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Kain und Abel PDF

509 Pages·2011·1.68 MB·German
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Jeffrey Archer Kain und Abel scanned by unknown corrected by hp „Kain und Abel" ist die Geschichte einer tödlichen Feindschaft zwischen zwei Männern, deren Schicksal es ist, sich gegenseitig zu zerstören... ISBN 3-552-04331-4 Originalausgabe KANE AND ABEL Aus dem Englischen von Ilse Winger 1981 by Zsolnay Verlag Gesellschaft m.b.H., Wien Umschlaggestaltung: VPM, Petra Ernst Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!! Autor Jeffrey Archer, Student in Oxford und in seiner Jugend als Leichtathlet Mitglied der englischen Nationalmannschaft, war mit 29 Jahren der jüngste Unterhausabgeordnete, den England je gesehen hatte. Schon sein erster Roman wurde ein Erfolg. „Attentat", sein zweiter Roman, erschien in 57 Ländern und in 18 Sprachen. Zu seinem bis heute erfolgreichsten Werk aber wurde „Kain und Abel". Jeffrey Archer und seine Frau Mary, eine Chemiedozentin, leben abwechselnd in London und Cambridge und haben zwei Söhne. Künstler Markus Lüpertz, 1941 in Liberec/Böhmen geboren und seit 1962 als freischaffender Maler und Bildhauer aktiv, gehört heute zu den wichtigsten Persönlichkeiten der internationalen Kunstszene. In nahezu allen erdenklichen Techniken spielend, setzt er sich immer wieder mit dem Spannungsverhältnis zwischen Abstraktion und Vergegenständlichung auseinander. Von 1975 an lehrte er als Professor an der Kunstakademie Karlsruhe, bis er 1985 als Rektor an die Kunstakademie Düsseldorf berufen wurde. Markus Lüpertz gestaltete für den Zsolnay Verlag die Umschläge für zehn der besten Krimis und Thriller unserer Zeit. Sie bilden den Auftakt für die „Zsolnay Edition", die fortan literarische Werke des 20. Jahrhunderts - vom Klassiker der Moderne bis zum Bestseller der Gegenwart - in ausgesucht künstlerischer Umschlaggestaltung präsentieren wird. In seinen zehn Arbeiten zur „Zsolnay Edition" verwendete Markus Lüpertz verschiedene Materialien, unter anderem Tusche, Pastellkreide, Wachsstifte und Kohle. Für Michael und Jane Der Autor möchte den beiden Männern danken, die dieses Buch ermöglicht haben. Beide wollen anonym bleiben; der eine, weil er an seiner eigenen Autobiographie arbeitet, und der andere, weil er in den Vereinigten Staaten noch immer im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht. Erstes Buch -5- 1 18. April 1906 Slonim, Polen Sie hörte erst zu schreien auf, als sie starb. In diesem Augenblick begann er zu schreien. Der Junge, der im Wald Kaninchen jagte, war sich nicht ganz sicher, ob es der letzte Schrei der Frau oder der erste des Kindes war, der ihn aufmerksam machte. Eine Gefahr witternd, drehte er sich abrupt um, und seine Augen suchten nach dem Tier, das da offenbar verletzt worden war. Noch nie hatte er ein Tier so schreien gehört. Vorsichtig schlich er in die Richtung, aus der die Klagelaute kamen; der Schrei war jetzt zu einem Wimmern geworden, aber auch das klang nicht nach einem ihm bekannten Tier. Hoffentlich, dachte der Junge, ist es so klein, daß ich es töten kann; es wäre einmal etwas anderes als das ewige Kaninchen zum Abendbrot. Der seltsame Lärm kam vom Fluß, und so schlich der Junge in diese Richtung. Er lief von einem Baum zum nächsten und preßte die Schulterblätter gegen die Baumrinde; man konnte sie angreifen, und das war beruhigend. Bleib nie ohne Deckung, hatte ihn sein Vater gelehrt. Als er den Waldrand erreichte, konnte er das ganze Tal bis zum Fluß überschauen, aber auch jetzt dauerte es noch eine Weile, bis ihm klar wurde, daß der merkwürdige Schrei nicht von einem Tier ausgestoßen worden war. Er kroch weiter, doch jetzt war er ungeschützt auf freiem Feld. Plötzlich sah er die Frau - das Kleid über die Hüften gezogen, die bloßen Beine auseinandergespreizt. So hatte er noch nie eine Frau gesehen. Rasch lief er zu ihr hin, starrte auf ihren Bauch hinab und hatte Angst, sie anzurühren. Zwischen den Beinen der Frau lag der Körper eines kleinen, feuchten rosa Tieres, mit etwas angebunden, das wie ein Strick aussah. Der junge Jäger ließ seine frisch gehäuteten Kaninchen fallen und kniete neben dem kleinen Lebewesen nieder. Eine ganze Weile schaute er es fassungslos an, dann blickte er auf die Frau; er bereute es sofort. Sie war schon blau vor Kälte; das erschöpfte Gesicht der Dreiundzwanzigjährigen schien dem Jungen bereits alt. Niemand mußte ihm sagen, daß sie tot war. Er hob den schlüpfrigen kleinen Körper auf; hätte ihn jemand gefragt, warum - -6- und niemand fragte ihn je danach -, er hätte geantwortet, daß die winzigen Fingernägel, die sich in das verdrückte Gesichtchen preßten, ihn dazu bewogen hatten. Jetzt merkte er, daß Mutter und Kind, mit jener schleimigen Schnur verbunden, nicht zu trennen waren. Vor ein paar Tagen hatte er die Geburt eines Lammes mitangesehen und er versuchte sich zu erinnern… Ja, das war es, was der Schäfer gemacht hatte, aber konnte er es auch bei einem Kind tun? Das Wimmern hatte aufgehört, und der Junge wußte, daß er handeln mußte. Er zog das Messer, mit dem er die Kaninchen abgehäutet hatte, aus der Scheide, wischte es an seinem Ärmel ab und zögerte nur einen Augenblick, bevor er die Schnur knapp am Körper des Kindes durchtrennte. Aus den abgeschnittenen Enden floß Blut. Was hatte der Schäfer dann mit dem neugeborenen Lamm getan? Er hatte einen Knoten gemacht, um das Fließen des Blutes zu unterbinden. Natürlich, natürlich; der Junge riß ein paar Grashalme aus und knüpfte hastig einen Knoten in die Schnur. Dann nahm er das Kind in die Arme. Langsam stand er auf und ließ drei tote Kaninchen und die tote Frau zurück, die dieses Kind geboren hatte. Bevor er ihr endgültig den Rücken drehte, zog er ihr das Kleid über die Knie und schob die Beine zusammen. Er hatte das Gefühl, daß er das tun mußte. »Großer Gott«, sagte er laut - etwas, das er immer sagte, wenn er etwas sehr Gutes oder etwas sehr Schlechtes getan hatte. Noch wußte er nicht genau, wie diese Tat einzuordnen war. Der junge Jäger lief zu dem kleinen Haus, in dem seine Mutter das Abendbrot zubereitete und auf die Kaninchen wartete; alles andere würde schon fertig sein. Sicher fragte sie sich, wie viele er heute gefangen hatte; für eine achtköpfige Familie brauchte sie mindestens drei Kaninchen. Manchmal brachte er eine Ente, eine Gans oder sogar einen Fasan, der sich von dem Gut des Barons, auf dem sein Vater arbeitete, in den Wald verirrt hatte. Heute abend hatte er ein anderes Tier gefangen, und als der junge Jäger das Haus erreichte, getraute er sich nicht, seine Beute auch nur mit einer Hand loszulassen. Mit dem bloßen Fuß stieß er an die Tür, bis seine Mutter ihm öffnete. Schweigend streckte er ihr seine Gabe entgegen. Sie nahm ihm das kleine Geschöpf nicht gleich ab, sondern starrte es, eine Hand auf die Brust gelegt, eine Weile an. »Großer Gott«, sagte sie und bekreuzigte sich. Der Junge suchte im Gesicht seiner Mutter nach einem Anzeichen von Freude oder Ärger. Ihr Blick verriet jetzt eine Zärtlichkeit, die der Junge noch nie an ihr gesehen hatte. Da wußte er, daß das, was er getan hatte, gut war. -7- »Ist es ein Baby, Matka?« »Es ist ein kleiner Junge«, sagte seine Mutter und nickte sorgen- schwer. »Wo hast du ihn gefunden?« »Unten am Fluß, Matka«, sagte er. »Und die Mutter?« »Tot.« Wieder bekreuzigte sie sich. »Lauf rasch zu deinem Vater und sag ihm, was geschehen ist. Er soll Urszula Wojnak holen, sie ist auf dem Gut; du mußt sie beide zu der Mutter führen und nachher hierherbringen.« Der junge Jäger gab den kleinen Jungen seiner Mutter und war froh, daß er das kleine schlüpfrige Wesen nicht hatte fallen lassen. Von seiner Beute befreit, rieb er die Hände an der Hose sauber und lief aus dem Haus, um seinen Vater zu suchen. Die Mutter schloß mit der Schulter die Tür und rief ihrem ältesten Kind, einer Tochter, zu, den Kochtopf auf den Herd zu stellen. Sie selbst setzte sich auf einen Holzschemel, knöpfte die Bluse auf und schob ihre müde Brustwarze in den kleinen faltigen Mund. Sophia, ihre sechs Monate alte Tochter, würde heute ohne Nachtessen auskommen müssen; und der restlichen Familie würde es nicht anders ergehen. »Und warum?« fragte die Frau laut und legte ein Tuch um das Kind an ihrer Brust. »Armer kleiner Wurm, morgen früh wirst du ja doch tot sein.« Aber als die alte Hebamme Urszula Wojnak spätabends den kleinen Körper wusch und den Stumpf der Nabelschnur versorgte, wiederholte sie diese Worte nicht. Schweigend stand ihr Mann daneben und beobachtete die Szene. »Wenn ein Gast ins Haus kommt, kommt Gott ins Haus«, sagte die Frau; es war ein altes polnisches Sprichwort. Der Mann spuckte aus. »Zum Teufel mit ihm. Wir haben genug eigene Kinder.« Die Frau tat so, als hörte sie ihn nicht, während sie das dunkle dünne Haar auf dem Kopf des Kindes streichelte. »Wie wollen wir ihn nennen?« fragte sie und schaute zu ihrem Mann auf. Er zuckte die Achseln. »Wen kümmert's? Er kann auch namenlos begraben werden.« -8- 2 18. April 1906 Boston, Massachusetts Der Arzt hob das Neugeborene an den Knöcheln hoch und gab ihm Klapse auf das Gesäß. Das Neugeborene begann zu schreien. In Boston, Massachusetts, gibt es eine Klinik, wo diejenigen versorgt werden, die an Wohlstandskrankheiten leiden; hin und wieder dürfen die Reichen auch dort gebären. Im Massachusetts General Hospital' schreien die Mütter nicht, und sie gebären auch nicht angekleidet. Das schickt sich nicht. Vor dem Kreißsaal ging ein junger Mann auf und ab. In dem Saal befanden sich zwei Frauenärzte und der Hausarzt. Bei seinem ersten Kind wollte der Vater keine Risiken eingehen; die beiden Frauenärzte würden allein für ihre Anwesenheit ein stattliches Honorar erhalten. Einer von ihnen - er trug bereits einen Smoking unter dem weißen Mantel - würde später zu einer Dinner-Party gehen, aber von dieser Geburt hier fernzubleiben, konnte er sich nicht leisten. Die drei hatten ausgelost, wer das Kind zur Welt bringen würde, und der Hausarzt Dr. MacKenzie hatte gewonnen. Ein guter, verläßlicher Name, überlegte der Vater, während er auf und ab ging. Eigentlich hatte er keinen Grund, nervös zu sein. Richard hatte seine Frau Anne heute morgen in seinem hübschen Wagen zum Krankenhaus gebracht, da sie ausgerechnet hatte, daß es der 28. Tag des neunten Monats war. Die Wehen hatten kurz nach dem Frühstück eingesetzt, und man hatte ihm versichert, daß die Geburt bestimmt nicht stattfinden würde, bevor seine Bank schloß. Der Vater war ein disziplinierter Mann und sah keinen Grund, warum eine Geburt sein wohlorganisiertes Tagesprogramm durcheinanderbringen sollte. Trotzdem ging er weiter auf und ab. Krankenschwestern und junge Ärzte eilten an ihm vorbei, dämpften die Stimmen in seiner Nähe und wurden wieder lauter, wenn sie außer Hörweite waren. Er merkte es gar nicht, weil ihn immer alle Menschen so behandelten. Die meisten von ihnen kannten ihn nicht persönlich; doch alle wußten, wer er war. Würde es ein Junge werden, so würde er wahrscheinlich den neuen -9- Kindertrakt bauen lassen, den die Klinik so dringend benötigte; eine Bibliothek und eine Schule hatte er bereits errichten lassen. Der künftige Vater versuchte die Abendzeitung zu lesen, doch die Worte ergaben keinen Sinn. Er war nervös und sogar ein klein wenig besorgt. Sie (fast alle Menschen waren für ihn »sie«) konnten nicht begreifen, daß es ein Junge werden mußte, ein Junge, der eines Tages seinen Platz als Präsident der Bank einnehmen würde. Er blätterte im Evening Transcript. Die Boston Red Sox hatten die New York Highlands geschlagen - die würden feiern. Dann erinnerte er sich an die Balkenüberschrift auf der ersten Seite und blätterte zurück: Das schlimmste Erdbeben in der Geschichte Amerikas. Verheerungen in San Franzisko, mindestens vierhundert Tote - dort würde man trauern. Das war ihm zuwider. Es würde die Aufmerksamkeit von der Geburt seines Sohnes ablenken; die Leute würden sich erinnern, daß an diesem Tag noch etwas anderes geschehen war. Daß es ein Mädchen werden könnte, kam ihm nicht einen Moment lang in den Sinn. Er wandte sich den Finanznachrichten zu und studierte die Börsenberichte alles war gefallen. Dieses verdammte Erdbeben hatte seine Wertpapiere in der Bank um hunderttausend Dollar vermindert; aber da sein persönliches Vermögen mehr als sechzehn Millionen Dollar betrug, würde es mehr als ein Erdbeben in Kalifornien brauchen, um ihn zu erschüttern! Er konnte bequem von seinen Zinseszinsen leben; die sechzehn Millionen würden unangetastet bleiben und auf seinen noch ungeborenen Sohn warten. Er ging weiter auf und ab und tat so, als lese er den Transcript. Der Frauenarzt kam im Smoking durch die Tür des Kreißsaales, um die Neuigkeit mitzuteilen. Er hatte das Gefühl, für sein großes Honorar irgend etwas tun zu müssen, überdies war er für die Ankündigung am passendsten gekleidet. Die beiden Männer schauten sich einen Moment lang an. Auch der Arzt war ein wenig nervös, aber er wollte es sich dem Vater gegenüber nicht anmerken lassen. »Ich gratuliere, Sir, Sie haben einen Sohn, einen hübschen, kleinen Sohn.« Was für dumme Bemerkungen die Menschen machen, wenn ein Kind geboren wird, dachte der Vater; wie denn sollte das Kind sein, wenn nicht klein? Die Neuigkeit war noch nicht ganz in ihn eingedrungen - ein Sohn. Beinahe dankte er Gott. Der Frauenarzt wagte eine Frage, um das Schweigen zu brechen. »Wissen Sie schon, wie er heißen wird?« Ohne Zögern antwortete der Vater: »William Lowell Kane.« -10-

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