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Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1991 PDF

291 Pages·1990·1.067 MB·German
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Preview Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1991

Das einundzwanzigste Jahrbuch //7// CLAUS ROXIN Das einundzwanzigste Jahrbuch Das einundzwanzigste Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft ist das erste, das im wiedervereinigten Deutschland zum Druck gegeben worden ist. Der Sache nach war freilich die Karl-May-Forschung immer schon eine gesamtdeutsche Angelegenheit. Sie ist, wie unsere Leser wissen, durch grundlegende Arbeiten aus dem ostdeutschen Raum von vornherein in so hohem Grade mitgeprägt worden, daß es nicht mißverstanden werden kann, wenn gerade in diesem Jahrbuch ein ostdeutscher Beitrag fehlt. Das wird bald wieder anders werden. Wir planen für 1993 eine Tagung in Dresden (natürlich mit Besuchen in Radebeul und Hohenstein-Ernstthal), und zahlreiche neue Mitglieder, die wir inzwischen in den ostdeutschen Bundesländern gewonnen haben, werden in Zukunft noch mehr die Bedeutung hervortreten lassen, die der Heimat Karl Mays und den angrenzenden Gebieten vor allem für die weitere Erforschung seiner Biographie zukommt. Einen Schwerpunkt des vorliegenden Jahrbuchs bildet der umfangreiche Briefwechsel, den Karl und Klara May mit Adele und Willy Einsle in den Jahren 1902–1908 geführt haben; der Briefwechsel 1909– 1912 wird im nächsten Jahrbuch folgen. Über die Briefpartner des Ehepaares May unterrichtet uns umfassend der ebenso einfühlsame wie informationsreiche Beitrag von Gertrud Mehringer-Einsle, der Tochter Wilhelm Einsles. Von ihr haben wir auch die Briefe Karl und Klara Mays erhalten, so wie umgekehrt der Karl-May-Verlag uns die Einsle-Briefe zur Verfügung gestellt hat. Ich möchte beiden dafür auch an dieser Stelle herzlich danken; sie haben der Forschung einen großen Dienst erwiesen! Es ist dies der erste umfangreiche »Leserbriefwechsel« Karl Mays, den wir veröffentlichen können. Die von uns früher publizierten Briefe an Karl Pustet und Otto Denk (Jb-KMG 1985, S. 15–62) und auch die »Briefe an das bayerische Königshaus« (Jb-KMG 1983, S. 76–122) haben trotz aller privaten Einschläge überwiegend literaturpolitischen Charakter, indem es Karl May in erster Linie um Geltung und Durchsetzung seines Werkes ging. Hier aber nun wendet er sich zwei begeisterten Lesern vor allem als Mensch zu; und er tut dies in sehr sympathischer Weise, indem er nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellt, son- //8// dern [sondern] auf die Bedürfnisse seiner Briefpartner wirklich eingeht. So hat er auf die Entwicklung des jungen Willy Einsle einen prägenden – und, wie man sagen muß: erzieherischen und guten – Einfluß ausüben können. In diesem privaten Briefwechsel, dem wir hoffentlich noch weitere folgen lassen können, zeigt sich eine Facette seines Wesens, die das Persönlichkeitsbild Karl Mays bereichert; sie weicht von seinem öffentlichen Gebaren etwa in der »Renommierzeit« (dazu Jb-KMG 1974, S. 15–73) weit und in gewinnender Form ab. file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/007.htm[06.10.2020 08:03:53] Das einundzwanzigste Jahrbuch Die übrigen Beiträge des Bandes verdeutlichen gerade durch ihre Heterogenität die Spannweite, die die Karl-May-Forschung inzwischen erreicht hat. Rezeptionsgeschichtliche Untersuchungen, Werk-, Figuren- , Strukturinterpretationen und detaillierte Quellenstudien stehen in gleichem Range nebeneinander. Gert Ueding setzt mit seinem Referat »Bloch liest Karl May« die Untersuchungsreihe fort, die der Wirkung Mays auf das Werk bedeutender Autoren des 20. Jahrhunderts gewidmet ist und die wir im letzten Jahrbuch (Jb-KMG 1990, S. 12–29) mit Hans Wollschlägers Essay über »Arno Schmidt und Karl May« begonnen hatten. Unter den Schriftstellern, auf deren Werk May einen Einfluß ausgeübt hat, sind Bloch und Schmidt wohl die bedeutendsten; und es ist bemerkenswert, daß sie von der Abenteuerliteratur, für die man May am ehesten weittragende Folgen zuerkennen möchte, weit entfernt sind. Abhandlungen dieser Art ließen sich ertragreich mehren; sie würden in ihrer Gesamtheit zeigen, daß May im geistigen Haushalt unseres Jahrhunderts eine Rolle spielt, die sich nicht auf die Jugendkultur beschränken läßt. Helmut Schmiedt vergleicht halb im Ernst und halb im Scherz die Wirkungsgeschichte Goethes und Karl Mays und kommt zu bemerkenswerten Parallelen, deren Erklärung er dem Leser aufgibt. Auch ich habe keine Patentlösung zur Hand, denke mir aber, daß rezeptionsgeschichtliche Analogien überall dort auftreten, wo die Wirkung eines Autors sich nicht auf die Philologie oder selbst den Massenkonsum beschränkt, sondern wo es ihm gelingt, größere Leserschichten emotional an sich zu binden. Das ist bei Goethe wie bei May (wenn auch bei unterschiedlicher Zusammensetzung der jeweiligen »Gemeinde«) der Fall und vom literarischen Rangverhältnis beider Autoren unabhängig. Auch die Interpretationen widmen sich sehr unterschiedlichen Themen. Hermann Wohlgschaft führt seine theologischen Spätwerkanalysen mit einer Studie zu Mays Drama »Babel und Bibel« fort, in dem er Ansätze einer feministischen Theologie erkennt. Wir müssen ihm für seine Arbeit dankbar sein. Denn Wohlgschaft macht hinter dem überlieferten Klischee von Mays verschwommen-eklektischem Mystizismus //9// das ganz andere Bild eines theologisch klar und progressiv denkenden religiösen Visionärs sichtbar. Damit wird eine der gröbsten Fehleinschätzungen korrigiert, die einer angemessenen Beurteilung von Mays Spätwerk bisher entgegengestanden hat. Siegfried Augustin untersucht zum ersten Male gründlich »Der beiden Quitzows letzte Fahrten«, jenes frühe Romanfragment Mays, das Friedrich Axmanns »Fürst und Junker« fortsetzt und schließlich von Dr. Goldmann zu Ende geführt worden ist. Es gelingt Augustin nicht nur, den Werkanteil Mays überzeugend zu bestimmen und die Art seiner Quellenauswertung anschaulich zu machen; er zeigt auch, daß viele Motive des späteren Reiseerzählungswerkes hier schon vorgeformt sind. Christoph F. Lorenz und Bernhard Kosciuszko liefern eine Art Kara-Ben-Nemsi-Biographie, indem sie die Erscheinungsformen und Wandlungen dieser Ich-Figur, einer der zentralen literarischen Gestalten Mays, von den Anfängen bis zum Spätwerk sorgfältig verfolgen; sie leisten damit einen Beitrag zum Verständnis der schriftstellerischen Entwicklung Mays überhaupt. Joachim Biermann und Ingmar Winter behandeln schließlich die Art und Weise, in der May seine file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/007.htm[06.10.2020 08:03:53] Das einundzwanzigste Jahrbuch »Roman-Welt als Bühne« aufbaut; tatsächlich dominiert der szenische Handlungsablauf bei May so sehr, daß man darin ein tragendes Strukturelement seiner Erzählungen sehen muß. Zwei weitere Beiträge befassen sich mit sehr unterschiedlichen »Quellen« Mays. Walter Schinzel-Lang prüft als Sinologe »Die Verwendung der chinesischen Sprache durch Karl May« und kommt dabei zu Ergebnissen, die für May günstiger ausfallen als die frühere Untersuchung des Nicht-Sinologen Erwin Koppen (Jb-KMG 1986, S. 69–88). Gewiß hatte May sich seine Chinesisch-Kenntnisse auf autodidaktischem Wege erworben und konnte infolgedessen notwendigerweise kein fehlerfreies Chinesisch reproduzieren. Aber bei allen berechtigten Vorbehalten kann man seiner nun genau überprüfbaren Leistung auf diesem Gebiet, die manche brauchbare Information vermittelt, doch einen gewissen Respekt nicht versagen. Der Leser überlege einmal, was er selbst unter den Arbeitsbedingungen Karl Mays mit den Hilfsmitteln des 19. Jahrhunderts als »sinologischer Laie« im Chinesischen bestenfalls würde leisten können! Seinen literarischen Zweck, nämlich die Schaffung eines authentisch wirkenden Lokalkolorits, hat May jedenfalls erreicht. Eine wichtige Quelle Mays in den Bereichen der Völkerkunde und der Abenteuerliteratur erschließt Andreas Graf, indem er dem Einfluß //10// Möllhausens auf das Werk Karl Mays nachgeht. Dieser Einfluß erweist sich als überraschend groß, auch wenn man in Rechnung stellt, daß manches parallele Motiv Gemeingut der Amerika-Literatur jener Zeit ist. Fast möchte man sich wundern, daß Möllhausen, der ein wichtiger »Stichwortgeber« unseres Autors war, heute ganz vergessen ist, während Mays literarische Lebenskraft ungebrochen ist. Aber May war der weitaus bessere und suggestivere Erzähler! Der Literaturbericht von Helmut Schmiedt und Erich Heinemanns Bericht über die Arbeit der Karl- May-Gesellschaft schließen, wie immer, das Jahrbuch ab und informieren den Leser über alles, was in und außerhalb unserer Gesellschaft »rund um Karl May« geschieht. Das Jahrbuch im ganzen zeigt, daß die große Zeit der »Globalinterpretationen« vorbei ist und daß immer exakter werdende Detailstudien vorzuherrschen beginnen. In diesem Bereich steht die Karl-May-Forschung, nachdem entscheidende Grundlagenarbeit schon geleistet worden ist, weithin noch am Anfang. Wie fruchtbar und fesselnd solche Untersuchungen sind und auf wie weite Felder sie führen, mag gerade der vorliegende Band zeigen. Inhaltsverzeichnis Alle Jahrbücher Titelseite file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/007.htm[06.10.2020 08:03:53] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle //11// Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle* Solang ich lebe, nur zu borgen. Die Briefe Dir bin ich imstand. In meiner Jugend stillem Morgen War'n sie mir Leitstern in ein Land Der innern geistigen Befreiung – dem Schreiber dank' ich dieses Glück In immerwährender Erneuung Zu finden zu mir selbst zurück. So mögst Du sie in Ehren halten Und lieb' den Schreiber, wie ich tat! Dann wird zur Freiheit sich gestalten Auch Deines Geistes Zukunftspfad. Meinem lieben Hartmut zur Konfirmation am 22. III. 1959 Dein Großvater. Emma May an Adele Einsle · 15.7.1902 Hochgeehrte gnädige Frau! Soeben erst öffne ich ihren lieben Brief und danke ich Ihnen für Ihre freundliche Gesinnung. Mein Mann ist Gott sei Dank gesund, er arbeitet am Schluß zum »Im Reiche des silb. Löwen«. Donnerstag geht es für einige Zeit auf die Reise, Ihr lieber Besuch deshalb jetzt unmöglich. Vielleicht kommen wir aber (in 6 Wochen) nach München. Wir wohnen in Leinfelder, mein Mann liebt aber nicht erkannt zu werden und schreibt sich unter seinen beiden Vornamen ein (»Dr. Karl Friedrich«) Ihr Sohn mag darauf achten und ihm event. einen Besuch machen. Mit bestem Gruß Ihre ergebene Emma May. * Redaktionelle Notiz: Die Briefe Karl und Klara Mays wurden von Ulrike Müller-Haarmann und Gerhard Haarmann übertragen, die Briefe Adele und Willy Einsles transskribierten Annelotte Pielenz und Irene Frankenstein, denen dafür herzlich zu danken ist. Die Redaktion der Texte und die Kommentierung besorgte Ulrich Schmid; Frau Dr. Gertrud Mehringer-Einsle, München, trug dazu dankenswerterweise zahlreiche erläuternde Hinweise bei. Das vorliegende Jahrbuch bietet die vollständige Korrespondenz von 1902 bis zum 31. 12. 1908, soweit sie erhalten ist; der zweite Teil, von 1909 bis 1912, folgt im nächsten Jahrbuch. Leider ist der Schriftwechsel nur unvollständig überliefert, immer wieder finden sich Hinweise auf nicht erhaltene Schreiben, die sich auch nur teilweise rekonstruieren lassen. Orthographie und Interpunktionseigenheiten in den Briefen von Willy und Adele Einsle bleiben unkommentiert. //12// Bildkarte: Bild Karl Mays – Poststempel: Dresden 15.7.1902 Anschrift: An Hochwohlgeboren Frau Oberamtsrichter Einsle, München, Pilotystr. Nr. 4II Das Bild auf der Vorderseite der Postkarte zeigt Karl May um 1896 (siehe Frontispiz Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1974, Hamburg 1973). Am 21.7.1902 verreist May mit Emma und Klara. Man bleibt 14 Tage in Berlin, 14 Tage in Hamburg, 3 Tage in Leipzig und kommt dann für 6 Tage nach München (vgl. Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Zürich 1976, S. 120). Nach dieser Reise, die von München aus nach Bozen und zur Mendel hinaufführt, reicht May die Scheidung von seiner Frau Emma ein. Der Brief ist von Klara geschrieben und mit »Emma May« unterzeichnet; vgl. Emmas Handschrift-Faksimile bei Fritz Maschke: Karl May und Emma Pollmer. Bamberg 1973, S. 216, file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle und Klaras Unterschrift als »Emma May« in Jb-KMG 1983. Husum 1983, S. 80. Leinfelder: Münchner Hotel, in dem May bei seinem Aufenthalt wohnte Widmungsgedicht: Willy Einsle bewahrte Karl Mays Brief vom 23.3.1905 in einer eigens gefertigten Mappe auf, auf deren Umschlaginnenseite er 1959 dieses von ihm für seinen Enkel Hartmut Mehringer geschriebene Gedicht einklebte. Adele Einsle an Karl May · 3.12.1902 München den 3. Dez. 1902 Pilotystraße 4/2 Sehr verehrter Herr Doktor! Wieder einmal Ihr Plaggeist aus München der sich ganz gewiß ernstlich besonnen hat: ist Schreiben statthaft oder nicht, und der hofft, daß seine Anliegen diese Zeilen rechtfertigen! Wir können hier »Et in terra pax« nicht auftreiben und möchten es doch bis Weihnachten haben. Der Buchhändler sagt es sei als Buch nicht erschienen, und ich erinnere mich wohl daß Herr Doktor eine Zeitschrift nannten die es gebracht, weiß aber leider deren Namen nimmer. Bitte, seien Sie so gütig uns mitzuteilen unter welchem Titel und in welchem Verlage obiges Werk erhältlich ist, ebenso wo man Ihr Ave Maria oder dieses und Vergißmeinnicht zusammen unter dem Titel »Ernste Klänge« bekommt. Meine Musikalienhandlung fahndete in meinem Auftrag schon über Jahr und Tag danach und behauptet ihrerseits es könne in keinem Musikalienver*-verlag herausgekommen sein. Ist das so, oder sind blos die Leute hier alle so unfindig. Jetzt noch die größte Bitte. Welcher Fotograf oder welche Dresdner Kunsthandlung würde mir, per Nachnahme natürlich, eine Fotografie von Herrn Doktor zuschicken, ganz so, oder doch ähnlich wie die auf der Postkarte welche ich //13// im Sommer bekam? – Aber ich bitte herzlichst daß selbe vor dem Absenden zu Ihnen kommen darf behufs Namensunterschrift. Ich möchte sie meinem Jungen zu Weihnachten einrahmen lassen, da ich weiß daß dies mit Ihren Büchern sein liebstes Geschenk wäre. Die Karte vom Sommer ist deßhalb nicht dazu verwendbar, weil direkt beim Bild, an mich, darauf geschrieben ist. Vielleicht ist Ihre Frau Schwester so lieb und gibt mir Antwort, damit Herr Doktor nicht so viel Mühe haben. Weil ich nun doch im Briefschreiben bin, darf ich wohl anfügen wie oft wir von Ihrem und Frau Plöhn's gütigem Besuche sprechen und wie sehr mein Mann bedauert nicht dabei gewesen zu sein. Wir hoffen wirklich daß es nicht das erste und letztemal zugleich war und sollten Sie es ein andermal schon anders finden. Wenn Herr Doktor wüßten wie verkehrt und vertalkt damals alles ging durch meine nervöse, confuse Küchenfee und allerlei sonstige Zufälligkeiten. Sie würden riesig lachen, obwohl ich zuerst lieber darüber geweint hätte! Ich höre jetzt im Geiste freilich wieder Sie sagen: »Nur eines ist Not« – aber sehen Sie, ein bischen »Martha« muß halt doch jede Hausfrau sein. Dafür bin ich bei Ihren Büchern ganz »Maria«! Sollte uns Großen aber wirklich einmal etwas nicht sofort klar sein, Sie glauben nicht welchen Interpreten Sie, trotz seiner Jugend, an Willi haben, – der ist überhaupt Ihr Geschöpf und macht Ihnen keine Schande. Er möchte schon lange von der Erlaubniß Ihnen schreiben zu dürfen Gebrauch machen, aber Hausaufgaben, Extemporalen und Skriptionen regnets eben, so muß er noch ein wenig warten. file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle Vielleicht interessiert es Herrn Doktor daß Herr Oberamtsrichter Stauffer, der uns vor Jahren zuerst auf »Carl May« aufmerksam machte, mir neulich das Bekenntnis ablegte daß er es nur Ihren Schriften verdanke in entsetzlicher familiärer Lage nicht selbst wahnsinnig geworden zu sein. Er ist lungenleidend und hatte jahrelang seine irrsinnige Schwester mit vier Kindern bei sich ehe sie in eine Anstalt kam. Er hat schon 24 Ihrer Reisebände und kam er mir unlängst auch wirklich gar nicht mehr so atheistisch vor. Am meisten freut mich aber daß es mir gelang meinen Vetter, einen von der gefürchteten Sorte der Gymnasialrektoren, so von dem Werte Ihrer Schriften zu überzeugen, daß er versprach selbe für die Oberklassen in seine Schülerbibliothek aufzunehmen. Vergeben Herr Doktor daß ich so »lange« war. Mich tröstet daß Frau Plöhn die Briefe öffnet und wenn sie so gütig sein will mir die erbetene Auskunft zu geben, kann sie Herrn Doktor ja meinen langen Brief recht kurz zusammenfassen: Wir denken Ihrer, lesen, verehren und //14// grüßen Sie! Ebenso aber unser aller ergebenste Grüße Frau Plöhn selbst und unbekannterweise an Frau Doktor. Hochachtungsvollst Adele Einsle * doppelt bei neuem Seitenbeginn Frau Schwester: Klara Plöhn war bei Einsles als Mays Schwester eingeführt worden (vgl. die Briefe vom 17.4. und 19.4.1905). gütigem Besuche: Der Besuch Karl Mays und Klara Plöhns bei der Familie Einsle fand wahrscheinlich am 27.8.1902 statt; dieses Datum trägt Mays Widmung in Willys Exemplar der »Himmelsgedanken«: Such nicht nach Worten, wie die Leser meist; Such nach der Seele, und such nach dem Geist Und hast Du beide Hand in Hand gefunden So ist das Wort für immer überwunden. München 27./8.2 K. May vertalkt: Dialektausdruck, von »dalkert« (tapsig) Martha/Maria: Anspielung auf den Besuch Jesu bei den Schwestern Maria und Martha (Lukas 10, 38–42), wo Jesus Martha tadelt, weil sie sich nur der Hausarbeit widmet, während Maria ihm zuhört. Extemporalien, Skriptionen: schriftliche Prüfungsarbeiten im Gymnasium Oberamtsrichter Stauffer: Hans Stauffer war ein Bundesbruder aus Julius Einsles Studentenverbindung und lebenslanger jüngerer Freund der Familie. Julius E. hatte den examensscheuen und verbummelten Studenten kurzerhand bei sich aufgenommen, ihn regelrecht eingesperrt und mit ihm Jura gepaukt, bis er sich dem Examen stellte. Das trug der Familie auch die herzliche Dankbarkeit von Stauffers Frau Rosl ein. Er hat sich jahrelang dem wesentlich jüngeren Willy Einsle gewidmet und dürfte auch bei Mays Besuchen z. T. anwesend gewesen sein. Karl May an Adele Einsle · 21. 12. 1902 Radebeul, Dresden, 21./12.2 Hochgeehrte Frau Oberamtsrichter! Soeben komme ich aus Italien heim. Frau Plöhn bringt mir Berge von Briefen. Der Ihrige natürlich obenauf! Ich antworte sofort – leider nur ganz kurz. Reisestiefel und Zeitmangel entschuldigen ja wohl! »Ernste Klänge« kosten 1 Mark. Zu beziehen bei meinem Verleger Fehsenfeld in Freiburg, Breisgau. file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle Das sollten die Herren Sortimenter doch wohl wissen! Es ist ihnen aber lieber, die »Berliner Range« zu verkaufen! Photographien lasse ich nicht mehr verbreiten. Es wurde zu viel Unfug damit getrieben, und die Vorwürfe wurden dann natürlich nur mir //15// gemacht. Aber ich habe noch eine alte da, die einzige, allerletzte. Die wollte ich für mich behalten, um doch auch zu wissen, wie ich ausschau. Aber ich sende sie Ihnen. Wenn ich mich sehen will, kaufe ich mir einen Spiegel! Wir sind Ihnen noch so unendlich dankbar für Ihre liebe Gastfreundlichkeit. Gott segne Sie und Alle, die bei Ihnen sind! Frau Plöhn läßt herzlichst grüßen! »Et in terra pax« ist jetzt zu theuer – – 25 Mark. Weihnacht 1903 nur 4 Mark. Aber soeben erscheinen die ersten Hefte von Band IV »Im Reiche des silbernen Löwen«. Wenn Sie diese Heftchen kaufen wollten! à 30 Pfennige. Dieser Band ist hochinteressant, weil er meine einzige Antwort an meine Feinde enthält! Weiter existiren sie nicht für mich! Was Sie mir von H. Oberamtsrichter Stauffer und dem H. Gymnasialrektor sagen, macht mir Freude. Bitte, mich diesen Herren zu empfehlen, falls Sie wieder mit Ihnen sprechen. Daß man meine Werke aus verschiedenen Schulbibliotheken gestrichen hat, ist keine Blamage für mich, sondern für Die, welche dies gethan haben. Grad hierüber bekomme ich hunderte von Briefen aus Bayern. Jeder verständige Mann weiß, daß die sogenannte »Mayhetze« nicht gegen mich, sondern gegen den »reinen Christusglauben« gerichtet ist, den ich lehre. Wer sich an ihr betheiligt, richtet nicht mich, sondern sich selbst! Uebrigens ist das nur ein vorübergehender Sport geistig und geistlich unmündiger »Tramps«, die sich ganz so im Schmutze verlaufen werden, wie sie aus dem Schmutze aufgetaucht sind und sich in ihm wälzen. Sie sind mir der beste Beweis, daß ich mich auf dem richtigen Wege befinde. Weiter aber gehen sie mich nichts an! »Dies irae, dies illa«! Indem ich Ihnen herzlichst für Ihre guten Zeilen danke, bitte ich, mich dem H. Gemahl zu empfehlen, den H. Sohn zu grüßen und bin, hochgeehrte Frau Oberamtsrichter, in aufrichtigster Hochachtung stets Ihr ergebener May Karl May und Klara May reisten am 8.10.1902 ab, über Linz, Salzburg, Bozen erreichten sie am 14.10. Riva am Gardasee. Sie blieben bis zum 15.12.1902 (vgl. Wollschläger, a. a. O. , S. 122). »Berliner Range«: Erfolgsroman der Jahrhundertwende file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle Photographien: Vgl. J. Mittermayer: Ein Schriftsteller und sein Fotograf. In: Karl-May-Jahrbuch 1978. Bamberg/Braunschweig 1978, S. 111–133. //16// »Et in terra pax«: May hoffte offenbar, die Umarbeitung des Romans für die Buchausgabe bis Weihnachten 1903 abgeschlossen zu haben; tatsächlich erschien der Band »Und Friede auf Erden« im September 1904. Schulbibliotheken: Laut einer Meldung im Bayerischen Kourier vom 31.5.1899 waren Mays Werke aus den Schulbibliotheken der bayerischen Mittelschulen verbannt (vgl. Bernhard Kosciuszko: Im Zentrum der May-Hetze. Die Kölnische Volkszeitung. Materialien zur Karl-May-Forschung Bd. 10. Ubstadt 1985, S. 77). »Dies irae ...«: Anfangszeile der berühmten Sequenz aus der Totenliturgie der katholischen Kirche, dem Requiem (Übers. : »Tag des Zornes, an dem alles zu Asche zerfällt«). Adele Einsle an Karl May · 29.12.1902 München d. 29/12. 1902 Sehr verehrter Herr Doktor! Was Willy Ihnen alles geschrieben und anvertraut hat weiß ich nicht, jedenfalls aber hat er seiner himmelhochjauchzenden Freude wie seinem Danke Ausdruck gegeben, und dabei möchten auch mein Mann und ich nicht fehlen. Wir waren schon auf ein etwas trübseliges Weihnachten gefaßt, es ist bitter wenn man ganz und gar nicht sparen will, und doch die liebsten Wünsche seines Kindes nicht erfüllen kann, das aber schien uns so zu werden. Die sehr bestimmte Nachricht der Augsburger Abendzeitung, Carl May habe seinen Landsitz bei Dresden verkauft und sei mit Familie dauernd nach Amerika übergesiedelt, gewann [?] an Wahrscheinlichkeit. Wir fürchteten es sei Ihnen am Ende der boshaften Gehässigkeit und Undankbarkeit herüben zu viel geworden. Ich versuchte durch Fehsenfeld etwa Auskunft zu erhalten und sicherte uns damit wirklich »Ave Maria« und »Et in terra pax«. Kürschner's wirklich schönes Werk »China« war gekauft ehe Ihr lieber Brief ankam. Ahnen Sie wie glücklich ich war als ich Schrift und Poststempel sah? – Und welcher Jubel brach erst am Abend aus! Es war Weihnachten geworden bei uns – durch Sie Herr Doktor, durch und mit Carl May! Da Willy's Reichtümer entschieden uns mitgehören, so lassen wir ihm ungeschmälert das Vergnügen des Besitztitel's Ihrer Bücher und Ihres Bildes, das wir ja trotzdem mit derselben Freude stehen sehen wie er. Aber – Ihre gütigen Zeilen waren an mich, und ich bin so stolz darauf als ich mich dieser Ehre unwert fühle. Ich finde auch kein Wort das meiner unbegrenzten Dankbarkeit und Verehrung entspräche. So bleibt nichts als der fromme Wunsch: Vergelt es Gott! Um denen die wir lieben und verehren Glück zu wünschen ist gerade //17// jetzt wieder die Zeit gekommen. So bitten wir, Sie möchten für sich und all' Ihre Lieben nicht nur zum Jahreswechsel, sondern für allezeit unsere herzlichsten Glück und Segenswünsche entgegennehmen, zugleich mit vielen, vielen Grüßen. Die von Herrn Doktor werde ich den Adressaten übermitteln. Der vierte Band von: Im Reiche des silbernen Löwen« wird natürlich sofort bestellt. Für »Berliner Range« und derartige sogenannte literarische Erzeugniße fehlt bei uns jedes Interesse. Ich muß gestehen daß wir das gerade jetzt so gefeierte Buch: »Jörn Uhl« lasen und es nicht kaufen mochten. Trotz der gewiß lebendigen Schilderung stieß uns vieles darin ab. file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle Doch genug – sonst könnte ich endlos so weiterplaudern. Nochmals tausend Grüße allseits, besonders auch der guten Frau Plöhn. In steter Verehrung und Dankbarkeit Adele Einsle [Links unten auf S. 4 Vermerk Karl Mays: beantw. ] »Jörn Uhl«: 1901 erschienener Erfolgsroman von Gustav Frenssen (1863–1945) Willy Einsle an Karl May 29.12.1902 München, den 29/XII. 1902 Lieber, lieber Herr Doktor! Sie können sich wohl kaum meine Freude vorstellen, als ich am Weihnachtstische Ihren Brief und Ihr liebes Geschenk, Ihre Photographie, liegen sah. Ich danke Ihnen halt recht herzlich. So viel möchte ich Ihnen sagen, doch wo anfangen? Allein vor allem meinen innigsten Dank für Ihren lieben Besuch im Herbste. Wielange habe ich mich schon darnach gesehnt, sie nur einmal persönlich, nicht nur vor meinen geistigen Augen, zu sehen. Noch ist mir jedes Ihrer Worte in Erinnerung. Daß ich täglich oft in Gedanken bei Ihnen verweile, brauche ich wohl nicht erst zu versichern. Wie herrlich sind die Zeilen, die Sie mir in »Himmelsgedanken« schrieben. Könnte ich sie doch laut in alle Welt hinausrufen, denn sie sind der Schlüssel zum Begreifen oder wenigstens zum Ahnen Ihrer Werke. Wann werde ich Ihnen je alles vergelten können! Sie erst lehrten und lehren mich meine Seele kennen. Wenn ich in ihre »Himmelsgedanken« vertieft bin, so komme ich mir wie in einer andern, nie geahnten und doch so heiß ersehnten Sphäre vor. Welch herrliche, nieempfundene und doch wieder so liebe, vertraute //18// Gedanken sind in »Im Reiche d. s. Löwen«, III. Bd. enthalten. Auch ich fühle jenen tiefen Graben noch vor mir, der mich vom friedlichen Duar der Dschamikun trennt, wo allein mir völlige Genesung wird. Wenn ich so nachts vor dem Einschlafen über Sie und Ihre Worte nachdenken kann, da bin ich am glücklichsten und möchte mit niemand tauschen. Es muß der Sternennacht ein besonderer Zauber eigen sein, da überkommen mich so eigene, herrliche Gedanken, mir ist es da oft, als wäre ich hoch droben bei den lieben Sternen, fern von dieser Welt. Eine noch größere Anziehungskraft als das Wasser besitzen für mich die Sterne, die »Augen Gottes«. Meine heiligste Aufgabe soll dereinst sein, die hehre Liebe, die aus Ihren Schriften strahlt, weiter zu geben und so möglichst viele ebenso glücklich zu machen, wie Ihre Werke mich gemacht. Soeben lese ich Ihr »Et in terra pax«, und wage mich an Ihre »Ernsten Klänge«. Wie oft schwebten mir unklare Gedanken vor, die ich dann in Ihren Büchern, besonders in »Et in terra pax« so klar und deutlich ausgedrückt und bewahrheitet fand. Bitte verzeihen Sie, daß ich Sie solange aufhalte, aber ich hab Sie halt lieb! Üben Sie, bitte, auch Nachsicht bei etwaigen stilistischen und sonstigen Fehlern! Ich kanns halt nicht so gut wie Mama und hab ihr den Brief auch nicht zur Korrektur file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54] Karl und Klara May: Briefwechsel mit Adele und Willy Einsle gegeben. Zum Schlusse wünsche ich Ihnen noch ein recht recht fröhliches, neues Jahr. Erlaube mir auch Ihrer Frau Schwester und Frau Doktor ein recht glückliches, neues Jahr zu wünschen. Ich weiß ja, daß ich Frau Plöhn Ihren lieben Besuch und Ihren freundlichen Brief verdanke. Hoffentlich geht mein glühendster Herzenswunsch in Erfüllung, Sie noch einmal, wenn auch nur von ferne zu sehen. Es geht mir da wie dem, der einmal die grünen Savannen oder das glitzernde Meer erblickt hat. Mein zweiter Wunsch ist, nur einmal einen tropischen Sternenhimmel, oder einen in der Sahara, den sie in »Am Jenseits« so herrlich schildern, zu schauen. Die Feder, die Sie bei uns benützten, läßt mir Mama vergolden, damit ich sie an der Uhrkette tragen kann. Wenn Sie nur in Ihrem Briefe das »Herr« und »Sie« weggelassen hätten, unser Religionsprofessor sagt ja auch bis in die Oberklasse hinauf »Du« zu uns. Ich danke Ihnen halt nochmals für alles. Somit verbleibe ich in steter Dankbarkeit Ihr Willi Einsle der Sie lieb hat und immer für Sie und die Ihrigen beten will. »Tragt euer Evangelium hinaus, Um aller Welt des Himmels Gruß zu bieten, Doch achtet jedes andre Gotteshaus; Ein wahrer Christ stört nicht den Völkerfrieden.« //19// Das will ich immer beherzigen. Nun muß ich aber den Brief noch einmal öffnen, denn: ich hab's gefunden, und zwar in »Et in terra pax«, nämlich das über die geistige Verdauung des Menschen. Darüber war ich mir vorher noch unklar und wollte erst noch nachdenken. Welch große, innere Befriedigung gewährte es mir immer, wenn ich nach langem, langem Nachdenken, gleichsam geistigem Verdauen irgend eine religiöse Wahrheit oder etwas über das Seelenleben so klar und geläutert vor mir habe. Und doch, wenn ich so in Ihrem »Et in terra pax« lese, ich war ein Thor, da ich mich vermaß, Ihre Schriften zu begreifen, es war schlecht von mir, aber ich werde bestraft dafür, indem ich die große, breite Kluft erkenne, eben jenen Spalt in »Im R. d. s. L.« III. Bd, die mich von Ihnen, von jenem reinen Christusglauben trennt. Lieber Herr Doktor, wenn Sie nur in meiner Seele lesen könnten. »Himmelhochjauchzend, bis zum Tode betrübt!« Bisher betrachtete ich alles nur als Spielerei, ein bischen auf geistigem Gebiete nachdenken, das gefiel mir. Aber jetzt soll es anders werden, gewiß! Möchte mich doch Ihre Photographie, die vor mir auf dem Schreibtische steht, vor einem Rückfalle bewahren. Verzeihen Sie mir nur den vorderen Teil des Briefes, der mir jetzt sehr vermessen vorkommt. Ich möchte gern noch so viel schreiben, aber ich habe Sie schon lange genug aufgehalten, und Mamma schickt mich zu Bette. Gute, gute Nacht! file:///F|/460%20Karl%20May/Jahrbuecher/1991/011.htm[06.10.2020 08:03:54]

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