KANON MACHT KULTUR GERMANISTISCHE SYMPOSIEN BERICHTS BÄNDE Im Auftrag der Germanistischen Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft und in Verbindung mit der »Deutschen Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte« herausgegeben von Wilfried Barner XIX KANON MACHT KULTUR Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildungen Herausgegeben von Renate von Heydebrand Verlag 1. B. Metzler Stuttgart . Weimar Germanistische Symposien Berichtsbände, XIX Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Deutsche Forschungsgemeinschaft: DFG-Symposion ... - Stuttgart ; Weimar: Metzler Früher nicht als Gesamttitel einer zeitschr.-artigen Reihe, sondern als Zusatz des jeweiligen Stücktitels erfasst Kanon - Macht - Kultur: theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildung / hrsg. von Renate von Heydebrand. - Stuttgart ; Weimar: Metzler, 1998 (DFG-Symposion ... ; 1996) Germanistische-Symposien-Berichtsbände ; 19) ISBN 978-3-476-01595-2 1996. Kanon - Macht - Kultur. - 1998 ISBN 978-3-476-01595-2 ISBN 978-3-476-05564-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-05564-4 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für VervieWiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 1998 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1998 Inhalt Vorbemerkung der Herausgeberin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. IX I. Theoretische und methodische Grundlagen THOMAS ANZ (Bamberg): Einführung. . . . . . . . . . . . . . 3 FRIEDERIKE WORTHMANN (Göttingen): Literarische Kanones als Lektüremacht. Systematische Überlegungen zum Verhältnis von KanonCisierung) und Wert(ung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 RÜDIGER ZYMNER (Freiburg/Schweiz): Anspielung und Kanon. . . . 30 ALEIDA ASSMANN (Konstanz): Kanonforschung als Provokation der Literaturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 KARL EIBL (München): Textkörper und Textbedeutung. Über die Aggregatzustände von Literatur, mit einigen Beispielen aus der Geschichte des Faust-Stoffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 GISELA BRINKER-GABLER (Binghamton): Vom nationalen Kanon zur postnationalen Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . 78 WALTER ERHART (Göttingen): Kanonisierungsbedarfund Kanonisierung in der deutschen Literaturwissenschaft (1945-1995). . . . . . . . .. 97 FRIEDERIKE WORTHMANN (Göttingen): Diskussionsbericht: Theoretische und methodische Grundlagen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 122 BARBARA HAHN (Princeton): Vergessene Briefe. Erkundungen am Rand des literarischen Kanons (Abendvortrag) . . . . . . . . . . . . . . .. 132 11. Historische Konstellationen der Kanonbildung I: Interkulturelle Perspektiven ULRICH SCHULZ-BusCHHAUS (Graz): Einführung .... 151 URSULA LINK-HEER (Bayreuth): Zur Kanonisierung antiklassischer Stile: Manierismus und Barock. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 156 VI Inhalt ANTOINETTE ROESLER-FRIEDENTHAL (Rom): Das Porträt des Künstlers in den Kanonisierungsprozessen der Kunstgeschichte . . . . . . . . .. 177 BARBARA VINKEN (Hannover): Auf Leben und Tod: Vasaris Kanon . .. 201 MATIAS MARTINEZ (München): Gelungene und mißlungene Kanonisie- rung: Dantes Commedia und Klopstocks Messias . . . . . . . . . 215 HANS-JÜRGEN LÜSEBRINK (Saarbrücken): Zentrum und Peripherie. Kulturhegemonie und Kanonwandel in (post-)kolonialen franko- phonen Kulturen Afrikas und Amerikas . . . . . . . . . . . . . . 230 PETER KUON (Salzburg): Zur Kanonisierung der französischen Literatur des 20. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum - eine empirische Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 ANDREAs POLTERMANN (Göttingen): Interkulturelles Übersetzen. Das Beispiel 1. G. Herder vor dem Hintergrund des postkolonialen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 GÜNTER BUTZER (München): Diskussionsbericht: Historische Konstellationen der Kanonbildung I . . . . . . . . . . . . . 297 III. Historische Konstellationen der Kanonbildung 11: Intrakulturelle Perspektiven (insbesondere für den Zeitraum der letzten 150 Jahre) JÖRG SCHÖNERT (Hamburg): Einführung . . . . . . . . . . . . . . 315 ULRICH 1. BEIL (München): Die >verspätete Nation< und ihre >Welt- literatur<: Deutsche Kanonbildung im 19. und frühen 20. Jahr- hundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 SIMONE WINKO (Hamburg): Negativkanonisierung: August v. Kotzebue in der Literaturgeschichtsschreibung des 19 . Jahrhunderts. . . . . .. 341 GABY PAILER (Karlsruhe): Gattungskanon, Gegenkanon und >weiblicher< Subkanon. Zum bürgerlichen Trauerspiel des 18. Jahrhunderts . . 365 JÜRGEN LINK (Bochum): Hölderlin - oder eine Kanonisierung ohne Ort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 BENNo WAGNER (Bochum): » .. , und könnte Dolmetscher sein zwischen den Vorfahren und den Heutigen.« Zum Verhältnis von Bio-Macht, Kunst und Kanonizität bei Kafka. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 REMBERT HÜSER (Bonn): Art ratlos. Wie schreibt man eigentlich einen Kanon? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 HELMUT SCHANZE (Siegen): Ein »Frauenfilm von höchster ästhetischer Qualität«. Wertungsargumentationen im Fall des Films Heller Wahn von Margarethe von Trotta. Ein Beitrag zur Medienwertungsforschung . 431 MANuELA GÜNTER (München): Diskussionsbericht: Historische Konstellationen der Kanonbildung II. . . . . . . . . . . . . . . . .. 443 Inhalt VII IV. Kanon im gesellschaftlichen Prozeß ALOIS HAHN (Trier): Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 LOUIS PINro (Paris): De la canonisation en philosophie. Nietzsche en France. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 MICHAEL BÖHLER (Zürich): »Cross the Border - Close the Gap!« Die Dekanonisierung der Elitekultur in der Postmoderne und die Rekanonisierung des Amerika-Mythos. Zur Kanondiskussion in den USA. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 GERHARD LAUER (München): Lessings Reisender oder Die Unwahr scheinlichkeit der Haskala. Zum Kanonisierungsprozeß der deutsch- jüdischen Minderheitenkultur im 18. Jahrhundert . . . . . . . . 504 JUTfA OSINSKI (Marburg): Von der Nachfolgerin George Sands zur Grande Dame des katholischen Milieus: Ida Gräfin Hahn-Hahn. 524 MARTINA LANGERMANN (Berlin): Kanonisierungen in der DDR. Dargestellt am Beispiel >sozialistischer Realismus< . . . . . . . 540 ALEXANDER HONoLD (Berlin): Die Zeit als kanonbildender Faktor: Generation und Geltung ..................... 560 ALBRECHT KOSCHORKE (Berlin): Geschlechterpolitik und Zeichen- ökonomie: Zur Geschichte der deutschen Klassik vor ihrer Entstehung. 581 CORNELIA BOHN (Trier): Diskussionsbericht: Kanon im gesellschaft- lichen Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 RENATE v. HEYDEBRAND (München): KANON MACHT KULTUR - Versuch einer Zusammenfassung . 612 Auswahlbibliographie . 627 Personenregister. . . . 633 Vorbemerkung Der vorliegende Sammelband verdankt sein Entstehen dem neunzehnten aus der Reihe der Symposien, die seit den 70er Jahren im Auftrag der Senatskommission für Germanistische Forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft nach strengen Regeln abgehalten werden. Ich rufe diese hier - abgekürzt - in Erinne rung, zum einen, weil die Kommission inzwischen ihre Arbeit hat einstellen müssen, so daß künftig andere Instanzen die Autorisierung der Planungen zu übernehmen haben, zum andern, weil diese DFG-Symposien in den verschiede nen Stadien ihrer Vorbereitung Kanonisierungsprozesse in unserm Fach voraus setzen, beinhalten oder bewirken - also ein Gegenstand dieses Symposions hät ten sein können: Ein Wissenschaftler wird von der DFG gleichsam als ungekrönter König der Germanisten anerkannt und mit der Organisation der in terdisziplinären und möglichst auch internationalen Symposien betraut; für 15 Jahre war dies der Initiator der Symposien, Albrecht Schöne, ab 1990 übernahm Wilfried Barner schrittweise die Verantwortung. Er bestimmt im Einvernehmen mit der Kommission alljährlich einen Kollegen (im gegebenen Fall weiblichen Geschlechts), der drei Jahre später das Symposion nach seinen Vorstellungen ge stalten darf. Dieser Kollege wählt ein Thema und vier >Kuratoren< für die vier Verhandlungstage; seine Vorschläge, wie dann auch der Text für die öffentliche Ausschreibung, müssen erneut von dem Gremium gebilligt werden. Der Veran stalter und die Kuratoren erwählen schließlich auf der Basis von Exposes aus den Bewerbungen für den geschlossenen Kreis 36 Teilnehmer und damit die zu be handelnden Gegenstände. Auch die strenge Form des Symposions selbst fordert den Teilnehmern besondere Leistungen ab: die Vorlagen sind vorher zu lesen und werden während der Tagung nur noch ausführlich diskutiert. Dieses Procedere, das überall auf eine Auswahl des >Besten< zielt, resultiert freilich nicht zwangsläufig in tatsächlicher Kanonisierung; sein Ergebnis reprä sentiert vielmehr, nach einer im jetzigen Symposion erarbeiteten Unterschei dung, nur einen intendierten und nicht einen geltenden Kanon. Denn ob die Ver anstalter und Beiträger als >kanonisiert<, ob die Themen und Methoden als >kanonisch< in die Praxis des Faches eingehen - und für wie lange -, darüber ent scheidet erst die Rezeption, unter anderm durch dauerhaft wiederholte Bezug nahme. Einige Symposien der Reihe oder doch Teile von ihnen haben solchen Status gewonnen. Als ich im Herbst 1993 der Kommission mein Thema KANON MACHT KULTUR nannte, war nicht vorauszusehen, welche - noch immer anwachsende - Kon- X Renate von Heydebrand junktur die Kanonfrage in den nächsten Jahren haben würde: Nicht nur in der Schule, wo die Diskussion seit Jahrzehnten anhielt,l auch in der Hochschule wurde seit 1994, abzulesen an einer großen Zahl fast gleichzeitig erscheinen der Leselisten,2 ein neuer Bedarf an kanonischem Orientierungswissen ver mutet, und im dritten Heft der Mitteilungen des Germanistenverbandes von 1996, kurz nach dem Symposion, plädierten Lehrer und Hochschullehrer fast unisono für eine Rückkehr zu mehr oder weniger verbindlichen Lektüre empfehlungen. Suchte man hier bereits nach neuen Normen, so ging es an an dem Stellen erst und wieder um die Analyse von Kanonisierungsprozessen und -funktionen, wobei zum Teil im Vorblick auch schon die Folgen der welt weiten Kommunikation im Internet bedacht wurden. Eine Art Forschungsbe richt zur Kanonthematik und -problematik (auch über die amerikanische Dis kussion) bot 1995 der Aufsatz GeschlechterdiJferenz und literarischer Kanon (Renate v. Heydebrand/Simone Winko); im gleichen Jahr erschien der zu wenig beachtete Sammelband von Andreas Poltermann Literaturkanon - Me dienereignis - Kultureller Text, dessen Einleitungsaufsatz zusammen mit dem Beitrag von S.J. Schmidt und Peter Vorderer über »Kanonisierung in Medien gesellschaften« die Auswirkungen der technischen Innovationen auf die Ka nonfrage thematisiert.3 Kurz vor dem DFG-Symposion fand in Tübingen eine komparatistische Kanon-Konferenz statt, veranstaltet von Maria Moog-Grü newald; ein Sammelband mit den Erträgen dieses Symposions wurde im Herbst 1997 publiziert. Im übrigen finden allenthalben Seminare zur Ka nonthematik statt, und Disziplinen eines Fachbereiches diskutieren gemein sam das Thema. Das Problem lag also in der Luft, und die Kuratoren waren schnell gewonnen: Thomas Anz, Initiator des ehemaligen Aufbaustudiengangs für Literaturkritik in München, inzwischen verantwortlich für den Diplomstudiengang Literaturkritik in Bamberg, Ulrich Schulz-Buschhaus, Kanonspezialist unter den Romanisten, Alois Hahn, Soziologe >vom Dienst< bei germanistischen Symposien, aber auch Verfasser eines längst >kanonischen< Aufsatzes zum Kanon-Thema, und Jörg Vgl. den zusammenfassenden Beitrag von Harro Müller-Michaels in Der Deutschunter richt 46/1 (1993); außerdem Diskussion Deutsch 26/142 (1995). 2 Z.B. die Reihe im Erich Schrnidt Verlag (Berlin 1994): Wulf Segebrecht (Hrsg.), Was sol len Germanisten lesen? Ein Vorschlag; Annemarie Pieper, Urs Thurnherr (Hrsg.), Was sol len Philosophen lesen?; Frank Baasner, Peter Kuon (Hrsg.), Was sollen Romanisten lesen?; Christa Jansohn, Dieter Mehl, Hans Bungert (Hrsg.), Was sollen Anglisten und Amerikanisten lesen? Außerdem, noch einmal unspezifiziert: Sabine Griese, Hubert Ker scher u.a. (Hrsg.), Die Leseliste. Kommentierte Empfehlungen (Stuttgart 1994). 3 Andreas Poltermann (Hrsg.), Literaturkanon - Medienereignis - Kultureller Text. Formen interkultureller Kommunikation und Übersetzung, Berlin 1995 (darin Poltermann, 1-56; Schmidt, Vorderer, 144-159); Renate von Heydebrand, Simone Winko, »Geschlechterdif ferenz und literarischer Kanon. Historische Beobachtungen und systematische Überle gungen«,IASL 19/2 (1994), 96-173 (das Heft erschien erst Frühjahr 1995). Nach dem Symposion erschien: Renate von Heydebrand, Simone Winko, Einführung in die Wertung von Literatur. Systematik - Geschichte -Legitimation (UTB 1953, Paderborn u.a. 1996), ein Buch, das die Geschichte und Legitimation von Kanonbildungen mitreflektiert (vgl. 222-250).