Siegfried Weischenberg (Hrsg.) . Journalismus & Kompetenz Siegfried Weischenberg (Hrsg.) Journalistnus & Kotnpetenz und Rekrutierungfiir Medienberufe ~alifizierung Westdeutscher Verlag CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Journalismus & lund] Kompetenz: Qualifizierung und Rekrutierung fiir Medienberufe / Siegfried Weischenberg (Hrsg.). - Opladen: Westdt. VerI., 1990 ISBN 978-3-531-12089-8 ISBN 978-3-322-94174-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94174-9 NE: Weischenberg, Siegfried I Hrsg.] Redaktion: Martin Loffelholz Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Aile Rechte vorbeha!ten © 1990 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfllltigungen, Obersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt, unter Verwendung einer Collage (Ausschnitt) von Franz Mon aus: Prinzip Collage, Neuwied, Berlin 1988 Graphiken, Satz und Layout: Thomas Kochhan, Miinster ISBN 978-3-531-12089-8 Inhalt Vorwort ......................................................................................................................................9 1 Siegfried Weischenberg Das "Prinzip Echternach" Zur Einfuhrung in das Thema "Journalism us und Kompetenz" .............................................. 11 2 Aus-und Fortbildung fOr die Medien: ein Oberblick 2.1 Sigrid Schneider Ein Wegweiser durchs Labyrinth Die hochschulgebundene Journalistenausbildung in der Bundesrepublik ............. 43 2.2 Lutz P. Michel Von Freiwilligen und Flanelltragem Betriebliche und schulische Journalistenausbildung in der Bundesrepublik .......... 71 2.3 Martin L6ffelholz / Marcus Kieppe Viele Programme, viele Probleme Weiterbildungsangebote fUr Journalisten in der Bundesrepublik ...................... 107 2.4 Siegfried Weischenberg In einem andem Land Praxisniihe und "liberal arts": das Vorbile! USA .................................................... 1 45 6 Inhalt 3 Bedingul'9l1, Mltel und Effekte der Joumalistenausbildung 3.1 Martin LC)ffelholz Vom Markt zum Staat Politische Planung der Journalistik als "Problemverschiebung" ......................... 167 3.2 Gregor Timmer Professionalisierung durch Wissenschaft(ler)? Merkmale und Einstellungen von Journalistik-Dozenten ..................................... 195 3.3 Siegfried Weischenberg Journalismus lehren Didaktik und Ressourcen in der Oberbetrieblichen Journalistenausbildung ...... 213 3.4 Klaus-Dieter Altmeppen Praxis theoretisch? Merkmale von Journalismus-LehrbOchern: eine annotierte Bibliographie ......... 229 3.5 Klaus-Dieter Altmeppen / Armin Scholl Allround-Genies gesucht! Rekrutierungspraxis der Medienbetriebe I: Stellenanzeigen fOr Journalisten ..............................................................................................................2 4 3 3.6 Joachim Westerbarkey / Martin BOllesbach Publizistik als Sackgasse? Rekrutierungspraxis der Medienbetriebe II: die Karriere von Publizistik-Absolventen ............................................................................................ 261 InhaH 7 4 Fallstudien zur Joumalistenausbildung an Schulen und Hochschulen 4.1 Bernhard Honnigfort Nichtskonner, A1leskonner, Fachidioten? Kritische Anmerkungen zu den Lemzielkatalogen der Joumalistik .................... 271 4.2 Birgit Schumacher Berichterstatter, EnthOller, Werbetrager? Soziale Orientierung als Lernziel der Journalistik ................................................ 283 4.3 Anne Schulte Kisch-Preistrager im "Brutkasten" Kompetenzvermittlung an der Deutschen Journalistenschule Miinchen ............ 295 4.4 Hans-Georg Kraffzick Oas Integrationsmodell Theorie und Praxis im Dortmunder Studiengang Journalistik ............................. 303 4.5 JOrgen Schnegelsberg Patchwork als Organisationsprinzip Der Teilstudiengang Journalistik an der Universitat Hamburg .......................... 317 Bibliographie Joumalismus & Kompetenz ...................................................................... 335 Verzeichnis der Tabellen und Schaubilder ....................................................................3 49 Ober die AutorirYlen und Autoren ....................................... _... ............................................ 351 Vorwort Wenn sich an der heutigen Massenuniversitat Lehrende und Lemende nach einigen Jahren gemeinsamer Arbeit trennen, reiBt der Kontakt meistens schnell abo Dies gilt in beson derem MaBe fOr Facher, die auf den Journalismus vorbereiten. In "der Praxis" -also dort, wohin die Absolventen immer schon wollten -ist der berufliche StreB schnell grOBer als die Lust, noch einmal an das Studium, die Kommilitonen und die Dozenten erinnert zu werden. Bei den hier mit ihren Studien zur Qualifizierung und Rekrutierung fOr Medienberufe versammelten Absolventen und Dozenten eines kommunikationswissenschaftlichen Instituts war das anders. Sie empfanden es auch als Verpflichtung, die in rund drei Jahren eines intensiv betriebenen Studienprojekts akkumulierten und zum Teil dann bei Examensarbeiten systematisierten ldeen, Daten und Informationen zum Thema "Joumalismus und Kompetenz" Interessenten zur VerfOgung zu stellen. Die meisten der ehemaligen Studenten konnten inzwischen ausreichende "sinnliche Erfahrung" mit der Berufsrealitat im Journalismus nmm. Erganzt werden diese Aufsatze durch aktuelle Auswertungen aus der Studie "Kompe tenz und Technik. Journalistenausbildung fOr die Informationsgesellschaft". Diese Unter suchung der Forschungsgruppe Journalistik an der Universitat MOnster lauft seit 1987; das Projekt wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert. Herausgekommen ist auf diese Weise ein Reader mit 15 Originalbeitragen, in denen - unterschiedlich intensiv und keineswegs "ausgewogen" -aile Formen der Berufsqualifizie rung und -rekrutierung fOr den Journalismus in der Bundesrepublik beschrieben und analy siert werden. Die Ergebnisse sollen fOr drei Zielgruppen eine Hilfe sein: fOr Berufsaspiran ten, die nach dem fOr sie richtigen Ausbildungsweg in die Medien suchen; fOr "journalistische Azubis", die nach Erganzungen oder sogar Altemativen suchen; und fOr Dozenten, die nach Argumenten und Rezepten zur Verbesserung der Curricula suchen. "Reader" sind in den letzten Jahren ein wenig in Verruf geraten: durch allzu viele Bei spiele von Sammelwerken, bei denen Rohmaterial aus der (Kommunikations-) Wissenschaft zwischen zwei Buchdeckel gepackt oder aber publizistisches Recycling betrieben wird. Wir haben uns bemOht, einen Reader im Wortsinn zu realisieren: ein wissenschaftliches Lesebuch, das anspruchsvoll, aber verstandlich und nOtzlich, vielfaltig, aber kohiirent ist. Diesem Ziel sollen auch die zahlreichen Querverweise zwischen den einzelnen Beitragen sowie die Schau bilder und Tabellen dienen. Die Bibliographie entMlt 250 zugangliche Titel zum Thema "Joumalismus und Kompetenz". 10 Vorwort Die Studien zu sammeln und in eine lesbare, verwendbare Form zu bringen, war nicht ganz einfach. Umso mehr muB ich mich bei allen Autorinnen und Autoren fOr die Kooperations bereitschaft bedanken. Und fOr Geduld und Verstandnis, als es zwischendurch einmal so schien, als wolle der redigierwOtige Herausgeber dieses Buch am Ende doch noch alleine schreiben. Ganz besonders danken mOchte ich Martin LOffelholz, der die -trotz aller Koopera tionsbereitschaft der Beteiligten -mOhevolle Koordinations- und Redaktionsarbeit gelei stet hat; Thomas Kochhan, dessen DTP-Fahigkeiten die Texte, Tabellen und Schaubilder zu einem ansprechenden Muster fOr "elektronisches Publizieren" vereint haben; und Hildegard Mangels, die sich bei der Texteingabe mit Erfolg in kaum noch lesbaren Manuskripten zurechtgefunden hat. Kurt Koszyk hat mich vor bald 15 Jahren, als der Dortmunder Studiengang Joumalistik vorbereite! wurde, aus der journalistischen Praxis an die Hochschule (zurOck)geholt. Vor wenigen Wochen is! dieser Pionier der hochschulgebundenen Joumalistenausbildung in der Bundesrepublik 60 Jahre alt geworden. Ihm ist dieser Reader mit Dank gewidmet. MOnsterlHamburg. Juli 1989 s.w. Das ist etwas, was mich auch an rei/en des alternativen Joumalismus sehr storr: dieses Gelaber Dber a/les und jeden, ohne sich die Verantwortung des gedruckten Wortes klarzumachen. Alice Schwarzer Siegfried Weischenberg 1 Das "Prinzip Echternach" Zur Einfuhrung in das Thema "Journalismus und Kompetenz" 1. Die Begabung des "Circusreiters" Um die Jahrhundertwende traute sich in der Reichshauptstadt Berlin ein promovierter Herr mit Kaiser-Wilhelm-Bart und entschlossenem Blick an die schwierige Aufgabe heran, "die Journalistik zu einer Wissenschaft zu erheben". 1899 grandete er eine Einrichtung zur Ausbildung des publizistischen Nachwuchses, die er forsch "Journalisten-Hochschule" tautte. Drei Jahre spater gab er -"kommenden Geschlechtem zum Nutzen und der deut schen Journalistik zur Ehre" -ein "Handbuch der Journalistik" heraus und lieB sich dort auf der ersten Seite auch in vollem Mannerputz jener Jahre, mit Fliege und Uhrenkette, groB forrnatig ablichten. Dr. Richard Wrede, so hieB der langst vergessene Mann, zog darin mun ter gegen die joumalistische Begabungsideologie zu Felde: "Mit einem gewissen Selbstbewusstsein hart man jetzt noch von vielen Herren der Pra xis, alteren und jOngeren, yom Chefredakteur des Wellblalls bis zum Scherenredakteur in Schilda, das grosse Wort: 'Zum Journalisten muB man geboren werden, lernen kann man das nicht.' Damit wollen die Herren ihre VorzOge und Fahigkeiten in das hellste Licht selzen, und wenn sie fOhlen, was allerdings wohl sehr selten sein dOrfte, dass ihnen ein kleiner Mangel anhaftet, diesen entschuldigen; sie kannen ja nichts dafOr: angeboren'" 12 1 Einfiihrung Nach dieser Entlarvung der Vorstellung vom "geborenen Journallsten" als "Wortschwindel" berief sich Richard Wrede, dieser Pionier dar Journalistik, auf die dautschen Verleger, die damals gleichfalls "die systematische Ausbildung von Mannem fur den Joumalistenberuf auf den Universitllten" forderten und betrieb dann ohne Zegem eine radikale Entmythologi sierung: "Was steckt denn in Wirklichkeit uberhaupt hinter dar Phrase vom 'geborenen' Journa listen? Nichts als die Binsenwahrheit, dass man eine gewisse Anlage und Neigung zu die sem Berufe haben muss. Aber ist das nicht mit jedem Berufe also? In dem Sinne giebt es 'geborene' Aerzte, Prediger, Anw/ilte, Offiziere, Circusreiter u. s. w. Wer kein Blut sehen kann, wird nie ein Arzt, wer stottert nie ein Prediger oder Anwalt, wer blind ist nie Offizier oder Circusreiter werden kennen, aber wer die angefuhrten Mangel nicht hat, auch sonst geistig und kerperlich normal ist, wird nicht ohne weiteres nun als 'geborener' Arzt, Prediger und Offizier u. s. w. bezeichnet werden kennen, sondern die Neigung und die Liebe zum Berufe muss noeh hinzukommen und ausserdem die -Faehbil dung. Da sind nun die 'geborenen' Journalisten hinsichdich ihres Berufes anderer An sieht, sie meinen, sie brauchten sich nur an den Redaktionstisch zu setzen, dann wurde es schon gehen.oo1 Treffende Vergleiche sind das und gute Argumente; es gab dazu Ruckenwind vom Verle gerverband und von den Joumalistenvereinen2 -da konnte doch mit Wredes Hochschule ei genUich nichts schiefgehen und mit der Journalistik in Deutschland schon gar nicht. Der lie ferte Karl BOcher, der 1916 in Leipzig das erste Universitatsinstitut fOr Zeitungskunde grOndete, bereits mehrere Jahre vor dem Ersten Weltkrieg eine Basis fOr ihre Existenzbe rechtigung als Hochschulfach. Fur Bucher stand namlich fest, daB der Journalismus im we sentlichen eine reproduktive Tatigkeit sei, die einer sozialwissenschaftlich rekonstruierba ren Regelhaftlgkelt unterliege. Der Nationalekonom formulierte deshalb im Jahre 1909 die Em pfehlung , "dem oft geh6rten Satz, daB der Beruf des Journalisten angeboren sein musse, nicht gerade mehr Bedeutung beizulegen, als er auf jedem anderen Gebiete berufli cher Geistesarbeit beanspruchen kann. Sicher ist, daB die reproduktive Tatigkeit, um die es sich vorzugsweise handelt, ihre erkennbaren Regeln hat und daB diese Regeln durch Obung und Unterweisung erlemt werden kennen." (Bucher 1981: 94) Auch das klingt uberzeugend. Doch, wie wir wissen, kam alles ganz anders: Wredes pri vate "Joumalisten·Hochschule" war am Ende, als der Erste Weltkrieg ausbrach. 1m Jahr zuvor hatte der Relchsverband der deutschen Presse, die Standesorganisation der Jour- 1 Richard Wrede (Hrsg.): Handbuch der Journalistik, Berlin 1902. Die Z~ate stehen auf den Sei ten V, 7 und 8; die Orthographie des Autors wurde nicht verandert. 2 Wrede war selbst Vorsitzender des 'Vereins deutscher Redakteure', der se~ 1902, 'noch mit winziger Mitgliedschaft' (Matthies 1969: 9), in Berlin bestand.