Andrea D. Bührmann Intersectionality – ein Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma? Tendenzen, Herausforderungen und Perspektiven der F orsc hu ng üb er Inte rsektio nalitä t 1 Zusammenfassung Summary Die sozialwissenschaftlich orientierte Frauen- Intersectionality – a research fi eld on the way und Geschlechterforschung kann im deutsch- to becoming a paradigm. Tendencies, chal- sprachigen Raum auf eine mehr als 30-jährige lenges and perspectives of the research about Geschichte zurückblicken. Sie ist fraglos auf intersectionality dem Weg, sich als ‚normale‘ wissenschaftlic he Disziplin zu etablieren. Jedoch können auch In the German speaking world gender stu- Tendenzen einer fundamentalen Hinter fra- dies have already a history of more than 30 gung der Kategorie Geschlecht selbst kons - years. Thus, it is beginning to become a nor- tatiert werden. So stellt sich derzeit die Frage, malised form of social science. But we can ob sich die Geschlechterforschung in Zukunft also state tendencies to question the gender darauf konzentrieren sollte, Prozesse der ge- category. Therefore, the question arises wh- schlechtlichen Differenzierung zu beobachten, ether gender studies should concentrate on oder ob ihr Wissen über die Geschlechter- observing processes of differences, or should differenzierung als Ausgangspunkt für eine it use know ledge about gender as a starting Forschung über gesellschaftlic he Differenzie- point to do research on societal processes of rungsprozesse dienen sollte. Die letztere Pro- differentiating. The latter has been discussed blemstellung wird auch unter dem Stichwort under the label ’intersectionality‘. This essay Intersektionalität diskutiert. Der Beitrag fragt asks whether research on intersectionality mit Blick darauf, ob es sich bei der Intersek- has already become a new paradigm or re- tionalitätsforschung schon um ein neues Para- mains a research fi eld. The discussion of the digma handelt oder noch um ein Forschungs- problem is based on theoretical debates and feld. Diese Fragestellung wird ausgehend von empirical studies about intersectionality. Fol- den aktuellen theoretisch-konzeptionellen De- lowing from this current challenges and per- batten und empirisch-prakt ischen Forschungs- spectives of intersectionality research will be bemühungen um Intersektionalität diskutiert. sketched out. Abschließend werden die aktuellen Herausfor- derungen und Perspektiven der Intersektiona- Keywords li tätsforschung, die auch dazu beitragen Intersectionality, social research, gender stu- könn ten, dass diese sich von einem umkämpf- dies, methodology, research on differences ten Feld zu einem Paradigma (der Geschlech- terforschung) formieren kann, skizziert. Schlüsselwörter Intersektionalität, Sozialforschung, Frauen- und Geschlechterforschung, Methodologie, Differenzierungsforschung 1 Bei der Abfassung des Beitrags waren Diskussionen mit vielen Kolleginnen und Kollegen in Müns- ter und Berlin sehr hilfreich. Besonders bedanken möchte ich mich bei meinen Studierenden und Promovierenden der Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Wien. Während meiner dortigen Gastprofessur im Studienjahr 2008/9 regten sie immer wieder mein Nachdenken über Intersektionalität durch ihre insistierenden Fragen und klugen Kommentare an. GENDER Heft 2 | 2009, S. 28–44 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 2288 0099..1122..22000099 1100::1111::0088 Intersectionality – ein Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma? 29 1 Was kommt nach der Genderforschung? Die sozialwissenschaftlich orientierte Frauen- und Geschlechterforschung kann im deutschsprachigen Raum auf eine mehr als 30-jährige Geschichte zurückblicken. Sie hat eigene Denktraditionen ausgebildet und wird bereits mit ihrer eigenen Wirkungs- geschichte konfrontiert. Dies führt zunehmend auch zu einer Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen und zu einer kritischen Selbstthematisierung als Disziplin. Seit Beginn der 1990er Jahre sind diverse Einführungen vorgelegt und neben einer Lehr- buchreihe auch drei Handbücher publiziert worden. Viele dieser Publikationen sind mittlerweile in der zweiten Aufl age erschienen. Die Nachfrage nach Literatur über die Geschlechterforschung ist groß. Gleichzeitig ist aber auch zu beobachten, dass die Nachfragen an die Kategorie Geschlecht selbst zunehmen. Dabei wird Geschlecht als historisch konstruierte Kategorie verstanden. So rückt die Geschlechterforschung dezidiert von einer essentialisierenden bzw. substan- zialisierenden Betrachtung der Kategorie Geschlecht ab. Geschlecht und Geschlecht- lichkeit werden nun aus der Perspektive eines „under construction“ (Helduser et al. 2004) betrachtet. In sozial-, de- und auch poststrukturalistischer Perspektive sind die Konstruktionsprozesse von Geschlecht und Geschlechtlichkeit rekonstruiert und nach ihren sozialen Implikationen befragt worden. Damit steht die Geschlechterforschung vor einer paradoxen, ja vielleicht krisenhaf- ten Situation: Sie ist zweifellos auf dem Weg, sich als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren. Gleichzeitig nehmen aber auch die Nachfragen an die Kategorie Geschlecht selbst zu. Deshalb stellt sich in der Tat die Frage: „Was kommt nach der Genderfor- schung?“ (Casale/Rendtorff 2008). Derzeit konzentrieren sich die Antwortversuche auf diese Frage um zwei Pole: Auf der einen Seite interessieren sich einige – wie etwa Stefan Hirschauer (2003) oder auch Regine Gildemeister et al. (2003) – vor allem dafür, die interaktive Herstellung von Geschlechterdifferenzierungen zu beobachten. Auf der anderen Seite schlagen andere – wie etwa Wendy Brown (1997) oder Renate Hof (1995) – vor, die Kategorie Ge- schlecht als Ausgangspunkt für eine Erweiterung der Geschlechterforschung im Sinne einer grundlegenden Forschung über Differenzen zu betrachten. Dabei geht es darum, nach Differenzen und Differenzierungen zwischen unterschiedlichen ungleichheitsge- nerierenden Kategorien zu fragen und das Know-how der Geschlechterforschung als Fundament für einen solchen Perspektivwechsel zu nutzen.2 In diesem Kontext wird seit einiger Zeit auch über Intersektionalität3 als Forschungsperspektive diskutiert. 2 Krell et al. (2007) favorisieren die inter- bzw. transdisziplinär angelegten Diversity Studies, die sich insbesondere für die Meso-Ebene interessieren. 3 Im Folgenden wird Intersektionalitätsforschung vor allem unter zwei Aspekten betrachtet: im Sinne einer Forschung über theoretische Fragen der Intersektionalität und im Sinne einer Erfor- schung intersektionaler Konnexionen als Anwendung intersektionaler Forschungsperspektiven. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 2299 0099..1122..22000099 1100::1111::1133 30 Andrea D. Bührmann 2 Aktuelle Tendenzen der Intersektionalitätsforschung Während es um die Erforschung der Geschlechterdifferenzierung ruhiger wird, scheint die Debatte um eine Weiterentwicklung der Geschlechter- zur Differenzierungsfor- schung, insbesondere aber die Diskussion über Intersektionalität geradezu zu explodie- ren. Intersektionalität gilt als „buzzword“ (Davis 2008a) bzw. „catch-all phrase“ (Lenz 2007). Ja, seit einigen Jahren ist die Rede von einer „paradigmatischen Neuorientie- rung“ (Klinger/Knapp 2007: 35)4 oder einem „Paradigmenwechsel“ (Hardmeier/Vinz 2007: 25) der Geschlechterforschung (vgl. Winker/Degele 2009: 10) in Richtung der In- tersektionalitätsforschung. Ein Blick in einschlägige Bibliografi en macht deutlich, dass Intersektionalität zunehmend in Debatten über Bürgerrechte auftaucht. Das Konzept wird hier genutzt, um gegen Diskriminierungen dieser Personen(-gruppen) vorzugehen und ihre Gleichberechtigung einzufordern. Auf der anderen Seite wird aber auch in aka- demischen Debatten immer häufi ger über Intersektionalität diskutiert. Hier geht man davon aus, dass insbesondere Prozesse einer fortschreitenden Globalisierung der Wirt- schaftsströme und Transnationalisierung der Lebenswelten ebenso vielschichtige wie tief greifende Transformationen in den Verhältnissen zwischen Klasse, Ethnizität/Rasse5 und Geschlecht bewirken. Deshalb müssten Zeitdiagnosen ihre theoretischen wie kate- gorialen Konzeptionen erweitern, um diese Transformationen adäquat beschreiben zu können (vgl. Aulenbacher 2007; Becker-Schmidt 2007). Die Geschlechterordnung ist also sowohl auf der Ebene der gesellschaftlichen Ent- wicklungen als auch auf der Ebene der alltagsweltlichen Erfahrungen von Ungleichheit ordentlich in Unordnung geraten und viele ringen engagiert um Antworten auf diese fundamentalen Herausforderungen. Aus der Sicht einer re-konstruktiven (Diskurs-)For- schung ist dieses Ringen nun nicht als eine langsame Annäherung an die eine Wahrheit über das Phänomen Intersektionalität zu verstehen. Vielmehr kann es als das Zusammen- spiel bisher noch nicht abschließend geregelter Aussagepraktiken betrachtet werden, die ihre je eigenen ‚Wahrheiten‘ hervorbringen, verstetigen oder verändern. In diesem Sinne scheint sich seit einigen Jahren Intersektionalität zu einem mehr oder weniger fest um- rissenen eigenen (Forschungs-)Feld im unübersichtlichen Terrain der vielfältigen Theo- rieperspektiven und Methoden in den Sozialwissenschaften und vor allen Dingen in der Geschlechterforschung entwickelt zu haben. Damit kann die Intersektionalitätsforschung zumindest noch nicht als eigenständiges integriertes Paradigma im Sinne Thomas Kuhns (1967) verstanden werden: Sie befi ndet sich vielmehr in einem vor-paradigmatischen Zustand – und es ist natürlich fraglich, ob sie zum Paradigma aufsteigt.6 4 Vgl. Degele/Winker 2007: 1. 5 In der deutschsprachigen Literatur fi ndet sich der Begriff ‚Rasse‘ mit Rücksicht auf die NS-Vergan- genheit vielfach in Anführungszeichen. Alternativ wird der englische Begriff ‚race‘ verwendet. Hier bestehen allerdings Übersetzungsprobleme: Während ‚race‘ aktuell oft als kulturelle Kategorie verstanden wird, wird der Begriff ‚Rasse‘ meist als biologische Kategorie verwendet. Bisweilen wird auch nicht von ‚Rasse‘ oder ‚race‘ gesprochen, sondern der Begriff mit dem Wort ‚Ethnizität‘ umschrieben. Da jedoch in diesem Zusammenhang mit der Kategorie ‚Rasse‘ ihre gewaltförmige Naturalisierung und Hierarchisierung und damit Prozesse der Exklusion und Unterdrückung be- schrieben werden, wird im Folgenden die Kombination Rasse/Ethnizität verwendet. 6 Hier soll selbstverständlich nicht vorausgesetzt werden, dass die Intersektionalitätsforschung zu einem Paradigma aufsteigen müsste. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3300 0099..1122..22000099 1100::1111::1133 Intersectionality – ein Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma? 31 Nun gibt es mit Blick auf ein mögliches Paradigma Intersektionalitätsforschung zwar insbesondere in den USA, aber zunehmend auch im deutschsprachigen Raum schon einige ‚Bekehrte‘. Sie versuchen in unterschiedlichen Publikationen, andere For schende für die Intersektionalitätsforschung zu ‚rekrutieren‘.7 Hier kann aber noch kaum auf wissenschaftliche Lehr- und Handbücher, gemeinverständliche Darstellungen oder philosophische Arbeiten zur Intersektionalitätsforschung zurückgegriffen werden. Dieser weitgehende Mangel an ‚glaubwürdigen Quellen‘ geht vor allem auf drei Momente zurück: • das Fehlen einer allgemein geteilten Narration über die Formierung der Intersektio- nalitätsforschung, • das Fehlen eines klar umrissenen Forschungsgegenstandes und Begriffsarsenals so- wie • das Fehlen einer kohärenten methodisch-methodologischen Forschungsausrichtung. Im Folgenden wird das Feld der Intersektionalitätsforschung mit Blick auf diese drei Momente vorgestellt. Dabei soll in groben Linien ein Porträt der Intersektionalitätsfor- schung gezeichnet werden. Abschließend werden die aktuellen Herausforderungen und Perspektiven der Intersektionalitätsforschung, die dazu beitragen (könnten), dass sich diese von einem umkämpften Feld zu einem Paradigma (der Geschlechterforschung) formieren könnte, skizziert. 2.1 Das Fehlen eines allgemein geteilten Gründungsnarrativs Die Frage, wann, wo, durch wen, weshalb und wie sich eigentlich die Intersektionalitäts- forschung formiert hat, wird kontrovers diskutiert. Dies hängt nicht zuletzt damit zusam- men, dass man sich nicht einig darüber ist, ob es sich dabei um eine substanziell neue Forschungsperspektive handelt oder ‚alter Wein in neuen Schläuchen‘ ‚verkauft‘ wird. Viele gehen davon aus, dass schwarze Frauen in den USA als Erste Theorien und Praktiken eingefordert haben, die die Kategorien Rasse/Ethnizität und Geschlecht konstitutiv miteinander verbinden. Sie führen den Ursprung der Intersektionalitätsfor- schung vor allem auf die Aktivitäten des 1974 gegründeten „Cobahee River Commi- tees“ zurück. Schwarze Frauen forderten in einer Erklärung die integrierte Betrachtung unterschiedlicher konstitutiv aufeinander verwiesener Diskriminierungsformen und -anlässe, anstatt etwa die Diskriminierung als Frau und als Schwarze aufzuaddieren. So argumentierten schon früh Floya Anthias und Nira Yuval-Davies (1983) gegen einen additiven ‚multi oppression‘-Ansatz (West/Fenstermaker 2002). Stattdessen plädierten sie für einen konstitutiven Ansatz, der berücksichtigt, dass Menschen in ihrer konkreten empirischen Lebensführung immer sich selbst und andere in und über unterschiedliche soziale Dimensionen er-leben (vgl. Combahee River Collective 1982: 21). Den Begriff Intersektionalität selbst prägte Kimberlé Crenshaw. Sie erläutert ihn folgendermaßen: „Consider an analogy to traffi c in an intersection, coming and going in all four directions. Discrimina- tion, like traffi c through an intersection, may fl ow in one direction, and it may fl ow in another. If an ac- 7 Vgl. Andersen/Collins 2009; Klinger/Knapp/Sauer 2008; Krell et al. 2007; Brah/Phoenix 2004; Wal- genbach et al. 2007; Winker/Degele 2009. Zudem sind einige Themenhefte erschienen: „Euro- pean Journal of Women’s Studies“ 2006; „Querelles-Net“ 2008. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3311 0099..1122..22000099 1100::1111::1133 32 Andrea D. Bührmann cident happens in an intersection, it can be caused by cars traveling from any number of directions and, sometimes, from all of them. Similarly, if a Black woman is harmed because she is in the intersection, her injury could result from sex discrimination or race discrimination.“ (Crenshaw 1989: 149) Andere Forscherinnen plädieren zwar auch für eine konstitutive Perspektive auf die Er- forschung von Verknüpfungen, Interferenzen, Wechselwirkungen, Vermittlungen etc., kurz: von Konnexionen zwischen Ungleichheitskategorien (vgl. Klinger/Knapp 2007; Winker/Degele 2009), und erwähnen vielfach auch das eben skizzierte Gründungsnar- rativ. Jedoch teilen sie nicht die Überzeugung, Intersektionalitätsforschung hätte hier ihren Ursprung. Vielmehr verweisen sie auf eine lange vor den 1970er Jahren bestehen- de Tradition intersektionaler Forschung. Das heißt: Hier wird weniger ein Ursprung be- stimmt, sondern nach der Herkunft gefragt.8 So konstatiert etwa Katharina Walgenbach „vielfältige[n] Genealogien“ (Walgenbach 2007: 25) der Debatten um Intersektionalität. Denn die alte Frauenbewegung und die kulturwissenschaftliche Frauenforschung hätten schon früh den Zusammenhang zwischen Geschlecht und Klasse, aber auch zwischen Lebensweise und Klassenherkunft politisch thematisiert und theoretisch refl ektiert (vgl. Bührmann 2004). Walgenbach spricht deshalb von einer „besonderen Qualität“ der akademischen und politischen Interventionen Schwarzer Feministinnen ab den 1970er Jahren.9 Nancy Fraser macht einen Wechsel von den „Differenzen unter Frauen“ zu „vielfältigen, sich überschneidenden Differenzen“ (2001: 262) aus. In ähnlicher Weise argumentiert auch Gudrun-Axeli Knapp. Sie erkennt „perspektivische Verschiebungen“ und „Erweiterungen“, „nicht aber eine neue Agenda“ (2008: 48). Obwohl also immer mehr ForscherInnen vor allen Dingen auf das Gründungsnarra- tiv vom Combahee River verweisen, besteht dennoch keine Einigkeit darüber, ob es sich bei Intersektionalitätsforschung um eine grundsätzliche, neue theoretische oder empi- risch-praktische Perspektive handelt. Breiter Konsens herrscht jedoch darüber, dass eine rein additive Perspektive auf die Erforschung der Konnexionen unterschiedlicher Kate- gorien zugunsten einer konstitutiven Betrachtung abzulehnen ist. 2.2 Das Fehlen eines deutlich umrissenen Gegenstandsbereichs und Begriffsarsenals Sibylle Hardmeier und Dagmar Vinz haben hervorgehoben, dass „(e)mpirische und/oder sozialwissenschaftliche Analysen der Intersektionalität […] bisher noch Mangelware“ sind und dass sie „mehr nachgefragt […] als realisiert“ (2007: 25) werden. Gleichwohl lassen sich derzeit schon (mindestens) vier zentrale Diskursstränge10 unterscheiden, de- 8 Dabei wird hier die Bestimmung eines Ursprungs als Suche nach dem Wesen von etwas verstan- den, das zu einem bestimmten Zeitpunkt auftaucht und sich dann entfaltet. Demgegenüber be- tont die Suche nach der Herkunft, dass etwas im komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken hervorgebracht wird. Zur näheren Unterscheidung von Ursprung und Herkunft vgl. auch Foucault 1991. 9 Walgenbach tritt dafür ein, die Perspektive der Intersektionalität und die Kritik an der Gleichset- zung von Frauen als weiße Frauen von einer bisher marginalen zu einer zentralen Analyseperspek- tive zu machen. Damit stünde Intersektionalitätsforschung in der Traditionslinie des ‚multiracial‘-, ‚multicultural‘- oder auch ‚post-colonial‘-Feminismus. 10 Der Begriff Diskursstrang bezeichnet hier einen thematischen Fragen- bzw. Problemkomplex, nicht einen spezifi schen Forschungsansatz. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3322 0099..1122..22000099 1100::1111::1133 Intersectionality – ein Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma? 33 ren theoretische Erkenntnisse und empirisch-praktische Befunde bisher allerdings kaum miteinander vermittelt worden sind. Ein Diskursstrang interessiert sich primär für die ungleichheitsgenerierenden Fol- gen sozialer Strukturkategorien und ihr wechselseitiges Zusammenwirken. Es geht darum, die strukturellen Merkmale patriarchaler Kultur, nationaler Verfasstheit und ka- pitalistischer Wirtschaftsweise nicht isoliert, sondern in ihren spezifi schen Strukturzu- sammenhängen zu konzipieren und so deren Hervorbringung, Persistenzen und Trans- formationen zu begreifen (vgl. Knapp 2005: 77). Zugleich werden Aktivitäten sozialer Bewegungen daraufhin befragt, wie sie mit den gegenseitigen Bedingt- und Verwoben- heiten der von ihnen bekämpften strukturellen Diskriminierungen umgehen (vgl. Lenz/ Ulrich/Fersch 2007; Hartmann et al. 2007; Marx Ferree/McClurg Mueller 2006; Dege- ner/Rosenzweig 2006). In den Debatten der internationalen Frauenrechtspolitik kursiert Intersektionalität so als Konzeption, auf die sich inzwischen zahlreiche Institutionen und Nichtregierungsorganisationen im globalen Kontext beziehen. Für diese makrosoziologische Ebene, auf der vornehmlich interkategorial geforscht wird, gehen Klinger und Knapp – wie übrigens viele andere11 – davon aus, „dass die Trias Klasse‚ ‚Rasse‘, Ethnizität […] und Geschlecht Verhältnisse bezeichnet, die auf ebenso unterschiedliche wie nachhaltige Weise die Ungleichheitsstruktur nahezu aller Gesellschaften prägen“ (Klinger/Knapp 2007: 20). Kritisiert wird, dass die untersuch- ten Kategorien vielfach nur als distinkte Einheiten verstanden werden, anstatt deren wechselseitige Interdependenzen zu erforschen. Auf der Ebene von Organisationen und Institutionen fragt man zudem nach den Wechselwirkungen unterschiedlicher Struktur- kategorien. Hier liegen neben vereinzelten Untersuchungen über die schulische Sozia- lisation und die betriebliche Organisation als Ungleichheitsregime einige Studien zum Diversity Management vor (vgl. Acker 2006; Belinzki/Hansen/Müller 2003; Bilden/ Dausien 2006; Morris 2007; Krell et al. 2007). Insbesondere Knapp (2005) und Sauer (2007) kritisieren an dieser Stelle, es würden – wenn auch nicht immer – allzu sehr die bestehenden Ungleichheiten zwischen Menschen positiviert, um diese letztlich im Rahmen eines Managing Diversity im Sinne einer ‚Ökonomisierung des Anderen‘ wirt- schaftlich nutzbar zu machen.12 Stattdessen gehe es darum, diese Ungleichheitsrelatio- nen und ihre gesellschaftlichen Entstehungsbedingungen wie Beharrungskräfte selbst zu erforschen. Dabei wird nicht nur eine stärkere gesellschaftstheoretische Orientierung eingefordert, sondern auch darauf verwiesen, dass Kategorien der Fremd- und Selbstbe- schreibung über unterschiedliche soziale Praktiken hervorgebracht und beständig (re-) konstruiert werden (vgl. Klinger/Knapp: 2007). Ein zweiter Diskursstrang legt den Fokus auf mikrosoziologische Aspekte (vgl. Da- vis 2008b; zur Kritik vgl. insb. Soiland 2008). Dabei interessiert man sich zwar auch für spezifi sche soziale Settings oder ideologische Konstruktionen sowie Interaktionen zwischen unterschiedlichen Individuen.13 Im Mittelpunkt stehen aber ausgehend von 11 Diese Trias wurde ursprünglich konzipiert, um die Sozialstruktur der US-amerikanischen Gesell- schaft zu erfassen. In diesem Sinne spricht Evelyn Glenn hier auch von ‚anchor points‘ (Glenn 2002: 14). Ähnlich argumentierten bereits Claudia Rademacher und Peter Wiechens (2001). 12 Vgl. zur Kritik an dieser Kritik Krell et al. 2007: 12f. 13 Hier stehen intra-kategoriale Fragestellungen im Zentrum. Dabei geht es um die Erforschung der Kon- fi gurationen verschiedener Dimensionen unterschiedlicher Kategorien (vgl. McCall 2005: 1781). Vgl. dazu auch etwa Collins Hill 2000; Welsh et al. 2006; Fraser/Gordon 1998; Gray 2006; Kennedy 2005. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3333 0099..1122..22000099 1100::1111::1133 34 Andrea D. Bührmann Antidiskriminierungspolitiken Fragen der individuellen Identitätsbildung, vielfach auch einzelne biografi sche Fallstudien (vgl. Soiland 2008). Es geht darum zu erforschen, wie unterschiedliche Ungleichheitskategorien – so kann man in den einschlägigen Studien nachlesen – ‚aufeinander einwirken‘, miteinander ‚vermittelt‘ sind oder ‚interferieren‘ (vgl. Crenshaw 1994; Lutz 2002; Lutz/Davis 2005; Gutierrez Rodriguez 1996). Die Frage, wie dieses ‚wie‘ erforscht werden soll, bleibt allerdings zumeist ungeklärt. Es scheint kein Zufall, dass mit Blick auf die immer häufi ger diskutierten Begren- zungen eindimensionaler Forschungszugänge, die entweder auf die Makro- oder die Mikroebene fokussieren, intermediäre Forschungszugänge, die zwischen Struktur und Handlung zu vermitteln versuchen, verstärkt rezipiert werden.14 In diesem Kontext macht Dagmar Vinz (2008) auf die Relevanz von Organisationen bei der (Re-)Produk- tion gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse aufmerksam. Am Beispiel der ‚care economy‘ verdeutlicht sie, dass refl ektierte Strategien des Diversity Managements (vgl. Belinzki/Hansen/Müller 2003) durchaus dazu beitragen könnten, bestehende Ungleich- heitslagen zu destabilisieren. Ihr geht es darum, das Potenzial von Intersektionalität für eine produktive Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen und Zugänge zu öffnen. Doch bleibt auch in diesen theoretischen Zugängen bisher die Frage offen, wie eigent- lich Normen, Werte, Ideologien, aber auch Deutungsmuster und -kategorien, gesell- schaftlich (re-)konstruiert werden, sodass sie etwa für die individuelle oder kollektive Identitätsbildung relevant werden können. Mit dieser Frage setzt sich ein vierter Diskursstrang der Intersektionalitätsforschung auseinander, der quer zu den anderen Strängen verläuft. Hier geht es um die Ebene der symbolischen Ordnung und die (Re-)Konstruktion individueller wie kollektiver Deu- tungsmuster und -kategorien in ihrer Verwobenheit.15 Dabei werden Kategorien als in- terdependent nicht nur in ihren gesellschaftlichen Wirkungen, sondern auch in ihrer Genese betrachtet (vgl. Dietze et al. 2007). Es wird davon ausgegangen, dass Menschen in eine Vielfalt von sozialen Relationen eingebettet sind und dadurch ihre Identität über ein sich permanent veränderndes, teils auch widersprüchliches Ensemble von Subjek- tivationen artikulieren (vgl. Mouffe 1992; Flores 2000). Wie und welche Kategorien in welchen Konfi gurationen miteinander in den individuellen Lebensführungen und -ge- staltungen verknüpft sind, das bleibt zu klären. Festzuhalten ist, dass verschiedene thematische Diskursstränge auf unterschiedlichen Forschungsebenen ausgemacht werden können: Patricia Hill Collins hat mit Blick darauf schon 1993 vorgeschlagen, für die makrosoziologische Ebene von ‚interlocking structu- res of oppression‘ zu sprechen und für die Mikroebene den Begriff ‚intersectionality‘ zu reservieren. Dabei geht es einmal um Erfahrungen von Diskriminierung und/oder Privile- gierung und zum anderen um gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse, deren Interdependenzen wie deren Folgen. Unklar ist freilich noch, wie diese unterschiedlichen Forschungsebenen eigentlich genau aufeinander bezogen werden sollen und wie diese 14 Derzeit genießt hier insbesondere Bourdieus Habitus-Theorie besondere Aufmerksamkeit in der sozialwissenschaftlichen Diskussion. 15 McCall spricht in dieser Perspektive auch von einem anti-kategorialen Zugang. Die Bezeichnung ist nicht glücklich gewählt, da es hier nicht darum geht, Kategorien, deren Existenz oder gar Wirksamkeiten zu bezweifeln, sondern vielmehr darum, nach ihrer Genealogie und Archäologie zu fragen, um dann ihre höchst materiellen Effekte, ihre Persistenzen, aber auch möglichen Trans- formationen zu erforschen. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3344 0099..1122..22000099 1100::1111::1144 Intersectionality – ein Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma? 35 Interdependenzen dann zu erforschen sind. Klar ist aber: Bei der Intersektionalitätsfor- schung geht es um die Erforschung kategorialer Konnexionen auf unterschiedlichen, von- einander zu unterscheidenden Ebenen, deren spezifi sche Vermittlungen auszuloten sind. 2.3 Das Fehlen einer kohärenten methodisch-methodologischen Forschungsausrichtung Wie also sollen diese kategorialen Konnexionen intersektional erforscht werden? Auch diese Frage wird kontrovers diskutiert. Dafür gibt es wohl vor allen Dingen zwei Gründe: Erstens besteht noch kein Konsens darüber, welche Konnexionen zwischen wel- chen Kategorien zu erforschen sind. Zwar wird in der Regel in makrosoziologischen Studien die Kategorientrias Geschlecht, Rasse/Ethnizität und Klasse als zumindest ‚pro- visorisch‘ relevant unterstellt. Aber in methodologischer Perspektive steht noch eine Diskussion darüber aus, ob und wenn welche anderen Kategorien wichtig sein und wel- che wie wirken könnten.16 Dieser Diskussionsbedarf fi ndet sich auch in Studien zur Mesoebene (vgl. Acker 2006). Andere fragen, ob, inwiefern und welche Sozialstrukturkategorien auf der Mikro- ebene wirken. Den bisher ambitioniertesten Vorschlag hat Helma Lutz (2002) gemacht: Sie identifi ziert insgesamt 13 unterschiedliche Differenzierungslinien, die sie allerdings bei Weitem nicht für komplett hält. Diese Unabgeschlossenheit hat im Grunde schon Judith Butler in Gender Trouble thematisiert. Dort fragt sie: „Theories of feminist identity that elaborate predicates of colour, sexuality, ethnicity, class and able- bodiedness, invariably close with an embarrassed ‚etc’, at the end of the list. Through this horizontal trajectory of adjectives these positions strive to encompass a situated subject, but invariably fail to be complete. This failure, however, is instructive: what political impetus is to be derived from such exasper- ated ‚etc.’ that so often occurs at the end of lines?“ (Butler 1990: 143) Butler hinterfragt also, dass bestimmte Kategorien unabhängig von historisch-konkreten Situationen relevant sein können, und betont den ‚Zwangscharakter‘ solcher Identifi zie- rungen. In dieser Perspektive argumentiert im Grunde auch Doerte Staunaes und erklärt: „Before we draw on our knowledge of large-scale background variables we must ‚wait and see’“ (Staunaes 2003: 105). Wieder andere machen darauf aufmerksam, dass Butlers Kritik nur in Bezug auf Identitätspolitiken greife: Wenn nämlich Verknüpfungen zwischen Makro- und Mi- kroebene angesprochen würden, gehe es darum, die historischen Konstruktionen fak- tischer Differenzierungen zu analysieren und ihre Effekte zu kontextualisieren und zu historisieren. Ansonsten drohe man in endlose Prozesse der Signifi kationen zu geraten. Deshalb plädieren Klinger und Knapp (2007: 20) nicht nur – wie bereits erwähnt – für eine Relevantsetzung der Kategorientrias Klasse, Geschlecht und Ethnizität/Rasse in modernen ausdifferenzierten Gesellschaften. Sondern sie schlagen eine „heuristische Symmetrierung der drei zentralen Achsen der Ungleichheit“ entlang der Kategorien Ge- schlecht, Klasse und Ethnizität/Rasse vor. Sie soll als historisch „begründete(n) ‚Aus- gangssetzung‘ “ (Klinger/Knapp 2007: 21) auf makro- wie mikrosoziologischer Ebene 16 Winker/Degele (2009) schlagen das Quartett Geschlecht, Klasse, Rasse und Körper als relevante Kategorien vor. GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3355 0099..1122..22000099 1100::1111::1144 36 Andrea D. Bührmann dienen, um „vorschnelle Gewichtungen bzw. Hierarchisierungen zu vermeiden und den Blick auf die je spezifi sche Verfasstheit der Strukturzusammenhänge von „race/ethnici- ty, class, gender‘ offen zu halten“.17 Gleichwohl gilt die Trias als Kern gesellschaftstheoretischer Refl exionen über In- tersektionalität. Damit wird aber die Symmetrisierung der Trias, nicht ihre Relevantset- zung selbst als Provisorium behandelt. Vermittelnd zwischen beiden Positionen argu- mentiert schließlich Leslie McCall. Sie erläutert, der intersektionale Ansatz „requires that scholars provisionally adopt analytical categories to document relationships of in- equality among social groups and changing confi guration of inequality along multiple and confl icting dimensions“ (McCall 2005: 1773).18 Der zweite Grund betrifft die Methoden der intersektionalen Forschungspraxis. Zwar präsentierte McCall auf der Makroebene einen inter-kategorialen Ansatz, den sie am Beispiel einer Analyse von regionalen Lohnungleichheiten in den USA illustriert.19 Joan Acker geht davon aus, dass in Organisationen Regime der Ungleichheit wirken, die sie „as loosely interrelated practice, processes, actions, and meanings that result in and maintain class, gender and racial inequalities within particular Organizations“ (Acker 2006: 442) bestimmt. Beide Vorschläge sind aber noch nicht auf ihre Tragfähigkeit für andere makrosoziologische oder institutionentheoretische Fragestellungen empirisch- praktisch ausgelotet worden. Darüber hinaus scheint das bereits erwähnte ‚Etc.-Problem‘ bisher noch nicht be- friedigend gelöst. Zuletzt haben Degele und Winker (2007, 2009) vorgeschlagen, das Problem induktiv anzugehen. Dabei gehen sie in ihrem praxeologischen Intersektio- nalitätsansatz auf der Mikroebene von den faktischen Selbstbeschreibungspraxen der Individuen aus und beschreiben so die Interdependenzen zwischen unterschiedlichen Kategorien. Degele und Winker machen darauf aufmerksam, dass die Relevanz von Kategorien vom Untersuchungsgegenstand und von der jeweiligen Untersuchungsebe- ne abhängt. Auf dieser Folie zielen sie darauf ab zu erforschen, in welche Strukturen und symbolischen Zusammenhänge soziale Praxen eingebunden sind und wie sie Iden- titäten hervorbringen bzw. verändern. Ilse Lenz schlägt schließlich vor, Prozesse der kulturellen und interaktiven Herstellung von Geschlecht mit der Strukturierung sozialer Verhältnisse zusammen zu denken (2007: 101). Dabei wechselt sie die Analyserichtung. Dies impliziert einmal, dass Ansätze angewendet werden, die Prozesse und Effekte von Ungleichheiten und/oder Egalisierungen empirisch beobachtbar machen können, und zum anderen, dass diese Prozesse nicht von vornherein mit einer bestimmten Kategorie in Verbindung gebracht, also beispielsweise vergeschlechtlicht oder ethnisiert, werden. Lenz entwickelt in der Folge eine komplexe Frageheuristik, die es ermöglichen soll, ‚Ungleichheiten und Egalisierungen offen zu denken‘. Offen bleibt jedoch, wie deren unterschiedliche Fragen selbst empirisch-konkret erforscht werden sollen. In Bezug auf die Frage, mithilfe welcher Verfahren und auf der Grundlage wel- cher Methodologien intersektional geforscht werden könnte, liegen also erst vereinzelte Vorschläge vor, deren Produktivität noch nicht systematisch ausgelotet ist. An dieser 17 Zudem kritisiert Mieke Verloo (2006: 217) eine Gleichsetzung von Unterschieden. 18 Vgl. Staunaes 2003: 101. 19 Mittels einer differenzierten Subgruppenanalyse in linearen Modellen wie der Regression erforscht sie dabei die Relevanz unterschiedlicher Sozialstrukturkategorien für das Maß der Lohnungleich- heit (vgl. Steinbugler/Press/Dias 2006). GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3366 0099..1122..22000099 1100::1111::1144 Intersectionality – ein Forschungsfeld auf dem Weg zum Paradigma? 37 Stelle kann eine „metatheoretisch-methodologische Theorie-Baustelle“ (Knapp 2008: 44) konstatiert werden. Einigermaßen breiter Konsens besteht darüber, die kategorialen Konnexionen als Provisorium zu verstehen. 3 Perspektiven und Herausforderungen Ein Blick auf das hier skizzierte Porträt der empirisch-praktischen Intersektionalitäts- forschung und die darum kreisenden theoretisch-konzeptionellen Debatten verdeutlicht: Die Forschung über Intersektionalität hat sich bisher noch nicht als neues Paradigma etablieren können. Zwar liegen schon einige empirische Studien und theoretische Texte vor, aber bislang fehlen noch weitgehend ‚allgemeinverständliche Einführungen‘ sowie andere ‚glaubwürdige Texte‘. Dies habe ich auf das Fehlen eines allgemein geteilten Gründungsnarrativs, eines spezifi schen methodisch-methodologischen Vorgehens und eines präzise bestimmten Gegenstandes zurückgeführt. Es existiert derzeit ein System pluraler, konkurrierender Forschungsansätze, die ein grundlegendes Forschungsinteresse an kategorialen Konnexionen und deren Interde- pendenzen teilen. Gegenwärtig ist die Erforschung von und über Intersektionalität als ein umkämpftes Feld zu betrachten. Inmitten dieses Feldes scheint Intersektionalität als ‚boundary object‘ (Star/Griesemer 1989) zu ‚funktionieren‘: Es ist als Konzept vage genug, um unterschiedliche disziplinäre Sichtweisen, vor allem aus der Ungleichheits- forschung, der Migrationsforschung und der Geschlechterforschung, miteinander ins Gespräch zu bringen, aber auch konkret genug, um diese unterschiedlichen Perspekti- ven zu integrieren. Insofern erscheint die theoretische und methodisch-methodologische Unbestimmtheit des Konzepts Intersektionalität als Bedingung der Möglichkeit der For- schung über Intersektionalität. Wie könnte es gelingen, die Forschung über Intersektionalität von einem umkämpf- ten Forschungsfeld zu einem neuen Paradigma werden zu lassen? Eine Möglichkeit be- stünde sicherlich darin, die hier aufgezeigten Unbestimmtheiten nicht länger als Fehlen von ‚etwas‘ zu verstehen. Vielmehr könnten die bisher bestimmten Unbestimmtheiten als Ausgangspunkte für eine Weiterentwicklung der Intersektionalitätsforschung ge-/ benutzt werden. Paradigmatisch stünde dann anstatt eines spezifi schen Forschungsge- genstands eine Forschungsperspektive. Ein genauerer Blick auf das skizzierte Porträt der Intersektionalitätsforschung zeigt, dass gegenwärtig mindestens drei weithin anerkannte Forschungsprinzipien und -regeln herauspräpariert werden können. Diese Essentials lassen sich als vorläufi ge Vorsichtsre- gulative verstehen, die die Intersektionalitätsforschung anleiten sollten: • Regel der Konstitution: Gegen eine additive Aufrechnung unterschiedlicher Kate- gorien werden in der Forschung über Intersektionalität die Konnexionen zwischen Kategorien als konstitutiv betrachtet. Es geht darum, die Eigenständigkeiten der je- weiligen Strukturen und deren Zusammenhänge untereinander zu bestimmen. Denn Kategorien sind weder aufeinander addierbar, noch miteinander multiplizier- oder gar reduzierbar. • Regel der kategorialen Konnexion: Die so betrachteten Kategorien werden als his- torisch hervorgebracht und somit grundsätzlich kontingent begriffen. Dabei wird GENDER 2 | 2009 44--GGeennddeerr22--0099__BBüühhrrmmaannnn__002288--004444..iinndddd 3377 0099..1122..22000099 1100::1111::1144
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