ebook img

Jüdische Geschichtsbilder aus Böhmen: Kommentierte Edition der historischen Erzählungen von Salomon Kohn PDF

256 Pages·2005·4.881 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Jüdische Geschichtsbilder aus Böhmen: Kommentierte Edition der historischen Erzählungen von Salomon Kohn

Conditio Judaica 56 Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Hans Otto Horch in Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber und Jakob Hessing Gabriele von Glasenapp / Florian Krobb Jüdische Geschichtsbilder aus Böhmen Kommentierte Edition der historischen Erzählungen von Salomon Kohn Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://chb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-65156-3 ISSN 0941-5866 © Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005 Ein Unternehmen der K. G. Saur Verlag GmbH, München Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Einband: Nädele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren Inhalt Der Kadisch vor Col-Nidre in der Altneu-Synagoge 1 Der Retter. Aus der Mitte des 16. Jahrhunderts 21 Gawriel 65 Anhang 193 Nachwort. Jüdische Geschichtsbilder - Die historischen Erzählungen Salomon Kohns 193 Editorische Notiz 230 Abdrucknachweise 230 Salomon Kohns Werke: Auswahlbibliographie 231 Neudrucke und Übersetzungen 231 Worterklärungen und historische Erläuterungen 235 Danksagung 247 Die Erläuterungen des Originals erscheinen als Fußnoten mit entsprechender Hochzahl. Asteriske (*) verweisen auf Anmerkungen der Herausgeber in den Worterklärungen und historischen Erläuterungen am Ende dieses Bandes. Der Kadisch1 vor Col-Nidre2 in der Altneu-Synagoge Es war ein stürmischer Freitag-Abend im Monate September des Jahres 1577. Es war schon spät, die freundlichen Schabbeslampen waren verglommen, und tiefe Stille herrschte in der prager Judenstadt. Bios in einem Hause brannte noch düster ein Tiegel, es war dies im dritten Stockwerke eines Hauses in der Schammesgasse, welches jetzt mit Nro. 115 bezeichnet ist, bei Rab. Mordechai, dessen Weib in bangem Zagen der Entbin- dung entgegensah. Die achtzackige Lampe war schon verloschen. Rab. Mordechai selbst saß daher an dem Tische, wo der Tiegel brannte und las in einem großen Folianten. Die Hebamme und die alte Magd hatten sich auf eine Bank gekauert, und plapperten leise Gebete für eine glückliche Entbindung. Das röthliche Licht des Tiegels warf riesige Schatten auf die Wand des ärm- lichen Zimmers. Der Wind und der Regen schlugen mit Macht an das kleine Fenster; im Zimmer selbst aber wurde die unheimliche Stille blos von Zeit zu Zeit durch das Stöhnen der Kindbetterin unterbrochen. Rab. Mordechai war ermüdet über seinen Folianten, dem er heute nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwenden mochte, eingeschlafen. Plötzlich ent- fuhr der schwergequälten Brust der Kreißerin ein lauter Schrei. Erschrocken fuhr Rab. Mordechai aus seinem Schlummer auf und stieß bei dieser heftigen Be- wegung den Tiegel, das einzige Licht im Zimmer, um. Um Gott! was habt Ihr da gethan! schrie die Hebamme; Ihr müßt Licht ma- chen, R. Mordechai, ich sag es Euch, gleich müßt ihr Licht machen; ich hab' es selbst gesehen, daß der *Chosid, der fromme Rab. Leb am heiligen Schab- bes Licht und Feuer gemacht hat, als sein Weib - Beruhigt Euch, Mariem! sprach Rabbi Mordechai, ich weiß es auch, wenn Lebensgefahr droht, ist es erlaubt, ja sogar geboten, die nöthigen Arbeiten zu verrichten; aber zuerst will ich es doch versuchen, auf der Straße einen Nichtju- den anzusprechen; vielleicht thut er mir's zu Gefallen; gebe es Gott! - komme ich aber allein zurück, so mache ich selbst Licht, so schreibt es das Gesetz vor.3 1 Gebet für Verstorbene. 2 Vorabend des * Versöhnungstages. 3 Das talmudische Gesetz befiehlt ausdrücklich, daß, in dem Falle der Sabbath zur Rettung eines Menschenlebens durch eine Arbeit entweiht werden muß, diese von dem Vornehmsten im Hause verrichtet werde. 2 Salomon Kohn Jetzt gedulde dich einen Augenblick, liebes Weib! ich komme so bald als mög- lich zurück; gehabt Euch indeß wohl. Dies sprechend warf er seinen Mantel um, und eilte die enge finstere Stiege herunter. Es war ein furchtbares Unwetter, der Regen goß in Strömen herab, ein un- gewöhnlich stürmischer Wind durchfuhr heulend und pfeifend die öden men- schenleeren Gassen, die er planlos durchirrte. Was Wunder, wenn er keinem begegnete. Schon wollte er verzweifelnd heimkehren, als er bemerkte, daß er sich in der Nähe der kaiserlichen Wachstube befinde. Er eilte hin und fand den Anfuhrer der kleinen Rotte mitten in der Straße, unbekümmert um Sturm und Regen, dem Anscheine nach in tiefen Gedanken versunken, stehen. Herr! fle- hete Rab. Mordechai, schick einen Mann mit mir, daß er mir Licht mache in meiner Stube, denn mein Weib liegt in Kindesnöthen, und wir haben kein Licht und es ist Schabbes. Das kann ich thun, sprach der Korporal; Wenzel, geh mit dem Manne, mach' ihm Licht und Feuer und alles, was er will; Sonntag wird er dir deine Mühe bezahlen. Dank, tausendfachen Dank, Herr! sprach Rab. Mordechai; Gott soll's Euch lohnen, Ihr thut ein gutes Werk. Kaum war Rab. Mordechai mit dem Soldaten zu Hause angelangt, kaum hatte dieser Licht gemacht, so ward die Frau von einem starken, gesunden Kinde entbunden. Rab. Mordechai warf sich gerührt aufs Knie, und dankte Gott aus der Tiefe seiner Seele. Jetzt sagte er zu dem Soldaten, gehe, zünde dir ein Licht an, denn die Stiege ist finster, und ich mag nicht von meinem Weibe gehen. Sonntag will ich dir zahlen. Der Soldat that, wie ihm geheißen wurde, und ging. Eine viertel Stunde später wollte die Hebamme eine Arzenei aus der Apo- theke holen, kaum aber hatte sie das Zimmer verlassen, so kehrte sie todten- bleich und zitternd gleich zurück. Gott soll sich's erbarmen! Gott soll sich's erbarmen! Ein großes schweres Unglück ist geschehen! rief sie händeringend, und Ihr, Rab. Mordechai! seid Schuld daran; warum habt Ihr nicht selbst Licht gemacht? zu was mußtet Ihr den Bal-milchome4 heraufnehmen, der jetzt todt auf der Stiege liegt? Was? rief Rab. Mordechai erbleichend. Was? frug mit bebender Stimme die Wöchnerin. Nichts, mein Kind! nichts, Chaile! sprach Rab. Mordechai, die furchtbare Angst, die ihn erfaßt hatte, gewaltsam niederringend. Der Soldat ist auf unserer Stiege gefallen. Vielleicht hat er des Abends zu viel getrunken. Ich muß nur hinunter sehen, ob er sich nicht beschädigt hat. Nein,jammerte die Hebamme, nein, Rabbi Mordechai! er ist todt. Schweigt, Thörin! rief dieser zitternd und eilte die Stiege hinunter. 4 Soldat. Der Kadisch vor C.ol-Nidre in der Altneu-Synagoge 3 Der Soldat lag leblos da. Alle Versuche, ihn in's Bewußtsein zurückzuru- fen, waren fruchtlos. Der herbeigerufene Arzt erklärte jede Mühe für vergeb- lich, da der Soldat von einem Nervenschlage getroffen sei. Wir versuchen es nicht, die furchtbare Lage Rab. Mordechai's zu schildern. Ein solcher Vorfall war in jenen finsteren Zeiten das schwerste Unglück. Der Arzt eilte zugleich zum Parneß,5 um ihn zu wecken und ihm den Vorfall zu melden; denn ein solches Unglück wurde das Gemeingut Aller. Der Parneß erschien sogleich, und die drei Männer beriethen nun, was zu thun sei. Meine Meinung ist, sprach der Parneß, Ihr, Rabb. Mordechai geht zu dem Korporal und erzählt ihm den Vorfall; er soll helfen wie er kann, und er soll reich belohnt werden. Ihr müßt Euch aber sputen, damit wir nicht die günstige Zeit nicht versäumen, und Hilfe unmöglich werde. Rab. Mordechai eilte zur Wache. Starr wie eine Bildsäule stand der Korpo- ral noch an derselben Stelle, wo er ihn verlassen hatte. Rab. Mordechai erzählte ihm den Vorfall. Helft, rief er, als geendet, um Gottes willen! - Ihr müßt uns helfen! rief er in steigender Angst, in einer fast wahnsinnigen Aufregung, als er sah, daß ihm der Mann starr in's Auge blickte, als verstünde er ihn nicht. Ihr seid gut und mild, Ihr habt Euch des armen Ju- den erbarmt, dessen Weib in Kindesnöthen lag - Ihr könnt es nicht wollen, daß Menschenblut um Nichts vergossen werde - und säumet Ihr mit Eurem Rathe, so kömmt die Hilfe zu spät. Graut der Morgen und Ihr habt nichts gethan, so kommt das Volk und mordet den Säugling und den Greis, ermordet Alles, Alles!! So wahr Gott lebt, sprach der Korporal bewegt, so lieb mir mein Seelenheil ist, so gerne will ich rathen, gönnt mir nur einen Augenblick Zeit, nachzuden- ken. - Wie viel ist's an der Zeit? frug er plötzlich. Vor Mitternacht. Gut, dann ist's gut, sprach der Soldat; Gott sei gelobt! er will nicht, daß un- schuldig Blut vergossen werde. Eilet und thuet, was ich Euch sage: Ihr steckt dem Todten eine Flasche in die Tasche; dann läßt Ihr Euch das Pförtchen am Dreibrunnenplatze öffnen, tragt ihn schnell und behutsam in die Karpfengasse und legt ihn dort vor eines der Wirthshäuser; für das Uebrige werde ich dann Sorge tragen. Ich werde darüber Eurem Oberrabbiner Bericht erstatten. Nun geht und eilt. Rabbi Mordechai und der Arzt befolgten den Rath des wackern Soldaten pünktlich, und sie waren so glücklich, auf diesem furchtbaren Gange Nieman- dem zu begegnen. Am folgenden Tage, Samstag, war das Vorsteherkollegium, aus 5 Männern bestehend, beim Oberrabbiner versammelt. Der Parneß hatte sie berufen, um Rathes zu pflegen in dieser hochwichtigen Angelegenheit. Er erzählte den entsetzten Männern die Begebenheit dieser schauervollen Nacht. Als er geen- digt, sprach er: Noch dürfen wir uns keiner süßen Hoffnung hingeben; so lange 5 Erster Vorsteher der Gemeinde. 4 Salomon Kohn der Korporal nicht beim Rabbi war und ihm berichtet hat, so lange schwebt noch das blinkende Schwert über unsern Häuptern. Jedenfalls aber bleibe die Sache ein Geheimniß, und niemand von uns möge es einem Andern mittheilen, denn Leben und Tod liegt auf der Zunge.6 Man hole Rab. Mordechai, sprach der greise *Raf, indem er nachdenkend den silberweißen Bart mit den Fingern durchfuhr. Rab. Mordechai, von der schrecklich durchwachten Nacht ganz erschöpft, erzählte den Hergang umständlich noch einmal. Als er geendigt hatte, sprach der Raf erzürnt: Ihr sollt ein Lamden7 sein? ein Am horez8 seid Ihr. Wißt Ihr denn nicht, daß man bei Skanos Nefaschos9 am Samstage arbeiten muß? Wohl weiß ich es, Rabbi! entgegnete Rab. Mordechai; aber hätte ich nicht erst versuchen sollen, einen Nichtjuden zu finden? Mein Vater, Secher Zadik liwrocho!10 hat mir oft eingeschärft, nicht leichtsinnig Schabbes mechalel zu sein,11 zuerst muß man alle erlaubten Mittel aufbieten. Ich sage Euch, Ihr hättet Feuer machen sollen, ich, Euer Raf; und weil Ihr's nicht gethan habt, habt Ihr Unheil über eine ganze Gemeinde in Israel herein- gebracht. Der Herr, gelobt sei er! wird es, so hoffe ich in gewohnter Huld und Gnade von uns abwenden. Euch aber, Rab. Mordechai, lege ich im kleinen Cherem12 so lange, als der Ausgang der Sache noch unentschieden ist. Demuthsvoll küßte Rab. Mordechai die Hand des strengen Lehrers und ging· Sonntag war der Rüsttag des Versöhnungstages. Vor dem Beginn des Abend- gebetes hatte sich, wie gewöhnlich, fast die ganze Gemeinde in der Rabbiner- gasse vor der Wohnung des Oberrabbiners, ihres geliebten Lehrers und See- lenhirten versammelt. Der Greis erschien. Die hohe Gestalt mit dem glühenden ungeschwächten Auge und dem silberweißen herabwallenden Barte, in einen prachtvollen Tal- les eingehüllt, der nur vorne die * schneeigen Sterbekleider sehen ließ, machte einen tiefen Eindruck auf die versammelte Menge. Bei seinem Anblicke theilte sich die Menschenmasse und er spendete beim Durchschreiten rechts und links seinen Segen. Jene, welche ihm zunächst standen, küßten den Zipfel seiner Kleider, und alle begrüßten ihn mit ehrfurchtsvollen Segensprüchen. 6 *Spr. Sal. Cap. 18. 7 Gelehrter, Gesetzkundiger. 8 Unwissender. 9 Lebensgefahr. 10 Das Andenken des Gerechten sei gesegnet. 11 Zu entweihen. 12 Bann.

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.