Inszenierung: Innere Sicherheit Reihe "Soziologie der Politik" Herausgegeben von Ronald Hitzler Stefan Hornbostel Sighard N eckel Band 1 Ronald HitzlerlHelge Peters (Hrsg.) Inszenierung: Innere Sicherheit Daten und Diskurse Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1998 Gedruckt auf siiurefreiem und aitersbestiindigem Papier. ISBN 978-3-8100-2164-9 ISBN 978-3-663-10370-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10370-7 © 1998 Springer Fachmedien Wiesbaden Originally published by Leske + Budrich, Opladen in 1998. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Veriages unzuliissig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr VervieifaItigungen, Obersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Leske + Budrich Inhalt Vorbemerkung ..... .................. ............... ........... ....... ........... ......... ..... ...... 7 I. Helge Peters: Die Inszenierung ,,Innere Sicherheit" - Zur Einftihrung in das Thema ............... :............................................... 9 II. Mediale Konstruktionen von Sicherheitsproblemen Thomas Kliche: Vom Feindbild zum Fluktuat. "Islam" als mediales Feld flexibler, diskursiver Ausgrenzung .............. 25 Birgit Menzel: Miinnergewalt gegen Frauen als Thema von Tageszeitungen . ....... ....... 39 Alexander Milanes: Akte X und Aktenzeichen XY. Uber Formen der Inszenierung krimineller Bedrohung im Fernsehen .. 51 III. Neue "Instrumente" der Sicherheitskonstruktionen Hartmut Aden: Europrusche Polizeikooperation. Konstruktion und Wandel von Legitimationsfiguren ............................ 65 Sylvia Lustig: Kontrollierte Kontrolleure Uber die Erweiterung des ,intelligence system' der bayerischen Polizei .......................................................................... 79 6 Helge Peters Stefan Hornbostel: Die Konstruktion von Unsicherheitslagen durch kommunale Praventionsrate .............. .... ........... ................ ............. ... ..... 93 Werner Lehne: Kommunale Kriminalpravention Die Reorganisation des Politikfeldes ,Innere Sicherheit' ....... ....... ........ 113 Detlev Nogala: Sicherheit verkaufen Selbstdarstellung und marktstrategische Positionierung kommerzieller 'Sicherheitsproduzenten' ........................................................................ 131 IV. Politische Konstmktionen von Sicherheitsproblemen Reinhard Kreissl: Die Konjunktur Innerer Sicherheit und die Transformation der gesellschaftlichen Semantik ...................... 155 Dorothee Bittscheidt·Peters: Wenn Erziehung zur Strafe werden soIl... Zum Verhaltnis von Jugendhilfe und Justiz in Deutschland ................. 171 Barbel Peters und Michael Schetsche: Innere Sicherheit und Cyberspace ......................................................... 185 v. Ronald HitzJer: Bedrohong ond Bewiiltigung Einige handlungstheoretisch triviale Bemerkungen zur Inszenierung "Innere Sicherheit" ....... ........... ...... ............... ........... ....... ......... ......... .... 203 Autoren und Autorinnen ................. ...... ............. ....... ........... ......... ......... 213 Vorbemerkung Die Sektionen "Politische Soziologie" und "Soziale Probleme und soziale Kontrolle" der Deutschen Gesellschaft fUr Soziologie veranstalteten vom 9. bis 11. Oktober 1997 in der Carl von Ossietzky UniversWit Oldenburg eine Tagung zum Thema "Die Inszenierung ,Innere Sicherheit' - Daten und Dis kurse". Die in diesem Band abgedruckten Arbeiten von Hartmut Aden, Ro nald Hitzler, Stefan Hornbostel, Thomas Kliche, Werner Lehne, Birgit Men zel, Alexander Milanes, Detlev Nogala und Barbel PeterslMichael Schetsche sind die erweiterten und ausgearbeiteten Fassungen der Referate, die diese Autoren auf dieser Tagung gehalten haben. Dorothee Bittscheidt-Peters, Reinhard Kreissl und Sylvia Lustig Hefern mit ihren hier abgedruckten Bei tragen die von den Herausgebern auf der Tagung noch vermiBten und des wegen dankbar begriiBten thematischen Erganzungen. Dortmund/Oldenburg, im Juni 1998 Ronald Hitz/er, Helge Peters Helge Peters Die Inszenierung "Innere Sicherheit" - Zur Einfiihrung in das Thema 1. "Die Idee von Sicherheit hat im Offentlichen Diskurs der Bundesrepublik Deutschland eine erstaunliche Wendung genommen: Waren noch bis weit in die 80er Jahre hinein Begriffe wie ,Sicherheitspolitik' oder ,Sicherheitsbera ter' relativ eindeutig im Feld der AuBenpolitik verortet, so hat der Zusam menbruch der Sowjetunion mit seinen Folgeerscheinungen die Koordinaten fiir die bisherige Trennlinie zwischen AuBen- und Innenpolitik verschoben. Volkstiimlich ausgedriickt: ,Der Russe', der bis dahin nur als relativ diffuses Bedrohungs-Szenario hinter einem ,eisemen Vorhang' hauste, kommt nun tatsachlich, aber nicht mit dem Panzer, sondem mit dem Lada. Und er hat es, wenn man Gegenwartsdiagnostikem ... glauben will, zwar nicht mehr auf die Produktionsanlagen der Firma Mercedes-Benz, dafiir aber urn so nachdriick licher auf den Mercedes des rechtschaffenen Biirgers abgesehen." So illu striert Ronald Hitzler die gegenwlirtig verbreitete Kriminalitatsfurcht und die Problematisierung der Inneren Sicherheit (1997). Empirische Untersuchungen bestiitigen diese Illustration: Kriminalitat, insbesondere die Organisierte Kriminalitat, und insgesamt die Gefahrdungen der Inneren Sicherheit gel ten heute als wesentliche soziale Probleme. Reprii sentativen Samples von Personen aus Ost- und Westdeutschland wurde 1995 eine Reihe sozialer Probleme u.a. mit der Bitte genannt, zu sagen, ob sie durch diese Probleme "sehr beunruhigt" seien. Spitzenreiter in Ost- und Westdeutschland war die - gem mit "dem Russen" assoziierte - Organisierte Kriminalitat. 61,6% der ostdeutschen und 46,7% der westdeutschen Befrag ten bejahten die im Blick auf dieses Problem gestellte Frage. Seltener - wenn auch sehr oft - waren die Befragten von der Arbeitslosigkeit "sehr beunru higt": 59,8% der ostdeutschen und 33,6% der westdeutschen Befragten. Bei den westdeutschen Befragten rangierte das Problem Arbeitslosigkeit hinter der "Organisierten Kriminalitat", der "Aggression und Gewalt" und der "Kri minalitatsentwicklung" (vgl. Boers 1995: 194). Seit Mitte der 80er Jahre steigt diese Beunruhigung (bis 1993). 1986 ga ben 26% der (West-)Deutschen an, sie wiirden sich Sorgen machen, daB die Kriminalitat in Deutschland immer zunimmt. 1990 lautete der entsprechende 10 Helge Peters Prozentsatz 30%, 1991 37%, 199242% und 199348% (vgl. Reuband 1996: 499). Zu ahnliehen Ergebnissen kommen IPOS-Umfragen. Auf die (an Bur ger und Burgerinnen der alten BundesHinder gestellte) Frage: "Was meinen Sie: Wird die Sieherheit der Burger auf den StraBen und Platzen dureh Kri minalitiit bedroht oder nieht bedroht?" antworteten "bedroht" 1990 56%, 1991 67%, 199271 % und 199370% (vgl. Reuband 1994: 216). Warum ist diese Beunruhigung, dieses Bedrohtheitsgeflihl verbreitet, warum haben sie zugenommen? Dies ist, so lautet die simpelste Antwort, ein Reflex der Zunahme der Kriminalitat. In der offentliehen Diskussion gelten die Polizeiliehen Kriminalstatisti ken als Indikatoren flir die Kriminalitiitsentwicklung. Die in diesen Statisti ken veroffentlichten Daten spreehen fur diese Antwort. So lautete die Ge samthaufigkeitszahl der Kriminalitiit 1985 6.909 und 1993 (in den alten Bun desliindern) 8.032 (vgl. Bundeskriminalamt 1996: 19). Eine deutliehe Zunahme also. Definitionstheoretisehe Erwagungen hin dern allerdings daran, in dieser Zunahme eine glatte Bestatigung jener "simplen Antwort" zu sehen (vgl. dazu aueh Hornbostel in diesem Band). Die in Statistiken dargestellte Kriminalitat ist bekanntlieh kein Abbild einer objektiv vorflndliehen Devianz. Kriminalitat ist nieht objektiv erfaBbar. Nicht zu leugnen ist zwar, daB der Deutung eines Saehverhalts als kriminell stets ein objektiv faBbares Substrat zugrunde liegt. Ohne vorgefundene Lei ehe ist es sehwierig, einen Mord festzustellen. Der Fund einer Leiehe besagt aber nieht, daB ein Mord stattgefunden hat. Zu erkunden ist, ob der Fund eine Folge eines Unfalls, eines Selbstrnords, einer Totung auf Verlangen, einfa ehen Sterbens usw. war. Zu "erkunden" heiBt: Aufgrund der ermittelten Umstiinde "sehlieBt" man auf bestimmte Saehverhalte. Kriminelles Handeln wird also als solches nur zum geringen Teil regi striert (objektives Substrat), es wird groBenteils als solches interpretiert. Dies tun in staatliehem Auft rag die flir die Innere Sieherheit zustiindigen Instanzen sozialer Kontrolle. Kriminalstatistiken - nieht nur die der Polizei - sind also groBenteils die Summe der Interpretationen der Vertreter der Instanzen sozia ler Kontrolle. Man kann aueh sagen: Diese Summe ist groBenteils das Er gebnis der Tiitigkeit dieser Vertreter.' Und das heiBt: Kriminalstatistiken sind groBenteils Tiitigkeitsberiehte der flir die Innere Sieherheit zustandigen In stanzen sozialer Kontrolle. Die Beunruhigung uber Kriminalitat, die mit der statistiseh dargestellten Kriminalitiitshiiufigkeit variiert, variiert also mit den Merkmalen der Tiitig- Diese Tiitigkeit ist - wie alle berufliche Tiitigkeit - nicht mit der Wiedergabe ihrer manifesten Ziele zu beschreiben. Es geht groBenteils urn Berufspolitik. So zeigt Howard Taylor, daB die englische und walisische Polizei zwischen 1914 und 1960 auf die Erhohung der in Kriminalstatistiken dargestellten Kriminalitatshauflgkeit mit der Absicht zielte, ihren sozialen Status zu verbessem (vgl. 1998: 5ff.).