Kasseler Semesterbücher Studia Cassellana Band 14 Lesarten der Geschichte Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse Festschrift für Heide Wunder zum 65. Geburtstag Herausgegeben von: Jens Flemming Pauline Puppel Werner Troßbach Christina Vanja Ortrud Wörner-Heil kassel university press Kasseler Semesterbücher Studia Cassellana Band 14 Die Kasseler Semesterbücher werden vom Präsidenten der Universität Kassel in zwei Reihen herausgegeben: In der Reihe „Pretiosa Cassellana“ erscheinen wertvolle Publikationen der Universitätsbibliothek Kassel – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt Kassel, insbesondere Faksimiles kostbarer historischer Drucke und Handschriften. In der Reihe „Studia Cassellana“ werden besondere wissenschaftliche und künstlerische Projekte aus den verschiedenen Bereichen der Kasseler Universität aufgegriffen. Die Herausgabe der Kasseler Semesterbücher wird durch die Kasseler Sparkasse großzügig unterstützt. Die Universität Kassel dankt der Kasseler Sparkasse für ihren beispielhaften Beitrag zur Förderung von Wissenschaft und Forschung. Für finanzielle Unterstützung danken die Herausgeber außerdem der Sparkassenstiftung Hessen-Thüringen, der Friedrich-Ebert- Stiftung, der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Frauen- und Geschlechterforschung an der Universität Kassel, dem Deutschen Akademikerinnen Bund e.V. sowie dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Universität Kassel. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar ISBN 3-89958-030-3 © 2004, kassel university press GmbH, Kassel www.upress.uni-kassel.de Umschlaggestaltung: Margareta Maier Mediendesign, Kassel Foto S. II: Dieter Schwerdtle, Kassel Satz: Frank Hermenau, Kassel Druck und Verarbeitung: Druckhaus Dresden Printed in Germany Inhalt Vorwort ............................................................................................... 1 I. Erfahrung und Vermittlung Ute Daniel Erfahren und verfahren. Überlegungen zu einer künftigen Erfahrungsgeschichte .......................................................................... 9 Ulrike Gleixner Biographie, Traditionsbildung und Geschlecht. Historische Relevanz und Partizipation am Beginn der Moderne ....................... 31 Ulrich Mayer Wie viel Geschichte braucht der Geschichtsunterricht? ................... 45 II. Frauenbilder – Männerbilder Stefan Brakensiek Die Männlichkeit der Beamten. Überlegungen zur Geschlechtergeschichte des Staates im Ancien Régime und an der Schwelle zur Moderne ..................................................... 67 Martin Dinges Mütter und Söhne (ca. 1450 – ca. 1850). Ein Versuch anhand von Briefen ........................................................................................ 89 Christel Eckart Vom Arbeitspaar zum Gender Mainstreaming ............................... 120 Elisabeth Gössmann Zur Deutung des ‘Magnificat’ (Lukas 1,46-55) in Geschichte und Gegenwart ................................................................................ 133 Karin Hausen Zigaretten und männlich-weibliche Turbulenzen in Deutschlands bürgerlicher Ordnung des Rauchens vor 1914 ................................ 152 VI Inhalt Merry Wiesner-Hanks „Der lüsterne Luther“. Männliche Libido in den Schriften des Reformators ..................................................................................... 179 III. Blicke Berthold Hinz Die Bildnisse der drei letzten Ernestinisch-Sächsischen Kurfürsten. Entdeckung und Gebrauch des öffentlichen Porträts .. 199 Kerstin Merkel Männerblicke auf Frauenliebe. Rubens „Callisto und Diana alias Jupiter“ in Kassel ............................................................................ 221 Paul Münch Finstere Katholiken und Madonnengesichter. Anmerkungen zur evangelischen ‘Religionsphysiognomik’ ........................................ 240 IV. Handlungsräume Renate Dürr Simonie im Luthertum. Zur politischen Kultur städtischer Gemeinden in der Frühen Neuzeit .................................................. 269 Ute Gerhard Feminismen im 20. Jahrhundert. Konzepte und Stationen ............. 294 Karin Gottschalk „auß dem Stattgericht ein Ambtsgericht zu machen“. Lokale Gerichtsbarkeit zwischen landesherrlichen Amtsträgern und städtischem Rat in Grebenstein (18. Jahrhundert) .......................... 317 Anke Hufschmidt „den Krieg im Braut-Bette schlichten“. Zu konfessionsverschiedenen Ehen in fürstlichen Familien der Frühen Neuzeit .......................................................................... 333 Pauline Puppel „Virilibus curis, fæminarum vitia exuerant.“ Zur Konstruktion der Ausnahme .................................................................................. 356 Inhalt VII Dorothee Rippmann Königsschicksal in Frauenhand. Der ‘Kronraub’ von Visegrád im Brennpunkt von Frauenpolitik und ungarischer Reichspolitik .. 377 Katharina Simon-Muscheid Der weite Weg zur Erbschaft. Weibliche Rechtswege und Strategien im späten Mittelalter ...................................................... 402 Ortrud Wörner-Heil Frauenelite und Landfrauenbewegung in Württemberg. Der Landwirtschaftliche Hausfrauenverein als adelig-bürgerlicher Begegnungsraum ............................................................................. 418 V. Krankheit Karen Nolte „Ich traute ihm nicht viel“. Gattenmord, Hysterie und Geschlechterverhältnisse um 1900 .................................................. 447 Christina Vanja Schwermütige Helden – schwindsüchtige Diven. Krankheit als Thema der Oper – ein kurzer Überblick ................... 465 VI. Lebensweisen Eckhart G. Franz Agrarpionier Justus Liebig als Lebensberater? Ein unbekannter Brief aus Australien ......................................................................... 503 Rainer Wohlfeil Málaga im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zu den Lebensbedingungen, besonders von Frauen ................................... 510 VII. Ländliche Ordnungen Jochen Ebert Anarbeiten gegen Natur und Domänenverwaltung. Abhängigkeiten und Handlungsmöglichkeiten der Pächterfamilie Schlüter auf den hessen-kasselischen Vorwerken Frankenhausen und Amelienthal in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ........................................ 533 VIII Inhalt Jens Flemming Reagrarisierung durch Demobilmachung? Mentalitäten, Arbeitsmarkt und landwirtschaftliche Interessen in der Anfangsphase der Weimarer Republik............................................ 566 Werner Troßbach Einung, Willkür, Dorfordnung. Anmerkungen zur (Re-)Formierung dörflicher Gemeinden (13. bis 16. Jahrhundert) ............................................................................... 597 András Vári Der Pfandbesitz. Ein Geflecht von Eigentum, Klientel und Verwandtschaft im Ungarn des 18. Jahrhunderts ........................... 621 Autorenverzeichnis ......................................................................... 645 Vorwort I. Im Anfang waren Lehre, Studien- und Hochschulreform. An ihre Hamburger Assistentenzeit in den siebziger Jahren hat sich Heide Wunder unlängst schreibend erinnert. Für sie war es die Rückkehr an die Universität, nach der ‘Kinderpause’ ein zweiter Einstieg, nun jedoch in eine gegen vorher radikal veränderte Welt. An die Stelle der Fakultäten waren Fachbereiche getreten, die Ordinarienuniversität, so schien es, war passé, abgelöst von neuer korporativer Ordnung, in der die Gruppen dominierten, säuberlich aufgeschlüsselt nach Status, die Gremien, Kommissionen, Ausschüsse, die langen Sitzungen. Neben der Bewegung der Studenten und den darin aufgehobenen Partizipa- tionsansprüchen gab es eine solche der Assistenten und Dozenten; diskutiert wurde über Nutzen und Nachteil der Historie (dabei anerkennend auf Nietzsche Rekurs zu nehmen, war freilich verpönt); mit einiger Ausdauer stritt man über Relevanz und Gegenwartsbezug, Theorie und Objektivität; marxistische Ansätze stießen, in der Stu- dentenschaft zumal, auf Resonanz. Aus alledem erwuchsen zähe Kon- flikte, Missverständnisse und Grabenkämpfe, aber auch mannigfache Erwägungen und Initiativen, die sich auf eine grundlegende Moderni- sierung des akademischen Unterrichts konzentrierten, namentlich der Proseminare im Grundstudium, damals ausschließlich eine Aufgabe des ‘Mittelbaus’, von der sich die Professoren in eigentümlichem Dünkel fernhielten. Zu den Ergebnissen an Hamburgs Historischem Seminar gehörten Projektstudium und forschendes Lernen, Gruppenarbeit und stu- dentische Mitbestimmung, gehörte die Überzeugung, dass wissen- schaftliches Tun gesellschaftspolitisch zu legitimieren sei, dass durch vorgängige Fixierung ‘erkenntnisleitender Interessen’ argumen- tative Transparenz gewonnen werden müsse. Gesucht wurde nach Gesetzmäßigkeiten, nicht mehr nach Individuum und Individualität, in den Vordergrund rückten Massenphänomene, Strukturen, Prozesse. 2 Vorwort Erwartungsvolle Blicke richteten sich auf die benachbarten Fächer, bis dahin unübliche, ja verpönte Formen der Kooperation wurden erprobt, waren zwar der Karriere nicht unbedingt förderlich, für die Klärung von Positionen und Problemen aber umso wichtiger. Heide Wunder hat sich von den Herausforderungen, die darin steckten, anregen, nicht überwältigen lassen. Kennzeichnend war stets ein untrüglicher Sinn für das Pragmatische, das in der gegebenen Situation Realisierbare. Wer die „Einführung in die Geschichtswissenschaft“ liest, begegnet solcher Tugend auf Schritt und Tritt: ein Gemeinschaftswerk, geboren aus der Praxis und gedacht für die Praxis, auf dem Buchmarkt alsbald ein Dauerläufer, dem erst in den 90er Jahren die Luft ausging. Das Engagement in der Lehre, das sich hier manifestierte, war begleitet von Prozessen einer fortwährenden Selbstreflexion, von unstillbarer Lust am Experiment, war gefüllt mit Neugier auf die Sachen wie auf die ihr anvertrauten Menschen. Ungezählte Examina, zahlreiche Dok- torprüfungen und Habilitationsverfahren bezeugen das: ein großer Kreis von Schülerinnen und auch Schülern, der von der Beharrlichkeit und den motivierenden Kräften ihrer ‘Doktormutter’ profitiert, von Optimismus und Fürsorge, von der nie ermüdenden Bereitschaft zum Gespräch, in dem sich regelmäßig die Grenzen der Disziplinen ver- flüssigen, das Hergebrachte, die lieb gewordenen Gewohnheiten frag- lich werden. II. Doch halt: Am Anfang war – natürlich – nicht die Lehre, sondern die Forschung. Als Motto mag hier der Satz stehen: „Das Selbstverständ- liche denken“. So hat Heide Wunder einen ihrer jüngeren Aufsätze überschrieben. Darin schlägt sie ein neues vergleichendes Herangehen an die frühneuzeitliche Agrargeschichte jenseits von ‘Agrardualismus’ und Grundherrschaftstypen vor: ein Plädoyer von gerade nicht alltäg- lichem Zuschnitt. Das Außergewöhnliche als „selbstverständlich“ zu bezeichnen: Dies ist in den agrarhistorischen Analysen von Anbeginn an präsent. Länger als in Westeuropa und den USA stand in Deutsch- land die Agrargeschichtsschreibung im Banne der Ideologien, die das 19. Jahrhundert hervorgebracht hatte, gleichgültig ob es sich um liberale, marxistische oder konservative Ansätze handelte. Heide Wunders Studien liegen quer zu diesen versäulten Lehrgebäuden und
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