NUNC COCNOSCO EX PARTE TRENT UNIVERSITY EIBRARY Digitized by the Internet Archive in 2019 with funding from Kahle/Austin Foundation https://archive. rg/details/jahrederokkupatiOOOOjung 0 ERNST JUNGER Jahre der Okkupation ERNST KLETT VERLAG STUTTGART 'VT'<?.CoV'3 .l-V-A^olb Ernst Jungers Tagebuchwerk Zweiten Weltkrieg umfafit folgende Bande: GARTEN UND STRASSEN (April 1939—Juli 1940) STRAHLUNGEN DAS ERSTE PARISER TAGEBUCH KAUKASISCHE AUFZEICHNUNGEN DAS ZWEITE PARISER TAGEBUCH KIRCHHORSTER BLATTER (Fehruar 1941 April 1945) — JAHRE DER OKKUPATION (April 1945 December 1948) — @ Ernst Klctt Verlag, Stuttgart 1958 Ein Tagehuch hat kein Thema; es hat kaim eine Form. Es mil die erste, flUchtige Beriihrung mit der Wirklichkeit und ihren Ein- druck fassen; darin liegt seine Begrenr^ung und sein Rei^. y^uch mit y>Jahren der Okkupationn ist kein Thema., sondern ein Rahmen, ein e^eitlicher A.hschnitt gemeint. Er gliedert sich den fiinf vorangegangenen, wahrend des s(n>eiten Weltkriegs entstandenen Teilen des Tagebuches an und soil sie abschlie^en. Die Geschichte der Okkupation mrd so bald nicht geschrieben iverden, schon deshalb, iveil der Zustand, hier mehr dort weniger sicht- bar, andauert nicht nur Idnger, als man befurchtet hatte, sondern — vielleicht auch Idnger, als man ahnt. Die Besetspeng e^dhlt pu den Formen, die den Verlust der nationalen Souverdnitdt ankimden. Wie dieser Verlust selbst, so wird auch sie unmerklich ihren Sinn ver- dndern im Ubergang Einheiten, die e^ugleich stabiler und umfas- sender sind. Der Schmeri^ freilich Id^t sich nicht abkaufen. Er ge- hort t^ur notmndigen Mitgift, die ein neuer Stand einfordert. Ein gates Beispiel der Katastrophe gibt der Katarakt auch was — ihr Verhdltnis von Freiheit und Notwendigkeit betrifft. Das A.uge ruht auf einer Wasserfldche, auf der es viele Boote sich frei bewegen sieht. Nur wenige derinsassen spiiren den feinen Sog, der wie der Tast- arm eines fernen Ungeheuers um die Kiele spielt. A.llmdhlich wird die Stromung starker, und das Belieben mindert sich. Die Ufer wer- 5 den steiler, dunkler; die Boote heginnen kreiseln und mrden in eine Richtunggeprej^t; die Fahrt heschlemigt sich. Das Brausen des graven Falks wird horbar und schwillt an^ bis es die Starke des Donners erreicht. Dort droht Vernichtung; ihr Wirbel ist unver- meidlich; man mujl ihn bestehen oder untergehen. Die Freiheit ist geschwunden; der Zwang wird absolut. Jenseits des Katarakts riicken die Ufer wieder auseinander; die Wasser beruhigen sich allmdhlich, die Freiheit stellt sich auf neuer Ebene und unter neuen Geseti^en wieder her. Das ist ein Schauspiel, das sich wiederholt. Einmal auch wird der Strom ins Meer munden. Dort ist die Freiheit absolut. Ein solcher Wechsel hat viele Schichten; er wird in vielen Kam- mern sowohl empfunden wie durchdacht. Er hat seine primitive Seite wie in der Antike: wenn die Manner gefallen sind, breitet sich der Schrecken iiber die Wehrlosen aus. Daran dndert nichts, dajl er sich der technischen Mittel bedient, api denen auch die Propaganda gehort. Wunderbar ist demgegenuber der geistige Zustrom, der die phy- sische Not begleitet, als ob Hunger, Schmer^ und Gefahr ein Inner- stes aufschlossen. Das war mir bereits in Frankreich und Rujlland auf gefallen, wo ich den Vorgang als Okkupant betrachtete, und dann in erhohtem Mafe im deutschen Vaterland. Man traf da nicht mtr Geister, die Schuldige suchten, sondern auch solche, die sich selbst vor ihr inneres Forum Imogen und Ausschau nach unbeschrittenen Wegen hielten, Menschen, deren Optimismus bis auf die Grundfesten, aber auf eine fruchtbare Weise erschiittert war. Das war sehr schon. Es ^eugte von einer Beriihrung der alten Tiefe; der materielle Aufstieg, der ihr folgte, ist nur ein Abglan^ davon. Die Eose, die ausgeworfen wurden, waren ungleich verteilt. Was den einen nur streifte, vielleicht im lett^ten sogar forderte, vernichtete den anderen. Das deutet auf eine Zuordnung von Schuld und Siihne, 6