Kleine Anleitung zum wissenschaftlichen Arbeiten von Studenten für Studierende Universität Heidelberg 1 Im Labyrinth der Literatur – Kleine Anleitung zum Bibliographieren 2 Der Nachweis – Zitieren wissenschaftlicher Quellen 3 Die letzten Wunder der Ordnung – Systematik im Literaturverzeichnis 4 Gelernt ist gelernt – Lernen lernen von Dietmar Chur (ZSW) 5 Erlesenes für den Genießer – Rund um die Hausarbeit 6 Von Sagen und Zeigen – Das Referat: Präsentation und Rhetorik 7 Dokumentation – Verfassen eines Protokolls 8 Sieh an ! – Studium: auch ein Weg in die Praxis 9 Nachschlag – Weiterführende Literatur 10 Outing – Für eine bessere Zukunft. 7., durchgesehene Auflage: Exemplare 6.000 © 1995, 1996, 1997, 1998, 1999, 2001, 2003 Henning Banthien, Tim Freytag und Silke Vogel. Hrsg. vom Zentrum für Studienberatung und Weiterbildung (ZSW). Druck: Druckerei der Universität Heidelberg. Verteilung: ZSW, Friedrich-Ebert-Anlage 62, 69117 Heidelberg. Mit Zustimmung der Autoren eingescannt von Jürgen Wetteroth für das Proseminar von Prof. Dr. Rose Boenicke „Tendenzen der Schulentwicklung“ im Wintersemester 2005/2006 am Erziehungswissenschaftlichen Seminar der Universität Heidelberg. Aus technischen Gründen wurden das Layout verändert und einzelne Passagen ausgespart. Das ungekürzte Original ist erhältlich beim Zentrum für Studienberatung und Weiterbildung (Adresse siehe oben). [...] 1 1. Im Labyrinth der Literatur – Kleine Anleitung zum Bibliographieren Bibliographieren, das heißt: Recherchieren! Recherchieren, welche Veröffentlichungen zu einem bestimmten Thema oder von einem bestimmten Autor vorliegen. Die aufmerksame Lektüre von Fachliteratur ist die Grundlage jeder wissenschaftlichen Arbeit. Um ein recherchiertes Buch an seinem Standort zu finden, sollte man wissen, an welchen Prinzipien sich der Aufbau einer Biblio- thek orientiert. 1.1 Suche nach bekannter Literatur in der Bibliothek Im angenehmsten Fall sind Verfasser und Titel des zu suchenden Buches bereits bekannt. Es gilt also nur noch zu überprüfen, ob es das entsprechende Buch in der Bibliothek gibt und – wenn ja – wo es dort steht. Antwort gibt der alphabetische Autoren- oder Titelkatalog, der den gesamten Bücherbestand der Bibliothek (in den Instituten oft noch auf kleinen Karteikarten erfaßt) nach Autor und Titel ordnet. Jedes dieser Kärtchen trägt auch die Signatur des entsprechenden Buches, eine Zahlen- und Buchstabenkombination, die den Standort des Buches in der Bibliothek bestimmt. Für Aufsätze, die in Zeitschriften erschienen sind, steht in der Bibliothek gelegentlich ein separater Zeitschriftenkatalog bereit. Einige Bibliotheken sind zusätzlich mit einem Schlagwortkatalog ausgestattet, der den Bestand nicht nach Autorenname und Titel, sondern nach alphabetischen Schlagwörtern sortiert, die jeweils ein weitergefaßtes Themengebiet benennen und die dazugehörige Literatur mit der entsprechenden Signatur angeben. Falls ein gesuchter Titel am eigenen Institut nicht vorhanden ist, kann HEIDI (Heidelberger Bibliotheks- und Informationssystem) weiterhelfen. Das EDV-gestützte Informationssystem kann in der Universitätsbibliothek (UB) und in einzelnen Instituten genutzt werden. HEIDI umfaßt vier Teilbereiche: - den alphabetischen Katalog der UB mit sämtlichen Büchern, die nach 1986 erschienen sind (ältere sind bislang nur teilweise in HEIDI erfaßt, vollständig aber auf Karteikarten im Gesamtkatalog der UB) - den Sachkatalog (Schlagwortkatalog) der UB mit Titeln ab 1986 - einen Sachkatalog der Institute - den Gesamtkatalog des Heidelberger Bibliotheksystems mit Titeln ab 1990, davor teilweise. Das UB-Team veranstaltet regelmäßig Einführungen in HEIDI. Für die Recherche von Zeitschriften steht neben HEIDI das Heidelberger Zeitschriftenverzeichnis (HZV) auf CD-Rom und Mikrofiche bereit. Literatur, die in Heidelberg nicht verfügbar ist, kann über die UB per Fernleihe bestellt werden. 1.2 Unsystematisches Bibliographieren Im Prinzip entspricht das unsystematische Bibliographieren dem rollenden Schneeball, der nach und nach zu einer gewaltigen Lawine heranwächst. Den Ausgangspunkt bildet dabei das Literaturverzeichnis (d.h. eine Zusammenstellung der in einem wissenschaftlichen Text zitierten Literatur) eines bereits bekannten Buches oder Artikels zum entsprechenden Thema. Die dort aufgeführten Titel verfügen ihrerseits über ein Literaturverzeichnis, das von dem Bibliographie- renden eingesehen werden kann, nachdem er die in 1.1 beschriebene Suchroutine erfolgreich abgeschlossen hat. Auf diese Weise entsteht schnell eine umfangreiche Literaturliste, die sich bei gründlicher Suche beliebig verdichten läßt. Problematisch ist dabei lediglich, daß eine nach dieser Methode angefertigte Liste niemals aktueller sein kann als das Literaturverzeichnis des Buches, das am Anfang der Recherche steht. Deshalb ist es in der Praxis unerläßlich, sowohl unsystematisch als auch systematisch vorzugehen. Und ganz einfach: Augen auf in der Bibliothek! Allzu oft finden sich in der Nachbarschaft eines bekannten Titels noch verschiedene weitere Werke, in die es sich lohnt, einen Blick zu werfen. 2 1.3 Systematisches Bibliographieren Die gezielte Recherche läßt sich am besten mit Hilfe von Bibliographien durchführen. Bibliographien sind Bücher, die eine systematische Auflistung aller Titel zu einem bestimmten Themenbereich enthalten. Nicht selten erscheinen jährliche Folgebände mit den entsprechenden Neuerscheinungen. So ist es dem Bibliographierenden möglich, auch neueste Veröffentlichungen zu berücksichtigen. Zahlreiche Bibliographien können auch als Computerdatenbanken auf CD-Rom oder im Internet (über die UB-Homepage) abgerufen werden. Über die klassische Titel- und Autorenrecherche hinaus lassen sich diese Datenbanken auch über thematische Schlagwörter bedienen. Einführungen in CD-Rom und in das Internet veranstalten das UB-Team und das Universitätsrechenzentrum (URZ) regelmäßig. 1.4 Wenn alle Stricke reißen... ... gibt es immer noch genügend Leute, die einem mit Rat und Tat zur Seite stehen. Bevor man die Hoffnung fahren lassen und sich gesenkten Hauptes aus der Bibliothek stehlen will, empfiehlt es sich, zuerst die Bibliotheksaufsicht oder einen anderen Studierenden anzusteuern. Falls auch das keinen Erfolg beschert, bleibt schließlich die Möglichkeit, mit dem betreffenden Dozenten wegen der Probleme bei der Literaturrecherche Rücksprache zu halten. Literatursuche 3 2. Der Nachweis – Zitieren wissenschaftlicher Quellen Wissenschaftliches Arbeiten setzt eine kritische Auseinandersetzung mit den vorhandenen Quellen voraus. Meinungen oder Erkenntnisse, die für die eigene schriftliche Arbeit übernommen werden, müssen in dieser als Zitat oder Beleg gekennzeichnet sein. 2.1 Was sind Quellen? Quellen sind alle Materialien, die inhaltlich in eine (wissenschaftliche) Arbeit eingehen, das heißt in erster Linie Fachliteratur, aber genauso auch unveröffentlichte Texte, Vorlesungs- und Vortragsnotizen, Abbildungen, Tabellen, Archivmaterial, Briefe, Rundfunk- und Fernsehberichte sowie Videoaufzeichnungen 2.2 Wiedergabe von Quellen Alle verwendeten Quellen müssen jedesmal kenntlich gemacht werden, wenn im Text auf sie zurückgegriffen wird; es werden sowohl wörtlich oder sinngemäß zitierte Passagen als auch bloße Gedanken eines fremden Autors durch Quellennachweis (Kurzbeleg oder Fußnote) belegt. Ein wörtliches Zitat muß seiner Vorlage exakt entsprechen. Es muß die Quelle in Interpunktion und Wortlaut – ja selbst im Kursivdruck oder Unterstreichen einzelner Wörter – originalgetreu wieder- geben. Kürzere wörtliche Zitate (bis zu 3 Zeilen) werden üblicherweise in Anführungszeichen gesetzt. Was bewegt Abiturienten zum Studium? Manch einer von ihnen mag sich sagen, ich „wünschte recht gelehrt zu werden, und möchte gern, was auf der Erden und in dem Himmel ist, erfassen“ (Goethe, Faust l, 55). Demgegenüber sind längere zitierte Passagen gewöhnlich ohne markierende Anführungszeichen durch engzeiliges Formatieren und Einrücken nach rechts gegenüber dem übrigen Text einer Arbeit gekennzeichnet. Doch schon nach wenigen Wochen an der Universität sind vielen Abiturienten die Illusionen geraubt, und einer spricht aus, was alle denken. Aufrichtig, möchte schon wieder fort: In diesen Mauern, diesen Hallen will es mir keineswegs gefallen. Es ist ein gar beschränkter Raum, man sieht nichts Grünes, keinen Baum, und in den Sälen, auf den Bänken vergeht mir Hören, Sehn und Denken (Goethe, Faust l, 55). Unmut macht sich breit, und die Gruppe beginnt laut zu lamentieren. Ein sinngemäßes Zitat oder übernommenes Gedankengut muß in einer Arbeit ebenfalls kenntlich gemacht werden. Das geschieht in Form des Kurzbelegs oder der Fußnote. Eingeleitet wird dieser Nachweis üblicherweise mit „vgl.“ (für: vergleiche). Anführungszeichen und Einrücken entfallen. Vom Aufruhr angelockt betritt ein höhersemestriger Student den Schauplatz, betrachtet die Szene einen Moment lang und belehrt die verzagten Studenten in der Manier eines Mephistopheles.1 1 Mephistopheles, der sich vor einem Schüler als Faust ausgibt, ermuntert jenen zunächst, daß es beim Studium auf die Gewohnheit ankomme und daß anfängliches Unbehagen und Zweifel sich schon bald im Nichts auflösten. Der Schüler ist mit dem Sermon des Mephistopheles jedoch etwas überfordert, und alles in seinem Kopf beginnt, sich furchtbar zu drehen (vgl. Goethe, Faust l, 55). 4 2.3 Nachweis von Quellen Kurzbelege und Fußnoten dienen dem Quellennachweis im laufenden Text und sollen in möglichst knapper Form auf den Urtext einer Quelle verweisen, damit der Textfluß der Arbeit nicht unnötig unterbrochen wird. Die vollständigen bibliographischen Angaben zu den zitierten Quellen werden zum Schluß einer Arbeit im Literaturverzeichnis aufgeführt. Der Kurzbeleg schließt direkt an die zitierten Wörter oder die gedanklich übernommene Passage an und nennt den Namen des Verfassers, zum Spezifizieren gegebenenfalls das Erscheinungsjahr oder ein Stichwort zum Titel und die jeweilige Seitenzahl. Der gesamte Kurzbeleg wird in Klammern gesetzt, um ihn vom laufenden Text der Arbeit abzuheben. Die Fußnote kann als gedankliche Ergänzung oder auch als Quellennachweis genutzt werden. Dient sie dem Quellennachweis, enthält sie die gleichen Informationen wie der Kurzbeleg. Vorrangig wird sie aber für gedankliche Ergänzungen, Erklärungen oder Exkurse verwendet, die optisch vom eigentlichen Text einer Arbeit getrennt erscheinen sollen. Gekennzeichnet werden Fußnoten in fortlaufender Numerierung durch eine hochgestellte Zahl, die direkt an die zitierte Wendung oder – im Fall vollständig zitierter Sätze oder Absätze – unmittelbar an das darauffolgende Satzzeichen angeschlossen werden.2 ...und jeder kocht sein Süppchen Bibliographische Richtlinien einzelner Institute Einige Heidelberger Institute besitzen ihre eigenen Richtlinien für das Verfassen schriftlicher Arbeiten: Anglistik: „Wegweiser Anglistik“; Standort: in einem Fächerkasten neben den Schließfächern im Foyer des Anglistischen Seminars Geographie: Die Regelung wird in den Anfängerübungen und Tutorien vorgestellt Germanistik: „Bücherkunde für Germanisten“ (Paul Raabe); Standort: Institutsbibliothek Geschichte: Material aus den Tutorien steht in der Institutsbibliothek Indologie: Richtlinien sind im Sekretariat von Prof. Boehm-Tettelbach (Indologie II) erhältlich Islamwissenschaften: „Duden: die schriftliche Arbeit“; Standort: Institutsbibliothek Psychologie: „Bibliographieren und Zitieren in der Psy- chologie“; Standort: Institutsbibliothek Romanistik: „Form und Anlage des wissenschaftlichen Arbeitens“; Standort: Sekretariat Slavistik: „Merkblatt zur Erstellung von Seminararbeiten“; Standort: Sekretariat der Slavistik 2 Eingefleischte schätzen den ästhetischen Wert der Fußnote – und verschmähen im Gegenzug den Kurzbeleg. 5 3. Die letzten Wunder der Ordnung – Systematik im Literaturverzeichnis Die Vorstellungen darüber, wie ein Literaturverzeichnis auszusehen hat, sind recht unterschiedlich. Einig ist man sich aber im Grundsatz: Das Literaturverzeichnis muß 1. einem einheitlichen Prinzip gehorchen und 2. sämtliche für eine Arbeit verwendeten Quellen (und möglicherweise auch weiterführende Literatur) umfassen. Es sollte 3. übersichtlich und 4. einfach in seiner Handhabung sein. Hier kann nur eine von zahlreichen Varianten für die Erstellung eines Literaturverzeichnisses beschrieben werden. Das Kapitel ist deshalb in erster Linie als Anregung zu verstehen, aber keineswegs als verbindliche Norm (Richtlinien einzelner Institute sind auf Seite 5 aufgelistet). Im folgenden wird kurz beschrieben, wie bibliographische Angaben verschiedener Quellen im Literaturverzeichnis systematisch aufgeführt werden können. 3.1 Elemente der bibliographischen Angabe Die bibliographische Angabe sollte grundsätzlich alle Informationen enthalten, die erforderlich sind, um die entsprechende Quelle möglichst schnell identifizieren und ohne weiteres wiederfinden zu können. Darüber hinaus sollte jedes Literaturverzeichnis bezüglich der dort aufgeführten Elemente und ihrer Reihenfolge einem einheitlichen Prinzip gehorchen. Das Literaturverzeichnis ist gewöhnlich alphabetisch nach den Namen der Verfasser oder Herausgeber geordnet. Wenn man ein Buch zur Hand nimmt, sind alle notwendigen Elemente für eine vollständige bibliographische Angabe oft nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Für die korrekte Angabe muß ein wenig geblättert werden, bis auf einer der ersten Seiten die kleingedruckte Titelaufnahme mit den gewünschten Informationen erscheint: 6 3.2 Verschiedene Arten von Quellen im Literaturverzeichnis 3.2.1 Selbständig erschienene Texte Selbständig erschienene Texte sind in sich abgeschlossene Veröffentlichungen mit eigenem Titelblatt, meist auch eigener Angabe von Ort, Verlag und Jahr; so z.B. Monographien, Anthologien, Zeitschriften, Schriftenreihen oder Dissertationen. Im Literaturverzeichnis werden dazu die folgenden Elemente in der Reihenfolge des hier beschriebenen Schemas aufgeführt (Fettdruck kennzeichnet alle Angaben, die in jedem Fall gemacht werden müssen; Normaldruck steht für Angaben, die – sofern vorhanden – auch aufgeführt werden. Monographien: NAME, Vorname (Hg.) (Jahr): Titel : Untertitel. Bandangabe. Hrsg. v. Vorname Name. Auflagenbezeichnung. Erschei- nungsort: Verlag. (Name der Schriftenreihe, Nummer). GOETHE, J.W. von (1984): Faust: der Tragödie erster Teil. Hrsg. v. Lothar J. Scheithauer. Stuttgart: Philipp Reclam jun. GRÜNBEIN, D. (1994): Von der üblen Seite : Gedichte 1985- 1991. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. 3.2.2 Unselbständig erschienene Texte Um unselbständig erschienene Texte handelt es sich bei Veröffentlichungen, die selbst nur Teil eines selbständigen Textes sind: Beiträge in Anthologien, Zeitschriftenaufsätze, einzelne Buchkapitel, Gedichte usw. Die Angabe für einen unselbständig erschienenen Text enthält neben den üblichen Elementen stets auch die Information über die selbständige Quelle, in der dieser erschienen ist. Für das Literaturverzeichnis gilt dabei das folgende Schema: Beiträge in Anthologien: NAME, Vorname (Jahr): Titel : Untertitel, in: Vorname NAME (Hg.) (Jahr): Titel : Untertitel. Bandangabe. Auflagenbezeichnung. Erscheinungsort: Verlag. (Name der Schriftenreihe, Nummer), Seitenzahlen. HEMINGWAY, E. (1994): The Snows of Kilimanjaro. In: N. BAYM et al. (Hg.): The Norton Anthology of American Literature. Bd. 2. 4., überarb. Aufl. New York, X. London: W.W. Norton & Company, 1635-1651. Beiträge in Zeitschriften: NAME, Vorname (Jahr): Titel : Untertitel. In: Name der Zeit- schrift, Jahrgang (Heftnummer), Seitenzahlen. REVILLA DIEZ, J. / SCHÄTZL, L. (1993): Industrieller Transformationsprozeß in Vietnam. In: Geographische Rundschau, 45 (9), 538-545. [...] 7 4. Gelernt ist gelernt – Lernen lernen (von Dietmar Chur, Zentrale Beratungsstelle der Universität Heidelberg – Projekt Kooperative Beratung) DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN Sie tun es täglich, wissen aber kaum darüber Bescheid: Vielen Studierenden fehlt das Wissen über das Lernen; genauer darüber, wie ein Lernstoff planvoll und konzentriert in einer angemessenen Zeit selbständig zu bearbeiten ist – und dies ohne Streß, möglicherweise gar mit Freude. Ist das eine Utopie? In der Tat könnte man das meinen, wenn man mit Studierenden über ihre Lernerfahrungen spricht. Gearbeitet und gelernt wird in der Regel ohne System, im Vertrauen darauf, daß es „irgendwie“ geht. Meistens geht es auch – mehr schlecht als recht ... Wie dieses selbständige Lernen zu lernen ist, das stellt eine der zentralen Fragen des Studierens dar; aber auch eine, die oft umgangen wird, weil ihre individuelle Beantwortung letztlich mehr Sorgfalt erfordert, als es zunächst den Anschein hat. Es ist aber eine lohnende Anstrengung, wie der folgende Text zeigen soll. Ferner sollen grundlegende Aspekte der Lernorganisation als Leitfaden für Ihr eigenes Lernen dargestellt werden. Lernen an der Universität Daß selbständiges Lernen eine Aufgabe darstellt, für deren Erfüllung man besondere Vorgehens- weisen und Fähigkeiten erst entwickeln muß, tritt an zwei „Schwellensituationen“ am deutlichsten ins Bewußtsein: beim Übergang von der Schule zur Universität und bei der Vorbereitung auf das Examen. Der wesentliche Unterschied zwischen dem Lernen in der Schule und an der Universität besteht, kurz gesagt, in einer Verlagerung von der äußeren zur inneren Steuerung der Lernaktivitäten. Was ist damit gemeint? Was in der Schule Lehrer und Schulbücher besorgt haben, liegt nun überwiegend in Ihrer Hand: Sich um eine angemessene Lernbereitschaft bemühen, Lerninhalte auswählen, das Pensum in kleine Schritte aufteilen, Hilfen zum Verstehen und Einprägen finden, Ihren Lernerfolg überprüfen. An der Universität wird die Strukturierung der Diskussion in Seminaren und die Präsentation von Inhalten in Vorlesungen weit weniger nach pädagogisch-didaktischen Gesichts- punkten, sondern in erster Linie nach sachlichwissenschaftlichen Kriterien vorgenommen. Sie erhalten zu Beginn des Semesters für die jeweilige Lehrveranstaltung eine Literaturliste und eine thematische Gliederung. Welche Konsequenzen Sie daraus für Ihr Lernen ziehen, ist ganz allein Ihre Sache. DIE NEUE BELASTUNG – STREß ODER CHANCE? Diese große Freiheit der individuellen Gestaltung bei relativ hohen Leistungsanforderungen macht das Neue am Studieren aus. Dabei werden von Ihnen eigene Entscheidungen auf verschiedenen Ebenen verlangt: Sie wählen Ihr Studienfach aus, belegen Lehrveranstaltungen, bestimmen den zu bearbeitenden Lernstoff und teilen sich die Zeit für das Lernen ein: Das Management durch andere wird durch das Selbstmanagement ersetzt. Ob Sie persönlich das nun als Chance oder als Streß erleben, davon hängt es ab, was Sie im Studium erreichen und wie es Ihnen dabei geht. LERNEN VON FAKTEN ODER VON ZUSAMMENHÄNGEN? Freilich gibt es von Fach zu Fach, aber auch zwischen Teilbereichen eines Faches, Unterschiede in der Art des zu lernenden Stoffes. „Dieses Medizinstudium ist wie das Auswendiglernen eines Telefonbuches“, „In Kunstgeschichte ist alles so wenig faßbar, daß ich gar nicht weiß, was ich eigentlich lernen soll“ – solche Sätze spiegeln pauschal die Unterschiede zwischen Lernen von Faktenwissen und verstehendem Lernen von Sinnzusammenhängen wider. Für Ihr Lernen ist es sinnvoll, zwischen verschiedenen Arten von Lernstoffen zu unterscheiden. Als nützliches Kriterium bietet sich dafür die Dimension der Strukturiertheit an, und zwar unter zwei Gesichtspunkten. 8 LOCKERUNG UND ORDNUNG Der erste Aspekt betrifft den Aufbau des jeweiligen Faches oder Fachgebietes und damit Ihren Studienplan. Ist das Wissen Ihres Fachgebietes systematisch und eindeutig geordnet – und Sie müssen beim Lernen nur noch diesem Aufbau folgen? Oder gibt es diesen klaren Aufbau nicht, und die Erkenntnisse in Ihrem Fachgebiet sind locker miteinander verbunden? Müssen Sie nach Wegen suchen, die Strenge eines hochstrukturierten Fachinhalts aufzulockern? Oder müssen Sie vielmehr dem Inhalt erst eine Struktur geben, um ihn überblicken und verstehen zu können? Der zweite Aspekt der „Strukturiertheit“ bezieht sich auf die Grundeinheiten, mit denen die jeweilige Disziplin operiert. Auf welche Art von „Daten“ wird abgehoben? Sind sie als formalisierte Fakten konzipiert, die quasi objektiv aus der Realität durch Beobachtung oder Messung aufgenommen werden? Oder sind Sie offener konzipiert als Bedeutungen und Ideen, die an Interpretationen gebunden sind? Auch diese Unterscheidung hat Konsequenzen für die Art des Lernens. Im einen Fall ist es eher ein Aufnehmen von Faktenwissen, das in einzelnen Einheiten gespeichert und so auch wieder abgerufen wird. Beansprucht wird hier das „konvergente“ Denken, das die als objektiv richtig geltende Antwort auf eine Frage findet und das ein gesichertes Wissen über die Beschaffenheit der Realität sucht. Für das Lernen sind dann vor allem Strategien wichtig, die das Aufnehmen, Behalten und Wiedergeben von großen Mengen relativ unverbundenen Materials erleichtem. Im anderen Fall ist der Umgang mit dem Stoff mit einem Dialog vergleichbar, der an ein Thema unterschiedliche Fragestellungen und Sichtweisen heranträgt. Der eigene begründete Standpunkt spielt eine zentrale Rolle. Es geht dabei um ein perspektivisches, „divergentes“ Denken: das Annähern an einen Sinn. Interpretierendes Verstehen und In-Frage- Stellen sind Fähigkeiten, die dazu notwendig sind. Wichtig für die Steuerung des Lernens ist also zweierlei: einmal durch Organisation des Lernens den Grad an Struktur und Offenheit herzustellen, der für Sie selbst am wenigsten Streß und am meisten Anregung zum Lernen bedeutet, und zum anderen, die jeweils unterschiedlichen Anforderungen des Lernstoffs zu erkennen, geeignete Lernstrategien zu entwickeln und entsprechende Fähigkeiten einzuüben. Vorbereitung auf die Prüfung Sich erst kurz vor der Prüfung mit einer angemessenen Lernstrategie zu beschäftigen, kann gefährlich werden. Eine solche Haltung verkennt, daß ein angemessener Arbeitsstil nicht vom Himmel fällt oder kurz vor Torschluß einem klugen Buch entnommen werden kann. Er sollte vielmehr frühzeitig – am besten von Beginn des Studiums an – aufgebaut werden. Lernen zu lernen heißt, über längere Zeit Vorgehensweisen zu entwickeln, die auf Ihre persönlichen Gegebenheiten abgestimmt sind. Natürlich kann das Lernen auch noch vor der Prüfung optimiert werden. Die konkreten Anforderungen der Prüfung stellen gegenüber denen des Studienverlaufs eigentlich nichts völlig Neues dar: Schon vorher mußten Sie sich Wissen erarbeiten, es anderen präsentieren und Bewährungssituationen bestehen. Sie hatten sich bereits mit Anspannung und Streß durch Anforderungen auseinanderzusetzen. Jetzt, wo sie sich auf die Prüfung vorbereiten, müssen Sie dies wieder tun, nur unter strengeren Bedingungen. DIE ESSENTIALS Sie sollten grundsätzlich über einen größeren Zeitraum planen, um kontinuierlich arbeiten zu können. Achten Sie darauf, sich genügend Zeit freizuhalten, damit sich der Stoff setzen kann und Wiederholungen möglich sind. Nehmen Sie die Prüfung selbst in Generalproben – Abfragen, Probeklausuren, Rollenspielen – möglichst originalgetreu vorweg, um nicht erst dann, wenn es „um die Wurst geht“, zum ersten Mal mit einer solchen Situation konfrontiert zu sein. 9 DIE PANIK „Schön und gut“, werden Sie sagen, „aber so einfach ist die Sache mit der Prüfung nun doch nicht!“ – und Sie haben recht. Was die Prüfungssituation für die meisten wirklich schwer macht, sind nicht die besonderen Anforderungen, sondern es ist die ihr zugeschriebene Bedeutung, aus der sich dann auch immer wieder die Prüfungsangst speist. Sätze wie „Jetzt kommt alles darauf an!“ oder „Werde ich das bloß schaffen?“ enthalten negativ getönte Bewertungen, die mit Prüfungen oft verbunden sind. Durch eine solche Interpretation werden bestimmte Aspekte der Prüfungssituation besonders akzentuiert: Die Prüfung und das übliche Studium sowie eigentliches Können und tatsächliche Prüfungsleistung werden als getrennte Kategorien aufgefaßt. Der Prüfungskandidat knüpft nicht an seine schon erbrachten Studienleistungen und Ressourcen an, sondern hat allein die Prüfung vor Augen. Das nährt die Befürchtung des Mißerfolgs statt die Zuversicht für einen Erfolg. Zudem wird mit der Prüfung oft eine magische Bedeutung verbunden: es geht um „Sein oder Nicht-Sein“, um den eigenen Wert als Person. Solche Annahmen können letztlich zur Eigensabotage führen. Kann man das abstellen? Die Bedeutung, die Sie der Prüfungssituation zuschreiben, ist tatsächlich etwas sehr Wichtiges bei der Vorbereitung zur Prüfung. Selbstmanagement heißt hier die rechtzeitige Auseinandersetzung mit eigenen Reaktionen auf gegebene Leistungsanforderungen; mit der persönlichen Bedeutung, die das Fach, Wissenschaft und Leistung aber auch die spätere Berufstätigkeit für Sie besitzen; mit der Vorstellung, die Sie von sich und ihrem Leben haben, und mit der Beziehung zu sich selbst. Es kann nötig sein, Fähigkeiten eines fördernden Umgangs mit sich zu entwickeln, negative Bedeutungen, die mit der Prüfung verbunden sind, abzubauen und positive aufzubauen. Solche Änderungen der Haltung lassen sich nicht einfach antrainieren, sie entwachsen einer entsprechenden Auseinandersetzung mit der eigenen Person. In gewissem Sinn gehört diese Arbeit an sich selbst zur Prüfungsvorbereitung. Dadurch wird die Prüfung neben einer wissenschaftlichen Bewährung auch zu einer Herausforderung an die eigene Person. Lernen als Selbstmanagementaufgabe Nicht wenige, die sich daran machen, das Lernen zu lernen, erwarten magische Erfolge in kurzer Zeit, garantiert durch wissenschaftlich ausgewiesene Techniken unter klangvollen Namen wie „Zeitmanagement“, „Superlearning“ oder „Mnemotechnik“. Allerdings fehlt es in der Regel an einer realistischen Einschätzung, um welch eine komplexe Aufgabe es sich bei der Entwicklung eines eigenen Arbeitsstils handelt. So wird häufig angenommen, man könne sich auch in den schwierigsten Situationen durch das bloße Übernehmen verschiedenster Techniken „zum effektiven Lernen bringen“. Allerdings tritt das erwartete Ergebnis oft nicht ein – kein Wunder, denn Menschen funktionieren nicht wie „triviale Maschinen“. Zentral ist deshalb der Aspekt der Selbststeuerung, des persönlichen Umgangs mit den verschiedenen Vorgehensweisen und Techniken. Dieses Selbstmanagement enthält drei wesentliche Aspekte, die nur in ihrem Zusammenspiel zu effektivem Lernen führen: 1. Kenntnis von Techniken und Strategien des Lernens 2. Angemessener Umgang mit den Gegebenheiten der eigenen Person 3. Entwickeln eines individuellen Arbeitsstils Grundlegend für das Gelingen der Selbststeuerung beim Lernen ist zweierlei: 1. Das Prinzip der Ökologie in der Planung: nicht das Ausblenden, sondern das Einbeziehen des Umfelds: Lernen gelingt dann am besten, wenn es mit den anderen Ansprüchen und Interessen abgestimmt ist. 2. Die Orientierung an den Ressourcen statt an den Defiziten: Man gelangt schneller zum Ziel, wenn man vom bereits Erreichten ausgeht, als wenn man nur an das denkt, was noch getan werden muß. 10
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