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interdisziplinäres zentrum für geschlechterforschung PDF

32 Pages·2010·1.38 MB·German
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INTERDISZIPLINÄRES ZENTRUM FÜR GESCHLECHTERFORSCHUNG #17 Herbst 2010 genderstudies INHALTSVERZEICHNIS EDITORIAL Intersektionalität – oder: Die Differenzkategorien der Äpfel 1 PORTRAIT Ein kritischer Bibelhistoriker 2 Portrait des Theologen Dr. habil. Moisés Mayordomo SCHWERPUNKT INTERSEKTIONALITÄT Intersektionalität – eine unverzichtbare Perspektive? 3 Ein Einführungsartikel zum Schwerpunktthema Männlichkeit im Kreuzungsfeld diverser Kategorien 6 Eine konkrete Anwendung der komplexen Analyseperspektive Differenz, Diversität, Intersektionalität 8 Ein Gespräch mit Brigitte Schnegg und Andrea Maihofer AKTUELL SUMMER SCHOOL "Gender and Politics – Gendered Politics" 10 Tagungsbericht Kurzinterviews mit drei Teilnehmerinnen SGGF-TAGUNG Wider den hegemonisierenden Kulturbegriff 13 Tagungsbericht MA MINOR IN GENDER STUDIES Ich studiere Gender Studies! 15 Eine Studentin berichtet über ihre Studienwahl FORSCHUNG GRADUIERTENKOLLEG Identitätskonstruktionen in Frischs "Stiller" und "Homo faber" 16 Forschungsprojekt von Melanie Rohner LEHRVERANSTALTUNGEN Lehre Universität Bern 17 IZFG und diverse Institute Lehre Universität Fribourg 25 Diverse Institute DIVERSES RÄTSEL "Litter Studies" 27 Wessen Arbeitsplatz ist hier abgebildet? REZENSION Rechte fordern 28 Claudia Michel, Seismo, 2010 PUBLIKATIONEN Zwangsheirat Riaño / Dahinden 29 Gendered Bodies in Motion Degele et al. IMPRESSUM HERAUSGEBERIN Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechter- forschung der Universität Bern IZFG, Hallerstrasse 12, 3012 Bern, www.izfg.unibe.ch REDAKTION Fabienne Amlinger, Lilian Fankhauser, Monika Hofmann FOTOS Monika Hofmann LAYOUT Monika Hofmann GESTALTUNG grafikwerkstatt upart, blau, Bern DRUCK Vetter Druck AG, Thun AUFLAGE 1000 Exemplare PAPIER PlanoJet, FSC-zertifiziert ISSN-NR. 1660-8720 2 EDITORIAL Intersektionalität – oder: Die Differenzkategorien der Äpfel I Monika Hofmann, IZFG Liebe Leserin, lieber Leser Jazz, CH, Kl. 1, süss-säuerlich Bio, IP oder überhaupt keine Angabe zu den Produk- tionsverhältnissen? In- oder ausländisches Erzeugnis? Erste, zweite oder gar keine Klasse? Das Denken in Kategorien und sich Überschneiden von Differenzver- hältnissen lässt sich am Beispiel des Apfels versinn- Im Gespräch mit Lilian Fankhauser – auf den Seiten bildlichen. Im Alltag sind wir uns gewohnt, diverse 8-9 – äussern sich Prof. Dr. Andrea Maihofer und Dr. Differenzkategorien wahrzunehmen, Überkreuzungen Brigitte Schnegg kritisch zum Konzept der Intersek- und Verschränkungen in den Entscheidungspro- tionalität. Die beiden Dozentinnen wurden zu ihrem zess mit aufzunehmen. Und genau darum geht es im gemeinsamen Seminar "Differenz, Diversität, Inter- Themenschwerpunkt der vorliegenden Herbstaus- sektionalität: Theoretische Zugänge zu gesellschaft- gabe von genderstudies. licher Ungleichheit" befragt. Die Veranstaltung fand Intersektionalität ist ein Begriff, der als Analysefokus im vergangenen Frühjahrsemester statt und wurde nicht nur in den Gender und Queer Studies vermehrt – von den Studierenden gut besucht und sehr posi- auftaucht, sondern auch allgemein in den Kultur- und tiv bewertet – als Kooperation der Universitäten Basel Sozialwissenschaften an Bedeutung gewinnt. Den und Bern durchgeführt. Im Konzept der Intersekti- Begriff führte die US-amerikanische Juristin Kimberlé onalität – als Gegenbegriff zum Konzept des Diver- Crenshaw Ende der achtziger Jahre in den wissen- sity Managements, welches ebenfalls Ungleichheiten schaftlichen Diskurs ein. Sie wollte damit die Diskri- thematisiert, jedoch Machtverhältnisse ausblendet – minierungserfahrungen 'schwarzer' Frauen in den sehen die beiden breite Entwicklungsmöglichkeiten. Vereinigten Staaten fassen, die sich nicht allein mit Sexismus oder Rassismus erklären liessen. Heute Tagungsberichte wird Intersektionalität für jegliche Verschränkung, Unter der Rubrik "Aktuell" finden Sie einen Bericht Überschneidung oder Durchkreuzung von Diskrimi- von Fabienne Amlinger über die International Summer nierungserfahrungen und Herrschaftsverhältnissen School "Gender Politics – Gendered Politics", die im verwendet. vergangenen Juni an der Universität Bern erfolgreich Der erste Themenbeitrag von Regula Kolar (S. 3-5) durchgeführt wurde (S. 10-11). Sie wurde vom schwei- bietet einen ausführlichen Überblick von der Entste- zerischen Netzwerk Gender Studies der Universitäten hung des Begriffs, über dessen Bedeutungsverschie- Basel, Bern, Fribourg, Genève, Lausanne, Luzern, bung vom einzelnen Subjekt zu den wesentlichen Neuchâtel, St. Gallen und Zürich organisiert. Ursina Ordnungs- und Hierarchieprinzipien unserer Gesell- Roder hat sich bei drei Teilnehmerinnen über deren schaft, bis hin zu den konkreten Zusammenhängen persönliche Erfahrung an der Summer School infor- zwischen den Analysedimensionen. Der Fokus auf miert. Die Interviews finden Sie auf den Seiten 11-13. verschiedene gesellschaftsstrukturierende Kategorien Ebenfalls an der Universität Bern fand die Tagung tauchte auch im europäischen Raum nicht aus dem der Schweizerischen Gesellschaft für Geschlechter- Nichts auf. So gaben Feministinnen bereits in den forschung SGGF statt. Lesen Sie dazu den Bericht siebziger Jahren zu bedenken, dass nicht nur "Klasse" von Sabin Bieri und Lilian Fankhauser auf den Seiten die soziale Ungleichheit begründe, sondern auch die 13-14. Kategorie "Geschlecht". Wiederum haben wir für Sie einen Arbeitsplatz foto- Eine konkrete Anwendung der komplexen Analy- grafiert und ihn von einer Historikerin und einem seperspektive wird im Beitrag von Susanne Spind- Soziologen kommentieren lassen. Trafen ihre Vermu- ler verdeutlicht (S. 6-7). In ihrer Forschungsarbeit tungen zu? Schauen Sie sich das Bild auf Seite 27 an betrachtet sie die Biographien gewalttätiger Jugendli- und rätseln Sie selbst! cher mit Migrationshintergrund und nimmt eine inter- sektionale Analyse von Männlichkeit im Kreuzungs- Im Namen des IZFG wünsche ich Ihnen eine interes- feld von Rassismus, sozioökonomischen Verhältnissen sante und ebenso vergnügliche Lektüre. und Jugendlichkeit vor. genderstudies #17 Herbst 2010 1 PORTRAIT Ein kritischer Bibelhistoriker und sein Blick auf Marginalitäten Dr. habil. Moisés Mayordomo (44) ist seit 2006 Dozent für Neues Testament und Antike Religionsgeschichte am Institut für Bibelwissenschaften an der Universität Bern. Als historisch-kritischer Bibelwissenschaftler befasst er sich unter anderem auch mit der Konstruktion von Männlichkeit im frühen Christentum und der Antike. I Sara Bachmann* Das Arbeitszimmer lässt auf viel Arbeit des Benutzers zwischen vielen Stühlen sitzend, auch was Männlich- schliessen. Moisés Mayordomo schiebt die Verantwor- keitskonzepte anbelangte", sagt er. tung für den etwas chaotischen Zustand augenzwin- kernd von sich; er habe sein Büro weiteren Mitarbei- Schon mit fünfzehn Jahren war für ihn klar, dass er tenden für kurze Zeit als "Abstellkammer" angeboten, Evangelische Theologie studieren wollte. Er studierte sagt er lachend. Was auf den ersten Blick als Unord- in Heidelberg und später in London. In dieser Zeit nung aufgefasst werden könnte, zeigt sich alsbald besuchte er zudem mehrfach Veranstaltungen femi- als kreatives Produkt der intensiven und engagier- nistischer Gruppierungen; einerseits aufgrund seiner ten Auseinandersetzung mit der Bibelgeschichte. Die eigenen Erfahrungen mit Ausgrenzung und ande- Begeisterung des 44-Jährigen für die Bibel als histo- rerseits aus einem der kritischen Theorie entsprin- risches Dokument wirkt nach kurzer Zeit dermas- genden erkenntnistheoretischen Interesse. sen ansteckend, dass es nicht verwundern würde, dozierte er nur in vollen Vorlesungssälen. So war es Mayordomo versteht die Theologie als eine Wissen- auch im Herbstsemester vor einem Jahr: Mayordomo schaft, die den Blick auf das Marginale zu schär- hielt zusammen mit Prof. Dr. Christoph Morgenthaler fen hat. Die Bibel als ikonisches Buch deutet er als ein interdisziplinäres Seminar zu Konstruktionen von ein Dokument aus der Antike, das die Stimmen jener Männlichkeit in Theologie und Gesellschaft. Dabei Leute zum Ausdruck bringt, die nicht das Sagen ging es ihm darum, einerseits das Bewusstsein für den hatten. Mayordomo bereitet es in seiner Arbeit beson- konstruierten Charakter von Männerbildern zu schär- dere Freude, Gegenlektüren zur Bibel herauszuarbei- fen, andererseits die Wechselwirkungen zwischen ten. Es geht ihm darum, jene Lesarten zu relativieren, klassischen religiösen Textbeständen, ihrer Wirkungs- die Teil einer bestimmten Wirkungsgeschichte der geschichte und heutigen Konstellationen im Männer- Texte sind, die im Rahmen von kirchlichen Hegemoni- verständnis aufzudecken und kritisch zu analysieren. albestimmungen entstanden, und die nicht als eigent- lich biblisch betrachtet werden können. Die vergleichsweise hohe Zahl der Studierenden im Seminar deutet Mayordomo als Erfolg – er weiss aber Moisés Mayordomo – und das zeigt sich im Gespräch gleichzeitig um die Wichtigkeit weiterer Veranstal- – liebt den Diskurs und das Provokative. Deshalb tungen zu Geschlecht und Theologie. Dieser Heraus- beneide er gelegentlich Kollegen und Kolleginnen forderung stellt sich der Dozent am Institut für Bibel- der römisch-katholischen Theologie, gesteht er. Sie wissenschaften der Universität Bern gerne; schon hätten ein eigenes, von der institutionalisierten Kirche deswegen, weil er die Analyse gesellschaftshisto- abhängiges Lehramt und dadurch einen "Gegen- rischer Konstrukte als unumgänglich für die wissen- rahmen", gegen den angeschrieben werden könne. schaftliche Auseinandersetzung mit Marginalitäten In der evangelischen Theologie gelten im Gegensatz erachtet. Und Moisés Mayordomo interessiert sich für dazu keine inhaltlichen auf den Glauben ausgelegten "alles Marginale". Richtlinien und Normen was die kritische Bibelexe- gese betrifft. Als römisch-katholischer Theologe oder Das Interesse an Marginalitäten entspringt zum Teil Theologin mache es daher wohl "mehr Spass, dissi- auch aus persönlichen Erfahrungen: Die Marginalisie- dent zu sein", meint Mayordomo. rung sei in seine Biografie "mehrfach eingeschrieben". Als Sohn spanischer Protestanten gehörte Mayordomo Was beruflich nicht gut möglich ist, realisiert er näch- im katholischen Franco-Spanien einer Minderheit an. stens auf der Tanzfläche: Als passionierter Tangotän- Sein Grossvater war Kommunist, sein Vater ein erklär- zer macht sich der Theologe daran, den "weiblichen" ter Armeegegner. Als der junge Mayordomo sieben Part einzuüben. So könne er den Tango in seiner vollen Jahre alt war, fand sein Vater eine Stelle als Fabrikar- Ausprägung ausschöpfen. beiter bei Mercedes-Benz in Deutschland. Die Fami- lie wanderte aus. Er selber durchlief im fremden Land die Grundschulen und dies mit Erfolg. Trotzdem habe *Sara Bachmann studiert im MA Soziologie an der Universität Bern er sich während dieser Zeit als Fremder gefühlt, "wie und ist Hilfsassistentin am IZFG 2 genderstudies #17 Herbst 2010 SCHWERPUNKT INTERSEKTIONALITÄT Intersektionalität – eine unverzichtbare Perspektive? Intersektionalität gilt aktuell im deutschspra- chigen Raum als vielversprechende und in einigen Forschungsgebieten geradezu unver- zichtbare Analyseperspektive. Sie steht inner- halb der Frauen- und Geschlechterforschung unter anderem für die weit geteilte Einsicht, Geschlecht als eine gleichbedeutende Dimen- sion neben anderen wie beispielsweise 'Rasse' Boskoop, CH, IP, süsslich oder Klasse zu begreifen und dass diese Dimensionen nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können. weisser Frauen plus denjenigen schwarzer Männer zusammen. Vielmehr entstehen an den Orten, an I Regula Kolar* denen sich Herrschaftspraktiken überkreuzen, jeweils spezifische Formen der Unterdrückung" (Purtschert 2007, 93). Die Kreuzungsmetapher Die Trias 'Rasse', Klasse, Geschlecht Der Begriff Intersektionalität oder "Intersectiona- Die sogenannte Trias 'Rasse', Klasse und Geschlecht lity" geht zurück auf die US-amerikanische Juristin wurde vor Crenshaw bereits von weiteren Vertrete- Kimberlé Crenshaw, welche diesen 1989 geprägt und rinnen des Black Feminism hinsichtlich der Komplexi- in das wissenschaftliche Feld eingeführt hat. In ihrem tät von Diskriminierung als "Dreifachdiskriminierung" Text "Demarginalizing the Intersection of Race and analysiert und hat sich bis heute innerhalb der Inter- Sex: A Black Feminist Critique of Antidiscrimination sektionalitätsdebatte fortgesetzt. Intersektionalität als Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics" Perspektive ist also "älter als deren Name" (Purtschert/ ([1989] 1997) hat sie sich insbesondere mit den Struk- Meyer 2010, 131)2 und richtete sich zunächst gegen turkategorien 'Rasse' und Geschlecht im Hinblick feministische Hegemonien. Heute steht das Konzept auf deren Macht- und Herrschaftsverhältnisse in der der Intersektionalität für diverse Theorien, Ansätze US-amerikanischen Gesellschaft auseinandergesetzt.1 und Analysen, die mit einer Vielzahl von Begriffen und Durch die juristische Analyse diverser Diskriminie- Metaphern operieren und das Was und Wie der Zusam- rungsfälle ist sie zur Überzeugung gelangt, dass die menhänge zwischen den Analysekategorien oder sich in Form von Diskriminierung äussernden Herr- -dimensionen unterschiedlich begreifen. Die Rede ist schaftspraktiken, welche entlang von 'Rasse' und von Über-/Durchkreuzungen, Verwobenheit, Interde- Geschlecht verlaufen, als intersektional, d.h. als sich pendenz, Verknüpfungen, Überschneidungen, Inter- überkreuzend verstanden und analysiert werden ferenzen, Wechselwirkungen etc. All diesen Theorie- müssen. Crenshaw verwendet zur Illustrierung dieses und Analysegebilden ist jedoch eines gemeinsam: Sie Sachverhalts das Bild einer Strassenkreuzung, wo sich gehen von der Prämisse aus, dass gesellschaftsstruk- aus verschiedenen Richtungen, analog zum Verkehr, turierende Kategorien bzw. Dimensionen sowie deren unterschiedliche Diskriminierungsformen kreuzen. Machtverhältnisse und Herrschaftspraktiken nicht Kommt es zu einer Kollision, kann die sich auf der getrennt voneinander betrachtet und erklärt werden Kreuzung befindende Person gleichzeitig von mehre- können. ren Fahrzeugen, die aus verschiedenen Richtungen kommen, verletzt werden. Am Beispiel der schwarzen In der Geschichte der Intersektionalitätsdebatte Frau konkretisiert Crenshaw, dass diese bei einem verschiebt sich der Blickwinkel von der Bedeutung solchen Unfall entweder Verletzungen aufgrund von von Differenz und Ungleichheit für einzelne Subjekte in "sex discrimination" oder aufgrund von "race discrimi- Richtung der Bedeutung von "wesentlichen Prinzipien nation" erleiden kann oder aber, dass sie gleichzeitig oder axialen Strukturen der Gesellschaft" (Knapp Opfer von Rassismus und Sexismus wird (Crenshaw 2008, 145). Wo es für die Bewegung des Black Femi- 1997, 33). Dies kommt jedoch nicht in jedem Fall – und nism in den 1970er und 1980er Jahren noch um das das ist ausschlaggebend für die Idee der Intersektio- Sichtbarmachen von spezifischen Diskriminierungs- nalität – einer Doppeldiskriminierung oder Summe erfahrungen sowie um Zusammenhänge von Herr- von Diskriminierungsformen gleich. Es handelt sich schaftspraktiken ging, haben danach insbesondere vielmehr um eine einzigartige Diskriminierungserfah- im deutschsprachigen Raum Gudrun-Axeli Knapp rung: in unserem Bespiel, als schwarze Frau diskrimi- und Cornelia Klinger das Feld geprägt und sich für niert zu werden. Oder wie es Patricia Purtschert tref- einen Perspektivenwechsel stark gemacht. In ihren fend formuliert: "Die Diskriminierungen, die schwarze diversen Aufsätzen zum Thema erläutern sie diese Frauen erleben, setzen sich nicht aus den Erfahrungen gesellschaftsstrukturelle Perspektive und begrün- genderstudies #17 Herbst 2010 3 den damit einhergehend, weshalb sie den Blick auf lisiert werden können (vgl. u.a. Knapp 2008). Bezo- die Trias 'Rasse', Klasse und Geschlecht richten und gen auf das Was sind in der Intersektionalitätsdebatte damit weitere Dimensionen, wie beispielsweise Alter vor allem zwei Perspektiven auszumachen: Die einen oder körperliche/geistige Konstitution,3 unberück- richten sie auf Differenzkategorien selber, die ande- sichtigt lassen. Knapp hält zwar fest, dass "die Reihe, ren auf Macht- oder Dominanzverhältnisse, welche Auswahl und Relevanz von 'differences' zu einem entlang der Kategorien verlaufen. Erstere kommen grossen Teil davon ab[hängt], was wir wissen wollen, eher aus soziologischer sowie gesellschaftstheore- welche Problemzusammenhänge wir fokussieren, und tischer, letztere eher aus philosophischer, kulturwis- welchen Zugang wir wählen" (Ebd., 143). Dennoch senschaftlicher oder queertheoretischer Richtung. Es seien für eine gesellschaftstheoretische Analyse ist eine Frage der Analyseperspektive, ob der Blick auf "Klasse, Nationalität/Ethnizität und Geschlecht/Sexu- Dominanzverhältnisse gerichtet wird wie Rassismus, alität als wesentliche Prinzipien gesellschaftlicher Klassismus4 oder Sexismus, die Ungleichheit, Diskri- Strukturierung aufzufassen" und sie seien zudem minierung und Unterdrückung zutage fördern, oder wesentlich "in der Konstitution der europäischen und ob anhand von Differenzkategorien versucht wird, in jüngerer Zeit auch der meisten aussereuropäischen ein Bild von intersektionalen Subjekten oder intersek- Gesellschaften" (ebd.) gewesen. Knapp hält demnach tional strukturierter Gesellschaft zu zeichnen. Oder für ihre gesellschaftstheoretische, historisch-empi- anders formuliert: Es ergibt sich rein assoziativ ein risch fundierte Analyseperspektive an der Kategorien- anderes Bild, wenn sich – mit Crenshaws Kreuzungs- Trias fest und verteidigt dies wiederholt. Als Reaktion metapher gesprochen – 'Rasse' und Geschlecht als darauf fragen Katrin Meyer und Patricia Purtschert in Kategorien oder eben Rassismus und Sexismus als ihrem Aufsatz "Die Macht der Kategorien. Kritische Dominanzverhältnisse überkreuzen. Auch Queertheo- Überlegungen zur Intersektionalität" (2010) danach, retikerInnen, die sich von vornherein dezidiert gegen ob die Anzahl analytischer Kategorien zu fixieren Kategorisierungen sowie die damit verbundenen Iden- sei. Sie gehen jedoch noch weiter und konstatieren, titätskonstruktionen richten, sprechen sich dafür aus, dass sie "die numerische und inhaltliche Fixierung "intersectionality im Sinne einer Durchkreuzung von der intersektionalen Analysekategorien nicht nur für Herrschaftsverhältnissen und Machtrelationen und unmöglich, sondern auch für kontraproduktiv" halten nicht von Identitätspositionen zu verwenden" (Engel (Purtschert/Meyer 2010, 130 ff). Wichtig ist hierbei zu et al. 2005, 12). erwähnen, dass die beiden Autorinnen Intersektiona- lität gesellschaftspolitisch als kritische Interventions- Betrachten wir nun das Wie, das heisst, wie und auf möglichkeit begreifen, wohingegen Knapp auf eine welchen Ebenen sich die Zusammenhänge äussern. gesellschaftstheoretische Perspektive fokussiert. Immer mehr TheoretikerInnen sind der Ansicht, dass alle drei Ebenen, diejenige des Subjekts, der Insti- Das Was und Wie der Zusammenhänge tutionen und der Sozialstruktur sinnvoll miteinan- einzelner Analysedimensionen der verbunden werden müssen, um der Komplexität Ein weiterer Punkt, den es innerhalb der Intersektiona- der Analyse gerecht zu werden (vgl. u.a. Walgenbach litätsdebatte zu beachten gilt, betrifft das Was und Wie 2007). Die Mikro- bzw. Subjektebene betrifft einzelne der Zusammenhänge zwischen den Analysedimensi- Personen oder kleine Gruppen. Hinsichtlich der Diffe- onen. Es herrschen unterschiedliche Vorstellungen renzdimensionen wären die Betroffenheit und Erfah- darüber, was zusammenhängt – sind es Kategorien, rung einzelner Individuen aufgrund ihrer Zugehö- Ungleichheitsachsen, Machtverhältnisse, Relationen, rigkeit zu verschiedenen Differenzgruppen eine Identitäten oder Subjektpositionen? – oder wie sich mögliche Perspektive. Meist drückt sich Erfahrung in diese Zusammenhänge äussern bzw. auf welchen Form von Diskriminierung oder Unterdrückung aus, Ebenen – Mikro-, Meso- oder Makroebene – sie loka- da andere Differenzmerkmale – wie beispielsweise die Hautfarbe bei weissen Menschen – oft nicht wahrge- nommen werden und damit unmarkiert bleiben, da sie stellvertretend für die Norm sind. Aus einer inter- sektionalen Perspektive werden die Subjektpositionen in ihrer 'Schnittmenge' sowie der Zusammenhang der daran beteiligten Dominanzverhältnisse in den Blick genommen. Die Mesoebene betrifft die Ebene der kleineren sozialen Systeme wie Institutionen oder Organisationen. Hier könnte sich eine intersektio- nale Perspektive auf kategoriale Überschneidungen oder Zusammenhänge hinsichtlich der Prozesse und Rituale innerhalb der Systeme richten. Und schliess- lich handelt es sich bei der Makro- bzw. strukturellen Ebene um grössere gesellschaftliche Systeme und Kollektive bzw. um Gesellschaften als solches. Die Perspektive richtet sich auf der Strukturebene eher darauf, wie und wodurch Gesellschaft durch Differenz- kategorien strukturiert ist und wie diese Strukturen intersektional zusammenhängen und sich auswir- Ariwa, CH, Bio, süsslich 4 genderstudies #17 Herbst 2010 ken. Katharina Walgenbach plädiert für "eine Perspek- tive der wechselseitigen Beeinflussung von sozialen Strukturen und Interaktionen bzw. sozialen Praktiken" (Walgenbach 2007, 51). Sie spitzt dies zu, indem ihr zufolge eine Kategorie, verstanden als ein interdepen- dentes Dominanzverhältnis, gleichzeitig auf allen drei Ebenen (re)produziert wird. Wie sich zeigt, bergen die Konzeptualisierungen von Intersektionalität einige Uneindeutigkeiten, die Angriffsflächen bieten. Die Kritik verschiedener Theo- retikerInnen betrifft einerseits die Begrifflichkeiten und Metaphern, die innerhalb der Intersektionali- tätsdebatte Verwendung finden, da viele von ihnen für die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Ungleichheitsdimensionen oder zwischen den Domi- nanzverhältnissen an ihre assoziativen sowie heuri- Sauergrauech, CH, IP, sauer stischen Grenzen stiessen. Andererseits richtet sich ein weiterer, zentraler Kritikpunkt auf die Deutungs- und Definitionsmacht sowie Sprechhoheit innerhalb der Intersektionalitätsforschung selber. Die kritischen Fragen verweisen auf (Re)produktion von Macht, Dominanz und Herrschaft und lauten: Wer bestimmt, LITERATUR welche und wie viele Kategorien relevant sind? Wer legt deren inhaltliche Bestimmung fest? Wer masst Crenshaw, Kimberlé (1997): Demarginalizing the Intersection of Race and Sex: A Black sich an, für wen sprechen zu können (vgl. u.a. Walgen- Feminist Critique of Antidiscrimination Doctrine, Feminist bach 2007; Purtschert/Meyer 2010)? Theory and Antiracist Politics. In: Maschke, K.J. (Hg.), Femi- Intersektionalität bedeutet also auch, um mit den nist Legal Theories. New York, S. 23-51. Worten von Purtschert und Meyer abzuschliessen, Engel, Antke / Schulz, Nina / Wedl, Juliette (2005): "die ständige Reflexion auf die eigene hegemoniale Kreuzweise queer: Eine Einleitung. In: Femina Politica. Queere Politik: Analysen, Kritik, Perspektiven. Band 1, 2005, Position" (Purtschert/Meyer 2010, 135). S. 9-23. Klinger, Cornelia / Knapp, Gudrun-Axeli (2007): Achsen der Ungleichheit – Achsen der Differenz: Verhältnis- bestimmungen von Klasse, Geschlecht, "Rasse"/Ethnizität. In: dies. / Sauer, B. (Hg.), Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität. 1Crenshaw bezieht neben den Kategorien 'Rasse' und Geschlecht an Frankfurt/M., S. 19-41. einzelnen Stellen auch Klasse mit ein. Knapp, Gudrun-Axeli (2008): 2Purtschert und Meyer verweisen zudem darauf, dass die Idee von Verhältnisbestimmungen: Geschlecht, Klasse, Ethnizität in sich überschneidenden Ungleichheitsdimensionen noch viel weiter gesellschaftstheoretischer Perspektive. In: Klinger, C. / dies. zurückgeht: Sie reicht von Simone de Beauvoir über Sojourner Truth (Hg.), ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz. zurück bis Olympe de Gouges (vgl. Purtschert/Meyer 2010). Katharina Münster, S. 138-169. Walgenbach spricht an dieser Stelle von mehreren "Stimulatoren und Purtschert, Patricia (2007): Genealogien der Interdependenzendebatte", die u.a. innerhalb femi- Diversity Management: mehr Gewinn durch weniger Diskri- nistischer Bewegungen der 1970er Jahren verortet werden können. minierung? In: Femina Politica. Von Gender zu Diversity Feministinnen zu jener Zeit haben sich von Anfang an insbesondere Politics? Band 1, 2007, S. 88-96. mit den Kategorien Klasse und Geschlecht auseinandergesetzt Purtschert, Patricia / Meyer, Katrin (2010): (Walgenbach 2007, 25). Die Macht der Kategorien. Kritische Überlegungen zur Inter- 3Andere gebrauchen hier den Begriff "Behinderung", der jedoch m.E. sektionalität. In: Feministische Studien, Heft 1, 2010, S. nur eine mögliche Ausprägung körperlicher bzw. geistiger Konstitu- 130-142. tion benennt. Walgenbach, Katharina (2007): 4Verschiedene TheoretikerInnen gebrauchen den Begriff Klassismus, Gender als interdependente Kategorie. In: Walgenbach, K. / um Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse entlang der Kategorie Dietze, G. / Hornscheidt, A. / Palm, K. (Hg.), Gender als Klasse zu fassen (vgl. u.a. Winker/Degele 2009). interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersek- tionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen, S. 23-64. Winker, Gabriele / Degele, Nina (2009): Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten. Bielefeld. *Regula Kolar studiert Gender Studies und Gesell- schaftswissenschaften an der Universität Basel und ist Hilfsassistentin am Zentrum Gender Studies der Universität Basel genderstudies #17 Herbst 2010 5 SCHWERPUNKT INTERSEKTIONALITÄT Männlichkeit im Kreuzungsfeld von Rassismus, sozioökonomischen Verhältnissen und Jugendlichkeit I Susanne Spindler* Werden Jugendliche mit Migrationshintergrund gewalt- Sozioökonomische Lebensverhältnisse tätig, dann treten medial und wissenschaftlich häufig Die interviewten Jugendlichen haben unterschied- der Familienhintergrund und die 'andere' Kultur als lichste problematische Erfahrungen gemacht: Einige Begründungszusammenhänge in den Vordergrund. kamen als Flüchtlinge in die Bundesrepublik, haben Stellvertretend dient das Bild des 'türkischen Machos', traumatische Erlebnisse hinter sich und finden hier der in Deutschland zum Symbol für misslungene Inte- eine Situation vor, in der sie jahrelang mit rechtlicher gration wurde. Damit sind Vorstellungen patriar- Unsicherheit, Angst vor Abschiebung, den Zuständen chaler familiärer Männlichkeit verbunden sowie eines in Flüchtlingsheimen und einem insgesamt proviso- Konflikts, resultierend aus dem Leben, das zwischen rischen Leben zurechtkommen müssen. Jugendliche zwei Kulturen entstünde – einer 'fortschrittlichen' und der zweiten oder dritten Generation berichten vom 'emanzipierten', deutschen und einer 'rückschritt- Aufwachsen in stigmatisierten Quartieren, von Diskri- lichen' türkischen, arabischen oder wahlweise isla- minierungen und Benachteiligungen, beispielsweise mischen Lebensweise (vgl. z.B. Kelek 2006; Baier et al. in Schulen. In allen Lebenssituationen zeichnen sich 2010 und SZ 2010).1 institutionelle, strukturelle und subjektive rassistische Mit Jugendlichen, die so beschrieben werden, haben Erfahrungen ab. Vermehrt werden die Jugendlichen wir im Rahmen eines Forschungsprojektes biogra- auch zu Opfern sexualisierter Gewalt, die nicht nur phische Interviews geführt.2 Befragt wurden Jugend- innerfamiliär, sondern auch ausserfamiliär in pädo- liche mit Migrationshintergrund, die in verschiedenen sexuellen Milieus stattfindet. Insgesamt zeigen die nordrhein-westfälischen Haftanstalten inhaftiert Biographien, dass die Jugendlichen sich sowohl struk- waren, oft aufgrund gewalttätiger Delikte. Einige turell als auch individuell in gewalttätigen Verhältnis- wesentliche Ergebnisse meiner Beschäftigung mit sen bewegen. der Frage des Geschlechts möchte ich im Folgenden vorstellen.3 Die Analyse zeigt, dass tatsächlich der Männerbünde und ethnisierte Solidaritäten Faktor des männlichen Geschlechts für die Jugend- Die Lebensumstände und das Alter legen es nahe, lichen oft handlungsleitend ist. Mit Hilfe einer inter- dass die Jugendlichen sich in Peergroups zusammen- sektionellen Analyse ist es möglich, der gebetsmühlen- schliessen. Diese sind durch zwei Merkmale gekenn- artig wiederholten Beschränkung auf den kulturellen zeichnet: Geschlecht und Herkunft. Dabei geht es den und familiären Hintergrund für Vergeschlechtli- Jugendlichen nicht darum, sich mit kulturell Gleich- chungsprozesse zu entkommen und diese um den gesinnten zusammen zu tun, sondern vielmehr Bünd- Blick auf Faktoren wie Lebensumstände, gesellschaft- nisse mit denen einzugehen, die ähnliche Erfahrungen liche Vorgaben, sozioökonomische Verhältnisse, gemacht haben. Davon versprechen sie sich Solidari- Peergroups, Alter oder Bildung zu erweitern. Daraus tät, Aufstieg und Macht. In einem Prozess der Reeth- resultiert ein neues Deutungsmuster gewalttätiger nisierung und des Doing Gender inszenieren und Männlichkeit, welches das Handeln der Jugendlichen präsentieren sie sich in auffallender Weise. Mit Über- nicht entgegen, sondern entlang gesellschaftlicher fällen auf andere, oft ebenfalls Jugendliche, wollen sie Vorgaben aufzeigt. Macht demonstrieren oder sich ökonomische Mittel aneignen. Sie suchen sich aber auch vermeintlich ebenbürtige Gegner, vor allem die Polizei, die hege- moniale Männlichkeit4 und staatliche Macht reprä- sentiert. Ihre Kämpfe sind als Versuche zu deuten, sich in das Spiel um hegemoniale Männlichkeit einzu- bringen; zugleich prädestinieren sie zum Verlieren. Die Cliquenzugehörigkeit dient noch zu mehr: Wo Schul- und Berufsabschlüsse fehlen und weder Freun- din noch Eigenheim in erreichbarer Nähe liegen, werden gerade illegalisierte Milieus wie das Drogen- milieu zur vermeintlichen Möglichkeit, neue Karrieren zu kreieren. Das bedeutet, dass die Jugendlichen sehr genau um ihre gesellschaftliche Stellung und auch um ihre versperrten Zugänge zu hegemonialer Männlich- keit wissen und nun versuchen, sich dieser auf andere Art und Weise anzunähern. In ihren Biographien finden sich viele männliche Stereotype, die sie ange- strengt verfolgen, eben weil ihnen anerkannte Formen der Männlichkeit beispielsweise in beruflicher und sozioökonomischer Hinsicht oder auch im medialen Golden Delicious, CH, Kl. 1, süsslich Diskurs verweigert werden. 6 genderstudies #17 Herbst 2010 Die Relevanz des männlichen und rassifizierten Körpers Männlichkeit wird für die Jugendlichen zum wider- spruchsvollen Prozess. Sie ist eine ihrer wenigen Ressourcen, dient so der Orientierung und leitet ihre Handlungen, wie es sich im Cliquenhandeln zeigt. Der Ausbau gewalttätiger Formen von Männlichkeit, eines hypermaskulinen Körpers, das Mitführen eines Kampf- hundes oder auch bestimmte Tätowierungen gehören dazu. "Auf der Folie einer defizitären Selbstdefinition entsteht die Sehnsucht nach einer für alle sichtbaren, zweifelsfreien Verkörperung des Geschlechtsstatus. Der Körper gewinnt eine Wichtigkeit als demons- tratives Geschlechtszeichen, die er für die habituell sicheren Männer nicht hat" (Meuser 2006: 315). Die männliche Ausstattung des Körpers als eine von weni- Jonathan, CH, Bio, süsslich gen Perspektiven bedeutet auch, dass die Jugend- lichen mit diesem Körper arbeiten, ihn be-arbeiten müssen. Er wird zur Gefahr für andere, die ihn auch dann als Bedrohung wahrnehmen, wenn er nicht als 1Die Studie des KFN stellt zwar schriftlich keinen signifikanten Zusam- solche eingesetzt wird. Damit wird Geschlecht für die menhang zwischen islamischer Religiosität und Gewaltbereitschaft fest (vgl. KFN Forschungsbericht, 109, S. 118), jedoch der Leiter des Jugendlichen zur Falle: Es führt sie in eine Spirale, in Instituts, Christian Pfeiffer, zitiert in der Süddeutschen Zeitung vom der immer gewalttätigere Formen von Männlichkeit 5.6.2010. zum Einsatz kommen, als personale und strukturelle 2Vgl. zu den allgemeinen Projektergebnissen Bukow et al. 2003. Gewalt. 3Vgl. dazu ausführlich Spindler (2006): Corpus delicti. Männlichkeit, Körperlichkeit wird nicht nur für die Jugendlichen Rassismus und Kriminalisierung im Alltag jugendlicher Migranten, Münster. relevant. Auch rassistische Strukturen bedienen sich 4Unter hegemonialer Männlichkeit versteht Connell (2000: 99ff) ein der Körperlichkeit der Jugendlichen. Die Jugendlichen System der männlichen Dominanz, das sich durch Sicherung der Herr- werden rassifiziert und als Defizitträger wahrgenom- schaft über Frauen sowie über 'andere' Männer reproduziert. Männer men, der gesellschaftliche Blick ist fixiert auf das, was arbeiten untereinander hierarchische Rangfolgen aus, die oberen an ihnen 'anders' oder 'anormal' ist, was ihnen fehlt, Ränge werden bestimmt durch Attribute wie 'weiss', heterosexuell, mächtig, erfolgreich in Beruf und gesellschaftlichem Leben. Die was sie falsch machen. Die Person mit der individu- hegemoniale Männlichkeit definiert Männer mit anderen Merkmalen ellen Geschichte, der subjektiven Sichtweise taucht als unterlegen und benötigt diese zugleich, um sich selbst Kontur zu nicht mehr auf. Diese Haltung lässt sich als Sicherung verleihen. von männlicher, weisser Hegemonie verstehen: Die sich als Mehrheitsgesellschaft begreifende Gruppe braucht den 'Anderen' und seine Abwertung, um sich selbst aufzuwerten und Macht zu sichern. Differenz LITERATUR wird über die Kategorie Geschlecht in Verbindung mit Baier, Dirk et al. (2010): der Kategorie 'Rasse' hergestellt. Die Jugendlichen Kinder und Jugendliche in Deutschland. Gewalterfahrungen, werden auf wenige ausschliesslich negative Attribute Integration, Medienkonsum. KFN Forschungsbericht Nr. 109. reduziert: gewalttätig, aggressiv, unproduktiv und Bukow et al. (2003): verantwortungslos. Für die Jugendlichen korrespon- Ausgegrenzt, eingesperrt und abgeschoben. Migration und Jugendkriminalität. Opladen. dieren ihre Konstruktionen von Geschlecht durch- Connell, Robert (Connell, Raewyn) (2000): aus mit gesellschaftlich legitimierten Männlichkeits- Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlich- konstruktionen wie Macht, Stärke und Überlegenheit. keiten. Opladen. Auch liegt ihre Deutung von Männlichkeit im Erfah- Kelek, Necla (2006): rungsraum, den sie gesellschaftlich gemacht haben, Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes. Köln. und dazu gehören auch Gewalterfahrungen. Dennoch Meuser, Michael (2007): steht das gesellschaftliche Urteil über sie fest: Konsta- Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und tiert wird, sie bewegten sich nicht im Rahmen des kulturelle Deutungsmuster. Wiesbaden, 2. aktualisierte Aufl. Legitimen. Die Haft wird für sie dann zum 'rich- Spindler, Susanne (2006): tigen' Ort, hier müssen, ja dürfen sie keine Verant- Corpus delicti. Männlichkeit, Rassismus und Kriminalisie- rung im Alltag jugendlicher Migranten. Münster. wortung für sich übernehmen. Die Haft kennzeichnet Süddeutsche Zeitung (5.6.2010): somit den Endpunkt untergeordneter Männlichkeit. Die Faust zum Gebet. Ordnungen von über- und unterlegener Männlich- keit scheinen unverrückbar, individuelle Ausformu- lierungen von Geschlecht werden immer belangloser, Aufbegehren ergibt immer weniger Sinn. Im Nebenef- *Prof. Dr. Susanne Spindler fekt dient die Betonung der fehlgeleiteten, patriarcha- ist Pädagogin und Lehrstuh- len Männlichkeit dieser Jugendlichen der diskursiven linhaberin an der Hochschule Verlagerung von Geschlechterungleichheiten auf die Darmstadt Gruppe der Migranten. Der Rest der Gesellschaft defi- niert sich in Abgrenzung dazu und spricht sich selbst damit vom Machismo frei. genderstudies #17 Herbst 2010 7 SCHWERPUNKT INTERSEKTIONALITÄT Differenz, Diversität, Intersektionalität Ein Gespräch mit Brigitte Schnegg und Andrea Maihofer zum Umgang den verschiedenen Ansätzen der Intersektionalität: mit Kategorien der Ungleichheit. Während die einen beispielsweise an 'Rasse', Klasse und Geschlecht als Analysekategorien festhalten, I Lilian Fankhauser* betrachten andere, insbesondere die Queer Studies, Kategorien grundsätzlich als Problem, weil sie diese mit dem Essentialisierungs-Verdacht belegen. LF: Ihr habt im vergangenen Semester ein inter- Entsprechend haben die Studierenden auch immer universitäres Seminar zu "Differenz, Diversi- wieder die Frage gestellt, ob es überhaupt richtig sei, tät und Intersektionalität" angeboten. Welches von Geschlecht, Klasse, Ethnie und sexueller Orientie- sind für euch die wichtigsten Aspekte dieser rung zu sprechen oder ob damit nicht Identitäten fest- Konzepte? geschrieben und Ausschlüsse produziert würden. BS: Der Ausgangspunkt des Seminars war, nochmals AM: Es gibt eben zwei Gebrauchsweisen dieser zu zeigen, wie grundlegend es für die Geschlechter- Begriffe: Zum einen sind sie analytische Katego- forschung von Anfang an war, sich mit unterschied- rien, um hegemoniale Differenzierungs- und Diszipli- lichen Differenzkategorien auseinanderzusetzen – und nierungsprozesse begrifflich festmachen zu können. nicht erst mit der 'Entdeckung' der Intersektionalität, Würde man diese Kategorien verabschieden, gäbe wie das heute teils suggeriert wird. Wir möchten in man ein zentrales Analyseinstrument gesellschaft- Erinnerung rufen, dass die Feministinnen die Kate- licher Herrschaftskritik aus der Hand, was sicher nicht gorie Geschlecht in einem Moment einbrachten, in sinnvoll ist. Zum anderen sind Geschlecht, Klasse, welchem "Klasse" das Monopol auf Fragen nach der 'Rasse'/Ethnizität und Sexualität gesellschaftliche sozialen Ungleichheit besetzte. Die Auseinanderset- Phänomene, Effekte von Herrschafts- und Diszipli- zung mit verschiedenen Aspekten der Ungleichheit nierungsprozessen, die man nicht per Dekret einfach war für die Feministinnen von Anfang an selbstver- abschaffen kann – und hier, so finde ich, tauchen die ständlich. eigentlichen Probleme auf. Hier geht es dann um das bekannte Dilemma: Festschreibung von Identitäten AM: Genau, es ging ja schon damals, als die femini- oder Nichtanerkennung/Ausgrenzung differenter stische Forschung ihren Anfang nahm, darum, neben Existenzweisen. dem "Hauptwiderspruch" der Klassenungleichheit die Ungleichheit der Geschlechter einzubringen. Und BS: Da bin ich absolut einverstanden: Die Wirkungs- man sieht sehr schön in diesen ersten marxistisch- macht dieser Kategorien führt ja tatsächlich auch feministischen Texten, dass die Autorinnen nicht von dazu, dass die Gesellschaft hierarchisch strukturiert 'der' Frau sprechen, sondern von einer bestimmten ist. Damit wir diese Herrschaftsformen analysieren Gruppe von Frauen. Schon damals waren "Klasse" können, brauchen wir aber wiederum genau diese und "Geschlecht" als Differenzen präsent; "Rasse" im Kategorien. deutschsprachigen Kontext zunächst allerdings kaum. AM: Der andere Punkt ist, dass diese Kategorien oft BS: Ganz besonderes Gewicht hatte während unseres lediglich als Ungleichheitskategorien angeschaut Seminars die Frage: Wie gehen wir überhaupt mit werden. Aber es geht nicht nur um Grenzziehungen Kategorien um? Da gibt es Spannungen zwischen und Herrschaftsverhältnisse, sondern auch um Subjek- tivierungs- und Normalisierungsprozesse; also um die Herstellung von Individuen, die geprägt sind durch diese verschiedenen Kategorien. Wir müssen uns also immer wieder fragen, wovon wir reden: von gesell- schaftlichen Herrschaftsverhältnissen, von einzelnen Individuen oder von Gruppen? In einem Individuum hängen diese Phänomene stets konstitutiv mitei- nander zusammen. Wenn wir aber zum Beispiel über Diskriminierungen sprechen, kann es sein, dass ein Element in diesem Fall gerade überhaupt gar keine Rolle spielt. LF: In welchen Forschungsfeldern ist denn die Arbeit mit Intersektionalität sinnvoll? AM: Angeregt nicht zuletzt durch Gudrun-Axeli Knapp1 würde ich nicht (mehr) sagen, ich nehme eine intersektionale oder interdependente Perspektive ein, sondern ich bevorzuge den Begriff der Multidimensi- onalität. Dann kann ich mich, je nach Forschungsge- genstand, entscheiden, ob es eher um eine intersekti- Gala, CH, Bio, süsslich onale oder interdependente Angelegenheit geht oder 8 genderstudies #17 Herbst 2010

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Doctrine, Feminist Theory and Antiracist Politics". ([1989] 1997) hat sie sich insbesondere .. weg vom europäischen und US-amerikanischen Raum.
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