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Interkulturelles Lernen in Theorie und Praxis PDF

270 Pages·2012·1.94 MB·German
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Interkulturelles Lernen in Theorie und Praxis Eine Analyse der aktuellen G8-Englischlehrwerke für die gymnasiale Oberstufe Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegt von Benjamin Becker aus Düren im April 2012 Gutachter: Prof. Dr. Heinz Antor PD Dr. Andrea Gutenberg Tag der Disputation: 11. Juli 2012 Meinen Eltern DANKSAGUNGEN Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Heinz Antor, der mir während der Promotion stets hilfreich zur Seite stand. Neben seiner wissenschaftlichen Unterstützung bin ich ihm insbesondere dankbar für das sehr herzliche und vertrauensvolle Verhältnis. meiner Zweitgutachterin PD Dr. Andrea Gutenberg, die mein Interesse an interkultureller Theorie und Praxis bereits während meiner Examensarbeit geweckt und gefördert hat. Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek und Dr. Sonja Frenzel von der Kölner Graduiertenschule Fachdidaktik, die mich als Kollegiat aufgenommen und unterstützt haben. Susanne Röltgen, die die vorliegende Arbeit in kürzester Zeit gegengelesen und mir wertvolle sprachliche sowie editorische Hinweise gegeben hat. meinen Eltern, ohne deren Liebe und Unterstützung ich nie so weit gekommen wäre. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. meiner Freundin Meike, die während der gesamten Promotion für mich da war, mich in schwierigen Zeiten aufgefangen hat und deren Zuspruch und Verständnis mich immer wieder aufs Neue motiviert haben. INHALTSVERZEICHNIS 1   EINLEITUNG 1   I   BILDUNGSTHEORIE 4   2   VORBEDINGUNGEN 4   2.1   Historische Entwicklung der interkulturellen Bildung in Deutschland   4   2.2   Begriffliche Schwierigkeiten   7   2.3   Kulturdefinitionen   8   2.4   Multikulturalität   10   2.4.1   Das Konzept der Multikulturalität   10   2.4.2   Historische Entwicklung und Leitgedanken der Multicultural Education   13   2.4.3   Kritik an Multicultural Education   14   3   INTERKULTURELLE KOMPETENZ 16   3.1   Definitionen und Grundsätze   16   3.2   Modelle zur interkulturellen Kompetenz   19   3.3   Interkulturelle Teilkompetenzen   21   3.3.1   Alteritätskompetenz   21   3.3.2   Stereotypenkompetenz   24   3.3.3   Fremdsprachenkompetenz   29   3.4   Beispiele für unterschiedliche IKK-Konzeptionen   32   3.4.1   Der Meinungsstreit zwischen Ram A. Mall und Alexander Thomas   32   3.4.2   Auernheimers heuristisches Modell zur interkulturellen Kommunikation   34   3.4.3   Byrams Modell der Intercultural Communicative Competence   38   3.5   Interkulturelles Verstehen   41   3.5.1   Gadamers philosophische Hermeneutik   44   3.5.2   Die Gießener Didaktik des Fremdverstehens   46   3.5.3   Relativismus, Universalismus und Kosmopolitanismus   48   3.6   Modelle zur Erlangung von interkultureller Kompetenz   53   4   INTERKULTURELLE BILDUNG 57   4.1   Konzeptionelle und terminologische Vorüberlegungen   57   4.2   Grundsätze und Leitgedanken   58   4.3   Ziele der interkulturellen Bildung   61   4.4   Institutionalisierung von interkultureller Bildung   63   4.5   Kritik an interkultureller Bildung   66 5   VERWANDTE DISKURSE 70   5.1   Diversity   70   5.1.1   Das Konzept der Diversity   70   5.1.2   Diversity Management   71   5.1.3   Kritik und Kontroversen   72   5.2   Transkulturalität   75   5.2.1   Das Transkulturalitätskonzept von Wolfgang Welsch   75   5.2.2   Kritik am Transkulturalitätskonzept   78   II   BILDUNGSPOLITIK 81   6   BILDUNGSPOLITISCHE VERÖFFENTLICHUNGEN 81   6.1   Europäische Perspektive: europäische Organisationen   81   6.2   Bundesdeutsche Perspektive: Kultusministerkonferenz der Länder   84   6.3   Länderperspektive am Beispiel von Nordrhein-Westfalen   90   6.3.1   Landesverfassung und Schulgesetz   90   6.3.2   Richtlinien und Lehrpläne: Aktuelle Tendenzen   92   6.3.3   Richtlinien und Lehrpläne in Nordrhein-Westfalen   95   III   BILDUNGSPRAXIS 99   7   LEHRWERKTHEORIE 99   7.1   Grundsätzliches zu Lehrwerken   99   7.2   Die Bedeutung von Lehrwerken   104   7.3   Kritik an Lehrwerken   105   7.4   Lehrwerkforschung   109   7.4.1   Grundsätzliches zur Lehrwerkforschung   109   7.4.2   Literaturüberblick: Analysen zu interkulturellem Lernen in Englischlehrwerken   111   7.4.3   Analysemethoden für die Lehrwerkevaluation   115   8   LEHRWERKANALYSE 120   8.1   Methodisches Vorgehen   120   8.2   Kriterienraster für die Lehrwerkanalyse   122   8.3   Teilanalysen   123   8.3.1   Einleitende Aspekte   123   8.3.2   Darstellungen von Multi- und Interkulturalität   141   8.3.3   Vermittlung von interkulturellen Teilkompetenzen   202   9   SCHLUSSBETRACHTUNG 235   10   DARSTELLUNGSVERZEICHNIS 245   11   LITERATURVERZEICHNIS 246 1 1 Einleitung Interkulturalität ist heute in aller Munde. Oftmals konzentriert sich der gesellschaftliche Diskurs hierbei auf die Bedeutung von interkultureller Kompetenz als berufliche Schlüsselqualifikation. Darüber hinaus avanciert die Fähigkeit des kompetenten Umgangs in und mit anderen Kulturen vor dem Hintergrund der zunehmenden sprachlichen und soziokulturellen Vielfalt moderner Gesellschaften jedoch auch immer mehr zur allgemeinen „Kulturtechnik“.1 Dies zeigt sich nicht zuletzt im Fremdsprachenunterricht, in dem die Vermittlung von interkultureller Kompetenz seit den frühen 1990er Jahren als neues Globalziel gilt (Volkmann 2002: 16). In Deutschland leitete die Kultusministerkonferenz mit ihrer Empfehlung „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ im Jahre 1996 die Institutionalisierung von interkultureller Bildung im Schulsystem ein (Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland 1996). In der Folge wurden in den letzten zwei Jahrzehnten die Lehrpläne und Lehrwerke aller 16 Bundesländer entsprechend überarbeitet. Die sich hieraus ergebende Frage, ob die interkulturelle Theorie in der Praxis des Schulunterrichts ‚angekommen‘ ist, steht im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Um dies herauszufinden, bietet sich vor dem Hintergrund der Bedeutung des Englischen als Kulturtechnik2 eine Analyse der im Englischunterricht verwendeten Lehrwerke an. Hierdurch erfolgt zwar kein direkter Einblick in den tatsächlich stattfindenden Unterricht; Funke verweist jedoch mit Recht darauf, dass Lehrwerke „allein durch die Tatsache, in der Hand des Schülers zu sein, auf diesen einen nachhaltigen Eindruck ausüb[en]“ (Funke 1988: 44). Neben dieser allgemeinen Bedeutung von Lehrwerken, die sich nicht zuletzt in der Forschungsdisziplin der Lehrwerk- bzw. Schulbuchforschung3 niederschlägt,4 ergibt sich die unmittelbare Relevanz des spezifischen Untersuchungsschwerpunkts aus dem fachdidaktischen Forschungsstand: Wenngleich mittlerweile einzelne Arbeiten zur Analyse des interkulturellen Lernens in den Englischkehrwerken der Sekundarstufe I (Kiffe 1999) und II (Renges 2005) vorliegen, existiert bis zum heutigen Tage keine einzige Arbeit, die speziell die Englischlehrwerke für den verkürzten Bildungsgang (G8) untersucht. Somit leistet die 1 Die Verwendung dieses Begriffs erfolgt in Anlehnung an Bach, der Fremdsprachenkompetenz als „europäische Kulturtechnik“ bezeichnet (Bach 2003). 2 An späterer Stelle wird neben der Fremdsprachenkompetenz i. a. auch speziell das Englische als Kulturtechnik bezeichnet (Bach 2003: 270). 3 Eine Abgrenzung der Begriffe erfolgt in Kapitel 7.1 („Grundsätzliches zu Lehrwerken“). 4 Vgl. hierzu exemplarisch Heuer und Müller (1973b), Neuner (1979b), Kast und Neuner (1994) und Wiater (2003b). 2 vorliegende Arbeit einen notwendigen und aktuellen Beitrag zur Lehrwerkforschung sowie zur Forschung innerhalb der anglistischen Fachdidaktik. Die Arbeit umfasst sieben thematische Kapitel, die sich – der Einteilung von Allemann- Ghionda folgend (Allemann-Ghionda 2004: 71) – mit den Sphären der Bildungstheorie (Kapitel 2-5), der Bildungspolitik (Kapitel 6) und der Bildungspraxis (Kapitel 7-8) befassen.5 In Kapitel 2 („Vorbedingungen“) wird der deutsche Interkulturalitätsdiskurs historisch umrissen und in Bezug zum angloamerikanisch geprägten Multikulturalismusdiskurs gesetzt. In diesem Zusammenhang erfolgt auch eine Diskussion gängiger Kulturdefinitionen. Kapitel 3 („Interkulturelle Kompetenz“) befasst sich mit verschiedenen Konzeptionen und Modellen von interkultureller Kompetenz und geht auf die wichtige Frage ein, ob – und falls ja, wie – (interkulturelles) Verstehen des Anderen möglich ist. Die im Teilkapitel 3.3 diskutierten interkulturellen Teilkompetenzen (Alteritäts-, Stereotypen- und Fremdsprachenkompetenz) dienen als wichtige Grundlage für die später erfolgende Lehrwerkanalyse. Kapitel 4 („Interkulturelle Bildung“) beleuchtet die Institutionalisierung der Vermittlung von interkultureller Kompetenz, d. h. den Bereich der interkulturellen Bildung. In Ergänzung der Betrachtung von Interkulturalitätskonzeptionen, die im Fokus der Arbeit stehen, werden in Kapitel 5 („Verwandte Diskurse“) zudem die Diskurse um Diversity und Transkulturalität diskutiert. Nach der bildungstheoretischen Einleitung werden in Kapitel 6 („Bildungspolitische Veröffentlichungen“) Publikationen aus drei verschiedenen geographischen sowie politischen Ordnungskategorien herangezogen (europäische Ebene, bundesdeutsche Ebene, Länderebene, d. h. NRW). Die Auswahl der bildungspolitischen Dokumente, die in einer zunehmend ‚enger‘ werdenden Perspektive zunächst die europäische, dann die bundesdeutsche und schließlich die Länderebene berücksichtigen, erfolgte hinsichtlich ihrer Bedeutung und ihrer Relevanz für den Komplex der Interkulturalität. Anhand einer chronologischen Darstellung dieser wichtigsten Beschlüsse und Empfehlungen werden die Ausbildung und Veränderung sowie der Bedeutungsgewinn des Interkulturalitätskonzepts aus bildungspolitischer Perspektive verdeutlicht. Im Fokus der Betrachtung sind hierbei die Entwicklungen seit 1970, da ab diesem Zeitpunkt erste Anzeichen für die Ausbildung eines Interkulturalitätskonzepts auf europäischer Ebene erkennbar sind. Gegen Ende des Kapitels werden in Vorbereitung auf die eigene Lehrwerkanalyse die aktuellen Richtlinien und Lehrpläne des Landes NRW für das Fach Englisch betrachtet. Als weiteren vorbereitenden Schritt enthält Kapitel 7 („Lehrwerktheorie“) eine inhaltlich-konzeptionelle Einordnung von Lehrwerken, einen 5 Lehrwerke können als Resultat aus bildungstheoretischen und bildungspolitischen Überlegungen aus Sicht des Verfassers sowohl dem Bereich der Bildungspraxis als auch jenem der Didaktik zugeordnet werden. 3 Kurzüberblick über die deutsche Lehrwerkforschung und die einschlägigen Forschungsergebnisse zum interkulturellen Potential von Lehrwerken sowie eine Betrachtung der für die Analyse zur Verfügung stehenden Methodik. Da interkulturelle Konzepte nur schwer ‚fassbar‘ und somit auch schwer operationalisierbar sind (vgl. House 1996), bietet sich für die Lehrwerkevaluation in Kapitel 8 („Lehrwerkanalyse“) eine kriteriengestützte Analysemethodik an, die interkulturelles Lernen sowohl in seiner Gesamtheit als auch in seinen einzelnen Dimensionen berücksichtigt.6 Die 13 Fragen des eigens erarbeiteten Kriterienkatalogs, die den Leitfaden der Analyse bilden, ergeben sich dabei aus den bildungstheoretischen und -politischen Überlegungen in den Kapiteln 2-6 sowie aus der in Kapitel 7 diskutierten fachdidaktischen Literatur. Hierdurch soll einerseits gewährleistet werden, dass die aus der Subjektivität der Analyse resultierenden „technischen Unschärfen“ ausgeglichen werden (Mayring 2007: 45). Andererseits ermöglicht die Betonung des theoretischen Bezugsrahmens jedoch auch eine Antwort auf die für die vorliegende Arbeit zentrale Frage, ob das theoretische Konzept der interkulturellen Kompetenz in den aktuellsten Englischlehrwerken – und somit auch in der Bildungspraxis – ‚angekommen‘ ist. 6 Ähnliche Analysen wurden u. a. bereits von Kiffe (1999), Renges (2005) und Lehmann (2010) durchgeführt. 4 I BILDUNGSTHEORIE 2 Vorbedingungen 2.1 Historische Entwicklung der interkulturellen Bildung in Deutschland Drei gesellschaftliche Entwicklungen machen das Konzept der interkulturellen Bildung7 laut Auernheimer notwendig: die migrationsbedingte Entwicklung zur Einwanderungsgesellschaft, die europäische Vereinigung sowie die Entwicklung der weltweiten Wirtschaftsstrukturen, die mit einer Globalisierung der Märkte und einer medialen Vernetzung einhergeht (Auernheimer 2007d: 13). Dem Faktor Migration wird dabei – wohl auch wegen der riesig anmutenden Dimensionen – oftmals die größte Bedeutung beigemessen. So beziffert Banks in Berufung auf Martin und Zurcher die Zahl der weltweiten Migranten im Jahre 2005 auf insgesamt 191 Millionen. Dies waren zum damaligen Zeitpunkt 3 % der Weltbevölkerung (Banks 2009b: 10). Aufgrund der hierdurch vermehrt stattfindenden interkulturellen Kontakte gilt „der Migrant“8 mittlerweile bei vielen als neues „Leitbild des Fremdsprachenunterrichts“ (Bredella 2002: 134). Kritische Stimmen betonen demgegenüber, dass trotz der Veränderungen im Bildungssystem immer noch eine Orientierung am „allgemeinen Kind“9 vorherrsche. Dieses biete ein „Bild des nichteingewanderten, einsprachig aufgewachsenen Menschen […], dessen Sozialisation in einer als sprachlich und kulturell homogen gedachten Gesellschaft stattfinde[…]“ (Gogolin et al. 1998: 665). Ganz grundsätzlich lässt sich eine enge Verwobenheit zwischen der Situation und Integration von Migranten und dem Grad der Berücksichtigung ihrer kulturellen und sprachlichen Hintergründe im Bildungssystem des Einwanderungslandes feststellen (Allemann-Ghionda 2007b: 23). Dies ist in Deutschland nicht erst seit Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse der Fall, sondern geht historisch bis zur Gründungszeit der Bundesrepublik zurück. Allemann-Ghionda nennt in einem selektiven Rückblick die folgenden entscheidenden Entwicklungsschritte: 1950 formulierte die Kultusministerkonferenz (KMK) 7 Eine Diskussion der Terminologie zur Interkulturellen Bildung und Erziehung erfolgt in Kapitel 4.1 („Konzeptionelle und terminologische Vorüberlegungen“). 8 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es den Migranten so selbstverständlich nicht gibt. Gemeint ist der idealisierte Typus des Migranten, also eines Menschen, dessen persönliche Biographie durch Migration geprägt ist. Vgl. hierzu auch Allemann-Ghiondas Konzept der „polyphonen Identität“: „Personen mit einer ‚polyphonen‘ Identität verfügen aufgrund längerer, prägender Aufenthalte in verschiedenen regional oder national definierten Kulturen über ein Repertoire an kulturell und sprachlich kodierten ‚Stimmen‘, wobei der Begriff nicht nur vokal und verbal zu verstehen ist, sondern eher im Sinne von ‚Ausdrucksweisen‘. Diese können sich wie in einem Orchester je nach kommunikativem Zusammenhang isoliert äußern, oder aber in einer Weise kombiniert auftreten, dass der Klang einen eigenen, unverwechselbaren Ausdruck hervorbringt“ (Allemann-Ghionda 2004: 83). 9 Obwohl von Gogolin so wohl nicht intendiert, deutet schon die generalisierende und gleichsam ausgrenzende Formulierung des „allgemeinen Kindes“ auf Missstände in der öffentlichen Wahrnehmung sowie im Bildungssystem hin. 5 eine erste Stellungnahme zur Aufnahme von „fremden Volksgruppen“. Ein weiterer Beschluss von 1952 bestimmte die Schulpflicht ihrer Kinder. Recht schnell entwickelte sich eine starke Betonung der deutschen Sprache, die Migranten zu beherrschen hätten. Dennoch sollte die jeweilige Muttersprache ebenfalls beibehalten werden, was ab 1971 auch offiziell formuliert wurde. Im Jahre 1977 schließlich forderte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in einer Richtlinie die doppelseitige Integration von Migranten: „Die Förderung der Landessprache sollte mit der Förderung der jeweiligen Herkunftssprachen einhergehen“ (42). Dies wurde von den deutschen Schulbehörden bis heute jedoch nur zögerlich verwirklicht. Stattdessen entwickelte sich in der Zeit von den 1960er bis in die 1980er Jahre die sogenannte Ausländerpädagogik, die rückblickend als Vorläufer der heutigen Interkulturellen Bildung zu betrachten ist. Die deutsche Ausländerpädagogik war die Antwort auf eine neue gesellschaftliche Situation, die ihren Ursprung im Konzept des sogenannten Gastarbeiters hatte. Als Gastarbeiter wurden die nach dem Zweiten Weltkrieg von der deutschen Regierung angeforderten Arbeitsmigranten bezeichnet. Wie der euphemistische, heute nicht mehr verwendete Name schon andeutet, sollten sie nur zeitweise in Deutschland bleiben, um dann nach rund fünf Jahren in ihre Heimatländer zurückzukehren. Da dies jedoch nur in wenigen Fällen tatsächlich geschah und sich zudem viele Arbeiter gemeinsam mit ihren Familien dauerhaft in Deutschland niederließen, ergab sich gerade im schulischen Bereich eine zuvor ungekannte ethnische Heterogenität.10 Allemann-Ghionda wundert sich in diesem Zusammenhang über das „Staunen über die ‚plötzliche‘ Anwesenheit von Kindern, die anders sprachen (wenn sie nicht verstört verstummten)“. Dieses sei „um so erstaunlicher, als sprachliche und kulturelle Vielfalt von jeher Europa (und die gesamte Welt) charakterisiert [hätten]“ (Allemann-Ghionda 2008a: 20). Der Ausländerpädagogik zugrunde lag eine Defizithypothese, nach der die Anwesenheit von Migranten als Abweichung von der Norm oder gar als Störung galt (21). Die vorgeschlagenen Maßnahmen, die sich ausschließlich an die zugewanderten Migranten richteten, waren dementsprechend kompensatorischer und assimilationistischer Natur: Integration war das oberste Ziel. Da mangelnde Sprachkenntnisse als zentrales Integrationshindernis galten, bezogen sich viele frühe Maßnahmen auf die Verbesserung der Deutschkompetenz von Migranten. Nohl merkt hier in Berufung auf Götze und Pommerin kritisch an, dass dies zu einer Entpolitisierung der Pädagogik geführt hätte, da solche 10 Bis heute zählen die ehemaligen Gastarbeiter neben politischen Flüchtlingen und sogenannten „Spätaussiedlern“ laut Luchtenberg zu den drei größten Migrationsgruppen in Deutschland (Luchtenberg 2009: 2).

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Diese vier interkulturellen Teilkompetenzen können laut Byram das Potential der „grünen Revolution“ (Interview mit Kofi Annan zur Organisation.
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