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Induktive Logik und Wahrscheinlichkeit PDF

268 Pages·1959·12.516 MB·German
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Induktive Logik und Wahrsdteinlidtkeit Von Rudoff Carnap Professor der Philosophie Unlvc:r.lty of Callfornla, Los AngeJes Bearbeitet von Wolfgang Stegmüller o. Professor an der Universität Münmen Wien Springer-Verlag 1959 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nioht gestattet, dieses Buoh oder Teile daraus auf photomeohanisohem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen ISBN 978-3-7091-3143-5 ISBN 978-3-7091-3142-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-7091-3142-8 © by Springer-Verlag in Vienna 1959 Reprint ofthe original edition 1959 Vorwort Dieses Buch stellt eine neue, von CARNAP entwickelte Theorie der Induktion und Wahrscheinlichkeit dar, die durch die folgenden grund legenden Auffassungen charakterisiert ist. 1. Jedes induktive Schließen, im weiten Sinne des nichtdeduktiven oder nichtdemonstrativen Schluß folgerns, ist ein Schließen auf Grund von Wahrscheinlichkeit. 2. Daher ist die induktive Logik als Theorie von den Prinzipien des induktiven Schließens dasselbe wie Wahrscheinlichkeitslogik. 3. Der Begriff der Wahrscheinlichkeit, der als Grundbegriff der induktiven Logik dienen soll, ist eine logische Relation zwischen zwei Aussagen oder Sätzen, näm lich der Grad der Bestätigung einer Hypothese auf der Grundlage gegebe ner Prämissen. 4. Der sogenannte Häufigkeitsbegriff der Wahrschein lichkeit, wie er in statistischen Untersuchungen verwendet wird, ist zwar an und für sich ein wichtiger wissenschaftlicher Begriff, als Grundbegriff der induktiven Logik jedoch unbrauchbar. 5. Alle Prinzipien und Lehr sätze der induktiven Logik sind analytisch. 6. Daher hängt die Gültig keit des induktiven Schließens nicht von irgendwelchen synthetischen Voraussetzungen ab, wie etwa dem vielumstrittenen Prinzip der Gleich förmigkeit der Welt. Die erste Aufgabe dieses Buches ist die Erörterung der allgemeinen philosophischen Probleme betreffend die Natur der Wahrscheinlichkeit und des induktiven Schließens, die uns zu den eben erwähnten Auffassun gen führen wird. Das zweite Ziel ist der tatsächliche Aufbau eines Systems der induktiven Logik, einer Theorie, die auf den angeführten Prinzipien beruht. Ein besonderes Augenmerk wurde in diesem Buch darauf gelegt, die intuitive philosophische Grundlegung klar von dem technischen Aufbau des Systems der induktiven Logik zu trennen. Jene Leser, die sich nur für die philosophischen Probleme der Induktion interessieren, nicht aber für technische Einzelheiten, können sich daher auf eine Lektüre des ersten Teiles beschränken, der sich mit den philosophischen Fragen beschäftigt. Für das Studium dieses Teiles sind keine Vorkenntnisse in Mathematik oder in Logik nötig. Dieses Buch basiert auf Veröffentlichungen von CARNAP, hauptsäch lich auf seinem Buch "Logical Foundations of Probability" (Chicago 1950), das im folgenden mit [Prob.] bezeichnet ist. Der ursprüngliche Plan war der, eine deutsche Übersetzung eines kleinen Büchleins "The Nature and Application of Inductive Logic" zu veröffentlichen, das ein IV Vorwort Abdruck von sechs nichttechnischen Abschnitten aus [Prob.] war. Als STEGMÜLLER das Manuskript sah, wies er darauf hin, daß dem Leser das Verständnis wesentlich erleichtert würde, wenn vorbereitende Dis kussionen und Begriffserklärungen, die in früheren Kapiteln von [Prob.] vorkamen, hinzugefügt würden. Auch würden manche Leser daran interessiert sein, wenigstens eine Skizze des in späteren Teilen von [Prob.] dargestellten formalen Systems der induktiven Logik zu sehen. STEGMÜLLER unterzog sich daraufhin der Aufgabe, geeignetes Material aus dem Buch auszuwählen und so zu bearbeiten und zu ver binden, daß der Leser aus dem vorliegenden Buch einen guten überblick über das System und seine Anwendungen erhält. Dafür war es aber nötig, die ursprünglich geplanten kleinen Hinzufügungen zu ganzen Kapiteln werden zu lassen; ebenso wurde aus der geplanten Skizze des formalen Systems ein ganzer Grundriß, der schließlich noch durch weiteres Material aus anderen Veröffentlichungen von CARNAP ergänzt wurde. Ferner schrieb STEGMÜLLER eine Einleitung über CARNAPS Auffassung der induktiven Logik, die vor dem ersten Teil steht. Diese Einleitung gibt dem Leser einen vorläufigen Gesamteindruck von den Begriffen und Problemen der induktiven Logik; dabei ist auch der Inhalt eines Aufsatzes "Inductive Logic and Science" verwendet worden (siehe das Literaturverzeichnis am Ende dieses Buches). Während der erste Teil dieses Buches die philosophischen Fragen des Charakters und der Grundlagen der induktiven Logik behandelt, stellt der zweite Teil einen Grundriß des Systems der induktiven Logik dar. Dieses System wird mit Hilfe der Methoden der symbolischen Logik und Semantik konstruiert. (Eine vorherige Vertrautheit mit diesen beiden Forschungsgebieten ist jedoch keine notwendige Voraussetzung, da alle verwendeten Symbole und Termini technici im Buch selbst er klärt werden.) In CARNAPS Veröffentlichungen wurde zum ersten Male ein System der induktiven Logik aufgestellt, das berechtigt ist, seinen Platz neben den modernen exakten Systemen der deduktiven Logik einzunehmen. Das System läßt sich vorläufig noch nicht auf den gesamten Bereich der wissenschaftlichen Sprache mit ihren quantitativen Größen, wie Masse, Temperatur usw., anwenden, sondern nur auf eine viel ein fachere Sprache (entsprechend dem, was niedere Funktionslogik ge nannt wird, einschließlich der Theorie der Relationen und der Identität), die jedoch immerhin viel umfassender ist als die Sprache, auf die die deduktive Logik sich für über zweitausend Jahre, von ARISTOTELES bis BOOLE, beschränken mußte. Es war natürlich nicht möglich, in den zweiten Teil dieses Buches alles aufzunehmen, was in den zusammen etwa 700 Seiten umfassenden beiden Hauptveröffentlichungen CARNAPS auf diesem Gebiet: [Prob.] und einer späteren, "The Continuum of Induc tive Methods" (Chicago 1952), hier mit [C] bezeichnet, behandelt wurde. Dennoch sind alle wichtigeren Begriffe und Lehrsätze dieser beiden Werke, insbesondere jene der quantitativen induktiven Logik, von STEGMÜLLER in solcher Weise dargestellt worden, daß der Leser einen klaren und für sich verständlichen Einblick in das System einschließlich Vorwort V seiner technis.:lhen Einzelheiten gewinnen kann. Bisweilen wird auf jene Stellen in [Prob.] und [0] verwiesen, in denen bestimmte Probleme eingehender behandelt wurden als in dem vorliegenden Buch; Kenntnis dieser Stellen wird jedoch nicht vorausgesetzt für das Verständnis des hier Erläuterten. Angabe der Quellen: Das erste Kapitel des ersten Teiles des vorliegenden Buches verwendet Material aus den Kapiteln I und II von [Prob.]. Das zweite und dritte Kapitel besteht aus einer Übersetzung von sechs Abschnitten aus [Prob.], nämlich §§ 41 bis 43 und 49 bis 51, die getrennt unter dem Titel "The Nature and Application of Inductive Logic" erschienen sind (Chicago 1951); ferner aus einer abgekürzten Inhaltsangabe von §§ 44 bis 48. Im vierten Kapitel dieses Buches enthält Abschnitt 13 Material aus Kapitel III von [Prob.], Abschnitt 14 aus Kapitel IV (§§ 53, 54) und die Abschnitte 15 bis 18 aus Kapitel V. Das fünfte Kapitel hier verwendet Teile von Kapitel VI und Kapitel VI hier Teile von Kapitel IX von [Prob.]. Kapitel VII stellt einen kleinen Teil des Inhaltes von [Cl dar. Im Anhang A werden neben der Theorie der Relevanz und Irrelevanz (Abschnitt 2, gestützt auf Kapitel VI von [Prob.]) Ergebnisse von Diskussionen angeführt, die sich an die Veröffentlichung von [Prob.] knüpften. (Hinweise auf die betreffenden Aufsätze von CARNAP und anderen Autoren werden im Anhang gegeben.) Diese Diskussionen betreffen vor allem die Frage der Relationen in der induktiven Logik (Abschnitt 1) und das Problem einer komparativen induktiven Logik. Anhang B stellt ein neues, vereinfachtes Axiomensystem für die induktive Logik dar, das bisher noch nicht veröffentlicht wurde. Im Dezember 1958 Rudolf Oarnap und Wolfgang Stegmiiller Inhaltsverzeichnis Einleitung Seite CARNAPS Auffassllllg der induktiven Logik. Von W. STEGMÜLLER. . . . . . . 1 Erster Teil Philosophische Grundlegung der induktiven Logik 1. Die beiden Wahrscheinlichkeitsbegriffe ................ 12 1. Über die Explikation von Begriffen. Klassifikatorische, kom. parative lllld quantitative Begriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. AxiomatisierlUlg lllld Interpretation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Die beiden Wahrscheinlichkeitsbegriffe .................... 20 4. Der logische Charakter der beiden Wahrscheinlichkeitsbegriffe 25 5. Der Psychologismus in der deduktiven lllld induktiven Logik 30 A. Deduktive Logik 30. - B. Induktive Logik 33. 6. Die L-Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36 II. Das Problem der induktiven Logik................... .. 38 7. Der logische Begriff der Wahrscheinlichkeit. . . . . . . . . . . . . . .. 39 A. Wahrscheinlichkeit als Stützllllgsmaß 41. - B. Wahr 1 scheinlichkeit als fairer Wettquotient 42. - C. Wahrschein 1 lichkeit lllld relative Häufigkeit 44. - D. Wahrscheinlichkeit 1 1 als Schätzllllg der relativen Häufigkeit 45. - E. Einige Be merkllllgen zu anderen Auffassllllgen 52. - F. Voraussetzllllgen der Induktion 54. 8. Wahrscheinlichkeit lllld Wahrscheinlichkeit, . . . . . . . . . . . . . . . 59 1 A. Der B~p.eutllllgswandel des Wortes ,Wahrscheinlichkeit' 59. - B. Uber die Interpretation gegebener Wahrscheinlich keitsaussagen 64. 9. Indl}ktive lllld deduktive Logik .......................... 69 A. Über die Möglichkeit exakter Regeln der Induktion 69. - B. Die Relation zwische~ deduktiver lllld induktiver Logik 76. 10. Weitere vorbereitende Überlegllllgen zur induktiven Logik.. 79 A. Logische lllld methodologische Probleme 79. - B. Die Ab straktion in der induktiven Logik 82. - C. Ist eine quantitative induktive Logik unmöglich? 86. - D. Einige mit dem Pro blem des Bestätigllllgsgrades verblllldene Schwierigkeiten 87. - E. Wird die Wahrscheinlichkeit als quantitativer Begriff 1 verwendet? 90. III. Die Anwendung der induktiven Logik.................. 95 11. Die Frage nach dem Nutzen der induktiven Logik ........ 95 A. Theoretischer Nutzen der induktiven Logik in der Wissen schaft 96. - B. Praktischer Nutzen der induktiven Logik: Wahrscheinlichkeit als Lebensweiser 100. VIII Inhaltsverzeichnis Seite 12. Das Problem einer Regel für das Fassen von Entschlüssen 106 A. Das Problem 107. - B. Die Regel der hohen Wahrschein lichkeit 108. - C. Die Regel der maximalen Wahrscheinlich- keit 108. - D. Die Regel der Anwendung von Schätzungen HO. - E. Die Regel der Maximalisierung des geschätzten Gewinnes 114. 13. Die Regel der Maximalisierung des geschätzten Nutzens .... 118 A. Die Regel der Maximalisierung des geschätzten Nutzens 119. - B. DANIEL BERNOULLIS Gesetz des Nutzens 124. - C. Fol gerungen aus dem BERNoULLISchen Gesetz 128. Zweiter Teil Grundriß des formalen Aufbaus der induktiven Logik Übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . • • . . . . . . . . . .• 134 IV. Grundlegung der quantitativen induktiven Logik ..... 138 14. Die semantischen Systeme 2 ............................. 138 A. Symbole und Ausdrücke der Systeme 2 und ihrer Meta sprache 138. - B. Wahrheitsregeln, Zustandsbeschreibungen und logische Spielräume 143. - C. L-Begriffe 145. ll'i. RedUktion des Problems des Bestätigungsgrades ........... 148 A. Einleitende Bemerkungen 148. - B. Einige Konventionen für (lI50. - C. Reduktion des Problems auf die Nullbestäti gung für Zustandsbeschreibungen 152. 16. Die regulären Maß- und Bestätigungsfunktionen ............ ll'i5 A. Endliche Systeme 155. - B. Das unendliche System 159. 17. Lehrsätze für die Nullbestätigung ......................... 160 18. Lehrsätze für die regulären (l-Funktionen ....•............. 162 19. Bestätigung von Hypothesen durch Beobachtungen. Das Theo- rem von BAYES ......................................... 166 V. Die symmetrischen Bestätigungsfunktionen •..•..••.•.. 173 20. Individuelle Verteilungen, Strukturbeschreibungen und Q-Prä- dikate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 173 21. Die symmetrischen m- und (l-Funktionen __ ................ 179 22. Der direkte Induktionsschluß und seine Approximationen. .. 185 VI. Das Problem der Schätzung ............................ 194 23. Allgemeines. Die (l-Mittel-Schätzungsfunktion .............. 194 24. Das Problem der Zuverlässigkeit von Schätzungen . . . . . . . .. 200 25. Häufigkeitsschätzungen .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 202 VII. Das Kontinuum der induktiven Methoden ..••••..•.... 207 26. Die repräsentierende Funktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207 27. Die Ä-Funktionen ....................................... 215 28. Das Problem der Wahl einer induktiven Methode .......... 228 Anhang zum zweiten Teil A. Weitere Probleme der induktiven Logik •..••...•........ 233 1. Das Problem der Relationen in der induktiven Logik. Bedeutungs- postulate. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 233 2. Relevanz una Irrelevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 236 3. Der klassifikatorische und der komparative Begriff der Bestäti- gung ...................................................... 238 B. Ein neues Axiomensystem für die (l-Funktionen ......... 242 Literaturverzeichnis ..•................•...................... 253 Namen- und Sachverzeichnis ...•.................•.......... 256 Einleitung Carnaps Auffassung der induktiven Logik Von Wolfgang Stegmüller Bevor mit dem eigentlichen Aufbau der induktiven Logik begonnen wird, soll zunächst kurz die Problemlage und die Stellungnahme CARNAPS zu den Problemen geschildert werden. Diese einleitenden Betrachtungen erheben weder Anspruch auf vollkommene Exaktheit noch auf Vollständigkeit. Sie sollen lediglich im Leser einen vorläufigen Eindruck erwecken von dem Aufbau der induktiven Logik, den bisherigen Vorschlägen zur Lösung ihrer Probleme und dem von CARNAP eingeschlagenen Weg. Die dabei verwendeten Begriffe werden alle an späterer Stelle eine ausführliche Behandlung und Präzisierung erfahren. Die induktive Logik erhebt nicht den Anspruch, eine Disziplin zu sein, welche ganz neue Weisen des Denkens ausfindig macht. Sie will vielmehr nichts anderes als alte Denkweisen klären. Sie versucht, in expliziter Gel'ltalt Verfahren darzustellen, welche implizit im Alltag wie in den Einzelwissenschaften zur Anwendung gelangen, wenn auch meist nur in mehr oder weniger instinktiver Form. Die Situation ist ganz analog jener bei der Entstehung der deduktiven Logik. ARISTOTELES hat die deduktive Logik nicht erfunden; eine solche bestand vielmehr, seit es eine mensch liche Sprache gibt. Nehmen wir an, es hätte jemand ARISTOTELES den Vorwurf gemacht, daß seine Theorie der Deduktion überflüssig sei, da man im bisherigen Denken ohne sie auskam und daher seine Erfindung neuer Denkweisen, welche an die Stelle der bisherigen Weisen des Denkens treten sollen, nicht zu akzeptieren brauche. ARISTOTELES hätte darauf geantwortet, daß er gar keine neuen Denkweisen einführen wollte, sondern nur dazu beitragen, dasselbe Denken wie bisher mit größerer Klarheit und Sicherheit vor Irrtümern zu vollziehen. Zu diesem Zwecke habe er den gemeinen Menschenverstand durch exakte Regeln ersetzt. Auch induktives Denken gibt es vermutlich, seit eine menschliche Sprache besteht. Unter "induktivem Denken" sind dabei alle Arten des Schließens zu verstehen, bei denen die Conclusio über den Gehalt der Prämissen hinausgeht und daher nicht mit absoluter Sicherheit behauptet werden kann. Wir treffen derartige Schlußweisen in allen Einzelwissen schaften an, sowohl in jenen, welche auf die Ermittlung von Einzeltat sachen abzielen, wie in den theoretischen Naturwissenschaften, denen es Carnap-Stegmfiller, Logik 1 2 Camaps Auffassung der induktiven Logik um die Gewinnung allgemeiner Gesetzesaussagen geht. Induktives Schließen liegt vor, wenn ein Historiker versucht, eine überlieferte Haudlung Napoleons dadurch zu erklären, daß er ein bestimmtes Motiv hypothetisch annimmt, welches uns nicht überliefert wurde; analog wenn der Meteorologe eine Voraussage der morgigen Wettersituation trifft, ebenso aber auch, wenn der Physiker auf Grund der bisherigen Ergebnisse von Beobachtungen und Experimenten ein neues Naturgesetz formuliert oder vielleicht eine ganze Theorie, welche zahlreiche Gesetze zu einem System vereinigt; einen charakteristischen Fal1 induktiven Denkens treffen wir schließlich an, wenn der Statistiker auf Grund der Untersuchung einer Stichprobe eine Schätzung der unbekannten Häufig keit einer Eigenschaft in einer Gesamtheit (z. B. der Bevölkerung eines Staates) vornimmt. Die induktive Logik hat die Aufgabe, derartige intuitiv und instinktiv angewendete Verfahren ans klare Tageslicht zu bringen, sie zu analysieren und in der Gestalt exakter Regeln zu formu lieren. Der Grundbegriff der induktiven Logik ist der Wahrscheinlich keitsbegriff; denn die induktiven Schlüsse sind alle Wahrscheinlichkeits schlüsse. Eine Klärung dieses Begriffes ist daher eines der Hauptprobleme, welches man bei der Errichtung eines Systems der induktiven Logik zu lösen hat. Man stößt dabei gleich zu Beginn auf sämtliche Schwierig keiten des Wahrscheinlichkeitsbegriffes, die seit den ersten Ansätzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung bis in die Gegenwart häufig diskutiert wurden. Wir erwähnen einige dieser Schwierigkeiten. Nach den Klassikern der Wahrscheinlichkeitstheorie ist die Wahr scheinlichkeit eines Ereignisses dadurch zu bestimmen, daß wir die Zahl der "günstigen" durch die Zahl der "möglichen" Fälle dividieren (wenn z. B. die Wahrscheinlichkeit, mit einem Würfel eine Sechs zu werfen, gleich 1/6 ist, so beruht dies nach der klassischen Ansicht darauf, daß sechs mögliche Fälle, nämlich die sechs verschiedenen Augenzahlen des Würfels, und ein günstiger Fall, nämlich die Augenzahl 6, vorliegen). Nun kann man aber das Feld sämtlicher Möglichkeiten in verschiedener Weise unterteilen, und je nach der Unterteilung gelangt man zu einem anderen Resultat. Die bekannteste und einfachste Illustration bildet der Müuzwurf. Wenn etwa nach der Wahrscheinlichkeit gefragt wird, daß mit einer Münze zweimal hintereinander "Schrift" geworfen wird, so könnte man zunächst die Überlegung anstellen, daß es drei Möglichkeiten gäbe: 1. zweimal Schrift, 2. zweimal Kopf, 3. einmal Kopf und einmal Schrift; die gesuchte Wahrscheinlichkeit wäre also gleich 1/3, Nach einer anderen überlegung würde man jedoch die dritte Möglichkeit nochmals zu unterteilen haben in "zuerst Kopf, dann Schrift" und "zuerst Schrift, dann Kopf", wodurch man als gesuchten Wahrscheinlichkeits wert 1/4 herausbekäme. Um Eindeutigkeit zu erlangen, hatte man daher die Zusatzbestimmung aufzunehmen, daß die möglichen Fälle, deren Anzahl im Nenner des Wahrscheinlichkeitsbruches steht, alle gleich wahrscheinlich sein müssen. Die Gefahr eines circulus vitiosus läßt sich nur so vermeiden, daß man ein von der Wahrscheinlichkeitsdefinition selbst unabhängiges Kriterium für die gleiche Wahrscheinlichkeit von Carnaps Auffassung der induktiven Logik 3 möglichen Fällen angibt. Als ein derartiges Kriterium wurde das In differenzprinzip oder Prinzip vom mangelnden zureichenden Grunde formuliert: "Wenn keine Gründe dafür bekannt sind, um eines von ver schiedenen möglichen Ereignissen zu begünstigen, dann sind die Ereig nisse als gleichwahrscheinlich anzusehen." Dieses Prinzip wurde oft als absurd verworfen, da es den paradoxen Gedanken enthält, man könne nur dann, wenn man nichts über die verschiedenen Alternativen wisse, eine positive Aussage über sie machen, während diese Aussage nicht mehr statthaft sei, sobald man ein Wissen erlangt habe: Aus dem Nichtwissen kann man nicht eine Aussage mit Tatsachengehalt ableiten. Weitere Schwierigkeiten treten hinzu. Nach der klassischen Auffassung sind die Wahrscheinlichkeitsaussagen nicht empirisch, sondern apriori gültig. Jene Theoretiker, welche den Begrüf der Apriori-Wahrscheinlichkeit verwerfen, weisen darauf hin, daß der apriorische Wahrscheinlichkeits ansatz, welcher sich auf das Indifferenzprinzip stützt, nur ein scheinbarer sei. Warum betrachtet man denn die sechs Flächen eines Würfels nicht als gleichwahrscheinlich, wenn der Schwerpunkt nicht mit dem Symmetrie zentrum zusammenfällt, während man im Fall einer bloß verschiedenen Färbung der einzelnen Würfelseiten den sechs Möglichkeiten noch immer dieselbe Wahrscheinlichkeit zuspricht 1 Nach empiristischer Ansicht kann die Antwort darauf nur so lauten, daß auf Grund unserer bi8herigen Erfahrungen derartige Farbverschiedenheiten der Würfelseiten keinen Einfluß auf die Bewegungen des Würfels haben, während eine Verände rung des Schwerpunktes mit solchen Änderungen in der Bewegung ver knüpft ist. Den schwersten Einwand gegen das Prinzip vom mangelnden Grunde bildet die Feststellung, daß eS zu Widersprüchen führt (vgl. dazu auch KEYNES [Probab.], S. 41 f.). Wenn man z. B. weiß 1, daß das spezüische Volumen einer Substanz zwischen 1 und 3 liegt, jedoch keine Information darüber besitzt, wo sein genauer Wert innerhalb des Inter valles zu finden ist, so führt das Indifferenzprinzip zu der Annahme, daß es mit derselben Wahrscheinlichkeit zwischen 1 und 2 wie zwischen 2 und 3 liegt. Da die spezüische Dichte den reziproken Wert des spezüischen Volumens darstellt, weiß man auch auf Grund derselben Ausgangsdaten, daß jene zwischen 1 und l/aliegen muß. Die Anwendung des Indifferenz prinzips ergibt dann dieselbe Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie zwischen 1 und 2/3, wie daß sie zwischen 2/3 und 1/3l iegt. Wenn aber die spezifische Dichte zwischen 1 und 2/3l iegt, so muß das spezüische Volumen zwischen 1 und J1 12 liegen; und analog muß das letztere zwischen J1 12 und 3 liegen, wenn die spezüische Dichte zwischen 2/a und 1/3 liegt. Daraus ergibt sich im Widerspruch zur ersten Überlegung, daß das Intervall von 1 bis J1/2 für das spezüische Volumen der Substanz als gleichwahrscheinlich anzusehen ist wie das Intervall von J1/ bis 3. Verschiedene Lösungen 2 der zuletzt genannten Schwierigkeiten wurden vorgeschlagen. Bei vor sichtiger Fassung des Prinzips verschwindet zwar der logische Wider spruch, aber es lassen sich noch immer paradoxe Resultate gewinnen. 1 Das folgende, auch bei KEYNEs angeführte Beispiel findet sich bei KaIES [Prinzipien], S.24. 1*

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