SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Hanns Günther Hilpert Japans multiple Handelspolitik Die Chancen des europäisch-japanischen Freihandelsabkommens S 15 Juli 2017 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2017 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 34 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 7 Vor dem Abschluss eines europäisch- japanischen Freihandelsabkommens 8 Europäisch-japanischer Handel 8 Verhandlungen und vorläufige Verhandlungsergebnisse 12 Eine optimistische Bewertung 14 Handels- und Einkommenswirkungen 15 Außenpolitische Dimensionen 17 Japans Außenwirtschaft im Spannungsfeld zwischen Insularität und Globalisierung 17 Globale Wirtschaftsmacht 19 Unausgeschöpfte Potentiale bei Export und Import 21 Machtvolle Marktzugangsbarrieren 24 Japans Handelspolitik: Schwenk zum Bilateralismus 24 Multilaterale Ebene: Vom Zentrum ins Abseits 27 Bilaterale Ebene: Von der Bedrohung zur Chance 31 Die Innenverhältnisse der japanischen Handelspolitik 31 Mächtige, aber uneinige Ministerialbürokratie 33 Parteien und Abgeordnete im Dienste von Industrie und Landwirtschaft 34 Einflussreiche Lobby- und Interessengruppen 36 Premierminister mit neuen Machtbefugnissen 37 Formaler Schlussakt im Parlament 38 Schlussfolgerungen und Implikationen für Deutschland und Europa 39 Abkürzungen 39 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis 39 Lektüre-Hinweise Dr. Hanns Günther Hilpert ist Leiter der SWP-Forschungs- gruppe Asien. Der Autor dankt Isabelle Faulhaber für ihre Hilfe bei der Aufbereitung der Tabellen und Abbildungen sowie den Praktikanten Malte Benjamins, Markus Hein, Taiki Murai und Yuki Furuya für ihre Unterstützung in unterschiedlichen Phasen des Projekts. Problemstellung und Schlussfolgerungen Japans multiple Handelspolitik Die Chancen des europäisch-japanischen Freihandelsabkommens Nach wie vor ist Japan eine führende globale Wirt- schaftsmacht, auch wenn sich die Anteile des Landes an Welthandel und Weltproduktion rückläufig ent- wickeln. Für Europa und Deutschland ist der Insel- staat ein erstrangiger Handels- und Wirtschaftspart- ner, dessen Potentiale bei Export und Import noch längst nicht ausgeschöpft sind. Es war daher ein logi- scher Schritt für die EU, mit Tokyo Verhandlungen über ein bilaterales Freihandelsabkommen aufzu- nehmen. Allerdings ist der Handelspartner Japan für Europa nicht unproblematisch. Seine Industrieunter- nehmen sind harte Konkurrenten im internationalen Wettbewerb. Der Marktzutritt in Japan ist ungewöhn- lich schwierig. Und die wirtschaftlichen Strukturen des Landes erscheinen von außen als intransparent, kulturell fremd und schwer zugänglich. Vor diesem Hintergrund wirft die vorliegende Studie Licht auf Japans Handelspolitik, auf ihre bi- und multilateralen Ausprägungen und auf die administrativen wie politi- schen Entscheidungsprozesse, die ihr zugrunde liegen. Ebenso beleuchtet werden die laufenden Verhandlun- gen für ein europäisch-japanisches Freihandels- abkommen. Noch immer ist Japan eine relativ geschlossene Volkswirtschaft. Legt man den Anteil von Exporten, Importen und Direktinvestitionen am Bruttoinlands- produkt zugrunde, ist die außenwirtschaftliche Integration des Landes in die internationale Arbeits- teilung unterdurchschnittlich. Doch nähert sich Japan den entsprechenden Strukturen vergleichbarer Volkswirtschaften und Handelsnationen sichtlich an. Daher besitzt es für Europa als Markt, als Investor und als Bezugsquelle großes Potential. Japans problematische Marktzugangsbarrieren bestehen aus hohen Zöllen im Agrarbereich, nicht- tarifären Handelshemmnissen bei Waren und Dienst- leistungen sowie informellen Hürden im Geschäfts- verkehr. Zu Letzteren zählen die Insiderkultur und die Rechtspraxis Japans, die hohen Kosten der Markt- erschließung und die spezifischen Geschäftspraktiken des Landes. Ein Freihandelsabkommen kann Zölle und nichttarifäre Hemmnisse beseitigen oder zumindest reduzieren, nicht aber die informellen Barrieren. Erforderlich dafür wären Änderungen von Geschäfts- SWP Berlin Japans multiple Handelspolitik Juli 2017 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen kultur, Mentalität und Konsumentenverhalten sowie Das im Grundsatz beschlossene europäisch- strukturelle Reformen. Wirtschaft, Politik und Gesell- japanische Freihandelsabkommen könnte dem Trend schaft des Landes bewegen sich langsam in diese rückläufiger bilateraler Handelsströme nachhaltig Richtung. entgegenwirken. Die Potentiale im europäisch- Japans multilaterale Handelspolitik in der gegen- japanischen Handel sind beträchtlich. Japans demo- wärtigen WTO-Welt unterscheidet sich markant von graphische Alterung, die Internationalisierung seiner dem Kurs, den es vormals unter GATT-Bedingungen Geschäftskultur und die vorgesehenen handelspoliti- verfolgte. Erstens spielt das Land in der Doha-Welt- schen Liberalisierungen lassen wachsende Importe handelsrunde, anders als in den vorangegangenen erwarten. Umgekehrt dürften japanische Industrie- GATT-Runden, nur noch eine Nebenrolle; es verhält und Konsumwaren das Produktangebot in Europa sich aufgrund seiner Agrarschutzinteressen defensiv bereichern und den Wettbewerb beleben. und scheint nach der gescheiterten WTO-Minister- Politisch ist das avisierte europäisch-japanische konferenz von Cancún im Jahr 2003 das Interesse an Freihandelsabkommen ein Signal gegen Protektionis- einem Abschluss verloren zu haben. Zweitens hat das mus und für eine regelbasierte liberale Weltordnung. neue WTO-Streitschlichtungsrecht – vor allem die Durch den Schulterschluss können die europäisch- Verfahrensregel des umgekehrten Konsenses – Japan japanischen Beziehungen an Substanz und Verbind- in die Lage versetzt, die eigenen offensiven und defen- lichkeit gewinnen. Europa hat damit die Chance, sein siven Interessen aktiv, legalistisch und notfalls auch politisches Profil in Asien zu stärken. konfrontativ zu vertreten. Im 21. Jahrhundert legt Japan seinen handelspoliti- schen Schwerpunkt auf die bilaterale Ebene. Es erhofft sich dabei gesamtwirtschaftlich eine Verbesserung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsklima, innenpolitisch Impulse für den Reformprozess und außenpolitisch eine Stabilisierung der asiatischen Partnerländer sowie eine Demonstration eigener Füh- rungsfähigkeit gegenüber dem Rivalen China. Aller- dings wickelt Japan bislang nur einen vergleichsweise geringen Teil seines Außenhandels im Rahmen bilate- raler Handelsverträge ab (19 Prozent); es erreicht dabei aufgrund zahlreicher Ausnahmen für die Land- wirtschaft eine relativ niedrige Zollliberalisierungs- quote (85 Prozent). Dies könnte sich als Folge der aktuell mit Pazifik-Anrainern und der EU geführten Verhandlungen ändern. Aufgrund seines ministeriell fragmentierten Re- gierungssystems hat Japan keine einheitliche Han- delspolitik, sondern mehrere unterschiedliche Handelspolitiken. Die Antipoden bilden dabei die liberal ausgerichteten Industrie-Interessen und die defensiv orientierten Agrarinteressen. Bei den inter- nen Entscheidungsprozessen der Regierungspartei LDP, die den Beschlüssen von Kabinett und Parlament vorausgehen, sind die um Industrie und Landwirt- schaft gruppierten Allianzen strukturell gleichgestellt. Daher lassen sich Marktöffnungen in der Landwirt- schaft nicht verwirklichen, wenn die Agrarlobbyisten unter den Abgeordneten nicht zustimmen. Erforder- lich sind Verhandlungen, Kompensationen und letzt- lich ein durchsetzungsstarker Premierminister. SWP Berlin Japans multiple Handelspolitik Juli 2017 6 Vor dem Abschluss eines europäisch-japanischen Freihandelsabkommens Vor dem Abschluss eines europäisch-japanischen Freihandelsabkommens Auf dem zurückliegenden EU-Japan-Gipfel am 6. Juli eine Öffnung der Agrarmärkte, den Investitionsschutz 2017 haben die Europäische Union und Japan ihre und die regulatorische Zusammenarbeit. So konnte grundsätzliche Einigung auf ein bilaterales Frei- auch die klare und unmissverständliche Unterstüt- handelsabkommen verkündet (Japan-EU Free Trade zung der JEFTA-Verhandlungen durch die politischen Agreement, JEFTA bzw. Japan-EU Economic Partner- Spitzen Japans und Europas2 nicht verdecken, dass die ship Agreement, JEEPA).1 Die offenen Fragen, die noch Handelspolitiken beider Seiten TTIP und TPP den Vor- verblieben sind, sollen bis Ende des Jahres geklärt rang einräumten. Es entstand zuweilen der Eindruck, werden. Wenn sich die letzten Streitpunkte aus dem attraktive Angebote an die Gegenseite würden zurück- Weg räumen lassen und auch beidseitig die parlamen- gehalten, um die politisch so viel wichtigeren trans- tarische Ratifizierung gelingt, wird die größte Frei- pazifischen und transatlantischen Verhandlungen handelszone weltweit entstehen. Darüber hinaus nicht zu belasten.3 Durch den Präsidentschafts- und könnten EU und Japan mittels der getroffenen Verein- Politikwechsel in Amerika aber rückte JEFTA für barungen auf den weiteren wirtschaftlichen Globali- Europa wie Japan ins Zentrum der handelspolitischen sierungsprozess gestalterisch Einfluss nehmen. Agenda. Da bis auf weiteres weder TPP noch TTIP echte Begonnen hatten die Verhandlungen im März Erfolgsperspektiven besitzen, sind neue Prioritäten 2013. Die Initiative dafür war von Tokyo ausgegangen. entstanden. JEFTA hat nunmehr auch symbolische Japans Automobil- und Elektroindustrie geriet auf Bedeutung. Ein erfolgreicher Verhandlungsabschluss dem europäischen Binnenmarkt ins Hintertreffen, gilt als starkes Signal dafür, dass Liberalisierung nachdem Südkorea dort Importzollpräferenzen erhal- und Globalisierung in dem gegenwärtig schwierigen ten hatte. Tokyo strebte nach Wiederherstellung Umfeld fortgesetzt werden und dass sich Japan wie gleicher Wettbewerbsbedingungen. Erst nach langem Europa dem Trend zum handelspolitischen Protektio- Zögern stimmte die EU im Mai 2011 auf dem Brüsseler nismus widersetzen. Für Tokyo ist eine Einigung mit EU-Japan-Gipfel einer Verhandlungsaufnahme grund- der EU zudem deshalb dringlicher geworden, weil sätzlich zu. Im November 2012 erteilte der Ministerrat japanischen Produzenten, die in Großbritannien auf Basis einer gemeinsamen Vorstudie und erster ansässig sind, für den Fall eines harten Brexit der Liberalisierungsverpflichtungen Japans (»scoping exer- Ausschluss vom europäischen Binnenmarkt droht. cise«) der Kommission ein konditioniertes Verhand- lungsmandat. Japan sollte aber durch den Abbau nicht- 2 Bereits am Rande des G7-Gipfels 2016 im japanischen Ise tarifärer Handelshemmnisse Vorleistungen erbringen. hatten sich Premierminister Shinzo Abe, Ratspräsident Im Zuge der Verhandlungen erfuhr JEFTA ein auf- Donald Tusk, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Präsident François Hollande, Bundeskanzlerin Angela Merkel, fällig geringes Maß an politischer und gesellschaft- Premier Matteo Renzi und Premier David Cameron in einem licher Aufmerksamkeit. In Japan und Europa hatten gemeinsamen Statement für einen raschen Verhandlungs- die Diskussionen um ein transpazifisches bzw. ein abschluss ausgesprochen. Siehe Ministry of Foreign Affairs of transatlantisches Freihandelsabkommen (Trans-Pacific Japan, »Joint Statement of the Japan-EU Economic Partner- Partnership, TPP, und Transatlantic Trade and Invest- ship Agreement (EPA)/Free Trade Agreement (FTA)«, <www. ment Partnership, TTIP) hohe Wellen in Medien, mofa.go.jp/ms/is_s/page3e_000494.html> (Zugriff am 15.9.2016). Den politischen Willen, zu einem raschen Ab- Öffentlichkeit und Politik geschlagen. JEFTA hingegen schluss zu gelangen, bekräftigten EU-Handelskommissarin war für die globalisierungskritischen Zivilgesellschaf- Cecilia Malmström und Japans Außenminister Fumio Kishida ten noch bis Anfang 2017 kein Reizthema. Dabei bei einer Begegnung am 19. Februar 2017 in Bonn. Im selben betreffen die Verhandlungen so sensible Themen wie Sinne äußerten sich Kommissionspräsident Juncker, Rats- präsident Tusk und Premier Abe, als sie am 21. März 2017 in 1 In Japan werden die Freihandelsabkommen des Landes als Brüssel zusammentrafen. Partnerschaftsabkommen (»Partnership Agreement«) bezeich- 3 Siehe David Kleimann, Negotiating in the Shadow of TTIP and net. Eine einheitliche Abkürzung für das europäisch-japani- TPP: The EU-Japan Free Trade Agreement, Washington, D.C.: schen Abkommen (JEFTA/JEEPA) hat sich im Sprachgebrauch The German Marshall Fund of the United States (GMF), Juni noch nicht etabliert. 2015 (GMF Policy Brief). SWP Berlin Japans multiple Handelspolitik Juli 2017 7 Vor dem Abschluss eines europäisch-japanischen Freihandelsabkommens Europäisch-japanischer Handel macht deutlich, dass es auch andere Gründe für die beidseitigen Marktanteilsverluste gibt. Diese reflektie- Japan und Europa sind füreinander wichtige Handels- ren die Verlagerung der europäischen und japani- partner, allerdings mit abnehmendem Gewicht. So schen Industrieproduktion ins Ausland, ebenso Japans war Japan im Jahr 2016 mit einem Exportwert von gewachsene Verflechtung mit den asiatischen Nach- 58,1 Milliarden Euro und einem Importwert von barländern (China, NIEs, ASEAN). Sie sind außerdem 66,4 Milliarden Euro – nach den USA, China, der eine logische Folge der zahlreichen diskriminierenden Schweiz, Russland und der Türkei – das sechstgrößte Handelsabkommen, welche EU und Japan jeweils mit Ziel- und Lieferland der EU.4 Auf Deutschland entfiel Drittländern geschlossen haben. In der Konsequenz dabei etwa ein Viertel der EU-28-Ausfuhren und -Ein- hat sich ein Entwicklungstrend herausgebildet, bei fuhren. Umgekehrt ist für Japan die EU als drittwich- dem europäische Unternehmen auf dem japanischen tigste Exportdestination (nach China und den USA) Markt gegenüber asiatischen und amerikanischen und zweitwichtigste Importquelle (nach China, vor Wettbewerbern fortlaufend zurückfallen und Anteile den USA) anteilsmäßig nochmals bedeutender.5 einbüßen. Allerdings ist für Japan und Europa die relative Bedeutung ihres bilateralen Handels seit mehreren Jahren rückläufig. So fiel der Anteil der EU-Exporte Verhandlungen und vorläufige Verhand- nach Japan am gesamten europäischen Export von lungsergebnisse 6,2 Prozent (1990) auf 3,1 Prozent (2016), der Anteil der EU-Importe aus Japan am europäischen Import Ein bilaterales europäisch-japanisches Freihandels- von 12,2 Prozent (1990) auf 3,4 Prozent (2016) (siehe abkommen könnte dem Trend der beidseitigen Han- Abbildung 1). Bei insgesamt höherem Niveau sank der delsdesintegration entgegenwirken und insbeson- Anteil Europas am Export Japans von 20,8 Prozent dere die handelsablenkenden Effekte der Abkommen (1990) auf 10,2 Prozent (2016), der Anteil Europas am Japans und Europas mit Drittländern kompensieren. Import Japans von 16,3 Prozent (1990) auf 10,4 Pro- Ausgangspunkt und Motiv der Verhandlungen waren zent (2016) (siehe Abbildung 2). Seit 2012 fallen Japans aber nicht allein defensiv. Offensiv geht es darum, EU-Exporte und -Importe sogar in absoluten Werten. durch den Abbau von Zöllen, NTBs und anderen Verringert hat sich im Übrigen auch das einstmals Marktzugangsbarrieren ungenutzte Potentiale aus- chronisch hohe Handelsbilanzdefizit der EU gegen- zuschöpfen. über Japan – auf einen Restwert von nur noch Strukturell waren die JEFTA-Verhandlungen von 4,4 Milliarden Euro (2016).6 einer aus europäischer Sicht ungünstigen Verhand- Sicherlich reflektieren diese rückläufigen Anteils- lungsasymmetrie bestimmt.8 Japans Interesse galt in werte die abnehmende Bedeutung Europas und vor erster Linie einem bilateralen Abbau der Zölle. Bei allem Japans im Welthandel. Gefallen sind aber auch Zöllen ist nicht nur unstrittig, dass sie eine handels- die bilateralen Außenhandelsintensitäten7 – das hemmende Wirkung haben; sie sind auch genau mess- bar. Ihre Beseitigung lässt sich in reziproken Verhand- lungen relativ einfach bewerkstelligen. Die EU zielte 4 Siehe Eurostat, <http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2006/ aber vor allem darauf, NTBs abzubauen. Ob NTBs über- september/tradoc_122530.02.2017.pdf> (Zugriff am 3.4.2017). haupt Marktzugangsbarrieren darstellen, muss im 5 Siehe Internationaler Währungsfonds (IWF), Direction of Trade Statistics, <http://data.imf.org/?sk=9D6028D4-F14A-464C- Einzelfall geklärt werden. Ihre handelshemmende A2F2-59B2CD424B85> (Zugriff am 8.9.2016). Wirkung ist in aller Regel nicht messbar, und wenn 6 Nach Angaben von Eurostat [wie Fn. 4]. sie beseitigt werden, profitieren davon nicht nur euro- 7 Außenhandelsintensitäten sind normierte Indikatoren für päische Unternehmen, sondern auch solche aus Dritt- den Grad der Handelsverflechtung. Sie setzen bilaterale ländern. Andererseits war aus EU-Sicht vorteilhaft, Außenhandelsanteile in Bezug zum Welthandel. Der Wert ist gleich 1, wenn der bilaterale Handel der relativen Bedeutung dass Japan an dem Freihandelsabkommen stärker im Welthandel entspricht. Ausgehend von ohnehin niedrigen gelegen war als Europa. Daher konnte die EU durch- Exportintensitäten des europäischen Exports nach Japan (1990: 0,29) und des japanischen Exports nach Europa (1990: 8 Siehe Eva R. Sunesen/Joseph F. Francois/Martin H. Thelle, 0,26), sank bis 2014 die Intensität des EU-Exports nach Japan Assessment of Barriers to Trade and Investment between the EU and auf den Wert 0,21, die Intensität des japanischen Exports in Japan. Final Report, Kopenhagen: Copenhagen Economics, die EU auf 0,22. Eigene Berechnungen auf Basis von IWF, 30.11.2009, S. 43, <http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2010/ Direction of Trade Statistics [wie Fn. 5]. february/tradoc_145772.pdf> (Zugriff am 9.11.2016), S. 87. SWP Berlin Japans multiple Handelspolitik Juli 2017 8 Verhandlungen und vorläufige Verhand-lungsergebnisse Abbildung 1: Anteil der EU-28 am Warenhandel Japans (EU-Extra-Handel) in Prozent 22% Export Import 20% 18% 16% 14% 12% 10% 8% 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Quelle: Internationaler Währungsfonds, Direction of Trade Statistics (eingesehen am 17.7.2017). Abbildung 2: Anteil Japans am Warenhandel der EU-28 (EU-Extra-Handel) in Prozent 14 % 12 % Export Import 10% 8% 6% 4 % 2 % 0 % 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Quelle: Internationaler Währungsfonds, Direction of Trade Statistics (eingesehen am 17.7.2017). SWP Berlin Japans multiple Handelspolitik Juli 2017 9 Vor dem Abschluss eines europäisch-japanischen Freihandelsabkommens setzen, dass Tokyo zwei Forderungen akzeptierte: Übersicht 1: erstens den Grundsatz der Parallelität beim Abbau Grundsatzeinigung im europäisch-japanischen von Zöllen und NTBs anzuwenden, zweitens schon Freihandelsabkommen zu Beginn der Verhandlungen durch konkrete Maß- nahmen die Bereitschaft zum Abbau von NTBs unter 1. Zollabbau Beweis zu stellen. 2. Nichttarifäre Handelshemmnisse Da mit dem Amtsantritt von US-Präsident Donald 3. Ursprungsregeln Trump die Idee des regelbasierten Freihandels poli- 4. Dienstleistungen tisch in die Defensive geraten war, erfuhren die JEFTA- Verhandlungen eine neue, zusätzliche Dynamik. Die 5. Corporate Governance Regierungen Europas und Japans erkannten, dass ein 6. Öffentliche Beschaffungen erfolgreicher Abschluss ein starkes Signal gegen han- 7. Geistige Eigentumsrechte delspolitischen Protektionismus wäre. Die Verhand- 8. Geographische Herkunftsbezeichnungen lungen gerieten unter Einigungsdruck, wodurch der 9. Wettbewerb, Subventionen, Staatsunternehmen von europäischer Seite lange vertretene Grundsatz »Gründlichkeit vor Schnelligkeit« ins Wanken geriet. 10. Handelspolitische Schutzmaßnahmen Auf dem EU-Japan-Gipfel im Juli 2017, kurz vor Beginn 11. Technische Handelshemmnisse des Hamburger G20-Gipfels, konnten dann beide Sei- 12. Zoll- und Handelserleichterungen ten eine Grundsatzeinigung in 16 Punkten verkünden 13. Zwischenstaatliche Streitschlichtung (DSM) (siehe Übersicht 1). Diese Einigung ist vorläufig, und in den noch ausstehenden ein oder zwei Verhand- 14. Gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutz- lungsrunden kann es durchaus noch zu Änderungen rechtliche Maßnahmen (SPS) kommen. Darüber hinaus gilt es bis Jahresende die 15. Nachhaltigkeit Differenzen in bislang ausgeklammerten, teils hoch- 16. Kleine und mittlere Unternehmen kontroversen Fragen zu überbrücken. Offen sind ins- besondere die Punkte Datenschutz, Tierschutz und Quelle: EU-Kommission regulatorische Zusammenarbeit sowie vor allem das Investitionskapitel. An einem rechtlichen Investitionsschutz liegt vor allem japanischen Unternehmen, die einen einheit- (»right to regulate«) und die Ausklammerung von lichen Rechtsrahmen in Europa wünschen, ebenso audiovisuellen Dienstleistungen und Daseinsvorsorge. der EU-Kommission in Ausübung ihrer vom Lissabon- Sollte die Einigung beim Investitionsschutz gelin- Vertrag gewährten Kompetenz. Weitgehend geklärt gen, wird sich die Frage stellen, ob das Investitions- ist zwar der inhaltliche Kernbestandteil, nämlich die kapitel in das Gesamtabkommen eingeht oder ein Definition der Schutzstandards (Schutz vor unrecht- separates bilaterales Investitionsabkommen vereinbart mäßiger Enteignung, Inländergleichbehandlung, wird. Im ersten Fall würde es sich um ein gemischtes Meistbegünstigung, freier Kapitalverkehr). Aber beide Abkommen handeln, dem das Europäische Parlament Seiten haben unterschiedliche Vorstellungen, wie die und die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedstaaten Investor-Staat-Schiedsgerichte ausgestaltet werden zustimmen müssten. Bei Aufteilung in zwei Abkom- sollen. So orientiert sich Japan am TPP-Modell, das men würde für das Handelsabkommen eine Ratifizie- zwar Verfahrensgarantien und Opt-out-Klauseln zur rung allein durch das EP ausreichen.9 Verhinderung missbräuchlicher oder unverhältnis- mäßiger Klagen vorsieht, aber das klassische Investor- Staat-Schiedsgericht beibehält. Demgegenüber strebt die EU an – gemäß Mandat des Europäischen Parla- ments (EP) –, einen internationalen Gerichtshof für Investor-Staat-Streitfälle zu schaffen, wie es bereits in den Freihandelsabkommen mit Kanada und 9 Siehe Guillaume Van der Loo, The Court’s Opinion on the EU- Vietnam erreicht wurde. Wichtig ist der EU überdies Singapore FTA: Throwing of the Shackles of Mixity?, Brüssel: Centre die Wahrung der regulatorischen Souveränität for European Policy Studies, Mai 2017 (CEPS Policy Insights 2017/17). SWP Berlin Japans multiple Handelspolitik Juli 2017 10