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Klinik und Therapie der vegetativen Funktionsstörungen PDF

241 Pages·1951·9.737 MB·German
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Klinik nnd Therapie der vegetativen Fnnktionsstornngen Von w. Birkmayer W. Winkler und Facharzt fUr Neurologie nnd Psychiatrie Facharzt fUr innere Medizin in Wien in Wien Mit 58 Textabbildungen Wien Springer-Verlag 1951 ISBN-I3: 978-3-7091-7775-4 e-ISBN-I3: 978-3-7091-7774-7 DOl: 10.1007/978-3-7091-7774-7 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1951 by Springer-Verlag in Vienna. Soft cover reprint of the hardcover 1st edition 1951 Vorwort. Die Lebensbedingungen der heutigen Zeit haben zu einer enormen Zunahme der vegetativen Funktionsstorungen gefiihrt. Die folgende Zusammenfassung bemiiht sich yom klinischen Standpunkt aus eine Gliederung und Ordnung der verschiedenen Krankheitsbilder zu geben. Es war naheliegend die Er fahrungen des Internisten und Neurologen zu vereinen, urn aus dem Sammel topf der "vegetativen Dystonie" definierte vegetative Syndrome heraus zuarbeiten, vor aHem urn eine gezielte Therapie zu ermoglichen. Es liegt uns fern aIle Beschwerden und Symptome auf vegetative Fehlsteuerungen zu beziehen, es wird immer Aufgabe des Arztes bleiben bei einem Kopfschmerz oder einer Tachykardie zunachst nach einer organischen Ursache zu fahnden. Allerdings sind wir der Ansicht, daB dem vegetativen Geschehen auch bei der organischen Krankheit eine Hintergrundfunktion zukommt. Wir sind uns dessen bewuBt, daB unsere zusammenfassende Darstellung keine endgiiltige Form bedeutet und wir waren dankbar, wenn wir von ver schiedensten Seiten durch Dbermittlung von Erfahrungen oder Dbersendung von Sonderdrucken eine Erganzung und Bereicherung erfahren wiirden. Wien, im Juli 1951. W. Birkmayer und W. Winkler. Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Erster Teil. Klinik. Erstes Kapitel: Organisation und Leistungen des vegetativen Systems........ 3 Literatur.......................................................... 21 Zweites Kapitel: Die physiologische Rhythmik der vegetativen Funktionen. . . . . 23 Literatur.......................................................... 31 Drittes Kapitel: Die Methoden zur Erfassung der vegetativen Reaktionslage .. 32 A. Anamnese........................................................ 33 I. Allgemeine Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 II. Ortliche Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 B. Klinische Symptome.............................................. 35 I. Allgemeine Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Ortliche Symptome........................................... 36 C. Laboratoriumsbefunde............................................. 37 I. Statistische Befunde.......................................... 37 II. Langsschnittbefunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Belastungsproben............................................. 42 Literatur.......................................................... 49 Viertes Kapitel: Der Funktionswandel der vegetativen Regulationen und seine Ursachen ........................................................... 49 Literatur.......................................................... 63 Fiinftes Kapitel: Die sympathische Hypertonie............................. 64 A. Anamnese... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Allgemeine Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Ortliche Beschwerden......................................... 68 B. Klinische Symptome.............................................. 70 I. Allgemeine Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Lokalsymptome ............... ............................... 73 C. Laboratoriumsbefunde............................................. 76 Literatur.......................................................... 89 Sechstes Kapitel: Die sympathische Hypotonie............................. 90 A. Anamnese.................................................... . . . . 92 I. Allgemeine Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Ortliche Beschwerden ........................................ , 93 B. Klinische Symptome.............................................. 93 I. Allgemeine Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 93 II. Lokalsymptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 95 Inha.ltsverzeichnis. V Seite C. Laboratoriumsbefunde.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 Literatur........................................................ .. 99 Siebentes Kapitel: Die parasympathische Hypertonie ....................... 100 A. Anamnese ........................................................ 100 I. Allgemeine Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 100 II. 6rtliche Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 103 B. Klinffiche SYTOptome .............................................. 104 I. Allgemeine SYTOptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 II. LokalsYTOptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 105 C. Laboratoriumsbefunde ............................................. 106 Literatur .......................................................... 117 Achtes Kapitel: Die vegetative Ataxie .......................... '" ...... ,. 118 Literatur .. ~ ........................................................ 133 Neuntes Kapitel: Amphotone Spannungsstorungen ......................... 133 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 139 Zweiter Teil. Therapie. Zehntes Kapitel: Allgemeine Richtlinien .................................. 140 Elftes Kapitel: Pharmakotherapie ........................................ 144 A. Allgemeines •..................................................... 144 B. Die spezielle medikamentose Behandlung der einzelnen Formen der vegeta- tiven Betriebsstorungen ........................................... 161 I. Die medikamentose Behandlung der sYTOpathischen Hypertonie .... 162 II. Die spezielle Behandlung der sYTOpathffichen Hypotonie.. . . . . . . .. 166 III. Die spezielle Behandlung der parasYTOpathffichen Hypertonie ..... 167 IV. Die spezielle Behandlung der amphotonen Spannungszustande und der vegetativen Ataxie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 169 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 171 Zwolftes Kapitel: Die physikalische Therapie der vegetativen Betriebsstorungen. 172 A. Mechanotherapie....................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173 B. Thermo-und Hydrotheraphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 176 C. Licht- und Strahlentherapie ....................................... 181 D. Elektrotherapie ................................................... 183 E. Klimatherapie .................................................... 186 Literatur .......................................................... 191 Dreizehntes Kapitel: Die chirurgische Therapie der vegetativen Betriebsstorungcn 192 Literatur ........... _. ............................................. 197 Vierzehntes Kapitel: Die Psychotherapie der vegetativen Betriebsstorungen. . . .. 197 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 217 Fiinfzehntes Kapitel: Ernahrung und GenuBmittel bei vegetativen Betriebs- storungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 218 Literatur .......................................................... 222 Schlul3gedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 222 Sach verzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223 Literaturverzeichnis ................................................. 225 Einleitung. Wahrend in der Zeit vor Virchow der medizinischen Forschung eine Gesamt auffassung der Lebensvorgange und deren Storung zu Grunde lag und aIle Er krankungen unter einem universellen Gesichtspunkt betrachtet wurden, kam unter dem Ein£lu13 Virchows eine Betrachtungsweise auf, die den Sitz der Er krankung in das einzelne Organ verlegte und die Zelle, bzw. das jeweilige Organ aus dem gesamten biologischen Verband isoliert betrachtete, studierte und zu beein£lussen versuchte. So unbestreitbar es ist, da13 diese Forschungsmethode Spitzenleistungen des Fortschrittes sowohl in der Erkenntnis als auch in der Behandlung ermoglichte, so feststehend ist aber auch die Tatsache, da13 wir uns heute wieder mehr einer Gesamtbetrachtung, quasi einer Zusammenschau, zu wenden. Die einseitige Hervorhebung eines lokalen Krankheitsgeschehens aus dem gesamten biologischen Verband konnte nur bei bestimmten Erkrankungen zu positiven Ergebnissen fUhren. Darauf basieren die epochalen Fortschritte der Ohirurgie und ihrer verschiedenen Tochterdisziplinen. Diese Denkrichtung der medizinischen Forschung lie13 au13er Acht, da13 bei allen Erkrankungen der ort liche Organdefekt eine Reihe von Umstellungen im Gesamtorganismus verur sacht, die ihrerseits wieder riickwirkend den Organdefekt beeinflussen. Diese all gemeinen Reaktionen stehen bei vielen Erkrankungen derart im Vordergrund, da13 die lokalen Veranderungen kaum in Erscheinung treten. Ein einmaliges Ereignis wird in der Regel einen lokalen Schaden und ortliche Abwehrvorgange hervorrufen, wiederholte schadigende Einfliisse, die absolut keine maximalen Reize darstellen miissen, werden hingegen eher allgemeine Reaktionen auslOsen. Diese wiederholten Schadigungen konnen ebenso Bakteriengifte wie chemische Substanzen, aber auch psychische Traumen darstellen. Diese allgemeinen Reaktionen umfassen Veranderungen im Elektrolytsystem, im Hormonsystem und im vegeta.~iven Nervensystem im engeren Sinne, wobei das anatomische Substrat dieser Ubertragungen einerseits das Blut mit seinem Kreislauf, andersei15s die vegetativen Nerven darstellen. Die Gesamtheit dieser Vorgange sind sowohl im gesunden als auch im kranken Zustand als vegetative Regulationen anzusprechen, ihr morphologisch-physiologisches Substrat hat F. Kra us als vegetatives System bezeichnet. Das vegetative System hat somit Anteil an samtlichen Lebensvorgangen und stellt die Vermittlung einerseits zwischen den einzelnen Organen, anderseits aber auch zwischen den einzelnen Organsystemen und dariiber hinaus zwischen or ganischen und psychischen Vorgangen her. Bei samtlichen schadigenden Ein fliissen auf den Organismus wird es daher in Mitleidenschaft gezogen. Der Lebens vorgang an sich ist somit an die Funktionsfahigkeit des vegetativen Systems gebunden; jeder schadigende Ein£lu13 bedingt dessengesteigerte Inanspruchnahme. Dieser Aufgabe wird das vegetative System dadurch gerecht, da13 es sowohl die Energieentfaltung in den kleinsten Lebenseinheiten des Organismus, den Zellen, auslOst, als auch die Wiederaufladung der verausgabten Energie steuert. Diese Funktion erfahrt im aktuellen Ereignis eines schadigenden Einflusses eine wesentliche Steigerung. 1st der schadliche Einflu13 abgewehrt, dann wird die Wiederaufladung der Energie ebenfalls durch eine erhOhte Tatigkeit des vegeta- Birkmayer u. Winkler, Vegetative FunktionssWrungen. 2 Einleitung. tiven Systems gelenkt. So wie zum harmonischen Flu13 des Lebens eine aus geglichene Bilanz zwischen Energieabgabe und Energiespeicherung erforderlich ist, mu13 auch die gesteigerte Energieabgabe bei der Krankheitsabwehr von einer vermehrten Energieau£ladung in der Heilphase gefolgt sein. Der Garant fUr diesen Bilanzausgleich ist das vegetative System. Von seiner Leistungskapazitat ist somit die Bewa1tigung jeder Lebensbelastung abhangig. Diese Kapazitat ist zweifellos einerseits von der Konstitution des Einzelindividuums begrenzt, ander seits aber von verschiedenen endogenen und exogenen Faktoren abhangig. Eines steht jedoch fest, so lange ein Organismus lebt, ist sein vegetatives System dauernd in Tatigkeit. Gesteigerte Lebensanforderungen bedingen naturgema13 eine besonders gesteigerte Tatigkeit des vegetativen Systems .. Es kann nun kein Zweifel dariiber bestehen, da13 die Lebensbedingungen der letzten J ahrzehnte von jedem einzelnen Organismus eine unverhaltnisma13ig gro13e Leistung gefordert haben, ohne da13 durch entsprechende Erholungsphasen dieser Mehrverbrauch ausgeglichen wurde. Das Resultat ist eine negative Bilanz zwischen Energie abgabe und Energieau£ladung. Hiedurch wurde die von der individuellen Kon stitution bedingte Toleranzbreite bei einem Gro13teil der Bevolkerung iiber schritten, das hei13t die reduzierte vegetative Kapazitat trat bei einer gro13en Zahl von Menschen entweder in Form von Beschwerden oder in Form von ver minderter Leistungsfahigkeit in Erscheinung. Hiedurch entstand ein neuer Typ von Krankheiten, die nicht durch eine Schadigung eines einzelnen Organes, sondern durch einen Funktionswandel oder ein Versagen des Regulationsgefiiges verursacht sind. Die Beschwerden, die der Patient dem Arzt vortragt, sind dabei meist unbestimmter und allgemeiner Natur. Der Arzt wird daher bei der gebrauchlichen Untersuchung der einzelnen Organe mit den jeweiligen Methoden keine oder nur geringe Funktionsausfalle feststellen konnen. Trotzdem bestehen die Beschwerden und beeintrachtigen Wohlbefinden und Leistungsfahigkeit des Patienten. Bei vielen yom Patienten vorgetragenen Beschwerden fehlt dem Arzt jegliche Bezugsmoglichkeit zu den Erinnerungsbildern aus seiner klinischen Lernzeit und zu den iiblichen Dar stellungen der Lehrbiicher. Wir haben es daher unternommen, aus einem gro13en Erfahrungsgut die variablen und unsystematischen Krankheitsbilder unter einem Gesichtspunkt zu ordnen. Die empirische FiilIe mu13 durch die Idee in ein System gebracht werden. Es mu13 quasi ein Koordinatensystem geschaffen werden, das die Bezugs moglichkeit aller Phanomene garantiert. Es war naheliegend, die Erfahrungs quellen der internen Medizin und der Neurologie zu vereinen, da ja das vegetative System das Bindeglied dieser beiden Disziplinen darstellt und daher die Storungen seiner Funktionsowohl in Krankheitsbildern der inneren Medizin wie in solchen der Neurologie aufscheinen. Diese Einordnung, bzw. Schematisierung der klini schen Erfahrungen ist notwendigerweise zunachst eine subjektive, wie jede Theorie, die aus der Empirie entsteht. Die von uns beabsichtigte Darstellung wird im Laufe der spateren Forschung verschiedenen Erganzungen und Wandlungen unter liegen. Sie ist somit nicht als endgiiltig anzusehen und verfolgt nur den heuristi schen Zweck, der Bedeutung dieser Beschwerdebilder im arztlichen Handeln gerecht zu werden und dem weniger Erfahrenen eine Richtschnur oder eine Stiitze zu bieten. Erster Teil. Klinik. Erstes Kapitel. Organisation nnd Leistnngen des vegetativen Systems. Das vegetative System ist das Schaltwerk des Lebens. Dieses Schaltwerk ist nach einem hierarchischen Prinzip organisiert, das heiJ3t jeder Funktionskreis ist in einem hOheren, umfassenderen eingeordnet. Jeder im Laufe der phylo~ genetischen Entwicklung entstandenen Organisationsform ist ein adaequates Regulationssystem zugeordnet. Jede hOhere Entwicklungsform stellt eine um fassendere Ordnung dar, in die das alte Regulationssystem gleichsam als latente Potenz einbezogen wird, wobei es auch weiterhin gewisse Funktionen vollbringt, die jedoch der neuen umfassenden Ordnung unterstellt sind. Aus dieser Erkenntnis heraus laJ3t sich der Aufbau des vegetativen Systems als hierarchische Ordnung begreifen. Wenn wir als kleinste Lebenseinheit den Einzeller betrachten, dann konnen wir als Ausdruck seiner LebensauJ3erung den standigen Wechsel zwischen Dissimi lation und ASf>imilation aufzeigen. Diese Vorgange der Energieentfaltung (Dissimi lation) und Energiespeicherung (Assimilation) sind auch beim Einzeller das Resultat einer groJ3en Zahl kontinuierlich ablaufender chemisch-physikalischer Vorgange, die nach einer von vorne herein festgelegten Ordnung gesteuert werden. Mit der fortschreitenden Entwicklung yom Einzeller zu umfangreichen Zellen staaten wird diese Steuerung der Lebensvorgange viel£altiger und bedarf daher zu deren Bewaltigung differenzierterer Strukturen. Beim Menschen als der letzten Entwicklungsstufe stellt das vegetative System die umfassendste Organisations form dar, die alle friiheren Entwiyklungsphasen latent beinhaltet, das heiJ3t die Entwicklung zu einer umfassenderen Ordnung geht mit einer Freiheitsbeschran kung, mit einer Hemmung der phylogenetisch alteren Regulationen einher. Kommt es nun durch irgendwelche Ursachen zum Zerfall dieser umfassenden Ordnung, dann gewinnen die latent "vorhandenen alten Regulationsmechanismen wieder ihre Selbstandigkeit und treten in Erscheinung. Durch den Wegfall der iibergreifenden Ordnung kommt es zur Enthemmung alterer Regulationsmechanis men, die die Lebensfunktionen in der fiir sie spezifischen Weise steuern. Diese werden jedoch den Lebensbedingungen der hOchsten Entwicklungsstufe nicht vollkommengerecht. Diese Insuffizienz der Bewaltigung der Lebensaufgaben, bzw. diese Regression der vegetativen Regulationen tritt im aktuellen Ereignis nicht als Funktionsausfall, sondern als Funktionswandel (Waizsacker) in Erscheinung. Die zum Lebensvorgang notwendige Funktion wird auf einer phylogenetisch alteren Stufe vollzogen (Vegetativer Atavismus). Diese Regression der vegetativen Funktion auJ3ert sich in der klinischen Beobachtung in bestimmten Krankheits bildern, die teils anfallsweise auftreten, wie z. B. das Cheyne-Stokesche Syndrom, oder als langer dauernder Defekt-Zustand in Erscheinung treten, wie die Ischiuria paradoxa. Durch den Wegfall der hOheren Steuerungszentren fUr die Harn- 4 Organisation und Leistungen des vegetativen Systems. entleerung. z. B. durch eine Querschnittslaesion im Riickenmark, entsteht ein auf der primitivsten Stufe der reflektorischen Harnentleerung stehender Mechanismus. Die hierarchische Organisation des vegetativen Systems hat in der phylo genetischen Entwicklung zu einer hochgradigen Differenzierung der vegetativen Struktur gefiihrt. Um den vieWiltigen Anforderungen des Lebens zu entsprechen, miissen Regulationsmechanismen vorhanden sein, die einerseits rasch und kurz fristig reagieren, andererseits solche, die liingerdauernde Leistungen intendieren. Diesen beiden Forderungen entspricht auch die morphologische Struktur des vegetativen Systems, indem einerseit"l zur Bewiiltigung rascher Anforderungen das vegetative Nervensystem zur Verfiigung steht, wiihrend Dauerleistungen auf humoralem Wege reguliert werden. Hiebei stellt das GefiiI3system den Weg und die aus verschiedenen Hormondriisen stammenden Stof£e die Sendboten dar. Diese beiden Systeme funktionieren nicht unabhiingig nebeneinander, sondern sind an vielen Stellen des vegetativen Systems miteinander verkniipft. Aber selbst diese hochentwickelten Regulationsmechanismen des Menschen,· die als erster L. R. Mi iller in ihrer Vielfalt zusammengestellt hat, dienen letzten Endes in ihrer Gesamtheit jenem Lebensrhythmus, der schon beim Einzeller als Wechsel zwischen Dissimilation und Assimilation demonstriert wurde. Diese zweiphasische Ordnung der vegetativen Regulationen wurde von W. R. Hess in zahllosen Experimenten erforscht. Er postuliert fiir die Funktion der Energie entfaltung das ergotrop-sympathische System und fiir die Funktion der Energie speicherung das trophotrop-parasympathische System, wobei sympathisch und parasympathisch nicht gleichzusetzen sind mit einem morphologischen Substrat (Langley), sondern auf bestimmte Funktionsziele gerichtete Organisations prinzipien darstellen. Assimilation und Dissimilation eines Lebewesens sind nicht Selbstzweck, sondern dienen allen Aufgaben, die das Lebewesen als Ganzes zu erfiillen hat. Diese Aufgaben umfassen einerseits die Energieentfaltung zur Aufrechterhaltung der Lebensvorgiinge des Individuums sowie auch die Bereitstellung von Energien zur Bewiiltigung einer von der Umwelt geforderten Leistung, andererseits den Wiederaufbau der verausgabten Energie im Korper, der mit einer variablen Abschaltung der Umweltbeziehungen einhergeht. Die dissimilatorisch sym pathische Organisation macht Energien fiir die Organtiitigkeit (Herz, Lunge, Muskel usw.) fre; und schafft damit die Voraussetzung fiir eine erhohte Tiitigkeit des Lebewesens der Umwelt gegeniiber. So wird z. B. die Nahrungssuche durch die yom sympathischen System erhohte Tiitigkeit von Herz, Lunge, Muskel usw. gefordert. In dieser Phase der gesteigerten Aktivitiit kommt es zu einer allge meinen Senkung der Reizschwelle, die Sinnesorgane nehmen schon geringe Reize aus der Umwelt wahr und die muskuliire Reaktion erfolgt rascher. Die hier skizzierte Auffassung ist experimentell belegt durch Befunde, die in der sym pathischen Aktionsphase eine Senkung der Reizschwelle ergaben (Gellhorn Murphy). Auch anatomisch sind Bahnen yom Zwischenhirn (H. Hoff) zum N.opticus bekannt, von denen Clara M. annimmt, daI3 sie die zentrale Adaption und die Regulierung der retinalen Reizschwelle besorgen. Dieses Verhalten ent spricht insofern einem okonomischen Prinzip, als damit zur Zeit einer Gefahr sowohl das Nachrichtensystem wie die Exekutivorgane auf geringste Ereignisse rasch zu reagieren vermogen. Die gesteigerte sympathische Aktivitiit ist eine Alarmstufe, die allerdings fiir den Organismus sehr kostspielig ist. Die gefundene Nahrung wird dann yom Organismus aufgenommen. Der Vor gang der Nahrungsaufnahme und Deponierung als Energiereserve bis in die ein zelnen Zellen vollzieht sich in der assimilatorisch-parasympathischen Phase. Diese Phase der Energiespeicherung, die von der Zerkleinertmg der Nahrung bis zur Organisation und Leistungen des vegetativen Systems. 5 chemischen Aufspaltung, zur AbstoBung der Schlacken und zur Deponierung der aufgeschlossenen Energien in den Korperreservoirs reicht, geht mit einer weit gehenden Abschaltung der storenden Umweltbeziehungen einher, deren Hohe punkt der Schlaf darstellt. Dies wird durch eine Erhohung der Reizschwelle bewerkstelligt, so daB die Sinnesorgane und die Effektoren auf die Vielfalt kleiner Reize nicht mehr reagieren. Mit dieser Ruhigstellung der die Umweltbeziehungen regulierenden Organe geht eine Steigerung der Schleim-, Magensaft-, Verdauungs fermenteproduktion und eine gesteigerte Motilitat dieser Organe einher, zu der auch die Erweiterung des GefaBsystems im Splanchnikusgebiet zum Transport der gewonnenen Energien gehort. AIle die'>e Vorgange stehen unter der Intention des parasympathischen Systems. Diese hier aufgezeigte Zweiphasigkeit fiihrte dazu, als oberstes Prinzip der vegetativen Steuerung einen Gegensatz zwischen sympathischer und parasym pathischer Funktion herauszusteIlen, der anatomisch von La ng Ie y, klinisch von H. Eppinger und L. Hess postuliert wurde. Bei der Dar,>tellung der Polaritiit der vegetativen Regulationen handelt es sich urn eine interessante Wiederent deckung. Schon 3000 v. Chr. sind in der chinesischen Medizin, die ihre Quellen aus einer kontemplativen Philo sophie schopft, diese beiden Begriffe der vegeta tiven Steuerung festgelegt. Dem Prinzip des Yang, der symbolisch als roter Drache dargestellt wird, und dem Prinzip des Yin (Blauer Drache) wurden von der chinesischen Medizin Leistungen zugeschrieben, die sich mit unseren heutigen Vorstellungen iiber die Tatigkeit des Sympathikus und des Parasympathikus fast vollig decken. Die Herausstellung einel> Antagonismus erwies sich fUr die Forschung zu nachst als fruchtbar. Die iiberspitzte Schematisierung der Menschen in Vago toniker und Sympathikotoniker als fixierte Konstitutionstypen konnte durch die spatere Forschung jedoch nicht aufrechterhalten werden. Es zeigen sich im Organismus bei verschiedenen Ereignissen bestimmte Reaktionsweisen, die ent weder als sympathische oder parasympathische Reaktion gedeutet wurden, und unabhangig von der Konstitution als Antwort auf bestimmte Reize auftraten. Wenn man aber ein sehr groBes klinisches Material iiberblickt, dann kommt man wohl zu einer relativen Bestatigung der Eppingerschen Gedanken, das heiBt es gibt immer eine Gruppe von Menschen, die auf ein Ereignis eher in sympathischer Richtung reagieren, und andere, die vornehmlich .mit einer parasympathischen Reaktion antworten. Wahrend in der Regel Menschen auf Sorgen und Aufregungen abmagern, gibt es auch Personen, die darauf mit einer Fettanlagerung reagieren (Kummerspeck, v. Bergmann, Feuchtinger). Hingegen nehmen Frauen in der Schwangerschaft, bzw. im Puerperium und im Klimakterium normal an Ge wicht zu, es gibt aber auch Typen, die selbst in dies en Phasen abmagern. Es hat somit den Anschein, daB der lwnstitutionelle Faktor bei der vegetativen Steuerung eine Rolle spielt. Nach unseren Erfahrungen kommt der Konstitution ein modifi zierender EinfluB auf die Steuerung vegetativer Vorgange zu. Das Grundgesetz der vegetativen Regulation jedoch ist seine zweiphasische Aktion, die durch eine bestimmte Au/gabe, die der Organismus zu erfii,llen hat, intendiert wird (F. Hoff). Die am obigen Beispiel der Nahrungssuche und Nahrungsaufnahme und Ver wertung aufgezeigte spezifische Tatigkeit des ergotrop-sympathischen, bzw. trophotrop-parasympathischen Systems stellt nach den zahllosen Tierexperimen ten von W. R. Hess und den klinischen Beobachtungen von F. Hoff ein all gemein giiltiges Prinzip der vegetativen Regulation dar. Es ist nicht unsere Absicht, eine erschopfende Darstellung der Leistungen des vegetativen Systems in den einzelnen Organen zu geben. Dies ware Aufgabe

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