Kindeswohl zwischen Jugendhilfe, Justiz und Gutachter Karlheinz Schneider • Patricia Toussaint Martina Cappenberg Kindeswohl zwischen Jugendhilfe, Justiz und Gutachter Eine empirische Untersuchung Prof. Dr. Karlheinz Schneider Dr. Martina Cappenberg Max-Weber-Institut Freie Praxis Universität Heidelberg Münster Deutschland Deutschland Patricia Toussaint Amt für Soziale Arbeit Magistrat der Landeshauptstadt Wiesbaden Mainz Deutschland ISBN 978-3-658-01901-3 ISBN 978-3-658-01902-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-01902-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer-vs.de Vorwort Kindeswohl, vor allem dessen Gefährdung, hat in den letzten Jahren vermehrt eine sensibilisierte Öffentlichkeit gefunden. Dazu hat nicht zuletzt auch ein Journalis- mus beigetragen, der auf Kindeswohlgefährdung vor allem auflagenbewusst re- agiert. Sach- und Fachverstand bleiben dabei nicht selten auf der Strecke. Wohlfeil klingen dabei Schuldzuweisungen und Verantwortungszuschreibungen: als schul- dig und verantwortlich gilt allzu schnell das Jugendamt. In der Regel klingt die pressewirksame Aufregung nach kurzer Zeit wieder ab, hinterlässt jedoch meist mehrfache Wirkungen. Bei nicht wenigen der im Jugend- amt Tätigen stellen sich über einen fachunkundigen Journalismus Frust, Verärge- rung und auch Verunsicherung ein. Fachkreise reagieren mit heftigem Diskurs, Hochschule gelegentlich mit curricularen Verbesserungen, Regierungen und Par- lamente hin und wieder mit legislativem Aktivismus. Die hier vorgelegte Fallstudie verdankt sich in zweifacher Weise solchen Aus- wirkungen. Ihre allerersten Anfänge reichen in zwei Studienprojekte, die vor meh- reren Jahren am Fachbereich Sozialwesen der Hochschule RheinMain durchge- führt wurden. Bereits in diesen Projekten stand die Begegnung dreier Professionen im Fokus, wobei der Schwerpunkt auf den professionellen Standards des Allgemei- nen Sozialdienstes lag. Schon damals orientierten sich Lehre wie Projektforschung theoretisch an Nikolas Luhmanns Legitimation durch Verfahren. In der sich über Jahre hinziehenden Fallstudie verschoben sich mehrfach die Akzente und Zielpunkte. Von besonderer Bedeutung war dabei die 2010/2011 in der Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe geführte Kontroverse zwischen Eckhardt Buchholz-Schuster und Winfried Möller. Im Mittelpunkt dieser streitba- ren Auseinandersetzung stand das ‚Spannungsfeld‘ zwischen sozialpädagogischer und juristischer Methodik. Während Buchholz-Schuster bedauernd konstatiert, dass es zu diesem Thema an aktueller empirischer Forschung fehle, kontert Möller vehement: „Ob es eine psychosozial orientierte sozial-pädagogische Rechtsanwen- V VI Vorwort dung geben kann und geben darf, kann niemals unter Rekurs auf empirische Be- funde geklärt werden.“1 Diesem provokanten, schwer zu begründenden Diktum zum Trotz beabsich- tigen wir, mit dieser Fallstudie einen empirischen Beitrag zum Verhältnis der je- weiligen einzelwissenschaftlichen Methodiken zu leisten, mittels derer sich Justiz, Jugendhilfe und Gutachter begegnen. Gelänge es dieser Studie, zum empirisch auf- geklärten Verständnis dieser Begegnung anhand konkreter Verfahren zur Wahrung des Kindeswohles beizutragen, entspräche dies unserer primären Intention, die wir mit dieser Untersuchung verbinden. Mehr als eine erste empirische Annäherung an das Thema stellt diese Studie allerdings nicht dar. Sie ist als exemplarische Untersuchung der Begegnung dreier Professionen zu verstehen, wie sie in ausgewählten Verfahren abgebildet wird. In der theoretischen Erfassung dieser Begegnung orientiert sich unsere Studie an Luh- manns Rechtssoziologie ( Legitimation durch Verfahren). Sie arbeitet mit Methoden der qualitativen Sozialforschung und schließt mit Konklusionen, die von Burghardt ( Recht und Soziale Arbeit) ihren Impetus gewinnen. Die Studie ist in zwei Teile gegliedert. Teil I befasst sich (Kap. 1) mit der Begeg- nung der dreier Professionen als professionelles Dilemma im Spannungsverhältnis zwischen Verfahrensnormen und Verfahrenswirklichkeit. Danach wird die rechts- soziologische Ausrichtung unserer Studie entfaltet (Kap. 2). Schließlich erläutern wir die Datenbasis und unser methodisches Vorgehen (Kap. 3). Teil II präsentiert in Form von Profilen (Kap. 4) die Analyse der mit Richtern und dem ASD geführten Interviews, die Evaluation der Falldokumentationen so- wie eine kumulative Analyse der Sachverständigengutachten. In Kap. 5 präsentie- ren wir die Fallstudien in Form von Verfahrensbewertungen und schließen unsere Studie (Kap. 6) mit Konklusionen, die wir als generalisiertes Fazit aus den Verfah- rensbewertungen verstehen. Bleibt abschließend zu betonen, dass unsere Studie kein „selbstgerechtes Ide- albild“ zeichnen, sondern einen empirischen Beitrag zur komplexen Begegnung dreier Professionen vorlegen will. Karlheinz Schneider; Soziologe – Wiesbaden Patricia Toussaint; Sozialarbeiterin und Juristin – Mainz Martina Cappenberg; Psychologin – Münster 1 Winfried Möller, „Rechtsverwirklichung ohne Recht? Wider die Auflösung juristischer Me- thodik in psychosozialen Gefilden“ – in: ZKJ 2011(1), S. 11. Eckhardt Buchholz-Schuster, Recht im Spannungsfeld zwischen sozialpädagogischer und juristischer Methodik – in: ZKJ 12/2009 (1. Teil) sowie 1/2010 (2. Teil). Dank Unsere Studie wäre ohne Hilfe der Vielen nicht möglich gewesen. Ohne die Koope- ration zwischen dem Amt für Soziale Arbeit und der Hochschule Rhein Main, ohne die uneingeschränkte Unterstützung durch die Leitung der Abteilung Sozialdienst sowie ohne die Bereitschaft des Familiengerichtes. Für die fachliche, organisatori- sche und kollegiale Unterstützung dieser Institutionen und der Personen sprechen wir Dank und Anerkennung aus. Wir danken gleicherweise den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie den Richterinnen und Richtern, die als Interviewpartner mitgewirkt haben, ins- besondere jenen, die zur kommunikativen Evaluation von Teilen der Studie bereit waren. Ein herzlicher Dank gilt auch all denen, die Teile der Studie kritisch begleitet sowie fachliche und kollegiale Anregungen gegeben haben. Nicht zuletzt bedanken wir uns bei der Hochschule Rhein Main dafür, dass sie unsere Studie aus den Mitteln Angewandte Forschung unterstützt hat. VII Inhaltsverzeichnis Teil I Gegenstand, theoretischer Ansatz und methodisches Vorgehen 1 Zum Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.1 Kindeswohl und Kindeswohlgefährdung – ein professionelles Dilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.2 Familiengerichtliche Verfahren zwischen Verfahrensnorm und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2 Theoretische Ausrichtung: Legitimität durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . 13 2.1 Verfahren als soziales System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.2 Legitimität durch Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.3 Luhmanns Verfahrenskategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 3 Datenbasis und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.1 Das Sample – eine exemplarische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.2 Datenbasis und deren Zuordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.2.1 Datensätze der drei Professionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.2.2 Begegnung dreier Professionen – die Zusammenführung aller Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.3 Methoden der qualitativ empirischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . 28 Teil II Interpretationen und Analysen 4 Die Profile der Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.1 Profil der Mitarbeiter des ASD/Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.2 Profil der Mitarbeiter des ASD/Falldokumentationen . . . . . . . . . . . . . 48 4.2.1 Evaluationsraster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4.2.2 Profile der Falldokumentationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 IX X Inhaltsverzeichnis 4.3 Profil der Richter/Interviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 4.4 Das Profil der Gutachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5 Bewertung der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.1 Zum Verfahren der Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.2 Die Verfahrensbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.2.1 Erster Fall – Jennifer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.2.2 Zweiter Fall – Nina und Anton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 5.2.3 Dritter Fall – Lea, Frank und Sara . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5.2.4 Vierter Fall – Stephan und Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 5.2.5 Fünfter Fall – Lucia, Joana und Kathi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 5.2.6 Sechster Fall – Bastian und Laura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 5.2.7 Siebter Fall – Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 5.2.8 Achter Fall – Fabian . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6 Fazit und Konklusionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.1 Drei Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 6.2 Zusammenführung der drei Perspektiven – dialogisch diskursive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Abkürzungen ASD Allgemeiner Sozialer Dienst BDP Bundesverband Deutscher Psychologen BGB Bürgerliches Gesetzbuch BHG Bundesgerichtshof BVerfG Bundesverfassungsgericht EuGH Europäische Gerichtshof FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FGG Freiwilliges Gerichtgesetz HzE Hilfe zur Erziehung KICK Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz KW Kindeswohl KWG Kindeswohlgefährdung OLG Oberlandesgericht SGB Sozialgesetzbuch ZPO Zivilprozessordnung XI