Christoph Eucken · Isokrates Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte Herausgegeben von Winfried Bühler, Peter Herrmann und Otto Zwierlein Band 19 Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983 Isokrates Seine Positionen in der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Philosophen von Christoph Eucken Walter de Gruyter · Berlin · New York 1983 Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung an der Universität Bern. CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Eucken, Christoph: Isokrates : seine Positionen in d. Auseinandersetzung mit d. zeitgenòss Philosophen / von Christoph Eucken. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. (Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte ; Bd. 19) ISBN 3-11-008646-8 NE: GT © 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung · Georg Reimer · Karl J. Trübner · Veit & Comp. Berlin 30, Genthiner Straße 13 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es audi nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: W. Pieper, Würzburg Bindearbeiten: Lüderitz & Bauer, Berlin Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die umgearbeitete Fassung einer Habilitations- schrift, die im Jahre 1979/80 der philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern vorlag. Herrn Professor Thomas Geizer möchte ich bei dieser Gelegenheit für vielfache Förderung und Anregung, den Professoren Herrn Gigon und Herrn Graeser für wertvolle Kritik danken. Ein Aufent- halt am Center for Hellenic Studies in Washington gab in dankenswerter Weise die Möglichkeit, die Arbeit neu zu überdenken und in verschiedener Hinsicht weiterzuführen. Das Manuskript wurde im Juni 1982 abgeschlossen. Den Herausgebern danke ich für die Aufnahme des Buches in diese Reihe, Herrn Professor Bühler auch für die freundliche Mithilfe beim Korrekturlesen. Bern, im Frühling 1983 Ch. Eucken Inhaltsverzeichnis Vorwort . V Einleitung 1 I. Sophistenrede . .. 5 1. Terminologische Probleme 6 2. Die Polemik gegen die Streitredner 18 3. Die Polemik gegen die Redelehrer 27 4. Das Prinzip der Doxa 32 5. Piatons Reaktion auf die Sophistenrede 36 II. Helena-Rede " . . 44 A. Das Proömium 44 1. Die Eristiker-Terminologie und der platonische Euthydem . 45 2. Die sokratische Lehre als ,Paradoxie' 53 3. Die Grundsätze des isokratisdien Programms und der Plato- nismus 56 4. Der finanzielle Aspekt 63 5. Nähere Bestimmung der isokratischen Redekunst . .. 65 6. Ergebnisse 71 B. Der Hauptteil 74 1. Das Verhältnis zu Gorgias und das Problem der Einheit der Gesamtrede 74 2. Der Helena-Mythos 80 3. Der Theseus-Exkurs 95 4. Die Auseinandersetzung mit Antisthenes und Piaton . . 101 C. Die Helena-Rede und Piaton 107 1. Symposion 107 2. Die Bedeutung der Stesidioros-Gestalt in Politela und Phaidros 115 III. Das Problem von Schriftlichkeit und Mündlichkeit . . .. 121 1. Alkidamas und Isokrates 121 2. Alkidamas und Piaton 130 3. Der Brief an Dionys 132 4. Der Philippos 138 Vili Inhaltsverzeichnis IV. Panegyrikos . . 1 41 Α. Das agonale Prinzip 142 1. Das Proömium 142 2. Die Hauptrede 152 3. Der Epilog 159 4. Generelle Bedeutung 161 B. Beziehungen zum platonischen Menexenos 162 C. Athenische Kultur und isokratische Bildung 165 V. Busiris 172 1. Datierung 173 2. Das Enkomion auf Busiris und die Politela 183 3. Die Belehrung des Polykrates über die Grenzen des Erlaubten 195 4. Piatons Gegenbild im Timaios 208 5. Timaios und Areopagitikos 210 VI. Die kyprischen Reden 213 A. Die Rede an Nikokles 216 1. Das Proömium 216 2. Der Hauptteil 225 3. Der Epilog 231 4. Stellungnahmen zu Piaton 235 a. Erkenntniskritische und methodische Fragen . . .. 235 b. Das Urteil über Dichtung 243 5. Stellungnahmen zu anderen Autoren 247 Β. ,Nikokles' oder ,An die Kyprier' 248 1. Das Proömium 249 2. Der Hauptteil 255 C. Euagoras 264 1. Hauptaspekte 264 2. Die Beziehung zu Piaton 267 VII. Piatons Stellungnahme zu Isokrates im Phaidros und im Theaetet 270 Zusammenfassung 284 Literaturverzeichnis 289 Stellenregister 294 Einleitung Die literarischen Beziehungen des Isokrates zu den Philosophen seiner Zeit, insbesondere zu Piaton, sind in der älteren Forschung wiederholt unter- sucht worden, so unter anderen von Teichmüller Dümmler2 und H. Gom- perz3. Dabei lag das Interesse vor allem darin, die Abhängigkeit des Isokra- tes von seinen philosophischen Zeitgenossen zu erweisen. Daß er ein be- schränkter, unselbständiger Geist sei, schien von einer an Piaton orientierten Sicht aus selbstverständlich. So fand Teichmüller, er sei ein Schönredner, der die Natur einer wissenschaftlichen Untersuchung nicht begreife4, Dümmler sprach nur mit Verachtung von dem ,Epigonen', der ,vermeinte' mit Piaton .rivalisieren zu können'5, und Gomperz urteilte, er sei nie etwas anderes ge- wesen als ein hohler Wortmacher6. Obwohl die Bedeutung des Isokrates völlig verkannt wurde, so war es doch das unbestreitbare Verdienst dieser Forscher, eine Fülle von zitathaften Anklängen bei ihm und den konkur- rierenden Erziehern festgestellt zu haben, die den Ausgangspunkt für die weitere Beschäftigung bilden mußten. In neuerer Zeit lernte man die Erziehungslehre des Isokrates besser zu verstehen, so vor allem durch die Arbeiten von W. Jaeger7, Steidle8 und Marrou 9. Daß Isokrates freilich in seiner geistigen Statur in keiner Weise einem Piaton zu vergleichen sei, ist eine bis heute allgemein gültige Annahme geblieben. So urteilt Marrou, der seine Bedeutung für das antike Bildungs- wesen besonders hervorgehoben hat: „Wenn man Piaton und Isokrates nach- einander studiert, so kommt man nicht darum herum, Isokrates in ein 1 Literarische Fehden im vierten Jahrhundert vor Chr , 2 Bde, Breslau 1881/84. 2 Chronologische Beitrage zu einigen platonischen Dialogen aus den Reden des Iso- krates, Programm zur Rektoratsfeier der Universität Basel 1890, abgedr. in: Kleine Schriften Bd. I, Leipzig 1901, 79—139. 3 Isokrates und die Sokratik I, Wiener Studien 27, 1905,163—207; II, Wiener Studien 28, 1906, 1—42. t Lit. Fehden I, 264 5 Kleine Schriften I, 134 6 Wiener Studien 28, 35 7 Paideia III, Berlin 1947, 105—225 8 Redekunst und Bildung bei Isokrates, Hermes 80, 1952, 257—296 (abgedr. in: Er- ziehung und Bildung in der heidnischen und christlichen Antike, hrsg ν H.-Th Johann, Darmstadt 1976, 170—226). 9 Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, München 1977 (Übersetzung nach der 3. frz. Aufl. 1955). 2 Einleitung ungünstiges Licht zu rücken und ihn mehr oder weniger seinem glän- zenden Rivalen zu opfern. Welchen Gesichtspunkt man auch wählen mag, Macht der Anziehung, Strahlungskraft der Persönlichkeit, Reichtum des Temperaments, Tiefe des Denkens, künstlerische Vollendung, nirgends könn- te Isokrates der gleiche Rang zuerkannt werden wie Piaton ..10. Die be- grenzte Anerkennung des Isokrates als Erzieher hat zwar die ältere Vermu- tung einseitiger Abhängigkeit von Piaton und anderen zurücktreten lassen, aber doch die Möglichkeit einer ernsthaften und tiefgehenden Auseinander- setzung zwischen diesen Rivalen nicht ins Blickfeld gerückt. So stellt K. Ries in seiner stofflich sehr gründlichen Arbeit über das Verhältnis von Piaton und Isokrates, der letzten zusammenfassenden Untersuchung zu diesem Thema, Piaton eher als Richter denn als Rivalen des Isokrates dar11. In der Besprechung des Werks konstatierte W. Burkert — sicher zu Recht — eine allgemeine Resignation der neueren Forschung auf diesem Gebiet, zu genaue- ren Ergebnissen zu gelangen12. Doch die Schwierigkeit, die hier gegeben scheint, ist zu einem wesentlichen Teil in der immer noch einseitigen Bewer- tung der beiden Erzieher und der Unterschätzung der geistigen Prägnanz des Isokrates begründet. Schon die Frage nach der Beziehung der beiden Schul- häupter kann kein höheres Interesse beanspruchen, wenn man diese als letzt- lich unvergleichbar in ihrem geistigen Niveau ansieht13. So ist es wohl be- greiflich, daß es zur Zeit keine aktuelle Forschungsdiskussion zu unserem Thema gibt. Die vorliegende Arbeit geht nicht von der heute im großen vorgegebenen Gesamtbeurteilung des Erziehers Isokrates aus, sondern macht neben seinen Kontroversen seine grundsätzliche philosophische Position selbst zum Ge- genstand der Untersuchung. Es wird zu zeigen sein, daß er fortlaufend zu den einflußreichen Denkern seiner Zeit Stellung genommen hat, und die Be- trachtung seiner Polemik wird sich als der Weg erweisen, seine Erziehungs-, Staats- und Gesellschaftslehre besser zu erkennen. Dabei wird eine Ausein- andersetzung grundsätzlicher Art mit nachhaltigen Auswirkungen audi auf Pia ton sichtbar werden. Die weitgehend unerkannte Sozialphilosophie des Isokrates und sein Verhältnis zu Piaton und zu anderen Erziehern stellen da- her die beiden miteinander verbundenen Hauptthemen dieser Arbeit dar. Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, 160. 11 Isokrates und Piaton im Ringen um die Philosophia, Diss. München 1959; dort (10 fi.) auch ein Abriß der Forschungsgeschichte. — Zu seiner Beurteilung von Piaton und Isokrates vgl. 168 ff., audi 129 ff. 12 Gnomon 33, 1961, 349. — Audi Marrou, Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum, 179, drückt seine Skepsis über die Möglichkeit aus, die Geschichte der Be- ziehungen von Piaton und Isokrates aufzuzeigen. υ Vgl. Burkert, Gnomon 33, 1961, 353 f.: „ . es steht zu befürchten, daß in unserer Wirklichkeit Piaton dem Isokrates weit radikaler unterliegt, als im geistigen Bereich Isokrates dem Piaton unterlag. Daß Piaton als Denker gegenüber Isokrates schlecht- hin inkommensurabel ist, steht außer Frage; "