Rudolf Dreikurs Loren Grey Kinder lernen aus den Folgen . Wie man sich Schimpfen und Strafen sparen kann s&c 01/2008 Vertrauen in die Fähigkeit der Kinder ist oft wirksamer als jeder elterliche Druck. Konsequentes und vernünftiges Handeln von Seiten der Eltern verhilft Kindern frühzeitig dazu, eigenständige Erfahrungen zu sammeln und mit der Freiheit richtig umzugehen. Ganz konkret und praktisch gehen die bekannten und erfahrenen Autoren auf Alltägliche Konflikte ein. ISBN: 978-3-451-05902-5 Original: A Parents Guide to Child Discipline Aus dem Amerikanischen von Hans Schmidthüs Verlag: HERDER Erscheinungsjahr: 2007 Umschlaggestaltung: R-M-E München/Roland Eschlbeck, Liana Tuchel Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!! Buch Konflikte zwischen Eltern und Kindern gehören zu den alltäglichen Erfahrungen. Warum kehren bestimmte Situationen, die in Tränen oder Aggressionen enden, immer wieder? Wie können Eltern lernen zu verstehen, was sich hinter manch „nervenden” Verhaltensweisen verbirgt? Und wie können sie solche unnötigen Konflikte in Zukunft vermeiden? Welcher Erziehungsstil ist der richtige? Wie kann Autorität ins Autoritäre umschlagen? Rudolf Dreikurs und Loren Grey zeigen in diesem lebensnahen Buch, wie Eltern mit Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Kinder eine entspannte und gute Beziehung zu ihnen finden. An vielen konkreten Situationen weisen die beiden erfahrenen Therapeuten auf, wie Kinder durch konsequentes, vernünftiges Verhalten von Seiten der Eltern zu verantwortungs- vollen und kreativen Persönlichkeiten reifen können und wie sie lernen, mit ihrer Freiheit richtig umzugehen. Sie zeigen aber auch, wie die Eltern durch eine neue Verhaltensweise Kraft, Nerven und Energie sparen, die sie nun zur schöpferischen Gestaltung des Zusammenlebens einsetzen können. Autor Rudolf Dreikurs, 1897-1972, ist einer der bekanntesten Kinderpsychologen. 1937 emigrierte er von Wien in die USA, seit 1939 lebte er in Chicago. Er war Professor für Psychiatrie an der Chicago Medical School und Leiter des Alfred-Adler- Instituts in Chicago. Loren Grey, Ph. D., ein auf Elternberatung spezialisierter Psychologe, war Professor am San Fernando Valley State College, Los Angeles. Inhalt 1. WARUM SIND NEUE WEGE IN DER KINDERERZIEHUNG NOTWENDIG? .................................................................................. 7 Die Ursachen des Problems ........................................................ 10 Das Dilemma der Eltern .............................................................. 12 „Wir wollen mehr zu sagen haben” .............................................. 14 2. VERSTÄNDNIS FÜR DIE PERSÖNLICHKEIT DES KINDES ... 16 Das Bedürfnis, sich zugehörig zu fühlen ..................................... 17 Zuneigung, Zustimmung und Beachtung .................................... 17 Stellung in der Familie ................................................................. 19 Das älteste Kind .......................................................................... 21 Das zweite Kind ........................................................................... 23 Das mittlere Kind ......................................................................... 23 Das jüngste Kind ......................................................................... 24 Das einzige Kind .......................................................................... 24 Große Familien ............................................................................ 25 Die Rolle der Eltern ..................................................................... 25 Die falschen Ziele des Verhaltens ............................................... 27 1. Aufmerksamkeit erringen ........................................................ 28 2. Der Kampf um die Macht ......................................................... 29 3. Rache ...................................................................................... 30 4. Unfähigkeit als Ausrede .......................................................... 32 Bedeutung von Erwartungen ....................................................... 35 3. GRUNDSÄTZE DER NEUEN WEGE ......................................... 36 Anreiz statt Druck ........................................................................ 37 Techniken gegen Haltungen ....................................................... 38 4. DIE PSYCHOLOGISCHEN METHODEN BEIM UMGANG MIT KINDERN ........................................................................................ 41 Ermutigung .................................................................................. 41 Die Aufgabe ist wichtiger als das Ergebnis ................................. 45 Lohn und Strafe meiden .............................................................. 45 Nichteinmischung ........................................................................ 46 5. DIE GESELLSCHAFTLICHEN METHODEN ............................. 48 Lerne, wann du nicht sprechen sollst .......................................... 48 Drohe deinem Kind nicht ............................................................. 48 Vermeide Wettstreit zwischen den Kindern ................................ 48 Bemitleide das Kind nicht ............................................................ 49 Vermeide übertriebene Fürsorge ................................................ 49 Übertreibe die Ängste deines Kindes nicht ................................. 49 Wähle ein Erziehungsfeld aus ..................................................... 50 Strafe körperlich nicht mehr als nötig .......................................... 51 Benutze den Familienrat ............................................................. 52 6. DIE ANWENDUNG LOGISCHER FOLGEN .............................. 56 Unterschiede zwischen logischen oder natürlichen Folgen und Bestrafung ................................................................................... 58 1. Logische Folgen drücken die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens, nicht der Person, aus, Strafe drückt Macht der persönlichen Autorität aus .......................................... 61 2. Die logische Folge ist logisch mit dem Fehlverhalten verknüpft, die Strafe ist es selten ................................................................. 63 3. Logische Folgen enthalten kein Element moralischen Urteils; Strafe dagegen häufig ................................................................. 64 4. Logische Folgen befassen sich mit dem, was gerade geschieht, Strafen dagegen mit der Vergangenheit .................... 65 5. Die Stimme ist freundlich, wenn Folgen beschworen werden, in der Bestrafung liegt, offen oder versteckt, Gefahr ...................... 67 Bedingungen für die Anwendung von logischen Folgen ............. 68 7. KONFLIKTLÖSUNGEN DURCH FOLGEN ............................... 74 Problemlösung durch demokratische Verfahren ......................... 74 Konfliktsituationen ....................................................................... 77 Aufstehen .................................................................................... 79 Zu spät in die Schule kommen .................................................... 81 Anziehen ...................................................................................... 90 Verantwortung für Kleidung, Spielzeug, Bücher ......................... 97 Häusliche Arbeiten .................................................................... 103 Essen ......................................................................................... 113 Zähneputzen .............................................................................. 122 Benehmen in der Öffentlichkeit ................................................. 122 Verschiedene tägliche Vorkommnisse ...................................... 130 Kämpfen .................................................................................... 137 Störungen beim Autofahren ...................................................... 141 Vergeßlichkeit ............................................................................ 143 Taschengeld .............................................................................. 145 Haustiere ................................................................................... 147 Rechtzeitig nach Hause kommen .............................................. 148 Schlafenszeit ............................................................................. 151 Bettnässen ................................................................................. 155 Schlechte Gewohnheiten .......................................................... 156 Stehlen, Lügen, Fluchen ........................................................... 157 EPILOG ......................................................................................... 159 1. WARUM SIND NEUE WEGE IN DER KINDERERZIEHUNG NOTWENDIG? In Southampton, Long Island, versammelte sich eine Gruppe von 127 jugendlichen Angehörigen der oberen Zehntausend in einer Villa zu einem der bestvorbereiteten Debütantenbälle der Saison. In der Nacht fingen die jungen Leute an zu toben, rissen Kronleuchter ab, zerschlugen Fensterscheiben und zerstörten Möbel. Ihre Erklärung, sie hatten keine. In Ost-Los-Angeles griffen die Insassen eines Wagens voller jugendlicher Rowdies einen Oberschullehrer und mehrere Schüler an, als diese sie aufforderten, ihren Wagen, der die Ausfahrt eines Parkplatzes blockierte, beiseite zu fahren. Ihr Grund, sie wollten sich nichts vorschreiben lassen. In einer Stadt des amerikanischen Mittelwestens unterbrach eine Gruppe von Halbwüchsigen eine Starkstromleitung und tauchte die Stadt in Dunkelheit. Ihre Ausrede, sie „langweilten sich” und wußten nicht, was sie dagegen tun konnten. In New York, Oakland, Los Angeles und andern Städten demolieren Oberschüler die Klassenräume, sie greifen Lehrer und andere Schüler an. Ihr Grund: „Voreingenommenheit”. Auf dem Gelände von Oberschulen und Universitäten in ganz Amerika (und anderswo) streiken Schüler und Studenten, sie marschieren und demonstrieren. Ihre „Anliegen” wechseln, aber der Tenor ist immer der gleiche, Unzufriedenheit, Wut, Protest. Die amerikanische Bundespolizei vermerkt, daß die Jugend- kriminalität sehr viel stärker anwächst als die Bevölkerung. Besorgte Polizeibeamte stellen eine noch beunruhigendere Statistik auf, Angriffe auf Polizisten nehmen zu, und die 7 Zusammenarbeit mit allen Organen der Sicherheit nimmt ab. Die Schreiber der Boulevardpresse sind voll beschäftigt mit Erklärungen, woher das alles kommt, und der „liebe Onkel” widmet den Eltern-Kind-Problemen ebensoviel Raum wie den Ratschlägen für Liebeskranke. Unsere These ist, daß sich die gesamte heranwachsende Generation und nicht nur eine extreme Gruppe von jugendlichen Kriminellen im Kriegszustand mit den Erwachsenen befindet. Es zeigt sich jedoch, daß das Alter der Jugendlichen, die sich dem Verbrechen zuwenden, abnimmt. Wir müssen eine viel- leicht noch bedrückendere Erscheinung verzeichnen, daß sich nämlich diese Handlungen von Gewalt und Zerstörung nicht auf jene Kinder beschränken, die aus einem Milieu kommen, das man gewöhnlich als „asozial” bezeichnet, sondern daß sie in allen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schichten unsrer Gesellschaft vorkommen. In dieser Hinsicht kann sich keine Familie in Amerika sicher fühlen. Es gibt heute keine Eltern, die mit Sicherheit behaupten können, daß keins ihrer Kinder einer dieser Gewalttäter werden könnte. Wir werden uns immer mehr bewußt, daß die Haltungen der heutigen Kinder, unbeschadet ihres Alters, ganz anders sind als die der „guten, alten Zeit”. Die Kinder nehmen die Urteile ihrer Eltern nicht mehr als absolut an. Ja in vielen Fällen schenken sie ihnen überhaupt nur wenig Beachtung. Die Eltern werden in einer Weise aufgefordert, ihre Handlungen zu rechtfertigen, wie es von ihnen in der Vergangenheit nicht erwartet wurde. Dazu werden Trotz und sogar offener Widerstand selbst für sehr kleine Kinder immer kennzeichnender. Vor fünfzig oder selbst vor dreißig Jahren hätte kein Kind auch nur davon geträumt, seinen Vater anzuzeigen, weil er es geschlagen hat. Heute kommt das verhältnismäßig häufig vor. In mehr als einem Fall haben wir gelesen, daß Kinder auf ihre Eltern geschossen und sie getötet haben, weil sie wirkliche oder eingebildete Beschwerdegründe gegen sie hatten. Weit häufiger sind die 8 versteckten Anzeichen solchen Widerstands, das Nichtwollen der Kinder mehr als das Nichtkönnen beim Lernen, beim Sicheinordnen und bei der Mitarbeit in der Schule und zu Hause. Wie schon erwähnt, äußert sich das extrem im Verhalten von Halbwüchsigen. Zwar hat es die Gesellschaft insgesamt bisher kaum begriffen, aber die zunehmenden kriminellen Handlungen Jugendlicher stellen nichts anderes dar als offenen Krieg von einigen Heranwachsenden gegen die Gesellschaft. Man nimmt an, daß die Basis dieses Kriegs breiter ist, als man bisher vermutet, und daß sich in Wirklichkeit die ganze heran- wachsende Generation im Krieg mit den Erwachsenen befindet. Vielleicht mehr als alles andere verübeln die Heranwachsenden der erwachsenen Gesellschaft, daß diese nicht willens ist, sie über Tätigkeiten und Regeln zu ihrem eigenen Besten mitentscheiden zu lassen. Vielleicht ist gegenwärtig der einzige Hoffnungsschimmer, daß mehr und mehr Jugendliche sich Bewegungen anschließen, die für eine bessere Zukunft ihres Landes wirken. In den USA sind das Friedenskorps und einige der Gruppen, die Rassengleichheit anstreben, vielleicht die besten Beispiele dafür. Wenigstens einige junge Leute finden Erfüllung in schöpferischer Gemeinschaftsarbeit, die das beste Mittel gegen das Gift ist, das zum Krieg zwischen den Generationen geführt hat. Gleichzeitig aber wächst auch eine andere Bewegung beängstigend rasch und zieht viele unserer Jugendlichen an. Wenn es jungen Leuten auch oft gelingen mag, ihre Feindschaft und ihren Widerstand gegen die Autorität in verhältnismäßig aufbauende Richtung zu lenken, so werden sie doch allzuoft von offen antisozialen Gruppen eingefangen und so daran gehindert, sich in die Gemeinschaft einzugliedern. Es wird gelegentlich behauptet, daß die heutigen Rebellen ein unvermeidliches Nebenprodukt des demokratischen Prozesses seien, aber die Zahl und die Tätigkeiten dieser Rebellen nehmen in einem Maß zu, das uns wenig Grund zur Selbstzufriedenheit läßt. Zudem 9 verbreitet sich die Haltung der Resignation auf diesem Gebiet und ebenso auf dem Gebiet der Beziehungen zwischen Eltern und Kind, sobald man versucht, sich mit diesem Problem zu befassen. Die Ursachen des Problems Zahlreiche Erklärungsversuche bemühen sich um einige der Tatsachen, die wir dargestellt haben. Ein Psychoanalytiker versuchte zum Beispiel, die von den jungen Angehörigen der oberen Zehntausend bei dem oben erwähnten Ball begangenen Gewalttätigkeiten als „Massenpsychose” zu erklären. Er behauptete, daß ihnen das Bedürfnis, „bestraft zu werden”, zugrunde liege, die Jugendlichen hatten nämlich das Gefühl, von ihren Eltern als kleine Kinder nicht streng genug behandelt worden zu sein. Ein anderer Autor behauptete, diese Kinder litten unter dem, was er „Anomie” nennt, dem Gefühl nämlich der Wurzellosigkeit, abgeschnitten zu sein von andern Mitglie- dern der Gesellschaft oder nicht zu ihnen zu gehören. Wieder andere vermuteten, daß die Jugendlichen in diesem materialist- ischen Zeitalter unter dem sogenannten Verfall von moralischen und geistigen Werten leiden. Vielleicht liegt in all diesen Äußerungen ein Körnchen Wahrheit, aber sie scheinen an den Unzulänglichkeiten zu leiden, welche die meisten Theorien dieser Art kennzeichnen. Entweder versuchen die Theoretiker nur, die Symptome zu behandeln, oder ihre Auffassungen sind so verschwommen und allgemein, daß sie nur geringe Bedeu- tung für die Lage haben, der wir gegenüberstehen. Sie scheinen auch nur wenig Verständnis für die Kräfte und Ereignisse zu besitzen, welche die Welt von heute und morgen formen. Die Ursache für die ganze Fülle der Probleme ist wohl die schnelle und überwältigende gesellschaftliche Umwälzung, die in unserer Zeit stattfindet. Die erste Wandlung geschah vor acht- bis zehntausend Jahren, als der primitive Mensch begann, die Stammesketten zu brechen und die Anfänge der modernen 10