ebook img

Johann Gottfried Seume als politischer Schriftsteller Ein Beitrag zur Spätaufklärung in Deutschland PDF

305 Pages·1973·33.306 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Johann Gottfried Seume als politischer Schriftsteller Ein Beitrag zur Spätaufklärung in Deutschland

JOHANN GOTTFRIED SEUME Johann Gottfried Seume als politischer Schriftsteller Ein Beitrag zur Spätaufklärung in Deutschland Dissertation zur Erlangung der Würde des Doktors der Philosophie der Universität Hamburg vorgelegt von INGE STEPHAN, geb. HOFERT aus Itzehoe Hamburg 1973 ISBN 978-3-476-99698-5 ISBN 978-3-476-99697-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-99697-8 Referent: Prof. Adolf Beck Korreferent: Prof. Fritz Fischer Mündliche Prüfung: 11. November 1971 INHALTSVERZEICHNIS I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1 1. Seumes Stellung in der literarischen Öffentlichkeit und in der Lite- raturgeschichte ...... 1 2. Seume im Urteil der Zeitgenossen . 5 3. Literaturbericht . . . . . . . 8 4. Zusammenfassung und Zielsetzung . 13 II. Seumes Leben und seine Entwicklung (1763-1810) 16 1. Elternhaus und Jugend (1763-1780) 16 2. Studium in Leipzig und Flucht (178o-:q81). . 17 3. Soldat in Amerika (1781-1783). . . . . . 19 4. Preußische Gefangenschaft und Beendigung des Studiums (1783-1792) 21 5. In Rußland und Polen (1792-1795) Seume und der polnische Freiheitskampf 24 6. In Leipzig (1795-1797) 29 7. In Grimma (1797-1801) Als Korrektor bei Göschen . 31 8. Auf Wanderschaft (180:1-1805) Spaziergang nach Syrakus und Nordische Reise 35 9. Letzte Lebensjahre in Leipzig (18°5-1810) . 44 III. Seumes politische und philosophische Vorstellungen. . . . . . . 56 A. Vom religiösen Zweifel zur politischen Kritik der Religion. . . . 58 :1. Die Verteidigung des elitären Atheismus in dem Aufsatz »Ueber Atheismus im Verhältniß gegen Religion, Tugend und Staat« (1796) ................... 58 2. Das Ideal der »natürlichen Religion« und des »praktischen Chri stentums« im »PfIichten- und Sittenbuch für Landleute« (1798/99) 61 3. Die Kritik der gesellschaftlichen Funktion der Religion im »Spa- ziergang nach Syrakus« und in den folgenden Werken. . . . 64 B. Vom »Monarchisten« zum »Republikaner« . . . . 69 1. Zur Republikanismusdiskussion in Deutschland . 69 2. Seumes Verteidigung der monarchischen Staatsform 76 V Inhaltsverzeichnis a) Die Apologie der bestehenden Staatsform in der Abhandlung »Ueber Prüfung und Bestimmung junger Leute zum Militär« (1793) . . . • . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Das Idealbild der Monarchie in den politischen Aufsätzen der Jahre 1796 und 1797 . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Konservative Gesellschaftsutopie und Klassenharmonie im »Pflichten- und Sittenbuch für Landleute« (1798/99) 90 3. Seumes Bild von der Republik . . . . . . . 94 a) Die Neubewertung der Französischen Revolution 94 b) Die negative Bewertung der antiken Republiken 96 c) Das Ideal der »Republik«. . . . 98 d) Die Polemik gegen Napoleon. . . . . . . 100 e) »Republikanismus« und Patriotismus . . . . 104 f) Die widersprüchlichen Tendenzen in Seumes Republikanismus- konzeption ................. 1°7 C. Die philosophische Theorie als Fundierung der religiösen und politi- schen Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1°9 1. Seumes Auffassung vom »Naturrecht« und dessen Bedeutung für seine Gesellschaftskonzeption ........... 1°9 2. Der »gesunde Menschenverstand« als Hauptelement von Seumes »praktischer Philosophie« 119 IV. Seumes Dichtungskonzeption . X2.5 V. Reisebericht und Aphorismus als Formen der politischen Dichtung bei Seume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . x40 1. »Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802« und »Mein Sommer 1805« 141 2. »Apokryphen« (1806/7) 156 VI. Anhang 1.71 1. Abkürzungen 173 2. Anmerkungen 1.74 Kapitel I 174 Kapitel II . 183 Kapitel III A 214 Kapitel III B 219 Kapitel III C 239 Kapitel IV . 249 Kapitel V . 257 3. Zeittafel zu Seumes Leben. 267 4. Bibliographie . . 272 5. Literaturverzeichnis 281 6. Register 296 VI I. EINLEITUNG 1. Seumes Stellung in der literarischen Öffentlichkeit und in der Literaturgeschichte Johann Gottfried Seume ist in der literarischen Öffentlichkeit bis heute ein weithin Unbekannter, in der Literaturgeschichte ein Verkannter geblieben. Eine wissen schaftlich zuverlässige Ausgabe seiner Schriften gibt es nicht, und die letzte um fängliche Sammlung seiner Werke liegt nunmehr schon fast hundert Jahre zurück. In der Germanistik blieb eine Seume-Rezeption aus oder verlief in vieler Hinsicht unbefriedigend. Die Gründe hierfür sind zahlreich; sie reichen von der teilweisen Verstümmelung und dem zeitweiligen Verbot seiner Schriften, der Ablehnung von Thematik und Form seiner Dichtung im besonderen bis hin zur Abwertung der »Aufklärung« als literarisch-philosophischer Epoche und der Traditionslosigkeit des politischen Schriftstellers in Deutschland im allgemeinen. Auch zu seiner Zeit ist Seume ein weithin Unbekannter und Verkannter gewe sen. Seine Herkunft aus den untersten Schichten des Volkes und die schweren Schicksalsschläge, die ihn trafen, haben ihn von vornherein von seiner sozialen Um welt isoliert und ihm kaum mehr als eine Außenseiterrolle in einem kleinen Kreis von Freunden eingeräumt, die seine philosophische und literarische Laufbahn nicht fördern konnten. Eine Integration in die durch Herkunft und Bildung privilegierten Gesellschaftsschichten des Adels und Bürgertums war ihm verwehrt, und an die be deutenden Gruppen und Persönlichkeiten des literarischen und philosophischen Gei steslebens seiner Zeit fand er keinen Anschluß. In dieser Hinsicht ist Seume durchaus zu vergleichen mit Männem wie Laukhard, Sachse oder Bräker [1], an deren Lebensläufen ebenfalls exemplarisch deutlich wird, wie sehr ökonomische Abhängigkeit und soziales Außenseiterturn das Werk eines Schriftstellers prägen konnten in einer Zeit, da eine noch relativ intakte, auf Konsolidierung bedachte Ständegesellschaft jeden nach seiner »Geburt« einstufte und die bürgerliche Kultur in der Regel noch der Billigung und Protektion von Adel und Geistlichkeit bedurfte. Seume als politischer Schriftsteller Isoliert war Seume nicht nur wegen seiner sozialen Herkunft und seines Lebens wegs, sondern mehr noch durch sein Eintreten für eine politisch engagierte Dichtung und sein Festhalten an den Ideen der Aufklärung, als sich die ideologische Restau ration in allen Teilen Europas längst vollzogen hatte. Daher traf er bei seinen Zeit- 1. Einleitung genossen überwiegend auf Unverständnis und Mißbehagen. Zudem geriet er in Konflikt mit der Zensur, so daß sich schließlich kein Verleger mehr fand, der es wagte, seine Schriften zu drucken. Als bewußter Aufklärer auf öffentlhn.e Wir kungsmöglichkeit angewiesen, sah Seume sich dieser zuletzt fast gänzlich beraubt. Mit seiner Auffassung von Dichtung und Dichter stand Seume im schärfsten Ge gensatz zu den herrschenden literarischen Strömungen seiner Zeit. Dichtung, wie er sie verstand, sollte sich nicht dem Formexperiment verschreiben oder nach Modell schöpfungen im klassischen Sinne streben, sondern gesellschaftliche Probleme er kennen helfen, die öffentliche Meinung in Bewegung setzen und in die Lebensver hältnisse eingreifen. Der Dichter sollte sich bewußt in den Dienst der Aufklärung stellen, welche von Seume verstanden wurde als die »richtige, volle, bestimmte Ein sicht in unsere Natur, unsere Fähigkeiten und Verhältnisse, heller Begriff über un sere Rechte und Pflichten und ihren gegenseitigen Zusammenhang«. [2] Um seinen Abstand zu dem zeitgenössischen Dichterbild zu unterstreichen, wie es die Klassiker und Romantiker verkörperten, wies Seume für sich selbst sogar die Bezeichnung »Dichter« zurück. [3] Dichtung und Wahrheit verschmolzen für ihn weder zur idealen Identität, noch konnten sie einander ergänzen; vielmehr schlossen sie einander aus. [4] Das hatte den Verzicht auf bestimmte Formen der literari schen Fiktion zur Folge sowie die Konzentration auf andere Gattungen, welche Seu mes didaktischem Bedürfnis besser entsprachen. Literatur, die sich zum Selbstzweck macht und sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung entzieht, empfand Seume als unmoralisch. Er war der Ansicht, »jedes gute Buch müsse näher oder entfernter po litisch sein. Ein Buch, das dieses nicht ist, ist sehr überflüssig oder gar schlecht«. [5] Das Etikett »politischer Dichter«, welches Seume für sich in Anspruch nahm, hat seine Zeitgenossen gegen ihn mit Mißtrauen und Abneigung erfüllt und seinem Nachruhm in der Literaturgeschichte schwer geschadet. Politische Dichtung, d. h. ei ne Dichtung, der es primär nicht auf die Erfüllung eines künstlerischen Ideals zur Er bauung und Geschmacksbildung einiger Weniger oder gar auf die Bildung und Kon solidierung einer geistigen Elite ankommt, sondern vielmehr auf eine Breiten wirkung im Sinne eines herbeizuführenden Wandels der öffentlichen Meinung und der politischen und sozialen Zustände, hat in Deutschland von jeher unter Mißver ständnissen und Diffamierungen zu leiden gehabt. [6] Seume als Aufklärer Als »verspäteter Aufklärer« lebte Seume gleichsam als Relikt in der Blütezeit der Romantik und des philosophischen Idealismus, die sich als Gegenbewegungen zum Rationalismus der Aufklärung verstanden und den Kampf gegen die Ideen der Fran zösischen Revolution aufnahmen. Von beiden Richtungen konnte er kein Interesse für seine Dichtungen erwarten. »Er hat unter den höchsten Gipfeln seiner großen Epoche gelebt und über ihnen. Er war hinter dieser Epoche um Jahre zurück und ihr um Jahre voraus.« [7] 2 Die Rezeption des Werkes Seine im Hinblick auf den herrschenden Literaturbetrieb anachronistische Position hat Seume selbst am besten gefühlt: Die Zeit wirkt wenig auf mich, da ich wenig mit der Zeit lebe. Meine Ideen sind nicht von heute und leider nicht für heute. [8] Den »unzeitgemäßen« Außenseiter gerecht zu würdigen, haben weder die Zeitge nossen vermocht noch die Vertreter der bürgerlichen Literaturgeschichtsschreibung. Als Spätaufklärer mußte Seume einem doppelten Verdikt anheimfallen, das sich einmal gegen die Aufklärung im allgemeinen, aber stärker noch gegen die nachre volutionäre Spätaufklärung im besonderen richtete. Schon seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts zeichnete sich eine starke, wenn auch diffuse und aus den verschiedensten Quellen gespeiste Reaktion gegen die Aufklärung ab. Diese Reaktion verschärfte sich nach dem Ausbruch der Französi schen Revolution und galt von nun an nicht mehr allein der »seichten« Aufklärung, sondern der philosophisch-literarischen Epoche als ganzer. [9] Die Aufklärer, be sonders die französischen Enzyklopädisten und Materialisten sowie ihre deutsch sprachigen vermeintlichen und tatsächlichen Anhänger, wurden allgemein als geistige Vorbereiter der Französischen Revolution angesehen und verurteilt. Der ideologische Kampf gegen die Revolution ging untrennbar zusammen mit dem Kampf gegen die Ideen der Aufklärung. [10] In der Romantik erreichte die Welle der Abwehr und Reaktion gegen die Aufklärung ihren Höhepunkt. Man verschwieg, verdammte oder verfälschte diese Epoche in der Regel. Selbst der als literarische Größe aner kannte Lessing konnte vor seinem Bewunderer Friedrich Schlegel schließlich nur noch als »transzendente Linie« bestehen [11], und noch heute wird Lessing in gängigen Handbüchern als »Überwinder der Aufklärung« eingestuft. [12] Die Tendenz, die Aufklärung als etwas zu Überwindendes abzuwerten, hat sich bis auf unsere Tage erhalten. [13] In der Literaturgeschichte wird die Aufklärung zumeist als Epoche eines literari schen Niederganges oder als Übergangs- und Vorbereitungsphase für die folgenden Epochen gedeutet. [14] Sie sei gekennzeichnet durch eine »Masse halbkünstleri scher Gebilde« [15], welche durch Anpassung an die Forderungen und den Ge schmack des »gemeinen Mannes« zustandegekommen seien. Die Aufklärer galten als langweilig und moralisierend, ihre Produkte als flach und seicht. Dem Unbeha gen, das sich unverkennbar in Bezeichnungen wie »Allerweltsaufklärung«, »Tri vial- oder Popularaufklärung« äußert [16], liegt die Auffassung vom aristokra tisch-elitären Charakter der Kunst und ihrer Bestimmung für eine soziale und gei stige Elite zugrunde: [. ..] das Edelste in Kunst und Wissenschaft widerstrebt der unterschiedslosen Popularisie rungi es kann seinem Wesen nach nur aristokratisch sein, von Ausnahmenaturen für Aus nahmenaturen geschaffen. [17] Zwischen der breiten Masse und den wenigen »Aristokraten der Gesellschaft, die es geben muß und die man in der einsamen Lösung ihrer Aufgaben nicht stören darf« [18], kann es keine Verbindung geben. Der Glaube an die »Möglichkeit 3 Einleitung eines Bildungsausgleichs« ist ein »Wahnglaube«, denn er unterschätzt bzw. leugnet die »individuellen Abstufungen unter den Menschen«. [19] Wurden schon die »Klassiker« der Aufklärung als geistige Vorbereiter der Revo lution diskreditiert, so mußte ein noch stärkeres Verdikt diejenigen treffen, welche auch nach Ausbruch der Revolution die Prinzipien der Aufklärung verteidigten, propagierten, radikalisierten und weiterentwickelten. Besonders verübelt wurde den Vertretern dieser nachrevolutionären Phase der Aufklärung - genannt seien nur die Namen von Forster, Knigge und Rebmann - ihr Festhalten an den Ideen der Fran zösischen Revolution. Zu diesen »Spätaufklärern« gehörte auch Seume, oder besser, er entwickelte sich im Laufe seines harten, enttäuschungsreichen Lebens zu einem der bedeutendsten unter ihnen. Er schloß an eine literarische Tradition an, welche den herrschenden Kräften der Restauration zuwider war und daher als anachroni stisch abgedrängt wurde, und setzte sie, bei zunehmender Vereinsamung, in wach sender Intensität und Qualität fort, während seine geistigen Mitstreiter entweder längst gestorben waren oder ihren Komprorniß mit den herrschenden Kräften der Zeit gemacht hatten. [20] Die Nichtbeachtung, U!l1- oder Abwertung von Seumes Schriften fiel um so leich ter, als seine Umwelt und die Nachwelt in den Werken der deutschen Klassik und Romantik Modelle vorfanden, von deren überragender Leistungshöhe und absoluter Vorbildlichkeit ausgehend man alles, was nicht in diese beiden Entwicklungsstränge paßte, als trivial, unkünstlerisch und atypisch abtun konnte. Die einseitige Orien tierung an einem Kanon klassischer und romantischer Werke, die Ausbildung eines literaturkritischen Begriffsapparates sowie von Bewertungskriterien an literarischen Modellen dieser Strömungen hat die Germanistik lange Zeit daran gehindert, auch andersgeartete Kunstwerke als solche zu erkennen, anzuerkennen und zu beurteilen. Daher wurde Seume von der »offiziellen« Literaturkritik und -geschichte so gut wie gar nicht rezipiert. Er taucht dort - wenn überhaupt - als »dichtender Zeitgenosse« neben der »Blüte der Kunstdichtung« auf [21], wird zum »Vorläufer des Turner wesens« stilisiert [22], rangiert unter den »Halbvergessenen« [23], wird der »romantischen Schule« zugerechnet [24] oder eingereiht in die »lange Reihe der übrigen Humoristen, welche für die Geschichte der Poesie fast gar keine Bedeutung haben.« [25] Allein in der Literaturgeschichte von Franz Hirsch [26] wird Seume ausdrücklich zu den Aufklärern gerechnet, wobei ihm das Festhalten am »Geiste der alten vernünftelnden Zeit« zum Vorwurf gemacht wird: Es ist die Phrase, die gedankenarme, phantasielose Schreiberei der braven Männer der Aufklärungszeit, die in sich den Trieb zu Tyrannenfressern fühlten, welche Seumes Schrif ten für das objektive künstlerische Gefühl höchst unerquicklich macht. Nüchterne Poesie in dichterischen Formen, Unfähigkeit, historisch eingewurzelte Verhältnisse zu begreifen, kurzum die ausgeprägteste Manier des schriftstellerischen Rationalismus - das ist Seumes litterarische Signatur. [ ...J Aus seinem Spaziergang nach Syrakus guckt überall der Ple bejer heraus, dem die Traditionen des künstlerischen Adels fremd, wenn nicht gar zuwider sind. [27J Seine Werke blieben somit fast ausschließlich Heimatforschern und vaterländischen 4

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.