Informatikkultur neu denken – Konzepte für Studium und Lehre Carmen Leicht-Scholten • Ulrik Schroeder (Hrsg.) Informatikkultur neu denken – Konzepte für Studium und Lehre Integration von Gender und Diversity in MINT-Studiengängen Herausgeberschaft Carmen Leicht-Scholten Ulrik Schroeder RWTH Aachen Aachen, Deutschland ISBN 978-3-658-06021-3 ISBN 978-3-658-06022-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-06022-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer Vieweg © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus- drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Ein- speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be- rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Vieweg ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vieweg.de Herausgegeben von Carmen Leicht-Scholten Carmen Leicht-Scholten hat Politische Wissenschaften, Soziologie und Romanistik in Heidelberg, Aachen und Sevilla studiert. Ihre Promotion an der Universität Hamburg am Lehrstuhl I für Politische Wissenschaft befasste sich mit der Wirkung der Verfassungsrechtssprechung zum Thema Gleichberechtigung auf Politik und Gesellschaft. Von Ende 2007 bis Juni 2010 war Frau Leicht-Scholten Leiterin der Stabstelle Integration Team, Human Resources, Gender and Diversity Management (IGaD) an der RWTH Aachen. Von Juli 2010 bis Oktober 2011 war sie Gastprofessorin an der TU Berlin. Seit Januar 2012 hat sie die Brückenprofessur „Gender und Diversity in den Ingenieurwissenschaften“ im Fachbereich Bauingenieurwesen der RWTH Aachen inne, wo sie seit Mai 2012 Studiendekanin ist. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen nachhaltiger und sozialverantwortlicher Technikentwicklung und -gestaltung unter Einbeziehung von Gender- und Diversity-Perspektiven und Wissenschaftsforschung. Ulrik Schroeder Ulrik Schroeder studierte Informatik an der TU Darmstadt und promovierte dort im Bereich Software Engineering. Nach einem Postdoc-Forschungsaufenthalt im Center for Lifelong Learning and Design (L³D) der University of Colorado at Boulder und einer Vertretungsprofessur für Informatik und ihre Didaktik an der TU Darmstadt im Jahr 1999, folgte er 2000 einem Ruf auf die Professur für Informatik und ihre Didaktik an die Pädagogische Hochschule Ludwigsburg. Seit 2002 leitet er das Lehr- und Forschungsgebiet für computerunterstütztes Lernen und Fachdidaktik Informatik an der RWTH Aachen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen eLearning, Usability, Web- Technologien und Informatikdidaktik, insbesondere Methoden und Werkzeuge zur Unterstützung von Lernprozessen und Metalernen sowie Verfahren und Werkzeuge für qualitative Rückmeldungen zu Übungs- und Lernaufgaben. Ferner leitet er das Center for innovative Learning Technologies – CiL, das eLearning- Kompetenzzentrum der RWTH Aachen sowie InfoSphere, das Schülerlabor Informatik der RWTH Aachen. Geleitwort Seit Ende der sechziger Jahre ist die Informatik Studienfach an deutschen Hochschulen. Die Geschichte des Fachs und ihr Einzug an Hochschulen sind somit gegenüber anderen wissenschaftlichen Disziplinen noch vergleichsweise jung. Die Bedeutung der Informatik für technische Entwicklungen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft haben in dieser Zeitspanne erheblich zugenommen. Das alltägliche Leben ist ohne informatische Inhalte kaum noch vorstellbar, so umfassend ist ihr Einfluss. Ihre Anwendungsgebiete sind vielfältig und umfassen unter anderem Datensicherheit, Softwareentwicklung, Medizintechnik, Smartphones, Suchmaschinen und soziale Netze, die unseren Alltag und die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, prägen. Die Produkte und Methoden der Informatik sind auch aus anderen Wissenschaftsdisziplinen nicht mehr wegzudenken. Inzwischen sind durch Informatik neue Wissenschaftsbereiche entstanden, die von der Unterstützung der Literaturwissenschaften bei der Textanalyse (Digital Humanities) über Simulationen in den Naturwissenschaften (Computational Sciences) bis hin zur Steuerung von Geräten durch Gedankenkraft (Neuroinformatik) reichen. Informatikerinnen und Informatiker entwickeln solche komplexen vernetzten Systeme aus vielen Einzelkomponenten, deren Zusammenspiel verstanden und koordiniert werden muss. Dabei müssen Sicherheit, Verlässlichkeit, Bedienbarkeit, rechtliche Rahmenbedingungen, aber auch gesellschaftliche Auswirkungen mitbedacht werden. Die vielfältigen Anwendungsgebiete, die Suche nach Lösungen für komplexe Problemstellungen und gute Arbeitsmarktaussichten machen die Informatik als Beschäftigungsfeld abwechslungsreich und attraktiv. Der Bedarf an Absolventinnen und Absolventen des Fachs Informatik ist hoch und die Nachfrage wird auch in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht zurückgehen. Je umfassender der Einfluss informatischer Entwicklungen ist, desto wichtiger ist es, qualifizierte Informatikerinnen und Informatiker auszubilden. Somit gilt es einerseits, Studieninteressierte für die Informatik zu begeistern und diese im Studium zu halten. Andererseits bringt der Aspekt des weitreichenden Einflusses der Informatik auf die Gesellschaft die Notwendigkeit mit sich, dass Personen mit vielfältigen Erfahrungshintergründen und Sichtweisen an Entwicklungsprozessen beteiligt werden, um Systeme und Lösungen für die Gesellschaft so optimal und nachhaltig wie möglich zu gestalten. Ein Projekt, welches durch gezielte Maßnahmenentwicklung den Anteil von Frauen und anderen bislang unterrepräsentierten Gruppen in der Informatik erhöhen und Geleitwort VII die Studienabbruchquoten nachhaltig zu senken versucht, ist das Projekt „IGaDtools4MINT“, welches ich als Mitglied des wissenschaftlichen Beirates drei Jahre lang begleitet habe. Der vorliegende Tagungsband gewährt, neben der Dokumentation der Abschlusskonferenz des Projektes, einen Überblick über die Maßnahmen, die innerhalb des Projektes an der RWTH Aachen entwickelt und anschließend an die TU Berlin transferiert wurden. Langfristig soll dadurch eine Öffnung der Fachkultur der Informatik erreicht werden. Die Interdisziplinarität, die Anwendungsbezogenheit und die große Bedeutung der Informatik für Entwicklungen, von denen die Menschen auf der ganzen Welt profitieren können, sollen mehr nach außen transportiert werden, um die Wichtigkeit der Teilhabe an diesen Entwicklungen zu demonstrieren und die Attraktivität des Studienfachs für verschiedenste Studierende weiter zu steigern. Ich freue mich deshalb sehr, dass es interdisziplinäre Projekte wie IGaDtools4MINT gibt, die dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen, und Projektförderer, wie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die solche Vorhaben unterstützen. Berlin Prof. Dr. Hans-Ulrich Heiß 2. Vizepräsident der TU Berlin Inhaltsverzeichnis Einleitung ............................................................................................................................. 1 Vielfalt in der Informatik - Ergebnisse des Forschungsprojektes IGaDtools4MINT ................................................................................................................. 5 Tobias Berg, Rebecca Apel, Hendrik Thüs, Ulrik Schroeder und Carmen Leicht-Scholten Playful pedagogy: empowering students to do, design, and build ........................... 41 Marian Petre and Mike Richards Workshop 1 – Übergang Schule Hochschule Experiment Studentin – Ein schulübergreifender Oberstufenkurs des Techno- Clubs an der Technischen Universität Berlin und sein Informatik-Projekt .............. 57 Claudia Ermel und Inka Greusing Individualisierte Informatik-Vorprojekte im Übergang Schule-Hochschule ........... 71 Dino Capovilla, Elias Hoffmann, Christian Waechter und Peter Hubwieser Wie die Informatik sich selbst sieht und wie sie gesehen wird .................................. 85 Nadine Bergner Workshop 2 – Gender und Diversity in der Hochschullehre Dokumentation und Reflexion von Diversity-Erfahrungen mit (e-) Portfolio ....... 101 Angelika Finkenzeller, Gerlinde Schreiber und Ulrike Wilkens Gender- und diversitysensible Gestaltung von Lehrveranstaltungen im Informatikstudium - Best Practice Beispiele der FH Erfurt und der TU Ilmenau .. 115 Kristin Probstmeyer und Gabriele Schade Lehrmethodenvielfalt im Curriculum des Studiengangs Informatik und Wirtschaft – Ein Erfahrungsbericht .............................................................................. 127 Juliane Siegeris und Dagmar Krefting Einleitung Die Informatik als vergleichsweise junges Fach hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert wie kaum eine andere Wissenschaftsdisziplin. Dabei ist ihr großer Einfluss auf die modernen Gesellschaften allgegenwärtig. So gut wie keine Innovation, technische Neuerung oder Entwicklung findet noch ohne einen Bezug zur Informatik statt. So viele Beiträge wie informatische Anwendungen zur Beantwortung wichtiger gesellschaftlicher Herausforderungen liefern, wie z.B. in der medizinischen Diagnostik und Therapie oder bei der Bewältigung großer Datenmengen in der Informationsverarbeitung, so bergen eben solche Anwendungen auch Risiken für die Gesellschaft. Die aktuellen Diskussionen um die Gefahren der Datensammlung und der virtuellen Ausspähung der Bürgerinnen und Bürger zeigen, wie Informatik und Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden sind und technische Innovationen immer auch mit gesellschaftlichen Diskursen um Nutzen und Gefahren verbunden sein sollten. Damit zeigt sich aber auch das breite Spektrum, das die Informatik bietet: Von der Theoretischen über die Technische oder Medizinische Informatik bis hin zur Umwelt- oder Medieninformatik. Dennoch gelingt es nicht, diverse Studierende für ein Studium zu gewinnen und zu halten. Noch immer hält sich das stereotype Bild des computeraffinen männlichen „Hacker“ oder „Nerd“ für die Mehrzahl der Informatikstudierenden. Was die Altersstruktur, Nationalität, Familienhintergrund und schulische Vorbildung betrifft, sind Informatikstudierende in der Regel eher homogen zusammengesetzt (vgl. bspw. Apel et al. 2012). Obwohl die Informatik attraktive Beschäftigungsfelder und gute Karrieremöglichkeiten bietet, steigt der Frauenanteil trotz positiver Tendenz nur langsam. So lag dieser im Studienfach Informatik im Wintersemester 2012/2013 an deutschen Hochschulen bei 18% (vgl. Statistisches Bundesamt 2013, eigene Berechnung). Die vorliegende Publikation entstand im Rahmen der Abschlusstagung „Diversity: Neue Wege in der Informatikausbildung“ des Forschungsprojekts „IGaDtools4MINT – Integration von Gender and Diversity in MINT-Studiengängen an Hochschulen“, welche vom 21.-22. November 2013 an der TU Berlin stattfand. Die Tagung bot einen Rahmen, um sich mit Expertinnen und Experten C. Leicht-Scholten, U. Schroeder (Hrsg.), Informatikkultur neu denken - Konzepte für Studium und Lehre, DOI 10.1007/978-3-658-06022-0_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 2 Einleitung auszutauschen, aktuelle Projekte vorzustellen und die Ergebnisse von Maßnahmen zu diskutieren, die das Ziel verfolgen, den Anteil von Frauen und anderen bislang unterrepräsentierten Personen in der Informatik und den anderen MINT1-Fächern zu erhöhen. Ziel der Konferenz war es, Maßnahmen zusammenzuführen, die dazu beitragen, die Wahrnehmung der Informatik und ihrer Fachkultur nachhaltig zu verändern, und die facettenreichen Möglichkeiten, die eine Auseinandersetzung mit informatischen Inhalten bietet, transportieren zu können und zugleich vielfältigen Menschen eine Identifikation mit dem Fach zu ermöglichen. Dabei standen zwei zentrale Ansatzpunkte, an denen Hochschulen tätig werden können, in Form von Workshops im Fokus der Abschlusskonferenz: Die Gestaltung des Übergangs von der Schule zur Hochschule und die Hochschullehre in der Informatik bzw. den anderen MINT-Fächern. Diesen beiden inhaltlichen Schwerpunkten folgt auch der vorliegende Konferenzband. Im Rahmen des Workshops „Übergang Schule Hochschule“ stellen Dino Capovilla, Elias Hoffmann, Christian Waechter und Peter Hubwieser das Informatik-Vorprojekt der TU München vor, welches unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Vorkenntnisse einen an den individuellen Lernvoraussetzungen orientierten praktischen Einstieg in die Informatik ermöglichen soll. Claudia Ermel und Inka Greusing stellen in ihrem Beitrag Aktivitäten des Techno-Club Berlin für Schülerinnen dar, die zum Ziel haben, Oberstufenschülerinnen mit den vielfältigen Berufsfeldern der Ingenieurwissenschaften vertraut zu machen. Im Rahmen der Aktivitäten werden auch Projekte am dEIn Labor, dem Schülerlabor der TU Berlin, angeboten. Nadine Bergner untersucht in ihrem Beitrag neben der Frage wie Schülerinnen und Schüler die Informatik sehen auch die Frage wie sich die Informatik selbst wahrnimmt. In ihrem Beitrag zum Workshop „Gender und Diversity in der Hochschullehre“ schreiben Angelika Finkenzeller, Gerlinde Schreiber und Ulrike Wilkens über die Entwicklung von interkultureller Kompetenz bei Studierenden vor dem Hintergrund der Verwendung des ILIAS E-Portfolio an der Hochschule Bremen. Kristin Probstmeyer und Gabriele Schade beschreiben anhand von Best Practice- Beispielen der FH Erfurt und der TU Ilmenau, wie Veranstaltungen im 1 Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik.