Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie Folge 1/2001 Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie Wissenschaftlicher Beirat: Dr. Han Dorussen (Trondheim) Prof. Dr. Hartmut Esser (Mannheim) Prof. Dr. K. Hausken (Stavanger) Prof. Dr. Siegwart M. Lindenberg (Groningen) Prof. Dr. Karl-Dieter Opp (Leipzig) Prof. Dr. Gerald Schneider (Konstanz) Prof. Dr. Thomas Voss (Leipzig) Prof. Dr. Erich Weede (Bonn) Prof. Dr. Helmut Wiesenthai (HU Berlin) Dr. Ruth Zimmerling (Darmstadt) Prof. Dr. Reinhard Zintl (Bamberg) Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie Folge 1/2001 Herausgegeben von Ulrich Druwe VolkerKunz Thomas Plümper Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2001 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-2878-5 ISBN 978-3-663-10417-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10417-9 © 2001 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienin bei Leske + Budrich, Opladen in 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtIich geschützt. Jede Verwertung au ßerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages un zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt Editorial ........................................................................................................... 7 Warum denken normale Leute, sie seien politisch einflußreich? Die Erklärung einer kognitiven Illusion Kar/-Dieter Opp ............................................................................................... 9 Responsivität und Informationsverhalten Joachim Behnke ............................................................................................. 49 Framing ist nicht gleich Framing. Eine Typologie unterschiedlicher Framing-Effekte und Theorien zu ihrer Erklärung Volker Stocke ................................................................................................. 75 Clubmitglieder, Zuckerbrot und Peitsche. Institutionen als dezentrale Kooperationsmechanismen Bernhard Prosch und Sären Petermann ....................................................... 107 Die Bildung von Regelpräferenzen. Institutionenpolitische Entscheidungen im Schatten der Zukunft Thomas Bräuninger ..................................................................................... 129 Trade Coalitions and the Balance of Power Ban Dorussen .............................................................................................. 153 Theorien der Verteilungsgerechtigkeit Lucian Kern ................................................................................................. 181 Verzeichnis der Herausgeber und Autoren .................................................. 213 Hinweise zur Gestaltung der Manuskripte ................................................... 215 Editorial Die Verwendung von Handlungs- und Entscheidungstheorien in den Sozial wissenschaften gründet sich auf die Idee der Mikrofundierung, d.h. hand lungs- und entscheidungstheoretischer "Tiefenerklärungen" makrostrukturel ler Phänomene. Der Bezug auf die Ebene individuellen Handeins soll das Verständnis für politische und soziale Prozesse schärfen und Erklärungen möglich machen. Handlungs- und Entscheidungstheorien geiten daher als er folgversprechende Ansätze nicht nur zur Erklärung sozialen Handeins, son dern auch zur Ausdifferenzierung politischer und sozialer Institutionen. Das Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie versteht sich als Plattform zur Förderung der Diskussion über die Möglichkeiten handlungs- und ent scheidungstheoretischer Anwendungen und ihrer formalen Grundlagen in den Sozialwissenschaften. Es veröffentlicht Originalbeiträge und Berichte über einschlägige Forschungsprojekte und schließt mit diesem Programm an die zahlreichen Arbeiten des seit 1993 bestehenden Arbeitskreises für Handlungs und Entscheidungstheorie der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft an. Das Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie kann und soll keine Alternative für die etablierten deutschsprachigen Fachorgane darstellen. Es soll eine Möglichkeit bieten, in einer interdisziplinären und internationalen Orientierung empirische, analytische und normative Fragestellungen im Be reich der Handlungs- und Entscheidungstheorie zu diskutieren. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Redaktion ein Begutachtungssystem eingeführt. Je der eingereichte Beitrag wurde in dieser Folge von mindestens zwei, häufig von drei anonym gebliebenen, fachlich qualifizierten Sozialwissenschaftlern begutachtet. Die Ablehnungsquote der eingereichten Beiträge betrug rund vierzig Prozent. Die Qualität der verbliebenen Arbeiten wurde in der Regel durch die Hinweise und Kommentare der Gutachter deutlich verbessert. Die Redaktion und die Autoren danken den Gutachtern für ihren sehr engagierten Einsatz herzlich. Um ihre Anonymität zu gewährleisten, sehen wir in dieser Ausgabe von einem Abdruck der Namen der Gutachter ab. Jenniver Asmus sen, Torsten Lauer und Carina Oesterling haben bei der technischen Fertig stellung des Bandes sehr geholfen. Auch ihnen möchten wir an dieser Stelle herzlich danken. 7 Um das Jahrbuch für Handlungs- und Entscheidungstheorie in dieser Form weiterführen und etablieren zu können, benötigt die Redaktion entspre chende deutsch- oder englischsprachige Manuskripte. Diese können jederzeit an einen der Herausgeber geschickt werden (mit Diskette oder per E-Mail). Der Umfang eines Manuskripts soll 75.000 Zeichen nicht überschreiten. Wei tere Hinweise zur Gestaltung der Manuskripte sowie die Adressen der Her ausgeber und Autoren finden sich am Ende dieses Bandes. Wir würden uns freuen, wenn das Angebot eines Jahrbuches für Handlungs- und Entschei dungstheorie Zuspruch findet. Konstanz und Mainz, Mai 200 1 Thomas Plümper, Volker Kunz und Ulrich Druwe 8 Warum denken normale Leute, sie seien politisch einflußreich? Die Erklärung einer kognitiven Illusion Karl-Dieter Oppl 1. Einleitung 2. Wie schätzen normale Leute ihren politischen Einfluß ein? 3. Eine ,,Rational Choice" Theorie der Entstehung und Beibehaltung kognitiver Überzeugungen 4. Wie kostspielig ist es, seinen politischen Einfluß falsch einzuschätzen? 5. Eine empirische Überprüfung der Theorie 6. Weitere Forschung Zusammenfassung Viele empirische Untersuchungen zeigen, daß der wahrgenommene persönli che Einfluß, durch politisches Handeln die Situation ändern zu können, eine wichtige Determinante politischen Engagements ist. Weiter zeigen Untersu chungen, daß der persönliche politische Einfluß überschätzt wird. In diesem Aufsatz wird dieser Befund zunächst durch neue Daten belegt. Sodann wird eine Theorie entwickelt, die die Überschätzung des persönlichen Einflusses erklärt. Ausgangspunkt ist die generelle Annahme, daß Personen solche kog nitiven Überzeugungen erwerben und beibehalten, die für sie den höchsten Nutzen und die geringsten Kosten haben. Da die Wahrnehmung persönlichen Einflusses eine kognitive Überzeugung ist, stellt sich die Frage, welche Nut zen und Kosten für eine Überschätzung des wahrgenommenen Einflusses von Bedeutung sind. Es wird von drei Präferenzen ausgegangen: Individuen möchten (1) wahre kognitive Überzeugungen haben, (2) kognitive Konsistenz zwischen Überzeugungen erreichen und (3) starke positive Kontrollüberzeu gungen haben. Werden diese Ziele nicht erreicht, ist die Situation kognitiv inkonsistent, d.h. kostspielig. Die gleichzeitige Erreichung dieser Ziele wird Ich möchte Steven E. Finkel (University of Virginia, Charlottesville) sehr herzlich für wertvolle Hinweise danken. Mein Dank gilt weiter der Deutschen Forschungsgemein schaft, die die erwähnte Panelstudie über Proteste in Leipzig, und der Volkswagenstiftung, die die repräsentative Panelstudie in Westdeutschland und Frankfurt-Bockenheim geför dert hat. 9 dadurch eingeschränkt, daß das Sammeln von Informationen kostspielig ist und daß damit Unsicherheit über die Wahrheit von Überzeugungen besteht. Da der tatsächliche persönliche Einfluß schwer zu ermitteln ist, ist es wahr scheinlich, daß bei Inkonsistenz zwischen den genannten Zielen die Wahr nehmung des persönlichen Einflusses verändert wird. Da ,,Einfluß" eine Kon trollüberzeugung darstellt, ist eine Überschätzung grundsätzlich intrinsisch belohnend. Schließlich werden Voraussagen dieser Theorie durch eine Umfrage -ein faktorielles Survey - überprüft. Es werden 51 Befragten Situationsbeschrei bungen vorgegeben, in denen in verschiedenem Ausmaße Inkonsistenz zwi schen Einfluß und anderen Überzeugungen vorliegt. Die Befunde bestätigen die Theorie. 1. Einleitung Die Theorie kollektiven Handelns behauptet, daß der Beitrag eines normalen Mitglieds einer großen Gruppe zur Herstellung eines Kollektivgutes2 keinen oder nur einen extrem geringen Einfluß hat. Deshalb ist bei einer großen Gruppe die Unzufriedenheit mit einem Kollektivgut (d.h. die Präferenz für ein Kollektivgut) kein Anreiz, um einen Beitrag zu dessen Herstellung zu leisten. Aus dieser, vor allem von Mancur Olson (1965) formulierten zentralen Hypo these folgt z.B., daß für das Auftreten von Massenprotesten wie etwa in der DDR im Jahre 1989 die politische oder wirtschaftliche Unzufriedenheit keine Rolle gespielt hat. Der Grund ist, daß der einzelne Bürger durch seine Protes te keinen Einfluß auf die Verminderung der Unzufriedenheit hatte. Darüber hinaus entstanden bei der Teilnahme hohe Kosten durch zu erwartende staat liche Repressionen. Wenn trotzdem die Mitglieder einer großen Gruppe einen Beitrag zur Herstellung eines Kollektivgutes leisten, dann sind sog. selektive Anreize von Bedeutung. Damit sind Nutzen oder Kosten gemeint, die nur dann auftreten, wenn ein Beitrag zur Herstellung des Kollektivgutes geleistet oder auch nicht geleistet wird. So wird man nach Olson Gewerkschaftsmit glied, d.h. man zahlt einen Monatsbeitrag für die Mitgliedschaft, weil man hierdurch z.B. kostenlose Rechtsberatung erhält. Diese wird für wertvoller als der Monatsbeitrag gehalten. Rechtsberatung ist ein "selektiver" Anreiz, weil man sie - im Gegensatz zu einem Kollektivgut -nur erhält, wenn man gezahlt hat. Man wird nicht Gewerkschaftsmitglied wegen der Kollektivgüter, die die Gewerkschaft herstellt, wie z.B. ein hohes Lohnniveau. Der Grund ist, wie Darunter versteht man ein Gut (also alles, was Nutzen stiftet), das, wenn es einmal herge stellt ist, allen Mitgliedern einer Gruppe zur Verfügung steht, und zwar selbst denen, die an der Herstellung des Gutes nicht beteiligt waren. Eine saubere Umwelt oder die Rechts ordnung sind Beispiele für Kollektivgüter. 10