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Kladismus oder die Legende vom Stammbaum PDF

188 Pages·1983·4.834 MB·German
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OFF E N E WISSENSCHAFT Springer Basel AG OLIVIER RIEPPEL KLADISMUS ODER DIE LEGENDE VOM STAMMBAUM Springer Basel AG CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Rieppel, Olivier: Kladismus oder die Legende vom Stammbaum / Olivier Rieppel. - Basel ; Stuttgart Birkhäuser, 1983. (Offene Wissenschaft) ISBN 978-3-0348-5381-1 ISBN 978-3-0348-5380-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-5380-4 Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vor behalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert werden. Auch die Rechte der Wiedergabe durch Vortrag, Funk und Fernsehen bleiben vorbehalten. © Springer Basel AG 1983 Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel 1983 Softcover reprint ofthe hardcover 1st edition 1983 Umschlaggestaltung: Peter Hajnoczky, Zürich Inhalt Einleitung ..................................... 8 Die Grundlagen der Phylogenetik .................. 19 Erkenntnis und Realität .......................... 27 Das Merkmal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 38 Der Merkmalsträger ............................. 47 Der Merkmalsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 84 Das dichotome Verwandtschaftsschema .............. 101 Die Mosaikentwicklung der Merkmale .............. 122 Merkmalskonflikte .............................. 136 Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 166 Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 179 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 183 5 Vorwort Das vorliegende Buch geht auf eine Vorlesung für Hörer aller Fakultäten mit dem Titel «Methoden der Verwandtschaftsfor schung» zurück, die ich im Sommersemester 1981 an der Uni versität Zürich gehalten habe. Die seit diesem Termin erschie nene Literatur über Fragen des Kladismus konnte nur in be scheidenem Umfang im Rahmen des vorliegenden Textes ver arbeitet werden. Von dieser Einschränkung ist besonders das hervorragende Werk von Gareth Nelson und Norman Plat nick, «Systematics and Biogeography» (Columbia University Press, New York, 1981) betroffen, das den Kladismus in den Zusammenhang mit der Biogeographie stellt, sowie die von M. Cartmill publizierte Kritik am Schwestergruppenvergleich und der damit verbundenen Anwendung der «Regel der ein fachsten Lösung» (<<Hypothesis testing and phylogenetic re construction», Zeitschrift für zoologische Systematik und Evo lutionsforschung 19 (1981): 73-96). Auf diese weiterführende Literatur sei daher wenigstens im Vorwort verwiesen. Den Herren Prof. Dr. R. Wehner, Zürich, Prof. Dr. W. Herre, Kiel, Prof. Dr. P. Dullemeijer, Leiden, Prof. Dr. J. Nietham mer und Dr. W. Böhme, Bonn und Prof. Dr. N. Schmidt Kittler, Mainz, bin ich zu aufrichtigem Dank verpflichtet für die große Mühe, die sie sich gemacht haben, um das Manu skript neben der alltäglichen Belastung durch Lehre und For schung zu lesen und oft im Detail zu kritisieren. Ebenfalls gebührt mein Dank Herrn Prof. Dr. H. Rieber, Direktor des Paläontologischen Instituts und Museums der Universität Zü rich, der es mir ermöglichte, die sehr aufwendige Vorlesung vorzubereiten und dabei den vorliegenden Text zu verfassen. Herr R. W. Gronowski half mir in selbstloser Weise bei der Herstellung des Manuskriptes. Schließlich möchte ich auch Herrn H.-J. Bender vom Birkhäuser Verlag AG danken für sein stets bereitwilliges Entgegenkommen in allen Fragen, die die Publikation dieses Buches betrafen. Die Illustration des Buches besorgte Herr O. Garraux, Basel. Zürich, im August 1983 Olivier Rieppel 7 Einleitung Die Evolution der Organismen (Phylogenie) ist ein historischer Prozeß, der unserer unmittelbaren An schauung sowie Experimenten nicht zugänglich ist. Damit entspricht die Methode der Phylogenetikjener historischer Wissenschaften, eine Testbarkeit im Sinne Poppers ist nicht gegeben. Die Aussagen der Phylogenetik sind in der Terminologie Poppers meta physisch, doch bleiben sie rational diskutierbar und kritisierbar, solange sie sich aufbeobachtbare Phäno mene beziehen. Die fossilen und rezenten Organismen als Resultat und Relikte des evolutiven Prozesses lie fern die Beobachtungsgrundlage for phylogenetische Forschung. Woher kommt der Mensch, wohin führt seine Entwicklung? Die Zukunft der Menschheit schwebt im ungewissen Raum der vierten Dimension, doch seine Vergangenheit ist der Neugierde des Menschen zugänglich. Woher also kommen wir, wurden wir gezeugt von Adam und Eva, oder sind wir das Produkt einer Evolution, Abkömmlinge von affen-ähnlichen Protoho miniden? Fragen der Verwandtschaftsforschung, Fragen nach unserem Stammbaum, gewachsen im Laufe der Zeit, im Laufe der Vergangenheit. Wir alle kennen das großartige Spiel der Natur: Aus dem Samen wächst der Baum, bildet Blüten, die nach der Befruchtung zu Früchten sich wandeln, in deren Tiefe die neuen Samen reifen, neues Leben keimt. Auch wir sind aus dem Ei gewachsen, im Leibe der Mutter, befruchtet vom Vater. Wir stammen von unseren Eltern ab! Vielleicht haben wir Geschwister; mit ihnen sind wir verwandt. Das Kind, wem gleicht es mehr, dem Vater oder der Mut ter? Es gleicht wohl beiden, und doch ist es etwas besonderes, etwas neues, eine einmalige Erscheinung, ein Individuum. Der Vater, die Mutter, beide tragen die Erbsubstanz, welche sie weitergeben an ihre Nachfahren, jedoch nicht unverändert! 8 Beide - der Vater und die Mutter - tragen die Erbfaktoren in doppelter Ausführung, in einem doppelten (diploiden) Chro mosomensatz, doch bei der Bildung der Keimzellen wird diese doppelte Information geteilt, halbiert auf einen einfachen (ha ploiden) Chromosomensatz. Bei der Befruchtung des Eies er gänzen sich die jeweils einfachen Informationssätze der Eltern wieder zum doppelten Chromosomensatz des Kindes - das Kind erhält Erbinformation von Vater und Mutter. Doch zu gleich liefern die Rekombination der elterlichen Erbinforma tion sowie allfällige Mutationen im Kinde etwas neues, etwas einmaliges. Das Kind ist nicht gleich wie Vater oder Mutter, es ist sich selbst, und doch mitbestimmt von Vater und Mutter. Im Kinde sind Vater und Mutter verschmolzen zu einer neuen Einheit. Evolution hat stattgefunden, Wandel der Erbinforma tion durch Rekombination und Mutation der Chromosomen sätze: Das Geheimnis der Evolution liegt in der Abstammung begraben. «Sage mir, wie du heißest, und ich sage dir, wer du bist». Oder anders ausgedrückt: weiß ich, <wes Eltern Kind< er ist, so kann ich den Weg des evolutiven Wandels erschließen. Evolution (Entrollung, Entwicklung). Das Wort wurzelt ur sprünglich in der vorevolutionistischen Präformationslehre und meinte damit die Ontogenie, die Lebensgeschichte des Individuums. In diesem Zusammenhang erweckt das Wort die Vorstellung von Fortschritt, von Erwachsenwerden. Heute steht das Wort Evolution im Zusammenhang mit der Phyloge nese, mit der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Pflan zen und Tiere, wobei sich der Fortschrittsglaube erhalten hat: Der Einzeller wurde zum Vielzeller, der Fisch zum Vogel, das Tier zum Menschen - der Krone der Schöpfung. Der Stamm baum des Lebens wächst in die Höhe, das Höchste wird Krone genannt, von uns, die wir dort sitzen, zwischen Himmel und Erde, im Spannungsfeld zwischen den Wurzeln unserer tieri schen Abstammung, die uns belangt mit Trieben und düsteren Bildern, und dem Produkt unseres hellen Geistes, der gleich dem aus der Blattkrone verdunstenden Wasser den Luftraum erfüllt. Woher also stammen wir? Die banale Antwort lautet: von unseren Eltern. Doch stimmt das auch wirklich, das mit dem Vater? Bin ich mit ihm verwandt? Denn, wie soll ich das wohl 9 wissen? Ich muß mich dabei auf meine Mutter verlassen, auf deren Ehrlichkeit. Da besteht doch ein kleiner Rest von Unsi cherheit oder Ungewißheit! Der Leser schmunzelt - doch bio logisch ist dieser Rest von Ungewißheit belangvoll! Wie die Soziobiologen sagen: Die Verläßlichkeit der Mutterschaft ist viel größer als jene der Vaterschaft. Soziobiologie erforscht die Grundlagen sozialen Verhaltens im Kontext der Evolution (Ruse, 1979), und Evolution sei, so wird gesagt, Fortschritt. Ein Fortschritt, der begründet liegt im alten, abgegriffenen Schlagwort des «Überlebens des Stärkerem). In der modernen Evolutionsbiologie mißt sich die «Stärke» in der überlegenen Anpassungsnorm, die sich im erhöhten relativen Fortpflan zungserfolg niederschlägt. Der Überlegene, das heißt der bes ser Angepaßte, erreicht einen selektiven Vorteil, indem er ge genüber dem Unterlegenen öfter zur Fortpflanzung kommt. Er hat die Möglichkeit, seine überlegene erbliche Ausstattung in größerer Auflage zu vervielfachen. Damit setzt sich im Laufe der Generationen die überlegene Norm in der Population sta tistisch durch. Selektion des überlegenen Musters infolge er höhter Fortpflanzungsrate, so etwa heißt das Losungswort des Fortschrittes, zweifellos ein egoistisches Prinzip des Konkur renzdenkens (Dawkins, 1976). Evolutiv setzt sich nur durch, wer auf Vorteil bedacht ist, auf selektiven Vorteil, auf die VervielfaJtigung seiner Gene. Bei Löwen etwa läßt sich beob achten, daß einzelne Männchen mit einem Harem leben. Wird ein Pascha alt und schwach, wird ihm sein Harem von einem Junggesellen abgenommen, tötet der neue Herr die Kinder des abgesetzten Königs. Das Herodes-Motiv schimmert durch, die uralten Probleme jeder Thronfolge. Biologisch gesehen ist das Verhalten des Thronfolgers sinnvoll, denn warum sollte er Kraft und Leben einsetzen für den Schutz und die Ernährung von Jungtieren, die nicht seine Erbfaktoren vermehren, son dern Träger sind vom Erbgut des abgesetzten Greises. Man kann sich über den soziobiologischen Standpunkt berechtig terweise streiten - die Frage der Adoption bleibt ungeklärt - doch dieses Gen-Denken, wie es J. Alcock (1979) nennt, liefert den Ansatz zur Erklärung einiger interessanter Phänomene. Da bei der Vaterschaft immer ein letzter Rest von Zweifel bestehen bleibt, läuft ein Mann Gefahr, Kinder seiner Frau zu 10

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