John Baldessaris Arbeiten aus den sechziger und siebziger Jahren als Modell einer kritischen Selbstbefragung der Kunst. Eine Untersuchung der Rolle der Conceptual Art für den Paradigmen- wechsel zur Postmoderne. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br. vorgelegt von Ingo Maerker aus Ulm WS 2005/2006 Erstgutachterin: Frau Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet Zweitgutachterin: Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen Drittgutachter: Prof. Dr. Dieter Martin Vorsitzender des Promotionsausschusses der Gemeinsamen Kommission der Philologischen, Philosophischen und Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlich Fakultät: Prof. Dr. Heinrich Anz Datum der Fachprüfung im Promotionsfach: 04. Juli 2006 Danksagung: Die Entstehung dieser Arbeit wäre ohne die geduldige Unterstützung durch mei- ne Doktormutter Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet nicht möglich gewesen, die mir stets mit Rat und Tat zur Seite stand und den ganzen Entstehungsprozess kritisch begleitet hat. Mein Dank gilt ebenfalls Frau Prof. Dr. Angeli Janhsen. Auch die konstruktive und kritische Diskussion mit meinen FreundInnen Marti- na Groß, Antonia Ingelfinger und Oliver Dürr, der leider viel zu früh verstorben ist, haben ihren Beitrag zum Gelingen der Arbeit geleistet. Mein Dank gebührt aber auch meinem Bruder Ralf Maerker und seiner Frau Ur- sula Maerker, die das Projekt interessiert verfolgt und unterstützt haben, sowie meinen Eltern Edith und Reinhardt Maerker, die mir über das ganze Studium hinweg eine Stütze waren und nicht zuletzt auch meinen Schwiegereltern Anne und Paul Miles, deren Hilfe ebenfalls dazu beigetragen hat, dass ich diese Doktorarbeit vollenden konnte. Einen besonderen Dank möchte ich zudem John Baldessari selbst aussprechen, der meinem Projekt äußerst aufgeschlossen und hilfsbereit gegenüber gestanden ist, nicht zuletzt indem er mir freundlicherweise die Erlaubnis erteilt hat, seine Kunstwer- ke hier abzubilden. Ein besonderer Dank gebührt in diesem Zusammenhang auch sei- ner Mitarbeiterin Rashell George, die mir bei der Bereitstellung und Übersendung der Abbildungen sehr geholfen hat. Zuletzt möchte ich noch meine tiefste Dankbarkeit der Person aussprechen, ohne die diese Dissertation hier nicht vorliegen würde: meiner Frau Michelle Miles. Ihr kri- tischer Blick und die stets fruchtbaren Diskussionen haben diese Arbeit entscheidend geprägt. Ich möchte diese Arbeit meinem Vater widmen, der die Vollendung dieser Dis- sertation leider nicht mehr selbst erleben durfte. 1 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung....................................................................................................................3 2. Exkurs zum Begriff der ‘Postmoderne’....................................................................15 2.1. Die verschiedenen ‘Postmodernen’: ein Begriff, verschiedene Diskurse 16 2.2. Die Postmoderne als kulturelle Logik der gesellschaftlichen Entwicklung 20 3. Historische und theoretische Annäherung an die Conceptual Art als künstlerisches Phänomen.....................................................................................................................30 3.1. Die historischen Bedingungen: Der modernistische Diskurs als kontextueller Rahmen 31 3.1.1. Die Durchsetzung des Modernismus in den fünfziger Jahren 32 3.1.2. Greenberg und die Selbstkritik des Modernismus 37 3.1.3. Michael Fried und die Entwicklung des modernistischen Diskurses in den sechziger Jahren 43 3.1.4. Minimal Art und Modernismus: Ein spannungsgeladenes Verhältnis 46 3.2. Versuch der Historisierung der Conceptual Art 51 3.2.1. Fragen der Grenzziehung: Conceptual Art oder Conceptualism? 53 3.2.2. Die Conceptual Art als übergreifendes Phänomen 61 3.3. Möglichkeiten der Herangehensweise jenseits einer Definition 69 3.3.1. Dematerialisierung 69 3.3.2. Amateurisierung 73 3.3.3. Prozessualität und Serialität 76 3.3.4. Kritik der Rolle des Künstlers 82 3.3.5. Dekontextualisierung 83 3.3.6. ‘Cross-over’-Strategien und Appropriation 85 3.3.7. Selbstreflexion 88 3.3.8. Zusammenfassung 89 2 4. Analyse repräsentativer Arbeiten John Baldessaris..................................................92 4.1. Die Arbeiten der späten sechziger Jahre: Kritik der modernistischen Ästhetik 93 4.1.1. Die Text-on-Canvas-Serie bzw. Phototext-Serie (1966-68) 93 4.1.2. Die Commissioned Paintings (1969) 119 4.2. Die Arbeiten der siebziger Jahre: Kunst nach der Conceptual Art 144 4.2.1. Das California Map Project (1969) 145 4.2.2. Ingres and Other Parables (1971) 158 4.2.3. A Different Kind of Order (The Thelonious Monk Story) (1972-73) 181 4.2.4. Throwing Balls in the Air (Best of 36 Tries) (1972-73) 196 4.2.5. Violent Space Series (1976) 213 5. Zusammenfassung: John Baldessaris künstlerische Strategien als Modell einer selbstreflexiven Postmoderne......................................................................................238 5.1. John Baldessaris Verhältnis zur Conceptual Art 240 5.2. Baldessaris künstlerische Strategien als Orientierungspunkte einer postmodernen Kunst 245 6. Literaturverzeichnis.................................................................................................248 6.1. Bücher und Essays 248 6.2. Kataloge 257 6.3. Zeitschriftenartikel und Reviews 260 6. 4. Künstlerprojekte und Künstlertexte 265 6.5. Künstlerbücher 267 6.6. Interviews 267 6.7. Fernsehsendungen 268 Anhang 269 3 1. Einleitung Wenn in den letzten Jahren der Begriff der Conceptual Art oder der postmodernen Kunst diskutiert wurde, fiel immer häufiger auch der Name John Baldessari. Trotzdem fällt eine eindeutige Einordnung seiner Kunst unter diese Begriffe schwer, während zugleich sein immenser Einfluss auf die nachfolgenden KünstlerInnen unbestritten ist. Das Ziel dieser Arbeit ist es, dieser Frage nachzugehen, und aufzuzeigen, dass die be- sondere Qualität seiner Kunst, und auch deren postmoderner Charakter, gerade in ihrer Offenheit begründet ist, die ihn zu einem Vertreter der Conceptual Art macht, während er gleichzeitig deren Grenzen immer wieder überschreitet. Für die gestiegene Anerkennung John Baldessaris in der Kunstwelt in den letzten Jahren finden sich viele Belege – unter anderem wurden ihm einige größere Einzelaus- stellungen gewidmet. In diesem Zusammenhang ist in erster Linie die große zweiteili- ge Retrospektive in Wien und Graz 2005 zu nennen.1 Daneben wurden 2005 auch zwei Fernsehproduktionen, die ausschließlich Baldessari gewidmet waren, ausgestrahlt.2 Seitdem haben weitere Einzelausstellungen stattgefunden, wie etwa die im Kunstmu- seum Bonn und im Kunstverein Bonn im Jahr 2007.3 Trotzdem ist sein Werk in der kunstgeschichtlichen Forschung bisher noch nicht umfassend bearbeitet worden. Die vorliegende Arbeit soll dazu beitragen, diese Lücke zu füllen und sich seinem Werk aus einer kunstgeschichtlichen Perspektive zu nähern.4 Im Zentrum dieser Arbeit stehen die für seine Karriere maßgeblichen Jahre von 1966 bis 1976, die nicht nur den Grundstein für sein späteres Werk gelegt haben, son- dern auch für die Entwicklung der Kunst der Postmoderne eine zentrale Rolle spielten. 1 John Baldessari. A Different Kind of Order (Arbeiten 1962 - 1984), (Kat.) Rainer Fuchs (Hg.), Muse- um Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, 4.3.-3.7.2005, Köln 2005, sowie: John Baldessari. Life’s Balance. Werke 84 - 04, (Kat.) Peter Pakesch (Hg.), Kunsthaus Graz am Landesmuseum Johanneum, 5.3. - 16.5.2005, Köln 2005. 2 John Baldessari, aus der Reihe Contacts auf ARTE 2005 und John Baldessari. This not That, Ausstrah- lung am 12.3.2005 auf SF1. 3 John Baldessari – Music, Kunstmuseum Bonn und Bonner Kunstverein, 12. Mai – 29. Juli 2007, dazu ist auch ein hervorragender Katalog erschienen. 4 Anlässlich der Ausstellung in Bonn fand am 6. und 7. Juli 2007 in Zusammenarbeit mit dem kunsthis- torischen Institut der Universität Bonn ein Symposium zur Aktualität der Conceptual Art statt, das er- folgreich versucht hat diese Lücke zu schließen. Der Schwerpunkt lag zwar auf der Conceptual Art all- gemein, aber die Tatsache, dass dieses im Rahmen der Ausstellung zu Baldessari verortet wurde, spricht bereits für eine gestiegene Wertschätzung. Ausdrücklich auf Baldessari bezog sich nur der Beitrag des Autors selbst: Ingo Maerker: „Autor - Konzept - Kunst. Zum Verhältnis von Sprache und Bild bei John Baldessari“. 4 Baldessaris Arbeiten5 haben nicht nur nachfolgende Künstler wie Cindy Sherman be- einflusst, sondern mehr noch die gesamte Herangehensweise an Kunst überhaupt, so- fern diese sich einer kritischen Selbstreflexion ihrer Grundlagen verschrieben hat. Bal- dessari bewegte sich in dieser Zeit im Kontext der Conceptual Art,6 die insgesamt für den Paradigmenwechsel von der Moderne zur Postmoderne eine herausragende Rolle spielte, weil sie Elemente beider Epochen enthält. Baldessaris Position innerhalb der Conceptual Art zeichnet sich dadurch aus, dass er in seinen Arbeiten schon Ende der sechziger Jahre die Strategien zu entwickeln begann, die die selbstreflexive postmo- derne Kunst auszeichnen, wie sie etwa auch von Künstlern wie Bruce Nauman, Dan Graham oder dem früh verstorbenen Robert Smithson vertreten werden.7 Baldessaris Arbeiten, die am Ende der sechziger Jahre noch einer eher linguistisch geprägten kon- zeptuellen Kunst nahestehen, auch wenn bei ihnen letztlich immer das Bild im Vor- dergrund steht, vollziehen im Laufe der frühen siebziger Jahre einen Wandel hin zu einer Neuentdeckung des Visuellen bzw. des Ästhetischen, das einer Selbstbefragung unterzogen wird, auf diese Weise werden diese Arbeiten zu Musterbeispielen einer postmodernen Kunst. Ausgewählte Arbeiten aus der Periode von 1966 bis 1976, die einen Überblick über Baldessaris Werk in dieser Zeit vermitteln können und die repräsentativ für seine zentrale Rolle innerhalb der Conceptual Art und im Hinblick auf den Paradigmen- wechsel zur Postmoderne sind, bilden die Grundlage dieser Untersuchung. Obwohl diese Beispiele in chronologischer Reihenfolge analysiert werden, besteht hier kein Anspruch darauf, diese Zeitspanne monographisch abzudecken. Die ausgewählten Bei- spiele sollen vornehmlich dazu dienen, die zentralen Qualitäten von Baldessaris Kunst 5 Im Verlauf dieser Untersuchung wird für ‘Kunstwerke’, die aus der Conceptual Art stammen, also auch die Baldessaris, der Begriff ‘Arbeiten’ zur Anwendung kommen, weil die Kritik am Begriff ‘Werk’, wie sich im Verlauf der Auseinandersetzung mit der Conceptual Art in Kapitel 3.2. und 3.3. sowie der Ar- beiten Baldessaris in Kapitel 4. erweisen wird, zu den zentralen Punkten der postmodernen Kunst ge- hört. Zudem erfüllen diese künstlerischen Arbeiten auch zumeist nicht die Anforderungen, die in der Moderne an ein Werk gestellt wurden. Der Begriff selbst ist im Übrigen eine Übersetzung des engli- schen Begriffes ‘work’, der sich wiederum von ‘artwork’ (Kunstwerk) herleitet. 6 In der vorliegenden Untersuchung kommt der Begriff ‘Conceptual Art’ im Gegensatz zu ‘Concept Art’ oder ‘Konzeptkunst’ zur Verwendung, weil es der im englischsprachigen Raum gebräuchliche Begriff ist, der sich inzwischen auch im deutschsprachigen Raum durchgesetzt hat (vgl. z.B.: Elke Bippus, Se- rielle Verfahren: Pop Art, Minimal Art, Conceptual Art und Postminimalism (Diss.), Berlin 2003). Au- ßerdem unterscheiden sich die Konnotationen des deutschen Begriffes von denen des englischen, so dass sie vom Fokus auf den englischsprachigen Raum ablenken würden. Im Übrigen werden andere Richtun- gen wie die Pop-Art auch nicht als Populär-Kunst oder die Minimal Art als Minimal-Kunst bezeichnet. 7 Zu Dan Graham existiert eine sehr lesenswerte Dissertation von Rainer Metzger, die sich der Frage nach dem Verhältnis von Conceptual Art und Postmoderne widmet und die zentrale Rolle von Graham hervorhebt. Vgl. Rainer Metzger, Kunst in der Postmoderne. Dan Graham, Köln 1996. 5 zu verdeutlichen und im Kontext der Fragestellung der vorliegenden Arbeit zu unter- suchen. Im Zentrum des Interesses stehen dabei Baldessaris Arbeiten, also die Kunstwer- ke selbst, die kritisch auf ihren Gehalt hin analysiert werden sollen. Das Ziel ist also, aus den Ergebnissen dieser Untersuchung die maßgeblichen Strategien herauszuarbei- ten, die Baldessari in der postmodernen Kunst verorten, und nicht umgekehrt Beispiele für bestimmte postmoderne Theorien zu finden. Aus diesem Grund wird auch keine umfassende Definition der Postmoderne oder der Conceptual Art angestrebt, sondern der Versuch unternommen, anhand eines exemplarischen Beispiels die Möglichkeiten einer selbstreflexiven postmodernen Kunst deutlich zu machen. Diese Selbstbeschränkung liegt nicht nur darin begründet, dass die Suche nach einer Definition den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, sondern auch darin, dass sich auch die Kunstwissenschaft mit einer neuen Situation konfrontiert sieht, wenn sie sich mit Arbeiten der zeitgenössischen Kunst auseinandersetzt. Eine traditionelle ‘Stil- geschichte’ anhand bestimmter formaler Eigenschaften ist seit dem Ende der sechziger Jahre kaum mehr möglich, weil die Kunstwelt sich seitdem durch eine Vielzahl von parallelen Erscheinungen auszeichnet. Erfolgversprechender erscheinen deshalb ‘Fall- studien’, die sich einzelner Probleme annehmen.8 In diesem Sinn handelt es sich bei dieser Arbeit ebenfalls um eine ‘Fallstudie’, die aber zugleich auch versucht, einige Möglichkeiten der Vernetzung anzudeuten. Bei der Analyse der Arbeiten kommen verschiedene theoretische Ansätze zur Anwendung, die allerdings nicht alle der Postmoderne entstammen, sondern sich nach den Arbeiten und den in ihnen verhandelten Themen richten. Die Arbeiten selbst wer- den dabei als von der Intention des Künstlers unabhängige ‘Objekte’ aufgefasst, die einer formalen und inhaltlichen Untersuchung unterzogen werden. Äußerungen Bal- dessaris oder anderer KünstlerInnen werden zwar zur Analyse herangezogen, dienen aber vornehmlich dazu, den Kontext und die Umstände der Entstehung von Arbeiten zu klären oder die theoretischen Positionen der KünstlerInnen zu verdeutlichen.9 Ins- besondere die Aussagen Baldessaris in Interviews bedürfen einer kritischen Überprü- 8 Vgl. Anne-Marie Bonnet, Kunst der Moderne. Kunst der Gegenwart. Herausforderung und Chance, Köln 2004, S. 42. 9 Bonnet stellt bezüglich der Aussagen lebender Künstler fest: „Das Gros der Literatur zu moderner und zeitgenössischer Kunst ist als Paraphrase der Eigenaussagen der KünstlerInnen und als Illustration bzw. Realisierung ihrer Intention verfasst. Eigenaussagen sind weder Theorien noch Erklärungen und müssen kritisch überprüft werden“ (Bonnet, Kunst der Moderne, S. 136, Fußnote 134). 6 fung, weil er oft mit den Erwartungen der Interviewer spielt und es zudem auch nicht als seine Aufgabe betrachtet, seine eigene Kunst zu interpretieren, im Gegensatz zu anderen Künstlern der Conceptual Art (etwa Sol LeWitt oder Joseph Kosuth). Baldessari und die Conceptual Art im Spiegel der vorhandenen Literatur Zu Beginn wurde bereits darauf hingewiesen, dass noch keine ausführliche kunstge- schichtliche Arbeit existiert, die sich allein John Baldessaris Werk widmet. Neben zahlreichen Katalogartikeln, die verschiedene Aspekte seines Werkes abdecken und von denen viele im Laufe der Untersuchung herangezogen werden,10 findet sich ein monographisch angelegter Katalog aus dem Jahr 1990 von Coosje van Bruggen.11 Die- se Arbeit stellt für die Auseinandersetzung mit Baldessari eine sehr ergiebige Quelle dar, weil sie sich detailliert mit der Entstehungsgeschichte von Baldessaris Arbeiten und auch der Biographie Baldessaris beschäftigt. Fast alle später erschienenen Texte beziehen sich auf diese Untersuchung. Trotzdem gilt es auf einige Schwächen in van Bruggens Darstellung hinzuweisen, die im Einzelnen in der Analyse der Arbeiten Bal- dessaris zur Sprache kommen werden. Van Bruggen bemüht sich zwar um eine theoretische Einordnung, bezieht sich dabei aber zu stark auf Baldessaris eigene Aussagen, das Gleiche gilt für die Diskussi- on seiner Arbeiten. Van Bruggen nimmt Baldessaris Aussagen zu wörtlich, wodurch ihr viele der ironischen Spitzen und auch der Doppelbödigkeiten seiner Aussagen ent- gehen. Außerdem wirkt es, als seien die Bezugspunkte für die Erörterung der Arbeiten oftmals relativ wahllos aus verschiedenen theoretischen Ansätzen, jedoch mit einem Schwerpunkt auf der Freudschen Psychoanalyse, zusammengestellt, während andere mögliche Quellen, wie der Strukturalismus, nur am Rande erwähnt werden. Demge- genüber gibt es andere AutorInnen, die die zentrale Bedeutung, die Roland Barthes für Baldessari hat, betonen.12 In den neueren Katalogen wird dagegen meist Baldessaris entscheidende Rolle für die Entwicklung einer postmodernen Kunst betont, wie z.B. von Jan Avgikos im 10 Vgl. z.B. Marcia Tucker, John Baldessari: Pursuing the Unpredictable, in: John Baldessari. Work 1966 - 1980, (Kat.) Marcia Tucker und Robert Pincus-Witten (Hg.), The New Museum New York, Teil 1: 14.3.-4.4.1981; Teil 2: 8.4.-28.4.1981, S. 7-50. 11 Coosje van Bruggen, John Baldessari, New York 1990. Veröffentlicht anlässlich der Ausstellung des Museum of Contemporary Art, Los Angeles (25.3-17.6.1990) u.a. 12 Vgl. Tucker, in: John Baldessari (Kat.), New York 1981, S. 12f. 7 Katalog zur Ausstellung National City 1996 in San Diego.13 Ein anderes Beispiel ist Thomas McEvilley,14 der in Baldessari sogar den „Schutzheiligen“15 der postmodernen Kunst sieht, eine Annahme, der wiederum Rainer Fuchs im Katalog zur Retrospektive 2005 widerspricht: „McEvilleys zentrale Argumentation – nämlich Baldessari zu einem Säulenheili- gen der Postmoderne auszurufen und dafür Fredric Jamesons Begriff des Pasti- ches auf die Collage- und Montagetechniken des Künstlers anzuwenden – ver- kennt allerdings die analytische Stoßrichtung und das reflexive Potenzial von Baldessaris Arbeit.“16 Fuchs erkennt hier einen Gegensatz zwischen Postmoderne und dem reflexiven Poten- zial Baldessaris, das er für zentral erachtet. In eine ähnliche Richtung, wenn auch ohne den Bezug zur Postmoderne explizit zu machen, geht der Text von Diedrich Diede- richsen im Katalog zur Ausstellung in Hannover 1999.17 Er betont Baldessaris beson- dere Position zwischen Hochkultur und populärer Kultur und seine ‘Grundlagenfor- schung’ im Bereich des Visuellen. Die vorliegenden theoretischen Auseinandersetzungen, die sich nicht ausschließ- lich auf Baldessari konzentrieren, sondern sich mit der Conceptual Art insgesamt be- fassen, lassen sich grob in zwei Phasen einteilen: erstens die Ansätze aus der Zeit ihres Aufkommens, also den späten sechziger und frühen siebziger Jahren selbst, und zwei- tens die Texte, die aus einer historischen Distanz heraus ab den späten achtziger Jahren erschienen sind. In beiden Phasen gab es jeweils zwei verschiedene Herangehenswei- sen, die sich durch die jeweilige Perspektive unterscheiden: zum einen die Texte der KünstlerInnen selbst und zum anderen die Texte von KritikerInnen oder Kunsthistori- kerInnen.18 13 Vgl. Jan Avgikos, Stating the Obvious, in: John Baldessari: National City, (Kat.) Hugh M. Davies and Andrea Hales (Hg.), Museum of Contemporary Art San Diego, 3.10.-30.6.1996, S. 21. 14 Vgl. Thomas McEvilley, John Baldessari – Patron Saint, in: John Baldessari. Tetrad Series, Marion Goodman Gallery, New York 1999, S. 3-24. 15 Dieser Begriff ist die Übersetzung der Bezeichnung „patron saint“ aus McEvilleys Titel, übersetzt von Ingo Maerker. 16 Rainer Fuchs, Geschriebene Malereien und fotografierte Farben. Anmerkungen zu John Baldessari, in: A Different Kind of Order (Kat.), S. 27. Fuchs übersetzt „patron saint“ allerdings mit „Säulenheiliger“. 17 Vgl. Diedrich Diederichsen, Die Kritik der Kunst, das Machen von Bildern und ihr Doppelgänger: John Baldessari, in: Baldessari: While something is happening here, something else is happening there. Works 1988 - 1999, (Kat.) Sprengel Museum Hannover, 26.9.1999-2.1.2000, mit Texten von Meg Cranston, Diedrich Diederichsen und Thomas Weski, Köln 1999, S. 35-60. 18 Die Tatsache, dass sich viele KünstlerInnen selbst zur Conceptual Art äußerten bzw. sogar selbst Kunsthistoriker oder Kritiker sind, stellt eine der Besonderheiten dieser Kunstrichtung dar, die im Laufe der Arbeit noch eingehender diskutiert werden wird (vgl. Kapitel 3.1.4., 3.2. und 3.3.).
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