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Kind und Fernsehen: Theoretische und empirische Untersuchungen zum Kinderfernsehen PDF

407 Pages·1980·17.764 MB·German
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FORSCHUNGSBERICHT DES LANDES NORD RHEIN -WESTF ALEN Nr. 2954/Fachgruppe Geisteswissenschaften Herausgegeben vom Minister für Wissenschaft und Forschung Prof. Dr. Gerhard Augst Dr. Paul-Ludwig V ölzing Fachbereich 3, Sprach- und Literaturwissenschaften, Universität Siegen - Gesamthochschule - Kind und Fernsehen Theoretische und empirische Untersuchungen zum Kinderfernsehen Westdeutscher Verlag 1980 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Augst, Gerhard: Kind und Fernsehen : theoret. u. empir. Unters. zum Kinderfernsehen / Gerhard Augst ; Paul Ludwig Völzing. - Opladen : Westdeutscher Ver lag, 1980. (Forschungs berichte des Landes Nordrhein Westfalen ; Nr. 2954 : Fachgruppe Geistes wiss.) ISBN 978-3-531-02954-2 ISBN 978-3-322-88508-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-88508-1 NE: Völzing, Paul-Ludwig: © 1980 by Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag III Vorwort Einer der ersten öffentlichen Auftritte des neu gegründeten For schungsschwerpunktes 'Massenmedien und Kommunikation' an der GH Siegen war im Mai 1976 eine Vortrags- und Diskussionsveranstal tung, bei der der Kommunikationstheoretiker Horst Holzer (München) und der Kinderfilmautor Sven Severin (Wiesbaden) sprachen. Severin zeigte einen Film, den das ZDF als dritten Teil der Rappelkistensendung 'Kinder machen nicht alles kaputt' sonntags zuvor gesendet hatte. Die Meinungen prallten hart aufeinander, die Urteile über den Film schwankten von "völlig unzureichend" bis "großartig". Viele Diskussionsbei träge gingen dabei von Vermutungen über die Wirkung dieses Films auf Kinder und Erwachsene aus. Dies war der Punkt, an dem wir uns angesprochen fühlten. Ein Ur teil über die Güte des Films muß auch davon abhängen, ob die Kinder und auch die Erwachsenen, denn mit deren Hilfe rechnet das Rappelkistenteam,den Film inhaltlich verstehen, ob sie den Sinn und damit auch die Intentionen des Films begreifen, ob si~ bereit sind, die Intentionen, Handlungsanweisungen bzw. die nor mativen (präskriptiven) Aussagen des Films zu akzeptieren, so daß die Kinder in Zukunft danach handeln und die Erwachsenen ihre Kinder in Zukunft danach handeln lassen. Obwohl in den letzten zehn Jahren viel zum Fernsehen geforscht worden ist, fanden wir kaum eine Untersuchung, die dezidiert Aus kunft darüber gibt, wie Kinder Fernsehen rezipieren, und wie Er wachsene, hier vor allem die Eltern, diesen Rezeptionsprozeß be einflussen. Nur zwei Forschungsansätze vor dieser Zeit boten ei nige Anknüpfungspunkte.Die "Keilhacker-Schule" (München) hat in den 60er Jahren sehr viele empirische Einzeluntersuchungen ver öffentlicht, die, wenn man die Grundhaltung einer Bewahrpädagogik einmal unberücksichtigt läßt, eine Fülle nützlicher und beach tenswerter Einzelinformationen erbringt. Wir möchten hier nur die international angelegte Studie zu dem durch den Prix Jeunesse ausgezeichneten Film 'Patrik' nennen. Eine sehr einfallsreiche und subtile Untersuchung im Vorfeld des Fernsehens führte Ger hartz-Franck Anfang der Soer Jahre an einem Kinderspielfilm durch. Wir glauben, daß diese Untersuchung auch dann, wenn man ihr psy chologisches Erklärungsparadiqma der Gestalttheorie nicht akzep- IV tiert, sehr viele grundsätzliche Beobachtungen zur Entwicklung der kindlichen Fähigkeiten im Umgang mit medialen Produkten ent hält. (Es wäre eine wissenschaftlich. sehr lohnende Aufgabe, diese Untersuchung in all ihren Einzelerhebungen noch einmal ge nau nnachzubauen".) Die Fernsehforschung der letzten Jahre ist nicht so sehr durch empirische Studien geprägt als durch eine heftige Diskussion um die richtige Methode der Forschung. Wir erleben z.Z. einen Paradigmenwechsel, der gekennzeichnet ist durch eine Umkehr der Fragestellung: Das Interesse gilt nicht mehr so sehr der Frage 'Was macht das Fernsehen mit dem Zuschauer?', sondern im Mittelpunkt steht die Frage 'Was macht der Zuschauer mit dem Fernsehen?! Diese beiden u.E. komplementären Fragestel lungen werden unter den wissenschaftlichen Etiketten -hypodermic needlen = "Wirkungs-/Verstehensuntersuchung" und "uses and gratifications-approach" = "Nutzen-/Gebrauchsuntersuchung" ge handelt. Paul-Ludwig Völzing stellt in seinem Beitrag die verschiedenen Forschungsmethoden und Medientheorien vor und prüft deren Er trag und Reichweite vor allem im Bezug auf die Kinderfernseh forschung. S~in Beitrag zeigt sozusagen die theoretischen Grund lagen, auf denen die folgenden empirischen Untersuchungenaufge baut sind. (Alle Beiträge sind jedoch so' abgefaSt, daS sie in sich konsistent und daher auch einzeln rezipierbar sind.) Die Wirkung eines einzelnen Films bei Eltern und Kindern zu erfassen, erwies sich auf grund der Forschungslage als sehr schwierig. Es fehlt vor allem an Arbeiten, welche Aufschluß geben über die häusliche Fernsehsituation, über - wie wir es genannt haben - die Handlung 'Fernsehen'. Man hat zwar die quantitativen Erhebungen durch Infratam oder Infratest u.a. immer mehr ver feinert und nach vielen Parametern aufgeschlüsselt, aber darüber, wie es kommt, daß die Kinder p.ine bestimmte Sendung sehen, was vor, während und nach der Sendung in bezug auf die Sendung an Interaktion passiert, weiB man wenig. Wir haben deshalb, um den "background" kennenzulernen, auf den ein einzelner Rappelkistenfilm trifft, erst einmal eine empiri sche Erhebung bei 512 Kindern zu ihrem prä-, peri- und post- v kommunikativen Verhalten bei allen Sendungen durchgeführt, die sie in einer bestimmten Novemberwoche (1977\ gesehen hatten (daher die Kurzformel "Novemberuntersuchung"). Die Ergebnisse dieser Untersuchun~ sind als zweiter Beitra~ in diesem Buch abge druckt. Eine gekürzte Fassung erschien Mai 1979 als Heft 2 der Reihe MuK (Veröffentlichungen des Forschungsschwerpunktes Massen medien und Kommunikation an der GH Siegen). Die Untersuchung belegt deutlich, daß Fernsehen keine 'stumme' Angelegenheit ist, sondern daß Eltern (Erwachsene) und Kinder vor, während und nach der Sendung über die Sendung reden, sie be werten, Gesehenes nachahmen und daß dies je nach Sendetyp sehr unterschiedlich ausfällt. Es wurde damit sehr deutlich, mit wel chen Fernsehgewohriheiten ein einzelner Film, wie der 'Dongi' , rechnen kann. Gemäß den beiden Forschungsparadigmen, die wir als komplementär und nicht als gegensätzlich ansehen, haben wir dann empirische Untersuchungen durchgeführt zu den Wirkungen, die der Dongi-Film bei den Zuschauern erreicht,und zu dem Nutzen, den die Zuschauer aus diesem Fall ziehen. Gemäß unserem eigenen Ansatz, Fernsehen als eine komplexe ,Interaktion zu begreifen, haben wir in den Wir kungsuntersuchungen nicht nur die Kinder, sondern auch die Er wachsenen (Eltern, Lehrer(innen) und Kindergärtnerinnen) mitein bezogen. Es hat uns bei den Erwachsenen vor allem interessiert, wie sie selbst den Film verstehen und einschätzen und wie sie die Rezeptionsleistung ihrer Kinder/Schüler einstufen. Die uses-Unter suchung konnten wir nur experimentell durchführen, da unser Er suchen an das ZDF, den Film noch einmal zu senden (damit wir eine Feldstudie hätten durchführen können), keinen Erfolg hatte. (Eine solche Untersuchung, in der experimentelles Design und Feldstudie verglichen werden, ist für einen anderen Film gerade in Arbeit.) Alle Arbeiten wurden von der gesamten Forschergruppe diskutiert, jedoch tragen die jeweils angegebenen Autoren die Verantwortung für ihre Beiträge. Empirische Untersuchungen/wie die hier vorge legte, wären nicht möglich ohne die Mithilfe vieler. Wir danken daher an erster Stelle dem Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, das die Forschungsar- VI beit drei Jahre finanziell gefördert hat. Nur dadurch wurde es möglich, Kontinuität durch ständige wissenschaftliche Mitar beiter herzustellen. Unser Dank gilt aber auch den Eltern, Lehrer (innen) , Kindergärtnerinnen und nicht zuletzt den Kin dern, die Fragebögen ausfüllten oder sich in strukturierte Interviews "verstricken" ließen. Hervorheben möchten wir beson ders die Bereitwilligkeit der Schul- und Kindergartenleiter (-in nen), durch die es uns möglich war, in den Kindergärten in HU"lgen, ROdheim, Bieber, Krumhach, Fellingshausen, Vetzberg und Königsberg (alle Nähe Gießen), Wiederstein und Olpe (Nähe Siegen), in den Grundschulen Fellingshausen, Rodheim Bieber und Hungen unsere Untersuchungen durchzuführen. Die Kindergartenleit.!!rJnnen von Rodheim, Bieber, Krumhach, Vetz berg und Fellingshi!usen haben für uns sogar je einen Eltern abend zum Thema 'Fernsehen' organisiert. Der. Autor des Films, Herr Severin, hat nach seinem Vortrag in Siegen noch einmal einen ganzen Nachmittag lang unsere Fragen beantwortet und unsere Zwischenergebnisse kommentiert. Den Teil nehmern der Tagung 'Spracherwerb von 6-16' in Siegen (1977), den Mitgliedern des Forschungsschwerpunktes MuK (in Siegen), den Teilnehmern der Sektion Medien der Deutschen Gesellschaft fHr Linguistik (anläßlich der Tagung in Tübingen März 1979) und Mit gliedern des Rappelkistenteams (Frau Saal, Herrn Lorey) konnten wir Zwischenergebnisse vortragen. Schließlich möchten wir den studentischen Hilfskräften Frau Uchtmann, Frau Herrmann, Frau Horstmann und Herrn KUnkler danken, die zusammen mit der Sekretärin Frau Daubig daran mitwirkten, daß ein reprofähiges Manuskript entstand. Siegen, den 2.September 1979 Die Autoren VII 1. P.-L. Völzing: Wirkungen - Ein kritischer Uberblick zu den Methoden und Paradigmen der Fernseh forschung 2. G. Augst, M.-L. Fenner, E. Kaul: 88 Kinder vor dem Bildschirm. - Eine empirische Erhebung zum prä-, peri- und postkommunikativen Fernsehverhalten S-10jähriger (Novemberuntersuchung) 3. G. Augst, M.-L. Fenner, E. Kaul, A. Stöhr, 169 P.-L. Völzing: 'Dongi' - Empirische Untersuchungen zur Wirkung eines Films aus der Rappelkistenserie G. Augst, P.-L. Völzing: 390 Statt einer Zusammenfassung Informative und normative Strukturen im Kinder fernsehen und die Möglichkeit ihrer Erforschung Die Autoren 399 1. Wirkungen - Ein kritischer Uberbl1ck zu den Methoden und Paradigmen der Fernseh forschung Inhaltsverzeichnis 1. Darstellung des Problems 2 2. Wirkungen und ihre TestmBglichkeiten 4 2. 1 Wirkung 4 2.1.1 Präkommunikative, perikommunikative und 4 postkommunikative Wirkungen 2.1.2 Stufen der Wirkung 7 2.1.3 Arten der Wirkung 9 2.1.4 Strukturen menschlichen Bewußtseins 10 2.2 Der Verstehenstest (Theorie der "hypo- 11 dermic needle") 2.3 Der Nutzenansatz ("uses and gratifications- 17 approach") 2.3.0 Massenmedien als Ersatz für direkte 17 Interaktion? . 2.3.1 Der funktionale Nutzenansatz 19 2.3.2 Das ernst genommene Publikum? 21 2.3.2.1 Der Opinion-Leader oder der Two-Step- 21 Flow of Communication 2.3.2.2 Klapper und andere 25 2.3.2.3 Das widerspenstige Publikum 27 2.3.3 Schwierigkeiten von Tests mit dem Nutzen- 32 ansatz 2.3.4 Gefahren des Nutzenansatzes 33 3. Die Sprechhandlungstheorie und ihr Nutzen für die Wirkungs forschung 38 3.1 Sprechhandlungen und ihre Bestandteile 43 3.1.1 Gründe, Absichten und Metakommunikation 45 3.1.2 Die Trennung der Wissens- von der 47 Handlungskomponente 3.2 Gründe fOr Handlungen 47 3.3 Die Theorie der kognitiven Dissonanz und der Nutzen von Fernsehsendungen 4. Die Wirkung des Fernsehens auf Kinder 57 Anhang: Anmerkungen 79 Literaturverzeichnis 83 2 Paul-Ludwig Völzing Wirkungen - Ein kritischer Uberblick zu den Methoden und Paradigmen der Fernsehforschung Motto: Es gibt schlechte Fernseh sendungen, aber noch schlechtere BUcher. 1. Darstellung des Problems Woody Allen spielt im Film "Mach's noch einmal, Sam" den Prototyp des Menschen, der durch Medienkonsum zum Neurotiker geworden ist. Woody ist unfähig, normale Beziehungen zum anderen Geschlecht aufzunehmen, weil er seine Selbstidentität genau dann verliert, wenn er einer weiblichen Person vorge stellt wird. Weil er meint, als Allen Felix keinen Eindruck auf Frauen zu machen oder weil er meint, nur im Stile von Humphrey Bogart dies erreichen zu können, schlUpft er immer wieder in dessen Rolle.Mit dem Erfolg des Mißerfolgs bei den umworbenen Frauen und allerdings des Erfolgs bei den Zuschauern: Woody resp. Allen wirkt auf beide äußerst komisch. Die Frage, wodurch nun ein Mensch dazu kommt, einem solch intensiven Mediengenuß zu frönen wie Allen, der in Situationen, in denen er gefragt wird, was man denn heute abend machen könn te, permanent antwortet, den neuen oder berühmten Film von X oder Y entweder im Kino oder im Fernsehen sich anzusehen, ist eine der Fragen, die den Hintergrund unseres Buches ausmachen. Welchen Nutzen Allen daraus zu ziehen meint, so zu sein wie Bogey, also jemand anderes sein zu können, ein zweites Pro blem dieser Art. Massenmedien und besonders das Fernsehen, vor allem weil hier der Zugang problem- und kostenlos ist, dazu zeitlich nahezu unbegrenzt, bedenkt man, daß die gesamte Freizeit eines Men schen durch das Fernsehprogramm abgedeckt ist, Massenmedien also können der Flucht vor der Wirklichkeit dienen und können letzten Endes zu ähnlichen Konsequenzen wie bei Allen führen, nämlich" daß man die fiktive Welt des Films für die Wirklich-

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