Rheinisch-Westfalische Akaclemie cler Wissenschaften Geisteswissenschaften Vortrage . G 303 Herausgegeben von der Rheinisch-Westfalischen Akademie der Wissenschaften HARALD WEINRICH Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit Westdeutscher Verlag 325. Sitzung am 14. Dezember 1988 in Dusseldorf CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Weinrich, Harald: Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit / Harald Weinrich. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1990 rv onrage / Rheinisch-Westfiilische Akademie der Wissenschaften: Geisteswissenschahen; G 303) ISBN-13: 978-3-531-07303-3 e-ISBN-13: 978-3-322-85797-2 DOl: 10.1007/978-3-322-85797-2 NE: Rheinisch-Westfalische Akademie der Wissenschaften (DUsseldorf): Vortrige / Geisteswissenschahen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann InternationaL © 1990 by Westdeutscher Verlag GmbH Opladen Herstellung: Westdeutscher Verlag ISSN 0172-2093 ISBN-13: 978-3-531-07303-3 Inhalt Harald Weinrich, Miinchen Kleine Literaturgeschichte cler Heiterkeit 7 Diskussionsbeitrage Professor Dr. phil. Walter Mettmann; Professor Dr. phil. Walter Hinck; Professor Dr. phil., Dr. h.c. Harald Weinrich; Professor Dr. phil. Wilhelm Gossmann; Professor Dr. theol. Karl Kertelge; Professor Dr. phil. Klaus Wolfgang Niemoller; Professor Dr. jur., Dr. h.c. multo Paul Mikat; Profes sor Dr. phil. Rainer Lengeler; Professor Dr. jur. Bernhard Groftfeld; Professor Dr. phil. Hans Rothe .................................. 31 Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit von Harald Weinrich, Miinchen* Ich liebe mir den heitern Mann Am meisten unter meinen Gasten: Wer sich nicht selbst zum besten haben kann der ist gewiB nicht von den Besten. (Goethe: Meine Wahl) Heiterkeit ist bekanntlich ein Schonwetterwort. In dieser Bedeutung verwen det es - nicht oft genug - der Wetterbericht, wenn er uns die Wetterlage des folgen den Tages als he iter oder doch wenigstens als heiter bis wolkig ankiindigt. Deshalb lassen wir uns die Stunden der Heiterkeit auch mit Vorliebe von der Sonnenuhr anzeigen, wie es ein Operettenlied sagt: Mach es wie die Sonnenuhr zahl die heitren Stunden nur. Das gleiche oder ein ahnliches Schonwetterwort kennen auch andere Sprachen; haufig ist es von lat. serenus abgeleitet. Aber nur in Deutschland hat dieses Wort eine glanzvolle literarisch-philosophische Karriere gemacht, vielleicht weil der heitere Himmel in diesen nordlichen Landstrichen gar nicht so selbstverstandlich ist, wie wir es wohl wiinschen mogen. Nun wissen wir, daB sich auch schon die Griechen des Altertums an der hila rates, die Romer an der serenitas oder hilaritas des sonnig-heiteren Tages erfreut haben. Auch als meteorologische Metapher fur einen frohlichen oder munteren Zustand der Seele haben sowohl die Griechen als auch die Romer dieses Wort gebraucht. Insbesondere von den Gottern, die fernab von den Sorgen und Noten der Menschen leben, kann gesagt werden, daB sie ein heiteres Leben fuhren {vitam serenam degunt}I: gliicklich die Philosophen, denen es gelingt, es ihnen an tran· quillitas animi gleichzutun! Die Romer haben dariiber hinaus ihrem hochsten .. Dieser Beitrag wurde im akademischen Jahr 1988/89 am Wissenschaftskolleg zu Berlin erarbeitet. Ich bin dem Wissenschaftskolleg dankbar fur die Forschungsmiiglichkeiten, die es mir eriiffnet hat. Eine Kurzfassung dieses Beitrages wurde im Heft 7/1989 der Zeitschrift MERKUR unter dem Titel Kolleg uher die Heiterkeit vorpubliziert (S. 553-567). 1 Lukrez: De rerum natura 11,1094. 8 Harald Weinrich Gott Jupiter, dessen Namen man etymologisch als dies-piter, 'Vater des hellen Tages' verstehen kann, den Beinamen Jupiter serenus gegeben, allerdings eher beiHiufig neb en anderen vom Wetter abgeleiteten Benennungen wie Jupiter tonans undJupiter fulgens2• Nicht jedoch vom donnernden oder blitzenden, sondern vom heiteren Jupiter nimmt die besondere Geschichte der Heiterkeit ihren Anfang. Denn nach dem "heiteren Jupiter" (oder darf ich tautologisch ubersetzen: dem 'jovialen Jupiter'?) ubernehmen die romischen Kaiser, sodann die Herrscher und Fursten des Abend landes die quasi-gottliche Serenitat und lassen sich von ihren Untertanen mit dem Herrschaftstitel Serenissimus anreden. Sophie Charlotte beispielsweise, erste Konigin in PreuBen, fuhrte als Kurfurstin von Brandenburg den lateinischen Titel Serenissima Princeps. Auch dem Dogen von Venedig kam dieser Titel zu, wonach Venedig noch heute die Serenissima genannt wird. In der deutschen Nomenklatur wird die Serenitat jedoch nicht als Heiterkeit, sondern meistens als Durchlauchtig keit wiedergegeben. In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts, ungefahr zur Zeit von Fritz Reuters plattdeutscher Erzahlung Dorchlauchting (1866), geht mit mecklenburgischer Gemutlichkeit eine Epoche zu Ende, in der die Heiterkeit mitsamt der aus ihr abgeleiteten Huld und Gnadigkeit gegenuber den Untertanen zu den Herrschaftsattributen, fast mochte ich anachronistisch sagen, zu den Amtspflichten der Regierenden gehorte. Zuvor aber schon, vor allem im 18. Jahrhundert, als das aufstrebende Burger tum mit wachsendem SelbstbewuBtsein nach den Rechten und Vorrechten des Adels griff, war die Heiterkeit in Deutschland zu einem burgerlichen Attribut und Wertbegriff und zur eigentlichen Gegenspielerin der furstlichen Durchlauch tigkeit geworden. U m das leisten zu konnen, muBte dieses Wort allerdings, vor allem im 18. Jahrhundert, von seiner meteorologischen Basis aus nach antikem Vorbild weit in andere Bedeutungsbereiche ausgreifen, wie es beispielsweise das Gedicht Heiterkeit des Gemuts von Gerhard Tersteegen (1697-1769) zeigt: Gleich wie die Luft erscheint bei angenehmen Tagen, so heiter, rein und still soll dein Gemute sein. So schaust du Gott in dir und wirst auch ihm be hagen, Sein wonnereiches Licht macht sich dem Geist gemein.3 2 Vgl. auBer den einschHigigen Worterbiichern Manfred Beller: Jupiter tonans. Studien zur Dar stellung der Macht in der Poesie, Heidelberg 1979 (= Beihefte zum Euphorion, Heft 13). An den "heiteren Jupiter" denkt auch Schiller im "Wallenstein" bei der Beschreibung der Planetenbilder: "Ganz in der Mitte glanzte silberhellle in heitrer Mann mit einer Konigsstirn, das sei der Jupiter ..." (Piccolomini III, 4). 3 Der Vierzeiler von Gerhard Tersteegen ist abgedruckt bei Karl Otto Conrady (Hg.): Das greBe deutsche Gedichtbuch, Frankfurt 1977, S. 161. Zu Tersteegen vgl. jetzt Friedheim Kemp: Gerhard Tersteegen. Zu seinem 200. Todestag, in Ders.: " ... das Ohr, das spricht". Spaziergange eines Lesers und Ubersetzers, Miinchen 1989, S. 63-72. Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit 9 Da aber auch ein Gedankengang, wenn er zur "KHirung" eines Sachverhaltes fiihrt, au/heiternd oder erheiternd genannt werden kann, wird Heiterkeit im 18. Jahrhundert zugleich ein AufkHirungswort, jedoch kein Schliisselwort der Aufklarung. Thre auBerste Bedeutungsfiille erreicht die Heiterkeit niimlich erst in der deutschen Klassik, bei Goethe und Schiller. * An Goethe, der seinen GroBherzog Carl August in seinem Tagebuch noch Serenissimus nennt4, selber aber in Weimar bereits Hof halt als ein FUrst des Geistes, beobachtet Eckermann bewundernd ein "erhaben-heiteres W esen" (19.2.1829). Heiter ist aber auch in Goethes eigener Sprache ein haufig gebrauch tes, ein Lieblingswort, ja bei ihm wirklich ein Schliisselwort seines literarischen Werkes. Begleiten wir zunachst den Jura-Studenten Johann Wolfgang Goethe - er ist gerade 21 Jahre alt - an seinen Studienort nach StraBburg. Er ist in ziemlich schlechter gesundheitlicher Verfassungj immer nach Tisch ist ihm der H:ils wie zugeschniirt (spater stellt sich heraus, das liegt an dem schlechten Rotwein, der in der StraBburger Pension bei Tisch serviert wird), Goethe jedenfalls fiihlt sich "verdrieBlich" und "miirrisch" - so beschreibt er spater seinen Zustand in Dich· tung und Wahrheit. Zu erwmnen ist noch, daB Goethe auBer seinen juristischen Vorlesungen nebenbei ~,durch eine Ritze", wie er schreibt) klinische Praktika in der medizinischen Fakultat besucht und dabei auch an einen Professor gerat, den er sehr bewundert, denn: Die groBe Heiterkeit und Behaglichkeit, womit der verehrte Lehrer uns von Bett zu Bett fiihrte (. ..) , das alles zog mich zu ihm hin. (Du WIll, 11) Hier haben wir zunachst noch die alte stiindische, die joviale Amts-Heiterkeit, die der fiirstlichen Durchlauchtigkeit verwandt ist. Damit ist aber die Goethesche Heiterkeit bei weitem nicht ausgeschopft, wie wir sogleich sehen werden. Denn es nahen nun an der StraBburger U niversitat die Semesterferien, und in seinem letzten Kolleg gibt der besagte Professor - wen wundert's - seinen Studenten, unter ihnen Goethe, folgenden wohlmeinenden Rat: Die Studien wollen nicht allein ernst und fleiBig, sie wollen auch heiter und mit Geistesfreiheit behandelt werden. (Du WIll, 11) 4 Goethe, Weimarer Ausgabe, Bd. ill,6, 146. Vgl. auch - in anderem Kontext - Albrecht Schone: Uber Goethes Wolkenlehre, Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in GOttingen fUr das Jahr 1967, GOttingen 1969, S. 26-54, hier S. 42. 10 Harald Weinrich Gesagt, getan. Oder mit Goethe gesprochen: "Es schlug mein Herz, geschwind zu pferde ..." Schon am Abend finden wir ihn in Sesenheim, wo er ein Auge auf die Pfarrerstochter F riedrike Brion geworfen hat und wo librigens auch der Elsasser Wein besser ist als in StraBburg: alle Beschwerden und "hypochondri schen Grillen" sind wie fortgeblasen. Mit einem Wort: ein "heiteres Leben". Die schonste Heiterkeit strahlt aber das Madchen Friedrike seIber aus. Goethe unter scheidet einmal: Es gibt Frauenspersonen, die uns im Zimmer besonders wohlgefallen, andere, die sich besser im Freien ausnehmen; Friedrike gehorte zu den letzteren. (DuW III, 13) Das erklart auch ihr naturhaft heiteres Wesen, und Goethe schreibt weiter von ihr: Die Anmut ihres Betragens schien mit der bebllimten Erde, und die unver wiistliche Heiterkeit ihres Antlitzes mit dem blauen Himmel zu wetteifern. (Du WIll, 13) Der junge Goethe tragt in Sesenheim selber auch zur Aufrechterhaltung und Steigerung dieses "heitern, sittlichen Lebensgenusses" bei, und wir erhalten bei dieser Gelegenheit einige nlitzliche Lebensregeln, wie man der Heiterkeit forder lich sein kann. Kein Zweifel, daB hier die Literatur als Heiterkeitsspender an bevorzugter Stelle zu nennen ist. Denn in Sesenheim sind ja einige der schonsten Liebesgedichte entstanden, die unsere Literaturgeschichte kennt. Aber nicht nur die eigenen Gedichte, sondern auch manche andere Werke der Literatur hat der junge Goethe im Sesenheimer Pfarrhaus, wenn er darum gebeten wurde, "heiter und freimlitig" vorgelesen, was primar im Sinne einer klaren und nuancenreichen Vortragsstimme zu verstehen ist. Goethe, so wissen wir auch aus anderen Quellen, beherrschte vorzliglich die Kunst des Vorlesens, und als er einmal an einem Abend den ganzen Hamlet vorgelesen hat, bewahren seine Zuhorer, unter ihnen Friedrike, nut mlihsam das Gleichgewicht zwischen einer durch die Tragodie aus gelosten tiefen Bewegung und der sonst einer solchen Leserunde eigentlimlichen Ruhe und Heiterkeit (Du WIll, 11). Es dauert jedoch nicht allzu lange, da laBt sich Goethe durch die Sesenheimer "Zerstreuungen und Heiterkeiten" nicht langer von jenen "ernsteren Betrach tungen" ablenken, die mit seinem Beruf und seiner Vokation zusammenhangen und die schlieBlich zur Trennung der Liebenden und zu Goethes Abschied von Sesenheim flihren. Sturm und Drang hier, Heiterkeit dort, wie sollte das auf Dauer zusammenpassen! 1m 13. Buch der Autobiographie Dichtung und Wahrheit, wo die Sesenheimer Episode geschildert wird, folgen sodann verschiedene Dberlegungen zur Litera- Kleine Literaturgeschichte der Heiterkeit 11 tur, die dem Studenten und jungen Dichter damals durch den Kopf gingen. Denn Goethe loste sich gerade in StraBburg von der bis dahin in seinen Wertvorstel lungen maBgeblichen franzosischen Literatur, und er gewann neue poetische MaBstabe in der Begegnung und leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit der englischen Literatur, besonders mit Shakespeare, den er seinen Vater und Lehrer nennt. Aber diese vielbewunderte englische Literatur wies einige Eigenschaften auf, die den jungen Goethe auBerst irritierten. W ohin man auch schaute, es zeigte sich in der englischen Literatur: "ernster Triibsinn", "diisterer UberdruB des Lebens", "Widerwillen gegen alles", "Unmut", "Trauer", "Melancholie" - und das gilt selbst fur Shakespeare, von dem Goethe doch sonst sagt, daB er "so reine Heiterkeit zu verbreiten weiB". Wie solI man diese "ernsten und die menschliche Natur untergrabenden Gedichte" lesen, ohne selber der Melancholie zu verfallen und am Leben zu verzweifeln! Goethe halt, jedoch mit auBerster Anstrengung, seine eigene asthetische Uberzeugung dagegen: Die wahre Poesie kiindigt sich dadurch an, daB sie, als ein weltliches Evange lium, durch innere Heiterkeit, durch auBeres Behagen, uns von den irdischen Lasten zu befreien weiB, die auf uns driicken. (Du WIll, 13) Aber wessen Uberzeugung kommt hier eigentlich zum Ausdruck, die des einundzwanzigjahrigen oder die des zweiundsechzigjahrigen Goethe? Wenn Goethe wirklich schon in seinen StraBburger Jahren zwischen den Polen Melan cholie und Heiterkeit eine so eindeutige Wahl zugunsten der Heiterkeit getroffen hat, wie hat er dann alsbald den Werther schreiben konnen? 1st dies vielleicht ein heiterer Roman? Er ist es allenfalls am Anfang, denn der junge Werther schreibt in seinem zweiten Brief, datiert yom 10. Mai: Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich den siiBen Friihlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieBe. Auch seine Lotte ist eine jener "schlanken, zierlichen Personen, die eine leben dige Heiterkeit urn sich her verbreiten". - So schreibt es Goethe im Nachhinein seiner Lebensgeschichte, allerdings nicht von der Romangestalt Lotte, sondern von der wirklichen Charlotte Buff, die er selber in Wetzlar gliicklich-ungliicklich geliebt hat (Du W III, 12). Wie paBt das alles zusammen? Denn das Ende des Romans ist ja gewiB nicht heiter, sondern von jener Melancholie, wie er sie nicht ohne Schaudern an der englischen Literatur beobachtet hatte. Es ist bekannt, wie Goethe selber diesen Zusammenhang erklan. Auch er sei in jenen Jahren, so bekennt er in Dichtung und Wahrheit, manchmal dem Selbstmord nahe gewesen, und so miisse der Werther-Roman als ein auBerster Akt der Lebenserhaltung verstanden werden: "denn ich hatte mich durch diese Komposition (. ..) aus einem stiirmischen Elemente gerettet" (Du WIll, 13).