Inszenierung und Optimierung des Selbst Ralf Mayer • Christiane Thompson Michael Wimmer (Hrsg.) Inszenierung und Optimierung des Selbst Zur Analyse gegenwärtiger Selbsttechnologien Herausgeber Dr. Ralf Mayer Prof. Dr. Michael Wimmer Prof. Dr. Christiane Th ompson Universität Hamburg Deutschland Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Deutschland ISBN 978-3-658-00464-4 ISBN 978-3-658-00465-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-00465-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio- nalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. 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Selbstverbesserung als das letzte Anliegen der modernen Kultur .................. 31 Gerhard Gamm 11 Prekäre Körper in prekären Zeiten - Ambivalenzen gegenwärtiger somatischer Technologien des Selbst ............................................................... 57 Paula-Irene Villa Selbstführung und Selbstinszenierung. Der ,Trainingsraum' als gouvernementales Strafarrangement ........................ 75 Ludwig A. Pongratz Wir wollen nur das Beste ... Das Thema ,Schulwahl' im Kontext pädagogischer Ratgeber ........................ 89 Jens Oliver Krüger Wie das Kind geschrieben wird. Lerngeschichten als Inszenierungspraxis in Kindertageseinrichtungen ....... 111 Sandra KochlGesine Nebe Inszenierung und Studentsein ........................................................................ 137 Angela HöllerlKristin ScholzlSabrina SchröderlPauline Starke 6 Inhalt III Optimierungen des Selbst in Inszenierungen von Behinderungen ............... 161 Sarah-Marie Puhr/Kirsten Puhr Mediale Selbstcodierungen zwischen Affekt und Technik ........................... 181 Anna Tuschling Zitiertes Leben. Zur rhetorischen Inszenierung des Subjekts .................................................. 195 Kerstin Jergus Pädagogik als Möglichkeitsraum. Zur Inszenierung von Optimierungen ............................................................ 215 Sabrina Schellk IV An den Grenzen des Selbst ............................................................................. 239 Norbert Ricken Selbst selbstlos? Überlegungen zur Deixis und Phänomenologie der Ich-selbst-Referenz ...... 259 Rainer Kokemohr Das Selbst als Phantom ................................................................................... 295 Michael Wimmer Autorinnen und Autoren ................................................................................. 323 Inszenierung und Optimierung des Selbst. Eine Einführung RalfM ayer / Christiane Thompsoll 1. Über die ,Arbeit am Selbst' Kulturelle Formen und Praxen der Inszenierung und Optimierung des Selbst spie len heute in der alltäglichen Lebensgestaltung und Lebensr1ihrung eine heraus ragende Rolle. Die Erstellung und Anpassung von Profil seiten in sozialen Netz werken und Partnerbörsen, die Inanspruchnahme unterschiedlichster Formen von Beratung und Coaching, um das ,eigene Potential' zu entwickeln und zu präsen tieren, sowie die verschiedensten Strategien der Evaluatioo belegen die Perma nenz und Intensität, mit der Menschen heute aufgefordert sind, an sich und ih rer Erscheinung zu arbeiten, mit anderen Worten: sich erneut und verändert im Horizont gesellschaftlich bestimmter Vorstellungen von "Schönheit", "Erfolg", "Leistungsrlihigkeit" etc. zu entwerfen und auszulegen. Betrachtet man die Bandbreite der kulturellen Formate der ,Arbeit am Selbst', so ist - bei aller Unterschiedlichkeit der Vollzüge und Zielvorstellungen dieser Praxen - auffällig, wie stark in ihnen vorausgesetzt wird, dass über das Selbst verlügt werden kann. Inwiefern dabei die Grenzen denkbarer Verfügungsmög lichkeiten zunehmend verwischen, wird z. B. in den Manipulationen und Verän derungen des eigenen Körpers greifbar: In Operationen, Piercings u. ä. erscheint der Körper weniger im Rahmen einer dezidierten Aushandlung der Grenze des Möglichen, sondern vielmehr im Kootext eines entgrenzten Anspruchs der Über schreitung des Normalen, Schönen und Gesunden (vgl. Borkenhagen 2001). Auch die wachsende Zahl von Beiträgen zum Selbstcoaching, in denen das Ratgeben zum ultimativen Ratgeber-Thema avanciert, kann beispielhaft Iür die Voraus setzung einer Verlügungsposition in der Findung des Selbst und der ,Arbeit am Selbst' angelührt werden. Dem Postulat einer (positiven) Selbstveränderung sowie eines souveränen Zugriffs auf das "Selbst" liegt eine eigentümliche und spannungsreiche Doppel struktur zugrunde. Die ,Arbeit am Selbst' impliziert eine Position von Autono mie bzw. VerIügung und zugleich eine kaum eingeschränkte Dispooibilität rUr R. Mayer et al. (Hrsg.), Inszenierung und Optimierung des Selbst, DOI 10.1007/978-3-658-00465-1_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 8 RalfMayer I Christiane Thompson Veränderungen und damit ein Unterworfensein unter wechselnde Ansprüche und Anforderungsprofile. Über die ,Arbeit am Selbst' erschließen sich demnach nicht nur immer wieder neue Möglichkeiten zu sein; vielmehr realisiert diese Arbeit das Selbst als radikal gestaltbares, als Versprechen, Unsicherheit und Zumutung: Sie situiert es in einer Differenz zu sich, in der Aufforderung seiner Steigerung und Überschreitung. Wenn in diesem Band von einer "Inszenierung und Optimierung des Selbst" die Rede ist, so geschieht dies vor dem Hintergrund der genannten und im Fol genden zu entwickelnden Doppelstruktur. Inszenierung und Optimierung sind dann nicht als Konzepte zu verstehen, die unproblematisch ,Schein' und ,Sein', ,Rückschritt' und ,Fortschritt' indizieren. Als solche erlägen sie der gängigen Au tonomie-und Verfügungsrhetorik, ohne systematisch den Verwicklungen und der Komplexität der Arbeit am "Selbst" gerecht zu werden. Anschaulich wird dies am SchönheitshandeIn, wie Nina Degele (2004) aufgezeigt hat: In der selbstge richteten Vorstellung, im Schönheitshandeln "etwas für sich zu tun", wirken zu letzt soziale Erwartungen, normalisierte Idealvorstellungen und damit auch Un terwerfung und Kontrolle. Für die systematische Ausarbeitung der ,Arbeit am Selbst' hat sich die Ka tegorie der "Subjektivierung" bewährt, da sich mit ihr im Anschluss an die Ar beiten Michel Foucaults (2000) und Judith Butlers (2001) die oben genannte Doppelstruktur ausarbeiten lässt. "Subjektivierung" impliziert, die Vorstellung einer fundierenden philosophischen Subjektivität aufzugeben, um einen macht vollen Prozess sozialer Hervorbringung zu denken, mit dem Verständigungen über sich und das eigene Handeln einhergehen: "It is a form of power !hat ma kes individual subjects. There are two meanings ofthe word ,subject': subject to someone else by control and dependence, and tied to his own identity by a con science or self-knowledge" (Foucault 2000: 331). Foucault legt Subjektivierung als einen komplexen und auch rätselhaften oder paradoxen Prozess der Subjekt konstitution aus, in dem die Ansprechbarkeit auf bzw. die Aneignung von Mög lichkeiten einen sozialen Raum der Selbstbestimmung evozieren. Das Spiel der Selbstbestimmung wird auf dem Feld der anderen gespielt. Michael Wimmer hat von einer "szenischen Einheit" von sozialer Normierung und individueller Au tonomisierung gesprochen (Wimmer 2002: 113). Christoph Menke hat auf eine grundsätzliche Ununterscheidbarkeit zwischen ästhetischer Existenz und Diszi plin hingewiesen, die ebenfalls auf die Chiffre der ,Arbeit am Selbst' bezogen werden kann (Menke 2003: 299). Werden ,Selbstführung und Fremdfiibrung' als produktives Wechselver hältnis gedacht oder - in der anerkennungstheoretischen Formulierung Butlers Inszenierung und Optimierung des Selbst. Eine Einführung 9 - indem Individuen ihre Existenz im Rahmen von Kategorien vollziehen und er schließen, die dieser vorausgehen (Butler 2001: 24f.), eröffnet sich ein Raum, in dem darum gerungen werden muss, wer man eigentlich ist. Ulrich Bröckling er läutert diesen Gedanken in seinen Studien zum "unternehmerischen Selbst" am Doppelsinn des Wortes "Aufgabe" im Sinne von "etwas, das man zu tun hat, und etwas, das man aufhört zu tun beziehungsweise preisgibt" (Bröckling 2007: 29). In der produktiven Verweisung von Selbst-und Fremdfiihrung, im relationalen Existieren in und mit anderen, wird die Frage nach originärer Selbstbestimmung unbeantwortbar, ohne dass es eine Entlastung von der Beantwortung der Frage nach dem Selbst geben könnte. Mit der systematischen Figur der ,Arbeit am Selbst' ist zuletzt eine Histo risierung von Subjektivierung verbunden: "Die Serie von Subjektivitäten wird niemals zu einem Ende kommen", äußert Foucault in einem Interview mit Du cio Trombadori (Foucault 1997: 85), "und uns niemals vor etwas stellen, das ,der Mensch' wäre. Der Mensch ist ein Erfahrungstier: Er tritt ständig in einen Pro zeß ein, der ihn als Objekt konstituiert und ihn dabei gleichzeitig verschiebt, verformt, verwandelt - und der ihn als Subjekt umgestaltet." Was hier im Kon text humanwissenschaftlicher Betrachtung formuliert wird, eine Betrachtung, die durch eine Verwicklung der Subjekt-und Objektposition der Erkenntuis ge kennzeichnet ist, impliziert nach Foucault, eine anthropologische Grundlegung des Menschen aufzugeben und an ihrer Stelle die Aufmerksamkeit auf die viel fältigen historischen und kulturellen Formen der ,Arbeit am Selbst', auf die Se rie der Subjektivitäten, zu richten. In eben diesem Sinn wird im vorliegenden Band neben der systematischen eine gegenwartsanalytische Untersuchungsperspektive entfaltet, die aktuelle For men der ,Arbeit am Selbst', insbesondere in ihrer pädagogischen Relevanz, in den Blick uimmt. Der systematische und gegenwartsanalytische Bezug zur Päd agogik gibt dabei den Untersuchungen eine besondere Rahmung; denn die Pro blemsignatur der neuzeitlichen Pädagogik besteht gerade darin, die Möglichkeit individueller Selbstbestimmung zu gewährleisten und diese gerade auch gegen gesellschaftliche Vereinnahmungen und Normalisierungen zu verteidigen (vgl. Schäfer 2012). Paradigmatisch lässt sich dies am Erziehungsroman "Emile" (Rous seau 1995) verdeutlichen, in dem Rousseau die Erziehung als Ermöglichung der Identität des jungen Emile von der Erzieherfigur her konzipiert, der in Aufopfe rung und Stellvertreterposition die offene Zukunft des Kindes gegen gesellschaft liche Normalitätsansprfiche sichern soll (vgl. ebd.: 16, auch Schäfer 2002, 2007). Und auch der neuzeitliche Einsatz des Bildungsbegriffs liegt im Versprechen der Selbstbestimmung gegen gesellschaftliche Funktionalität und Brauchbarkeit, dem 10 RaifMayer I Christiane Thompson Horizont einer Existenz, die im Einklang mit der sie kennzeichnenden Gedank lichkeit steht (Schäfer 2011, Thompson 2002). Der Anspruch der Selbstbestimmung des Kindes bzw. des sich bildenden In dividuums hat der Pädagogik von Anfang an Probleme und Paradoxien eingebracht (Wimmer 2006, Schäfer 2009); denn wie sollte es der Erziehung möglich sein, die Znkunft des Kindes offen zu halten, ohne diese zum Gegenstand einer kategori alen oder inhaltlichen Bestimmung zu machen und sie also gerade zu schließen?' Wie können sich Bildungsprozesse, die nur in und als Auseinandersetzung mit Welt und damit im Kontext soziosymbolischer Ordnung vollzogen werden, in re flexiver Distanz zu den sie ermöglichenden Ordnungen realisieren? An welchen Kriterien oder Kategorien ließe sich Bildung qua Selbstbestimmung festmachen?' Es ist nicht verwunderlich, dass erziehungswissenschaftliche Studien in histurisch-systematischer und empirischer Ausrichtung gerade auch die macht volle Produktivität theoretischer und praktischer Pädagogik rUr die ,Arbeit am Selbst' zum Thema machen. Ian Massehelein und Norbert Ricken haben die neu zeitliche Bildung mit einem Individualisierungs-und Verantwortungsregime in Verbindung gebracht (Masschelein/Ricken 2003). Käte Meyer-Drawe hat die dis ziplinarische Herausbildung des Individuums in reformpädagogischen Zusam menhängen analysiert (Meyer-Drawe 2001). Exemplarisch seien für die Analyse des konstitutiven Zusammenhangs von Selbst- und Fremdführung in pädago gischen Institutionen und Praxen Studien zur Individualisierung in der Schule (Rabenstein 2008), zu neuen Lernformen (Wrana 2009) und Lembegriffen, wie dem "lebenslangen Lernen" (Pongratz 2006), zur schulischen Vereinbarungs kultur (Dzierzbicka 2006), zum Evaluationsregime (Masscheiein/Simons 2005, Thompson 2013) sowie zu veränderten bildungsökonomischen Ralunungen päd agogischer Institutionen (Liesner 2009) genannt. Die Pädagogik stellt - grob gesagt - ein paradigmatisches Feld dar, in dem sich gegenwärtig die "Inszenierung und Optimierung des Selbst" untersuchen lässt; denn die Pädagogik muss in ihrem Anspruch der Ermöglichung individueller Auf das fundamentale pädagogische Problem der Relation zwischen der (Er-)Öffnung und Unterstützung individueller oder gesellschaftlicher Lebensentwürfe und je spezifischer Be stimmungs-bzw. Schließungsversuche kommt Sabrina Schenk in ihrer Auseinandersetzung mit historisch wie systematisch orientierten Lesarten utopischer sowie dystopischer Entwürfe zu sprechen. Dabei arbeitet sie sich an pädagogischen, literarischen und ästhetischen (Tradi tioDs-)Linien ab, die das gespannte Verhältnis von Gegenwart und Zukunft, von Möglichkeit und Wirklichkeit, von Optimierung und Reglementierung inszenieren. 2 Im Beitrag von Paula-lrene Villa wird die These verfolgt, dass die Schönheitschirurgie als logische Konsequenz moderner Subjektivierung-gerade auch im Zusammenhang aufkläreri scher Selbstbehauptung-verstanden werden kann. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Prekarisierung der gesellschaftlichen Bedingungen avanciert der Körper, so Villa, zum Medium der Selbstgestaltung mit dem Ziel, Handlungssicherheit (wieder-)herzusteUen.
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