Keine Angst vor dieser Liebe Robyn Donald Julia 1329 2 – 02/99 Gescannt von suzi_kay Korrigiert von claudia_L 1. KAPITEL „Lecia, sieh mal, der Mann dort drüben! Der große, der mit der schicken Blondine auf uns zukommt. Er könnte dein Zwilling sein!" Lecia Spring folgte dem Blick ihrer Freundin, die unauffällig mit dem Kopf auf einen Fremden in der Menschenmenge deutete, die sich an diesem sonnigen Sommernachmittag zu einem Opernkonzert im. Freilichttheater „Auckland Domain" eingefunden hatte. Er war ungewöhnlich groß und breitschultrig und trug ein Gutgeschnittenes Hemd. Selbstbewusst schlenderte er mit seiner Begleiterin durch das Gewimmel, als erwartete er, dass die Leute ihm Platz machten. Und genau das taten sie auch. Lecia beneidete ihm um diese Selbstverständlichkeit. Er überragte sie mit ihren einen Meter siebzig um einiges, und bis auf die männliche Prägung seiner Züge glich sein Gesicht fast dem, das ihr morgens aus dem Spiegel entgegenblickte. Eine seltsame Furcht überkam sie. „Die gleichen Wangenknochen", flüsterte Andrea ihr aufgeregt zu. „Die gleiche gerade lange Nase mit dem kleinen Höcker und - Himmel,, ja ... sogar das gleiche Kinngrübchen! Einfach unglaublich! Dein Haar ist heller, aber ihr seid beide honigblond. Er muss mit dir verwandt sein." „Unmöglich", erwiderte Lecia. Doch sie fühlte sich wie elektrisiert. „Sicher; er sieht wie Dad aus, aber mein Vater hatte außer seinen Eltern keine Verwandten." „Und wie steht's mit! Vettern oder Kusinen? Die hat doch jeder." „In Dads Familie nicht. Die war ziemlich unproduktiv. In jeder Generation nur ein Kind,, soweit alle sieh erinnern - und immer war es ein Sohn, bis ich die Serie unterbrochen habe." ; Neugierig betrachtete Lecia nun auch die Begleiterin des Unbekannten. Sie war schlank, hatte aristokratische Züge und trug eine raffiniert schlichte weichfallende Seidenkombination, dazueine goldene Halskette und zierliche italienische Sandaletten. Alles an ihr wirkte zurückhaltend elegant und teuer und entsprach genau ihrem Typ. Lecia kämpfte ihr Unbehagen nieder und riss sich zusammen. „Außerdem war Dad Australier, und wir befinden uns in Neuseeland." „Schade!" Andrea seufzte und setzte sinnlich hinzu: „Wenn er ein Verwandter von dir wäre, hättest du mich mit ihm bekannt machen können. Obwohl ich sicher keine Chance hätte! Die Frau verschlingt ihn ja geradezu mit Blicken." Da hatte Andrea recht. Obwohl die schöne junge Frau sich kühl und gelöst gab» war nicht zu übersehen, dass sie ganz im Bann ihres Begleiters stand. Lecia betrachtete das Gesicht des Fremden erneut und meinte trocken: „Ein Leckerbissen von einem Mann." „Den ich für mein Leben gern vernaschen würde", schwärmte Andrea „Schon dieser Gang! Als ob er erwartete, dass die ganze Welt ihm Platz macht. Ich wette, im Bett ist der ein Tiger!" „Kannst du das auf einen Blick feststellen?" zog Lecia ihre Freundin auf. „Das kann jede Frau. Du weigerst dich nur, die Signale zu erkennen." Andrea setzte ihre Sonnenbrille auf und schlug einen belehrenden Ton an. „Sehen Sie nicht, mein lieber Watson, wie kraftvoll sein Muskelspiel ist? Er kommt den Hang herauf, ohne zu schwitze», also ist er durchtrainiert und ausdauernd," Die letzten Worte hatte sie langsam und genüsslich ausgesprochen. „Ausdauer ist besonders wichtig. Und da seine Kleidung mehr als mein halbes Gehalt kosten dürfte und wir ja wissen, wie dünn reiche Erben in Neuseeland gesät sind, lässt sich folgern, dass er nicht nur reich ist, sondern auch eine Menge auf dem Kasten hat und ein hohes Tier sein dürfte. Intelligenz, mein lieber Watson, ist eine weitere wichtige Eigenschaft bei einem Liebhaber." Verwirrt, wie hypnotisiert beobachtete Lecia den eindrucksvollen Fremden, dessen Haar in der Sonne wie Bernstein schimmerte. Neben ihr fuhr Andrea fort: „Und an Leidenschaftlichkeit dürfte er auch nichts zu wünschen übriglassen ... sieh dir nur den Mund an! Er gibt sich beherrscht, aber die Sinnlichkeit ist unverkennbar ..." Erschauernd schob sie sich die Sonnenbrille ins Haar und musterte den Näher kommenden fasziniert. „Es ist unheimlich", bemerkte Lecia leise. Etwas Unsichtbares schien sie mit diesem Fremden zu verbinden. „Ich finde es fast beängstigend." Widerstrebend wandte Andrea den Blick von dem Mann ab und sah Lecia an. „Ja, das ist es", sagte sie nachdenklich. „Wenn ich's mir recht überlege, möchte ich auch keinem Doppelgänger von mir begegnen, ganz gleich, wie toll er aussieht." Inzwischen war ersichtlich, dass der Mann und seine Begleiterin auf die Firmenzelte zugingen, die auf der Anhöhe hinter der Menge aufgebaut waren. All seine Aufmerksamkeit schien der Frau an seiner Seite zu gelten. Doch als ihm plötzlich ein kleines Kind vor die Füße lief und stolperte, hob er es erstaunlich sanft auf. Die Kleine verzog das Gesicht und begann zu weinen, doch er setzte sie sich auf die Schultern und drehte sich, so dass die Leute in der Menschenmenge das Mädchen sehen konnten. Hastig sprang eine Frau auf und bahnte sich einen Weg zwischen Picknickdecken, Sonnensegeln und sitzenden Gruppen hindurch. Sie erreichte den Fremden, der ihr das Kind reichte und ernst etwas zu ihr sagte, ehe er weiterging. Die Frau drückte die Kleine an sich und blickte dem großen Mann pikiert nach. Erst als jemand sie anrempelte, zuckte sie die Schultern und verschwand wieder in der Menge. „Möchte wissen, was er gesagt hat", flüsterte Andrea Lecia zu. „Der Miene der Frau nach zu schließen, war es bestimmt kein Kompliment." „Sie hätte besser auf das Kind aufpassen müssen", erklärte Lecia sachlich. „Wie leicht hätte es im Gewimmel verloren gehen können." Andrea lachte. „Genau das hat er ihr bestimmt auch gesagt. Siehst du, ihr denkt sogar gleich." Der Fremde war jetzt nur noch wenige Meter von ihnen entfernt. Am liebsten hätte Lecia sich geduckt, damit er sie nicht sah. Aber das wäre kindisch gewesen, und sie wandte nur das Gesicht ab und spähte zur Bühne hinüber. In diesem. Moment wurde ihr Name gerufen. Sie drehte sich um ... und blickte direkt in die Augen des Fremden. Ein elektrisierendes Prickeln überlief sie. In den blauen Augen des Mannes lag ein erstaunter Ausdruck, dann wurde sein Blick ausdruckslos. „Da seid ihr ja, ihr beiden Hübschen." Peter Farring hatte sie gefunden. Er legte Lecia den Arm um die Schultern, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, gab er ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Ihr müsst schnell essen, das Eis fängt schon zu schmelzen an." Der Fremde musterte Peter im Weitergehen und wechselte auf den Weg zur Anhöhe hinüber. Mit unsicheren Fingern nahm Lecia die Eistüte entgegen, atmete tief ein und brachte ein Lächeln zustande. „Vielen Dank." „Gern geschehen", erwiderte Peter galant. Während Andrea ihr Eis schleckte, berichtete sie ihm von dem Unbekannten, der Lecia so verblüffend ähnlich sah. „Lecia sagt, er sehe genau wie ihr Vater aus. Dabei hat sie väterlicherseits gar keine Verwandten." „Überhaupt keine?" Peter blickte zweifelnd drein. „Vielleicht ja doch. Nicht jeder kennt alle seine Verwandten." Lecia zuckte die Schultern. „Das wäre die einzige Möglichkeit." „Wenn er nicht eng mit dir verwandt ist, will ich ein Jahr lang keinen Champagner me hr trinken", wettete Andrea und wandte sich Peter zu. „Er hat die gleichen Züge wie Lecia, allerdings sind seine unglaublich arrogant. Du weißt schon, wie das bei Bruder und Schwester manchmal der Fall ist. Lecia und dieser Typ könnten Zwillinge sein. Sie haben auch die gleiche Gestalt, nur ist der Doppelgänger weit über einen Meter achtzig groß. Sogar sein Gang hat die gleiche raubtierhafte Geschmeidigkeit." „Meine Güte, du hast eine blühende Phantasie!" bemerkte Lecia leicht gereizt. „Du weißt schon, was ich meine, nicht wahr, Peter?" beharrte Andrea. „Lecia hat etwas Ungezähmtes an sich. Und genauso sieht dieser Mann aus: blond und geschmeidig und gefährlich. Stets Herr der Lage." „Ja, ich weiß, was du meinst." Peter lächelte Lecia auf eine Weise an, die sie nervte. Da Andreas derzeitiger Freund für Opern nicht zu haben war, hatte sie sich für den Nachmittag mit ihrer besten Freundin Lecia verabredet. Kaum hatten sie es sich jedoch auf ihrer Decke unter dem Sonnensegel bequem gemacht, als Peter zu Lecias Leidwesen auf getaucht war und sich zu ihnen gesellt hatte. Es störte sie, von jemandem umschwärmt zu werden, dessen Gefühle sie nicht erwiderte. Sie zuckte die Schultern und erwiderte: „Wenn man uns nebeneinander sehen würde, wäre die Ähnlichkeit bestimmt nur oberflächlich." Doch der Blick des Fremden war ihr durch und durch gegangen und hatte sie völlig durcheinander gebracht. Am liebsten wäre sie geflohen. Sie wollte diesem Mann nie wieder begegnen und auch nicht von ihm sprechen, doch Andrea gab keine Ruhe. „Die einzig denkbare Erklärung wäre vielleicht eine außereheliche Beziehung." „Mag sein", räumte Lecia ein. „Aber meine Mutter hat mir erzählt, der erste Spring sei von England nach Australien gekommen und habe keine Angehörigen gehabt." „Ach was, früher hätte doch niemand zugegeben, uneheliche Bänder zu haben. Der Mann könnte ein entfernter Vetter oder so etwas sein, von dem ihr keine Ahnung hattet", entschied Andrea. „Du hättest dieses hinreißende Raubtier ansprechen sollen, Lecia." Lecia zuckte die Schultern. „Schlafende Raubtiere soll man nicht wecken", erklärte sie trocken. In Sekundenschnelle hatte der Fremde sie gesehen, die Ähnlichkeit erkannt und es dabei bewenden lassen. Da wäre es verrückt gewesen, ihn anzusprechen. Dennoch ging der Unbekannte Lecia nicht aus dem Kopf. Ihre Mutter hatte ihr einmal die Geschichte von einem Mädchen erzählt, das in einer Quelle das Bild des Mannes gesehen hatte, den es einmal heiraten würde. ; Trotz der sommerlichen Hitze .überlief Lecia ein Schauder. Jetzt wusste sie, wie dem Mädchen zumute gewesen sein musste. da hat Lecia dem Kunden erklärt, sie sei nicht bereit, ein Haus für eine Frau zu entwerfen, die sie nicht kenne", hörte sie Andrea amüsiert berichten- Peter war ganz Ohr. „Und wie hat er darauf reagiert?" Andrea lachte. „Er behauptete, intelligente, selbstbewusste Frauen zu mögen. Und dann stell dir vor! - hat er sie zum Abendessen eingeladen, um sie mit seiner Frau bekannt zu machen." Peter staunte, „Alle Achtung!" „Und ich wusste nicht mal, dass er eine Frau hatte", bemerkte Lecia leicht grimmig. „Ich hatte schon geglaubt, er würde den Auftrag an einen anderen Architekten vergeben." „Das Gegenteil war der Fall", fuhr Andrea seufzend fort.„Wie viele von deinen Kunden hat er sich prompt in dich verliebt." „Ach was." Lecia ärgerte sich über die Taktlosigkeit ihrer Freundin und wechselte, das Thema. Der Rest des Nachmittags verlief angenehm. Lecia versuchte, den Gedanken an die merkwürdige Begegnung zu verdrängen, obwohl sie das unheimliche Gefühl hatte, der Fremde könnte sie beobachten. Aber das war natürlich Unsinn, denn unter den dreihundertfünfzigtausend Menschen, die in den flachen Krater des Auckland Domain geströmt waren, konnte er sie unmöglich ausmachen. Also versuchte sie, sich zu entspannen und das Picknick auf der Wiese zu genießen. Nach Sonnenuntergang begann das Konzert. Zur Einstimmung wurden der festlich gestimmten Menge beliebte Opernausschnitte geboten, die in vier von einer weltberühmten Sopranistin vorgetragenen Arien gipfelten. Dann folgender Teil, auf den die Kinder - und auch viele Erwachsene — gewartet hatten, : „,Der Ritt der Walküren'", verkündete der Ansagen Wagners dramatische Musik wurde von zuckenden rotgrünen Laserstrahlen untermalt, die ein märchenhaftes Lichterspiel zauberten. Raketengarben schössen zum klaren Nachthimmel empor und zerbarsten in sprühende Sternenregen, gleichzeitig stieg vom Kraterrand flammender Glutschein auf, der die riesige Menge in ein unwirkliches rötliches Licht tauchte. Gebannt verfolgte Lecia das farbenprächtige Schauspiel am Nachthimmel, das die Musik unterlegte, und fuhr zusammen, weil eine Armeegarde neben der Bühne Gewehrsalven abfeuerte. Als alles vorüber war, konnte Lecia Andrea nur beipflichten, die sich begeisterte: „Das war wirklich einzigartig!" Noch unter dem Eindruck der überwältigenden Darbietung packten, sie Decken, Sonnensegel und Picknickbehälter zusammen und warteten auf eine Lücke Inder Menge, die auf die Straßen um das Domain herum zustrebte. . Ein Knuff in die Seite ließ Lecia zusammenzucken, und sie drehte sich um. „Ich hab's gewusst", zischte Andrea ihr zu. „Sieh mal dort drüben ..." Es war der Fremde, der sich durch das Menschengewühl einen Weg auf sie zu bahnte. Lecias Herz begann heftig zu pochen. Im ersten Moment dachte sie, er hätte sie nicht gesehen und ginge einfach nach Hause, wie sie auch - doch sein energischer Gesichtsausdruck sagte ihr, dass sie sich irrte. Ehe sie richtig durchatmen konnte, blieb er vor ihr stehen, und sie blickte hilflos in seine stahlblauen Augen. Ihr Mund war wie ausgetrocknet. Hinter sich hörte sie Peter etwas sagen, in ihren Ohren rauschte es jedoch so laut, dass seine Worte nicht bis zu ihr durchdrangen. Den Fremden hörte sie dafür um so deutlicher. „Wir müssen verwandt sein", sagte er mit sinnlich dunkler Stimme. „Ich heiße Keane Paget." Das angespannte Schweigen ihrer Begleiter verriet Lecia, dass zumindest einer von ihnen den Namen kannte. Es kostete sie alle Kraft, sich gelassen zu geben. „Ich bin Lecia Spring." „Also ... eine Kusine?" Keane Paget reichte ihr die Hand. Sie nahm sie, schüttelte jedoch den Kopf. „Das kann nicht sein. Ich sehe meinem Vater ähnlich... und er seinem Vater, aber außer ihm habe ich seitens der Springs keine Verwandten." Keane Pagets Händedruck war kräftig, und er betrachtete Lecia forschend. „Die Ähnlichkeit ist zu groß, um zufällig sein zu können", erklärte er bestimmt. „Hier ist meine Karte." Nach kurzem Suchen in ihrer Tasche reichte Lecia ihm ihr Kärtchen. Ohne einen Blick auf seins zu werfen; steckte sie es ein und erwiderte gespielt gleichmütig: „Sicher handelt es sich um eine verrückte Laune der Natur. Heißt es nicht, jeder habe einen Doppelgänger?" „Das ist Altweibergeschwätz." Keane Paget lächelte flüchtig. „Ich halte es mit der Wissenschaft." Sein Blick streifte Peter und Andrea kurz, und er nickte höflich. „Guten Abend." Dann kehrte er zu den Firmenzelten zurück. „Junge!" Andrea verdrehte seufzend die Augen und fächelte sich mit der: Hand Luft zu. „Mich wirft's um. Schon allein die Stimme jagt mir Schauer über die Haut. Und erst seine Augen! Wer ist er? Der Name sagt dir etwas, nicht wahr, Peter?" „Ja." Peter war Anlageberater, und sein Ton verriet, dass Keane Paget in seinen Kreisen bekannt war. „Er besitzt eine Firma, die Ozongeneratoren herstellt." „Und was, bitte, ist ein Ozongenerator?" fragte Andrea, die Universitätsdozentin für Kunstgeschichte. „Ein Gerät, das mit Hilfe von Elektrizität und Luft Wasser reinigt. Ozongeneratoren gibt es schon lange, aber die von Paget hergestellten sind um vieles leistungsfähiger und außerdem billiger und sicherer. Er ist ein auf steigender Industrieller - gewieft und knallhart - der genau weiß, was er will." „Was im Klartext heißen dürfte, dass er auch reich ist und ständig reicher wird", überlegte Andrea schwärmerisch. Peter lächelt amüsiert. „Ja. Er ist alleiniger Besitzer der Firma und wird fürs erste kaum an die Börse gehen." Andrea wollte etwas sagen, aber er kam ihr zuvor. „Er ist unverheiratet, wird aber häufig mit schönen Frauen gesehen. Und, nein, ich habe keine Ahnung, wer seine Begleiterin war. In diesen Kreisen verkehre ich nicht. Dafür fehlen mir das Geld und auch die entsprechenden Beziehungen." Andrea wandte sich Lecia zu. „Du bist also mit ziemlicher Sicherheit mit einem Mann verwandt, der eine hübsche Menge Geld besitzt." Ihre Augen blitzten neidvoll. „Soviel Glück möchte ich auch haben." Lecia hatte den Schock über die Begegnung immer noch nichtüberwunden. „Falls wir verwandt sind. Mich überläuft, eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass Wer ein Doppelgänger von mir herumwandert." „Paget ist kein Wanderer", meinte Peter trocken. „Er weiß, wohin er will, und gelangt schnell ans Ziel. Er hat angefangen, nach Asien zu verkaufen - und das ziemlich erfolgreich -, obwohl das ein schwieriger Markt ist. Er erfordert unendliche Geduld, Fingerspitzengefühl, genaue Marktkenntnisse ...und natürlich ein ausgezeichnetes Produkt." .Sie schlüpften durch, eine Lücke in, der Menge, und gingen die eineinhalb Kilometer zu Lecias Apartment, das, am tiefer lag, zu Fuß. Da Peter sie begleitete, kam Lecia nicht darum herum,, ihn ebenfalls zu einer Tasse Kaffee einzuladen. In Lecias Apartment fragte Andrea: „Wieso haben wir noch nichts von Keane Paget gehört? Schließlich sieht er nicht nur umwerfend aus, sondern zählt offensichtlich auch zu den Männern, die in den Medien Schlagzeilen machen." Peter lächelte bedeutsam. „Tut er auch. Aber er scheint keinen Wert darauf zu legen, in der Gesellschafts- und Klatschspalten unter die Lupe genommen zu werden. Offenbar schirmt er sein Privatleben gut ab." „Ein Jammer", klagte Andrea. „Er könnte viele Frauen glücklich machen, wenn er wenigstens ab und zu in die Kameras lächeln würde." „Hier kommt der Kaffee", unterbrach Lecia die Schwärmerei ihrer Freundin und stellte das Tablett auf den Couchtisch. Geschickt lenkte sie das Gespräch von Keane Paget auf und persönliche Dinge. Es machte sie nervös, als Peter ihre Wohnung und den ausgezeichneten Geschmack bewunderte, mit dem sie die alte Fabrik in einen Apartmentkomplex umgebaut hatte. Peter war amüsant, intelligent und besaß eine scharfe Beobachtungsgabe, doch seine unverhüllten Bemühungen, sie näher kennen zu lernen, verursachten ihr Unbehagen. Erleichtert atmete Lecia auf, als Andrea schließlich aufstand und erklärte: „Zeit zum Gehen, Peter. Komm, wir nehmen uns gemeinsam ein Taxi, ja?" Er sah Lecia bittend an, dann nickte er widerstrebend und verabschiedete sich mit Andrea. Nachdem Lecia die beiden zum Aufzug begleitet hatte, kehrte sie ins Apartment zurück und schloss ab. Peter war ein netter Mann, und sie brachte es nicht übers Herz, ihn unhöflich abblitzen zu lassen.. „Obwohl ich diese Lektion wirklich gelernt haben müsste ..." sagte sie laut und dachte an einen anderen netten Mann, bei dem sie das auch nicht geschafft hatte. Der arme Barry ... Aber das lag sieben Jahre zurück. Inzwischen war sie neunundzwanzig und sehr viel lebenserfahrener. Es war besser, Peter schleunigst zu verstehen zu geben, dass aus einer Beziehung zwischen ihnen nichts werden konnte. Lecia duschte und schlüpfte in einen gestreiften Baumwollüberwurf, der pfirsich- und cremefarben war. Es waren ihre Lieblingstöne, weil sie besonders gut zu ihrem Haar und ihrer klaren, reinen Haut passten. Keane Paget mussten sie auch stehen. Sie fühlte seinen Blick wieder auf sich gerichtet und bekam Mage nflattern. „Du bist ein Dummkopf, Lecia Spring", erklärte sie ihrem Spiegelbild und begann, sich gedankenverloren die Haare trockenzufönen. Erst danach ging sie ins Schlafzimmer und nahm Keane Pagets Karte aus der Handtasche. Sie war schlicht und unaufdringlich gehalten und trug seine Privatanschrift. Er wohnte auf der anderen Seite der Hafenbrücke, in dem Meeresvorort Takapuna. Dem Straßennamen nach zu schließen, konnte man von seinem Haus aus vermutlich auf Rangitoto blicken, die Insel mit dem schlafenden Vulkan, die Aucklands Stadtbild prägte. Geld, dachte Lecia und legte die Karte weg. Widerstrebend musste Lecia sich eingestehen, dass sie enttäuscht war, als Keane Paget sie am nächsten Tag nicht anrief. Weihnachten und Silvester war es bei ihr gesellschaftlich turbulent zugegangen, so dass sie das Januarwochenende, an dem Auckland seinen Status als Provinz von Neuseeland feierte, ruhig verbringen wollte. Doch obwohl Lecia sich seit Wochen darauf gefreut hatte, fühlte sie sich am Sonntag und auch am Montag, der ebenfalls ein Feiertag war, seltsam rastlos und unausgefüllt. Die sonst so belebten Straßen waren wie leergefegt und flimmerten in der Hitze. Wer immer konnte, hatte Auckland verlassen und Zuflucht auf dem Land oder am Strand gesucht. Lecia öffnete alle Fenster ihrer Wohnung, goss die Pflanzen und arbeitete an Aufrissen für die Villa einer Kundin, die ein Grundstück in einem teuren Vorort erworben hatte. Der Auftrag reizte Lecia, und sie verbrachte unter dem Jakarandabaum im Garten Stunden über Entwurfsvarianten. Abends holte sie ihr zwanzig Monate altes Patenkind Hugh zu sich, aß mit ihm und brachte ihn am nächsten Morgen wieder zu seinen Eltern zurück, die auf diese Weise endlich einmal wieder hatten ausgehen können. Keane Paget meldete sich nicht. Und Lecia rief ihn nicht an. Gegen Ende der Woche erwartete Lecia nicht mehr, von ihrem Doppelgänger zu hören. Dennoch ging er ihr nicht aus dem Sinn. Sein Bild verfolgte sie selbst nachts in ihren Träumen. Lecia versuchte sich einzureden, dass es einfach nur die plötzliche Gegenüberstellung gewesen sei, die sie so aus der Bahn geworfen hatte. Eines Morgens klingelte das Telefon, als sie gerade frühstückte. Sie stellte die Tasse ab und meldete sich. „Hallo." „Lecia, hier ist Keane Paget. Ich würde Sie für he ute gern zum Mittagessen einladen, wenn Sie Zeit haben." „Da muss ich erst nachsehen." Der Gedanke abzulehnen kam ihr gar nicht. Hastig überflog Lecia ihren Terminkalender; „Ja, das ließe sich machen." „Gut. Wollen wir uns um halb eins im ,South Seas' treffen?" Sie hatte einen Termin für drei, so dass ihr mehr als genug Zeit blieb. „Kein Problem", erwiderte sie und da das etwas kufzsilbig klang; setzte sie hinzu: „Ich freue mich darauf." „Bis dann", sagte Keane Paget und hängte ein. Kurz und bündig, dachte Lecia und legte den Hörer zurück. Sie fühlte sich erleichtert, gleichzeitig seltsam erregt und furchtsam. Beklommen blickte sie auf ihre Hände, die den Hörer immer noch umklammert hielten, als weigerten sie sich, den Kontakt zu unterbrechen. Nur einmal in ihrem Leben hatte sie so stark empfunden und einer Macht nachgegeben, die sie unwiderstehlich und wie ein Sog auf eine Katastrophe zugetrieben hatte. Lecia hatte gelernt, sich ihren Gefühlen zu stellen, und zwang sich, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Das Ganze lief auf eine einfache Sache hinaus. Sie begehrte diesen Mann, der ihr so ahn lieh sah, dass sie Zwillinge hätten sein können. Aber da war noch viel mehr - sie fühlte sich verstrickt in die unterschiedlichsten Empfindungen, die sie selbst nicht genau benennen oder auseinander halten konnte. Machte sie sich etwas vor und war auf dem besten Weg, sich erneut in eine selbstzerstörerische Besessenheit zu verrennen? Vor acht Jahren war es ihr gelungen, sich aus einer katastrophalen Beziehung zu einem Mann zu lösen, nachdem sie erfahren hatte; dass er verheiratet war. Damals hatte sie sich geschworen, sich nie wieder jemandem mit Leib und Seele zu verschreiben. Sie hatte ihre Lektion gelernt. Als ob diese erniedrigende Episode mit Alan nicht schon schlimm genug gewesen wäre, hatte sie ein Jahr später entsetzt feststellen müssen, dass Barry sie mit der gleichen bedingungslosen Hingabe liebte, mit der sie sich an Alan gehängt hatte. Über ihre Liebe zu Alan war sie hinweggekommen. Nachdem sie erfahren hatte, dass er verheiratet war, hatten Ekel, Empörung und Willenskraft ihre Leidenschaft in Verachtung verwandelt. Doch Barry - dessen einziger Fehler es gewesen war, seine Gefühle ungezügelt zu verströmen -, Barry litt immer noch, weil sie seine Liebe nicht erwidern konnte. Deshalb würde sie mit Keane Paget nur zu Mittag essen ... um ihre Neugier zu befriedigen. Falls er die Bekanntschaft zu vertiefen suchte, würde sie sich höflich, aber bestimmt zurückziehen. In diese Falle durfte sie nicht noch einmal tappen! Als wäre der Bann plötzlich gebrochen, trat Lecia vom Telefon zurück und nahm die Teetasse auf. An diesem Morgen konnte sie sich jedoch nicht recht auf die Arbeit konzentrieren und hörte eine Stunde eher auf, um sich für die Verabredung umzuziehen. Das „South Seas" war ein vornehmer Schlemmertempel, und Lecia wollte vor Keane Paget bestehen können. Nachdem sie geduscht hatte, öffnete sie den Kleiderschrank und ging unschlüssig ihre Garderobe durch. Was würde ich für ein Treffen mit einem Kunden anziehen? fragte Lecia sich. Kurz entschlossen nahm sie das schlichte Seidenkostüm heraus, dessen Farbe dem klaren Grün ihrer Augen entsprach. Beim Haar zögerte Lecia. Tagsüber trug sie es normalerweise offen, doch diesmal erschien es ihr angemessener, es hochzustecken. Sorgfältig legte sie Lippenstift und zarten goldbraunen Lidschatten auf, der ihren natürlichen Hautton unterstrich, dann besprühte sie sich mit ihrem Lieblingsparfüm und verließ das 'Haus bei strahlendem Sonnenschein. 2. KAPITEL Der Apartmentkomplex war nur durch eine verkehrsreiche Straße und Dockanlagen vom Hafen getrennt, so dass Lecia lediglich einen Kilometer am Ufer entlang zum Viaduct Basin zu laufen brauchte, wo sich das „South Seas" befand», Von der salzigen Seeluft beschwingt, machte sie sich auf den Weg Im Sommer' wurden die Hafengegend und die Innenstadt hauptsächlich von Touristen bevölkert, die wie laute, bunte Vogelscharen umherschwärmten. Lecia schlenderte am renovierten Fährgebäude vorbei, in dessen alten Galerien sich moderne Läden und Restaurants eingenistet hatten. Ich will nur sehen, ob das „South Seas" wirklich so gut ist wie sein Ruf, versuchte sie sich einzureden. Mehr nicht. Vor dem Restaurant saßen Gäste unter segelartigen Baldächern und unterhielten sich, während sie die Vorübergehenden interessiert betrachteten. Keane Paget wartete in der Bar und las Papiere, die wie Geschäftsunterlagen aussahen. Als Lecia eintrat, blickte er auf. Seine Miene verriet sekundenlang, dass er irgendwie schockiert war. Eine Reaktion, die sein Anblick auch in ihr jedes Mal auslöste. Er stand jedoch sogleich auf. Lecia fühlte sich seltsam scheu, als er sie unauffällig musterte. Hocherhobenen Hauptes schritt sie durch den Raum und bemühte sich, die neugierigen Blicke nicht zu beächten, die ihr folgten. „Wenn Sie das Haar hochgesteckt tragen, ist die Ähnlichkeit noch stärker"; bemerkte Keane und ließ sie Platz nehmen, ehe er sich wieder setzte. Lecia sah ihn fest an. „Ja, sie ist wirklich verblüffend", sagte sie. „Es ist so, als würde man plötzlich seinem Doppelgänger- gegenüberstehen. " „So geht es mir auch. Da denkt man unwillkürlich an alte Märchen. Was möchten Sie trinken?" „Limonensaft mit Soda, bitte." Keane zog eine Braue hoch. „Nichts Alkoholisches?" „Nein. Wenn ich tagsüber Alkohol trinke, bin ich am Nachmittag müde", gestand Lecia. Auf seinen suchenden Blick hin eilte ein Ober herbei, und Keane bestellte Lecias Limonengetränk, für sich Wasser und ein leichtes Bier. „Ich spüre den Alkohol auch", räumte er ein und lächelte auf eine Art, die Lecia unter die Haut ging. Ganz ruhig! ermahnte sie sich. Es hat überhaupt nichts zu bedeuten, wenn wir beide tagsüber keinen Alkohol vertragen. Das geht vielen so. Nachdem der Ober gegangen war, sah Keane sie forschend an. „Hätten Sie mich angerufen?" „Nein." „Und warum nicht?" Sein kühl abschätzender Blick sagte Lecia, dass Ausflüchte nichts nützen würden. Zögernd erwiderte sie: „Ich hielt das für klüger." „Inwiefern?" Um Zeit zu gewinnen, sah sie sichern Restaurant um. Einige Gäste versuchten hastig zu überspielen, dass sie sie interessiert beobachtet hatten. „Das weiß ich nicht so genau", gestand sie endlich. „Es ist ja auch irgendwie verwirrend, jemandem zu begegnen, der wie man selbst aussieht." „Ich habe schon überlegt, ob wir möglicherweise Halbgeschwister sind", kam Keane direkt zur Sache. „Aber da wir beide nach unseren Vätern gehen, dürfte das wohl ausscheiden." „Woher wissen Sie das?" Keane blickte ihr in die Augen. „Natürlich habe ich Nachforschungen über Sie anstellen lassen", erklärte er, als wäre das ganz selbstverständlich. Unwillkürlich verspannte Lecia sich. „Ich verstehe", sagte sie steif. „Das erklärt das