Klaus G. Grunert Kognitive Strukturen in derKonsum forschung Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens zur offenen Erhebung assoziativer N etzwerke Mit 39 Abbildungen Physica-Verlag Heidelberg Reihenherausgeber Wemer A. MUller Autor Professor Dr. Klaus G. Grunert Lehrstuhl flir Absatzwirtschaft Wirtschaftsuniversitiit Aarhus Ryhavevej 8 DK-8210 Aarhus V Danemark ISBN- 13: 978-3-7908-0480-5 e-ISBN -13: 978-3-642-48104-8 001: 10.1007/978-3-642-48104-8 CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Grunert, Klaus G.: Kognitive Strukturen in der Konsumforschung: Entwicklung und Erprobung eilllls Verfahrens zur offenen Erhebung assoziativet Netzwerke I Klaus G. Grunert. - Heidelberg: Physica-VerI., 1990 (Wirtschaftswissenschaftliche Beitrage, Bd. 30) Zugl.: Hohenheim, Univ., Habil.-Schr., 1988 NE:GT Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdruckes, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabe\len, der Funksendungen, der Mikroverfilmung oder der VervielfaItigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vor behalten. Eine VervielfaItigung dieses Werkes odervon Teilen dieses Werkes istauch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepu blik Deutschland vom 9. September 1965 in der Fassung vom 24. Juni 1985 zuliissig. Sie ist grund satzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urhe berrechtsgesetzes. © Physica-Verlag Heidelberg 1990 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jederrnann benutzt werden diirften. Vorwort Das Thema kognitive Strukturen in der Konsumforschung ist zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Arbeit unerwartet aktuell. Als ich vor etwa 10 Jahre begann, mich mit Fragen der Organisation und Ve..wendung von Produktwissen im Gedachtnis von Konsumenten zu beschaftigen, war das eine eher esoterische Fragestellung: In der Zwischenzeit haben mehrere Faktoren dazu beigetragen, das Interesse vermehrt in diese Richtung zu lenken: zunehmende Enttauschung uber die Leistungsfahigkeit traditioneller Ansatze wie etwa der Einstellungsforschung, zunehmende Kritik an den naiven Informationsverarbeitungsansatzen, wie sie in der Konsumforschung eine Zeit lang weitverbreitet waren, und ein zunehmendes Interesse daran, zu verstehen, was Konsum und Produkte fur individuelle Konsumenten bedeuten - letzteres dokumentiert durch ein wiedererstarkendes Interesse an. qualitativen Verfahren, an humanistischen, semiotischen, hermeneutischen, kurz an all den Methoden, die "Respondenten" in ihrer Individualitat emster nehmen als die meisten Standardfragebogen der Marktforschung es vermogen. Die vorliegende Arbeit ist eine erweiterte und iiberarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die von der Universitat Hohenheim 1988 angenommen wurde. Ich mochte diese Gelegenheit gem nutzen, urn meinem akademischen Mentor, Prof. Dr. Gerhard Scherhom, dafiir zu danken, daB ich wahrend meiner elfjahrigen Tatigkeit an der Universitat Hohenheim in einer Atmosphare arbeiten durfte, die Initiative und Kreativitat nicht nur duldete, sondem freisetzte und forderte. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die empirischen Forschungsarbeiten durch eine Sachbeihilfe gefordert und geduldig auf den sich mehrfach verzogemden Beri,cht gewartet. Die Neckarwerke Esslingen, die Landesbausparkasse Stuttgart und die Dinkelacker Brauerei Stuttgart haben einzelne empirische Studien zusatzlich unterstiitzt. Margarete Bader-Liebhart war in der Hauptphase des Forschungsprojektes eine unentbehrliche Hilfe, insbesondere bei der Konzeption und Durchfiihrung der umfangreichen computerunter- stiitzten Inha. sehr bei der Datenerhebung und -erfassung eingesetzt: Martina Gross, Renate Schlegel, Vera Zielke. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. In meinem neuen Arbeitsumfeld an der WirtschaftsuniversiUit Aarhus habe ich vor allem meiner Sekretarin Mariann Holmslykke zu danken, die, trotz diverser Tucken sowohl der deutschen Sprache als auch der Datenverarbeitung, daftir gesorgt hat, daB sich diese Publikation nicht noch mehr verzogerte. Meine Frau und Kollegin, Susanne C. Grunert, war eine konstruktive Kritikerin meiner Gedanken rind Formulierungen, hatte N achsicht in schwierigen Phasen, und wies mich vor aHem immer wieder darauf hin, daB das Leben auch aus anderen Dingen besteht als dem Analysieren kognitiver Strukturen. Dafur danke ich ihr - und bin bemuht, in diesen Dingen ein ebenso guter Partner zu sein. Aarhus, im Februar 1990 Klaus G. Grunert VI Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung 1 2. Kapitel Konzept und Messung kognitiver Strukturen in der Einstellungsforschung 5 Das Drei-Komponenten-Konzept der Einstellung 5 Theoretische Ansatze zur kognitiven Einstellungskomponente 7 Einstellungen als Uberzeugungssysteme 8 Konsistenztheoretische Ansiitze 10 Multiattributive Ansiitze 13 Einstellungstheoretische Modelle kognitiver Strukturen aus gedachtnispsychologischer Perspektive 20 Die Messung der kognitiven Einstellungskomponente 25 Die prognostische Validitat der Einstellungsmessung 32 Zusammenfassung 44 3. Kapitel Qualitative Forschung als Alternative zur Einstellungsforschung? 47 Theoretischer Hintergrund 48 Empirische Verfahren 50 Einschatzung des qualitativen Ansatzes 52 Anforderungen an einen Ansatz zur Messung kognitiver Strukturen 55 Anforderungen an die Theorie 55 Anforderungen an das Meflinstrument 57 4. Kapitel Theorie: Positionale Netzwerke, Aktivierungsverbreitung und Handlungsplane 61 Kognitive Struktur 61 Modelle der Wissensreprasentation 61 Ein positionales Netzwerk zur Erklarung von Kaufentscheidungen 67 Typen kognitiver Strukturen 73 Kognitive Prozesse 76 Strategische und automatische Prozesse 76 Automatische Prozesse: Aktivierungsverbreitung 79 Strategische Prozesse: Handlungsplane 82 Anwendungen 85 Kaufverhalten 85 Erhebungsverhalten 88 Aktivierung und Affekt 90 Zusammenfassung 91 5. Kapitel Messinstrument: Offene Erhebung und systematische Auswertung 93 Offene Erhebungsverfahren 93 Freie Wortassoziation 95 Offene Interviews 101 Gruppendiskussionen 104 Kategorisierung: Computeruntersrutzte Inhaltsanalyse 108 Strukturbildung: Sequenzanalytische Auswertung 115 Zusammenfassung 123 VIII 6. Kllpitel Studie I: Erfahrungen und Probleme bei der Messung kognitiver Strukturen mit drei Erhebungsverfahren 125 Ziel und Anlage von Studie I 125 Erfahrungen und Probleme bei der Auswertung: Beispiel Gruppendiskussion tiber Fotoapparate 128 Probleme der Kategorisierung 128 Probleme der Strukturbildung 134 Kennwerte der Proximitatsmatrix 142 Individuelle Auswertung und Gruppenbildung 154 Wortassoziation, offenes Interview und Gruppendiskussion im Vergleich 159 Konvergenz der Ergebnisse 159 Reliabilitat der Verfahren 167 Zusammenfassung 175 7. Kllpitel Studie II: Kognitive Strukturen, Produktalternativen und Kaufentscheidung 177 Ziel und Anlage von Studie IT 177 Beschreibung der kognitiven Struktur 180 Haufigkeitsverteilung der kognitiven Kategorien 180 Produktanjorderungen, Produktkenntnis und Produkterfahrung 185 Kaufentscheidungsrelevante Kennwerte der kognitiven Struktur 188 Kaufbestimmende Merkmale und Anwendungen 190 Kaufrelevante Unterschiede zwischen Produktalternativen 194 Kognitive Struktur und Kaufentscheidung 200 Zusammenfassung 204 IX 8. Kapitel Stu die III: Kognitive Strukturen iiber eine komplexe Haushaltsentscheidung und ihre Veranderung durch neue Informationen 207 Ziel und Anlage von Studie III 207 Beschreibung der kognitiven Struktur 210 Taxonomien kognitiver Kategorien und Hiiufigkeitsverteilung 210 Beziehungen zwischen Anwendungen, Merkmalen und Alternativen 216 Die Vedinderung kognitiver Strukturen durch neue Informationen 226 Theoretische Uberlegungen 226 Methodische Uberlegungen 231 EinflufJ des Informationsangebotes auf die Merkmalskenntnis 233 Kognitive Struktur und Menge externer Informationsaufnahme 236 Kognitive Struktur und Art externer Informationsaufnahme 238 Veriinderung der Assoziationsstruktur: Merkmalsebenen 240 Zusammenfassung 246 9. KapiteI Die Messung kognitiver Strukturen in der Konsumforschung: Moglichkeiten und Grenzen 249 Bewertung des entwickelten Ansatzes 249 Eine Alternative zur Einstellungsforschung? 251 Anwendungsrnoglichkeiten in der Konsumforschung 252 Implikationen ftir die Konsumtheorie 254 Literatur 257 Autoren- und Sachregister 283 x 1 Ziel der Arbeit und Gang der Untersuchung Ziel dieser Arbeit ist die Entwicklung eines theoretisch fundierten, reliablen und validen Instrumentes zur Erhebung kognitiver Strukturen in der Konsumforschung. Der Begriff der kognitiven Struktur - die Gesamtheit an Informationen, die jemand fiber einen Gegenstandsbereich gesammelt hat, und deren Organisation - hat in den letzten Jahren, vor allem aufgrund der Arbeiten von Olson (z.B. Hastak & Olson, 1989; Klees, Olson & Wilson, 1988; Olson & Reynolds, 1983; Peter & Olson, 1987), in der Konsumforschung breitere Akzeptanz gewonnen, und neue theoretische Ansatze und Erhebungsverfahren werden entwickelt. Die Vorstellung, daB die im Laufe der Zeit von den Konsumenten gesammelten Informationen fiber Produkte gemessen und dann zur Prognose zukfinftiger Kaufe verwendet werden konnen, ist jedoch auch zentral fUr einen der Kembereiche der Konsumverhaltensforschung: die Einstellungsforschung. Eine konsensfahige Definition von Einstellung ist die der gelernten Disposition, sich gegenuber einem Einstellungsobjekt in konsistenter Weise positiv oder negativ zu verhalten (Fishbein & Ajzen, 1975, S. 6). Als eine Determinante dieser Verhaltensdisposition gilt das im Gedachtnis gespeicherte Wissen fiber das Einstellungsobjekt, also ein Teil der kognitiven Struktur des Konsumenten. Urn die kognitive Struktur zu messen, geht man meist so vor, daB in einer Voruntersuchung (oder durch Brainstorming) zunachst mogliche Elemente der Struktur gesammelt werden, etwa Dberzeugungen tiber Eigenschaften des Einstellungsobjektes. Diese werden dann in einer standardisierten Befragung einer Stichprobe von Personen vorgelegt, die sie nach bestimmten Kriterien bewerten sollen. Wichtigstes Kriterium ist meist die Starke oder Wahrscheinlichkeit einer Dberzeugung: Wird sie yom Befragten als sehr wahrscheinlich 1 1. Kapitel bewertet, so vermutet man, daB sie auch in seiner kognitiven Struktur einer besondere Rolle spielt und umgekehrt. Dieses Instrumentarium zur Messung kognitiver Struktuien findet in der Konsumforschung verbreitete Anwendung fUr ErkHirung, Prognose und Technologie (vgl. Geise, 1984, S. 3 ff.). An dieser Vorgehensweise ist aber auch schon haufiger Kritik geUbt worden. Der wichtigste Kritikpunkt betrifft die Elaborierung von Attituden aus Anlass ihrer Messung: Der Verdacht, daB die kognitive Struktur durch die Messung selbst erweitert wird, weil dem Befragten ja kognitive Elemente vorgegeben werden, die bis jetzt moglicherweise gar nicht Bestandteil seiner kognitiven Struktur waren (dazlJ zusammenfassend Boosch, 1986). 1m ExtremfaU kann das bewirken, daB der Befragte eine kognitive Struktur zu einem Objekt ausbildet, das ihm bis jetzt noch nicht einmal bekannt war. Diese Kritik betrifft zunachst die Verwendung geschlossener Erhebungsverfahren. Der Befragte kann nur eine vorgegebene Menge kognitiver Elemente bewerten. Er hat keine Moglichkeit, diese Menge gema13 seiner eigenen kognitiven Struktur einzuschranken oder zu erweitem. Die Kritik betrifft aber auch die hinter den Verfahren stehenden Theorien. Denn die Theorien machen Aussagen Uber kognitive Strukturen, aber kaum Uber die kognitiven Prozesse, die mit diesen Strukturen arbeiten. Deshalb erlauben sie auch kein~ Aussagen darUber, welche kognitiven Prozesse in einer Erhebungssituation ablaufen. Das, was in einer Befragung gemessen wird, ist aber immer das Resultat der Interaktion von kognitiver Struktur und kognitiven Prozessen. Will man kognitive Strukturen messen, so benOtigt man daher eine Theorie auch Uber kognitive Prozesse, urn yom Befragungsergebnis auf die kognitive Struktur zuruckschlieBen zu konnen. Urn ein leistungsfahigeres Verfahren zur Messung kognitiver Strukturen zu entwickeln, ist daher zunachst eine theoretische Fundierung notwendig, die Uber die Einstellungstheorie hinausgeht. Auf ihrer Grundlage kann dann ein Erhebungsverfahren entwickelt werden. Es soUte offen sein fUr die kognitive Struktur des Befragten, dabei aber den wissenschaftlichen Anforderungen nach Reliabilitat und Validitat genUgen, also einen gewissen Standardisierungsgrad aufweisen. 2