warten: Identität und Integration 13 (I) Ist das westeuropäische Modell für die mittel- und osteuropäischen Staaten politisch, wirtschaftlich und kulturell attraktiv genug oder überhaupt machbar? (2) Ist die westeuropäische Strategie der zunehmenden wirtschaftlichen und wirt schaftspolitischen Integration angesichts der veränderten geopolitischen Aus einandersetzungen auch im Westen (noch) eine Quelle der Identifikation? (3) Hat die seit Rosa Luxemburg vertretene These von der wachsenden Bedeu tungslosigkeit "kleinbürgerlich"-ethnischer und nationaler Kriterien den Lauf der Geschichte richtig eingeschätzt, oder hat die Sowjetunion durch ihre Politik der "zurückgestauten Nationalismen" nicht gerade erst ein neues Zeitalter der Nation in Gang gebracht? (4) Umgekehrt: Ist im Westen Europas durch die hohe ökonomische Integration nicht ungewollt eine Bewegung angestoßen worden, die auch hier die Ge schichtsentwicklung falsch interpretiert hat? Nach "Maastricht" scheint das eu ropäische Feuer plötzlich erloschen zu sein. Statt dessen hat eine Rückbesin nung auf die nationalen Eigenarten an Überzeugungskraft gewonnen. (5) Ist der "Weg zur Nation" in Ost- und Mitteleuropa in den heutigen nationalen Grenzen zu bewerkstelligen, oder erweisen sich diese Gebilde als Kunstpro dukte, die sich nach ethnischen Kriterien weiter aufspalten? Der Fall Ex Jugoslawiens kann als Zukunftsperspektive auch für andere Länder nicht aus geschlossen werden. (6) Umgekehrt ist für den Westen Europas zu fragen, ob nicht dort gleichfalls "die Nation" in Bewegung geraten ist. Der Kampf gegen den Zentralismus (Italien, Spanien), die Kompetenzsteigerung der Europäischen Union zu Lasten der Mitgliedsstaaten und der Aufbau neuer regionaler Kooperationsebenen (Euro Regionen) schließt auch hier ein "ethnic revival" nicht aus. Sicherlich sind die Verhältnisse in einem so zerklüfteten Kontinent nirgends gleich gelagert. Dennoch macht es guten Sinn, die Transformationsprozesse in Europa als Gesamtheit zu betrachten. Jedenfalls sind in den letzten fünf bis sieben Jahren nicht nur viele Nationalstaaten (neu) entstanden, es hat auch die wissenschaftliche und politische Auseinandersetzung um die Existenzberechtigung nationaler und ethnischer Bewegungen in West und Ost merklich zugenommen. Mit dem Fort schreiten der gesamteuropäischen Integration scheint jedenfalls die Attraktivität nationaler, ethnischer und lokaler Orientierungen und Identitäten nicht abzuneh men, sondern eher anzuwachsen, so daß die Entwicklungsperspektiven zwischen euro-pessimistischen und eUro-optimistischen Prognosen hin- und herschwanken. Die obigen Fragen sind jedenfalls nur zu lösen, wenn man den Blick auf die Kon tinuitäten und Diskontinuitäten des west- und mitteleuropäischen Inte grationsprozesses wirft.