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Indische Demokratie heute · Gleichstellung der Frau in Indien Kirchen Deutschlands und Indiens PDF

76 Pages·2013·1.35 MB·German
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Preview Indische Demokratie heute · Gleichstellung der Frau in Indien Kirchen Deutschlands und Indiens

Heft 1 Jahrgang 30 Sommer 2013 Zeitschrift des Deutsch-Indischen Dialogs Indische Demokratie heute · Gleichstellung der Frau in Indien Kirchen Deutschlands und Indiens · Indische Literatur in Deutsch- land · Reiseberichte · Erzählungen · Kolumne · Buchbesprechungen I Inhalt I Editorial ....................................................................................................................... 3 herausgeber Weckruf für ein Ancien Regime .............................................................................. 4 Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. Pratap Bhanu Mehta Abteilung Integration und Migration Mein junges Leben - hier und dort .......................................................................... 8 Georgstr. 7, 50676 Köln Mohini Gupte Tel. 0221/2010-287 www.caritasnet.de Ich bin Oszillant (Interview) .................................................................................. 10 Dr. Alokeranjan Dasgupta Vertreter des herausgebers: Dipl.-Soz. paed. Heinz Müller, Journalist DJV Sechs Gedichte .......................................................................................................... 13 E-Mail: [email protected] Dr. Alokeranjan Dasgupta Redaktion: Reisfeuer (Erzählung).............................................................................................. 14 Jose Punnamparambil (verantwortlich), Elisabeth Günther Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren, Tel. 02224 / 7 53 17 Gandhi – Folge dem Geist! ..................................................................................... 19 E-Mail: [email protected] Sudhir Kakar Thomas Chakkiath, Gleichstellung der Frau in Indien (Meinungen) ................................................... 22 Novalisstr. 45, 51147 Köln, Dr. Ujjaini Halim, Devika Jayakumari, Sandhya Rao, Bharat Bhushan Jetly, Gopal Kripalani Tel. 02203 / 2 26 54; E-Mail: [email protected] Armut ist tägliche Gewalt, nicht weniger zerstörerisch als Krieg ...................... 30 Nisa Punnamparambil, Ela Bhatt Grüner Weg 23, 53572 Unkel-Scheuren Gespant auf den neuen Tag (Kolumne) ................................................................ 33 Tel. 02224/9897690; E-Mail: [email protected] Dr. George Arickal Das Jaipur Literatur Festival 2013 ........................................................................ 35 Redaktionelle Mitarbeit: Walter Meister, Öhringen Sunil Sethi Unterstützung und Beratung: Mit dem Kulturverein Amikal möchte ich anderen die ...................................... 36 Pater Ignatius Chalissery, Köln; Dr. Urmila Goel, Anjana Singh Bonn; Dr. Martin Kämpchen, Santiniketan, Indien; Wald- und Wiesen-Wissen ...................................................................................... 38 Dr. Ajit Lokhande, Jülich; Walter Meister, Öhringen; Pfarrer Dariusz Glowacki, Königswinter; Marlene Giese Dr. Claudia Warning, Lohmar Days of Indien in Germany ..................................................................................... 40 Gestaltung und Satz: Sterne verbergen sich im Leib (Erzählung) .......................................................... 42 Alexander Schmid Bava Chelladurai layout: Nachhaltige Entiwkclung in Indien ....................................................................... 44 Jose Punnamparambil; Jose Ukken Otto Ulrich herstellung und Vertrieb: Jose Ukken, Indische Literatur in Deutschland ......................................................................... 46 Im Rheingarten 21, 53639 Königswinter, Dr. Martin Kämpchen Tel. 02223 / 49 49; Christian Weiß und der Draupapdi Verlag ............................................................ 49 E-Mail: [email protected] Dr. Georg Lechner Druck: Die Landtagswahlen im indischen Bundesstaat Karnataka ............................... 53 Siebengebirgs-Druck, Karlstraße 30, 53604 Bad Honnef Dr. Felix Schmidt Erscheinungsweise: dreimal jährlich Die Kirchen Deutschlands und Indiens (Teil II) ................................................. 55 Eine Spende von mindest. 13 Euro wird von Prof. Dr. Hans-Jürgen Findeis den Lesern erwartet. Konto-Nr.: 106 3205, Thomaschristen Südindiens ..................................................................................... 63 Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 370 205 00), Klemens Ludwig Diözesan-Caritasverband, Köln Deutsch-indische Kulturbeziehungen wohin? ..................................................... 65 Dr. Martin Kämpchen Dialog zwischen Ost und West ............................................................................... 68 titelbild Prof. Dr. Josef Freise Kamadhenu and many cows von Gogi Saroj Pal, Mumbai (siehe S. 74) Rezensionen .............................................................................................................. 71 Guenther/JP, Indu Prakash Pandey, Asit Data Rückseite Derwisch von Walter Meister Haben Sie die Eidechse gesehen? (Dokumentarfilm) ........................................ 75 2 meine welt 1/2013 I eDItoRIal I indische Frau und Geschlechtergerechtigkeit Nach der brutalen Gruppenvergewal- die mentale Veränderung in Richtung Es gibt auch viele andere interessante tigung einer jungen Frau in Neu Delhi einer Geschlechtergerechtigkeit not- Beiträge im vorliegenden Heft und und ihrem Tod in einem Krankenhaus wendige Bewusstsein zu schaffen. Wir wir wünschen Ihnen eine vergnügliche in Singapur, wird das Thema „ Stel- drucken in dieser Ausgabe einige Mei- Lesepause! lung der Frau in der indischen Gesell- nungen zu diesen Fragen aus Indien schaft“ sowohl in Indien wie auch im und Deutschland ab. Wir werden uns Herzlichst Ausland heiß diskutiert. Sind die indi- weiterhin bemühen, Diskussionsbeiträ- Jose Punnamparambil schen Frauen 67 Jahren nach Erlan- ge zu diesen Fragen zu sammeln und gung der Unabhängigkeit immer noch in „Meine Welt“ abzudrucken. Bürger zweiter Klasse? Hat sich das Rollenverständnis der indischen Frau Über die Beziehung zwischen den als Hüterin der Familie, Mutter der deutschen und indischen Kirchen ha- Kinder und Verwalterin des Haushalts ben wir einen Beitrag von Prof. Hans Meine Welt Die Zeitschrift „Meine Welt” er scheint drei Mal wesentlich verändert trotz ihrer höhe- Jürgen Findeis in der letzten Ausgabe im Jahr. Eine Spen de von mindestens 13,00 ren Alphabetisierung und Bildung und abgedruckt. Wir bitten um Ihre Auf- Euro wird von den Lesern erwartet. Alle Rechte obwohl viele einen Beruf ausüben und merksamkeit für den zweiten Teil sei- bleiben dem Herausgeber vorbehal ten. Für progressive Gesetze zur Gleichstellung nes Beitrags in dieser Ausgabe. unverlangt eingesandte Manuskripte über- der Frau beschlossen worden sind? Ist nimmt die Redakti on keine Haftung. Die in den Beiträgen vertretenen An sichten decken sich die Tendenz in der indischen Gesell- Einen hochinteressanten Beitrag über nicht immer mit der Auffassung der Redaktion. schaft immer noch stark, die Frauen Indien, den wir besonders empfehlen Die Redaktion behält sich redaktionelle Ände- aktiv zu vernachlässigen, ihre Leistun- möchten, ist die brillante Zustandsbe- rungen vor. Alle Zuschriften sind an die Redak- gen unterzubewerten und sie als Ob- schreibung des heutigen Indiens von tion zu richten. jekt zur Vermehrung des Glücks von Pratap Bhanu Mehta „Weckruf für Männern zu sehen? Diese und ähnli- ein Ancien Regime“. Das nächste Heft von „Meine Welt” erscheint im Herbst/Oktober 2013 che Fragen werden gestellt, um das für meine welt 1/2013 3 I InDISche DeMokR atIe I weckruf für ein Ancien Regime Der tiefgreifende Hunger nach Veränderung in indien verlangt nach Konsequenzen durch den monolithischen Staatsapparat Pratap Bhanu Mehta ist Präsident des Centre for Policy Research, Neu Delhi. PRATAP BHANU MEHTA Das Zeitalter, in dem wir leben, ist auf Machtausübung baut auf sechs überkom- tiger scheint aber auch eine wachsende der verzweifelten Suche nach seiner ei- menen Prinzipien auf. Das erste Prinzip Kompetenz der Bürgerschaft zu sein, ihre genen Bedeutung. Der soziale und poli- ist die vertikale Rechenschaftspflicht. Vorstellung über das Wohlergehen auf tische Wandel in Indien vollzieht sich so Verantwortlichkeit bezog sich auf jene Quellen zu gründen, die nicht staatlich rasant und widersprüchlich, dass er sich gegenüber den Vorgesetzten und nicht redigiert werden. Noch wenige Jahrzehnte nur schwer in Worte fassen lässt. Erle- gegenüber den Bürger(-inne)n oder an- zuvor war es nicht möglich herauszufinden, ben wir Indiens Version des arabischen deren Teilen der Struktur. Solange Vor- ob Wasser oder Luft vergiftet sind, weil Frühlings? Dämmert hier das progressive gesetzte ihre Untergebenen nicht für ihre die Regierung solche Informationen nicht Zeitalter Indiens? Solche Analogien ver- Handlungen belangten oder diese in Frage preisgab. Heutzutage würde eine Nichtre- dunkeln mehr als sie erhellen. Indien erlebt stellten, tat dies auch niemand anderes. Das gierungsorganisation wie die CSE solche in diesen Tagen gewiss neue Formen der ändert sich nun langsam. Es gibt wesentlich Informationen liefern. Für Eltern war nur politischen Mobilisierung. Doch anders als mehr Schauplätze für das Potenzial einer individuell erfahrbar, wie das öffentliche auf dem ägyptischen Märtyrerplatz steht horizontalen Rechenschaftsverpflichtung Bildungssystem sie im Stich ließ. Heute hier kein Regimewechsel zur Debatte. Der auf staatlicher Ebene. Besonders wichtig kann eine verdiente Organisation wie Ruf nach einer neuen politischen Vorstel- dabei ist auch der Ruf nach der Rechen- Pratham1 mittels der ASER-Berichte2 vom lungskraft ist vernehmbar. Doch hat sich schaftspflicht gegenüber der Bürgerschaft, katastrophalen Ausmaß strukturellen Ver- diese Fantasie nicht in Formen niederge- und zwar nicht auf dem diffusen Weg de- sagens in den Lernergebnissen erzählen. schlagen, die als fortschrittlich bewertet mokratischer Wahlen, sondern in der Form Kurz gesagt erarbeitet die Gesellschaft werden können. Was wir zur Zeit in Indien von Diensten und Einrichtungen, die der eigene Bewertungsmaßstäbe. Und findet beobachten, ist die Eskalation eines Kräf- Staat zur Verfügung stellen muss. dabei heraus, wie empfindlich der Staat teverhältnisses, das sich bereits seit langem sie bislang übervorteilt hat. hochgeschaukelt hat. Es fühlt sich an wie Das zweite Prinzip war das der Geheim- die Folgen eines langen stetigen Zerrens an haltung. Der Staat verfügte auf zwei Arten ermessensspielraum einer alten maroden Struktur. Aber wird über einen enormen Informationsvor- Das dritte Prinzip der Staatsmacht war dieser Prozess im Chaos münden oder in sprung gegenüber der Bürgerschaft. Die ein weiter Ermessensspielraum. Bis zu einer neu kon-stituierten Freiheit? Die inneren Arbeitsprozesse auf staatlicher einem bestimmten Grad benötigt jede Antwort auf diese Frage hängt zum Teil Ebene unterlagen einer relativen Ge- Staatsmacht eine gewisse Ermessensfrei- davon ab, ob wir in der Lage sein werden, heimhaltung. Und zum anderen war der heit. Allerdings muss sie diese durch die die Faktoren unseres Dilemmas adäquat Staat die Hauptinformationsquelle über Demonstration einer Vernunft rechtfer- zu analysieren. den Zustand des Wohlergehens der Be- tigen, welche die Interessen der beteilig- völkerung. Diese beiden Voraussetzungen ten Parteien berücksichtigt. Alle großen Die Architektur des indischen Staats- sind nicht mehr gegeben. Es wäre heute für Entscheidungen, bei denen die Regierung apparats ist einer ernsthaften Konkur- jeden Staat töricht, seine Legitimität auf involviert war, sei es bei der Vergabe von renz ausgesetzt. Die indische Praxis der Geheimhaltung zu gründen. Noch wich- Bandbreiten oder Grundstücken, der Ein- 4 meine welt 1/2013 I InDISche DeMokR atIe I richtung von Sonderwirtschaftszonen oder die Kreativität der Bürgerinnen und Bür- der Gestaltung von Wasservorhaben, wur- ger immer weiter erstickt. den ohne Berücksichtigung des öffentli- chen Interesses getroffen. Die Regierung Identitätsbildung dachte, sie würde mit lahmen Rechtferti- Und schließlich hat der indische Staat mit gungen ihrer Handlungen davon kommen. der Tyrannei gesetzlich verpflichtender Identitätsbildung operiert. Aus diesem Das vierte Prinzip des Staates war ein ver- Blickwinkel erscheint Indien als Verbund hältnismäßiger Zentralismus. Ungeachtet von Gesellschaften, getrennt nach Kaste, der unzähligen regionalen Parteien, die Religion und Ethnizität. Alle BürgerInnen sich hierzulande die Macht teilen, verblieb sind mit einem identitären Status markiert, Indien die zentralistischste staatliche Ad- dem sie sich in der politischen Realität ministration der Welt. Diese Form des Zen- nicht entziehen können. Oberflächlich tralismus, bei dem eine Planungskommissi- erschien diese Idee attraktiv, konnte mit on jede kleinste Auflage vom Zentralorgan ihr doch die Vielfalt Indiens berücksich- zu regeln versucht, ist für die komplexe tigt werden. Zudem wurde der Tatsache und lebendige Gesellschaft Indiens nicht Rechnung getragen, dass Menschen mit tragbar und hat oftmals die Pervertierung bestimmten identitären Zuschreibungen dieser Regeln zur Folge. Kommunen gel- nicht mehr länger außerhalb von Rechts- ten weder im urbanen noch im ländlichen Tyraunei der gezwungenen Identität. Bild: Sorit staatlichkeit standen. Doch diese Kon- Kontext als Instrumente der Selbstregu- zeptionierung Indiens hat tiefgreifende lierung, als Einrichtungen, die in der Lage dass sie jenes vorauseilende Misstrauen ge- Mängel. Sie ist daran gescheitert, eine wären, lokale Konflikte und Probleme zu genüber der Gesellschaft verinnerlichten Idee von Indien zu verwirklichen, die an lösen. Mehr noch werden sie dabei durch und der Generalverdacht, unter den die individueller Freiheit interessiert ist. Mit die Einforderung der vertikalen Rechen- einzelnen BürgerInnen dadurch gestellt dem Ziel, Individuen zu ermöglichen, die schaftspflicht gehemmt, die dabei hinder- waren, wurde zur elementaren Eigenschaft selbst ihre Identät gestalten, überarbeiten lich scheint, die Verantwortung gegenüber des Nationalstaats. Unter dem Deckman- und mit Konturen versehen. Diese Identi- der Bürgerschaft wahrzunehmen. Hinzu tel, die Gesellschaft zu reformieren, wurde täten sollten dabei nicht nach Bedingungen kommt etwas, das wir als eine Art voraus- sie gewissermaßen entmündigt. So gut wie von Staatsbürgerlichkeit ersonnen wer- eilendes Misstrauen bezeichnen können. jedes unserer Gesetze hat einen gewissen den oder entlang juristischer Klauseln. Der indische Staat legitimiert sich als Staat Unterton. Sie sind nicht gestaltet, um Güte Stattdessen greift der Staat im Namen gegen die Gesellschaft. Die amerikanische zu stiften. Sie sind gemacht, um jede mög- der Vielfalt auf die Tyrannei administra- Revolution war zum Teil eine Rebellion liche Form von Missbrauch auszuschlie- tiv verbindlicher Indentifizierung zurück. gegen staatliche Willkür. Die indische ßen. In einer Gesellschaft der blühenden Als Ergebnis davon unterliegen Verteidi- gungsversuche individueller Freiheit der Forderung nach eindeutigen identitären Indien ist nicht regierbar ohne einen Staat, der über Festschreibungen. Doch steigen die Bläs- eine horizontale Kontrolle und Transparenz verfügt. chen einer neuen Freiheit von tief unten an die Oberfläche. Der Staat muss in der Lage sein, das Wissen zu verwerten, das gesellschaftlich generiert wird. Diese Prinzipien – vertikale Rechen- schaftspflicht, Geheimhaltung, Willkür, Zentralisierung, vorauseilendes Misstrau- Unabhängigkeit war nicht bloß eine an- Landschaften wird auch das eine oder an- en und identitäre Festschreibung - bildeten tikolonial erwirkte. Sie sollte auch den dere Unkraut gedeihen. Doch unser Staat die bis zum Zerreißen gespannten Kno- Grundstein für eine Reformgesellschaft ist so fixiert darauf, das Unkraut zu ver- tenpunkte eines erstickenden Netzes. Ver- legen. Der Idee nach sollte der Staat tief nichten, dass er alle Blumen mit ausreißt tikale Rechenschaftsflicht und staatliche in soziale Verhältnisse einwirken, um eine und eine Einöde dabei hinterlässt. Dieses Willkür erfordern ein gewisses Maß an moderne Gesellschaft hervorzubringen. vorauseilende Misstrauen den BürgerIn- Geheimhaltung. Vorauseilendes Misstrau- Diese Vorgehensweisen wurden angesichts nen gegenüber hält sich hartnäckig und en und Identitätspolitik erlauben es dem der großen sozialen Ungerechtigkeiten, ist bislang von keiner unserer geläufigen Staat über die Bürgerschaft zu herrschen denen Indien historisch ausgesetzt war, ge- Ideologien herausgefordert worden, selbst und rechtfertigen gleichzeitig die Politik rechtfertigt. Doch im Laufe der Zeit haben den liberalen nicht. Dieses vorauseilende der Herrschaft. Wir sind auf dem Schei- sich diese auf eine Weise verselbstständigt, Misstrauen hat ein Klima geschaffen, das telpunkt der Belastbarkeit dieser Prinzi- meine welt 1/2013 5 I InDISche DeMokR atIe I pien angelangt. Indien ist nicht regierbar bei welchem PolitikerInnen sich zuneh- des Tages wird es nämlich weniger darauf ohne einen Staat, der über eine horizontale mend (sowohl im übertragenen Sinne als ankommen, welches System wir wählen, Kontrolle und Transparenz verfügt. Der auch wörtlich) als wirtschaftliche Akteure sondern dass wir uns für eines entscheiden, Staat muss in der Lage sein, das Wissen zu begreifen, während ihre Kernkompetenz es gründlich erarbeiten und dabei versu- verwerten, das gesellschaftlich generiert der Mediation innerhalb einer komplexen chen, alle Faktoren zu berücksichtigen. wird. Er muss das öffentliche Interesse Vielfalt zu verkümmern droht. Parapoliti- Doch es scheint eher darauf hinaus zu in Betracht ziehen. Er muss das Volk in sche Institutionen sind dabei fast zu einer laufen, dass im Namen des Kompromis- die Regierungsverantwortung nehmen, Notwendigkeit geworden. ses viele widersprüchliche Lösungswege indem er sich dezentraler strukturiert. miteinander vermengt werden und somit Er muss das entmündigende Misstrauen Der zweite Faktor liegt in der Beschaffen- ein politisches Ziel von Anfang an keine gegenüber der Bürgerschaft verlernen und heit unserer Zivilgesellschaft. Viele der Chance bekommt. Wir fordern unabhän- individuelle Würde und Freiheit in Ehren Herausforderungen, denen wir uns heute gige Beobachtung, die dann aber doch halten. Die alte Ordnung beginnt langsam stellen müssen, wie Urbanisierung, Krimi- Gegenstand administrativer Geheimhal- zu kollabieren. Die Frage ist, ob die neue nalität oder Gesundheitsfürsorge, werden tung wird; wir fordern Dezentralisierung, Ordnung in der Lage sein wird auch neue von Analytikern als „verhext“ eingestuft. während die Bürokratie die politischen Prinzipien zu internalisieren. Dabei handelt es sich um Probleme, die Reformbewegungen überstimmt; wir for- dern das Recht auf Bildung für alle und gleichzeitig werden Tests verboten, die Frauen erreichen immer höhere Stufen von Ausbildung den Bildungsstand in der Bevölkerung und Qualifikation, doch bietet die Infrastruktur unserer überhaupt erst ermitteln könnten; die Krankenversicherung, die wir gerade ge- Städte und Jobmärkte nicht die notwendigen Anreize, stalten, widerspricht dem Kardinalprinzip um diese Arbeitskraft einzuspannen. einer jeden Versicherung: um das Risiko zu streuen, müssen möglichst alle Beiträ- ge zahlen. Unsere Streitkultur vertritt die Drei Faktoren mehrere unterschiedliche Lösungsvor- Gewohnheit, bloß die ideologierelevanten Drei Faktoren erschweren uns den Wech- schläge hervorrufen. Es besteht auch eine Kästchen abzuhaken, anstatt die Dynamik sel in die neue Ordnung auf schmerzliche allgemeine Verunsicherung darüber, ob eines Prozesses zu durchdenken. und verzögernde Weise. Der erste liegt und wie einer dieser Lösungswege erfolg- in der Verschlossenheit des politischen reich beschritten werden kann. Lösungswe- Das dritte Problem ist Indiens folgen- Systems. In jeder Demokratie liegt der ge sind häufig streng richtungsgebunden. schwerer sozialer Wandel, der sich durch Kernmechanismus der Gewaltenkontrol- Wurde ein großes System wie beispiels- alle Ebenen zieht. Selbst die untersten le im politischen Wettbewerb. Wir sollten weise ein öffentliches Gesundheitssystem Dezimalstellen von Einkommensvertei- meinen, dass eine Opposition daran inte- erst einmal auf den Weg gebracht, ist es, lung und Verbrauchsstrukturen ändern ressiert wäre, die Arbeit der Regierung wie eine Titanic, schwer auf einen neuen sich rapide. Die Korrelation von Kaste zu kritisieren und Innovationen oder Kurs zu bringen. Wir versuchen gerade, und Berufsfeld beginnt zu bröckeln. Die Alternativen anzubieten. Das letzte Jahr solche gewaltigen Einrichtungen auf den Migration nimmt zu. Auch andere spezi- hat uns das schockierende Ausmaß der Weg zu bringen, wie das Recht auf Bildung, fische Veränderungen ereignen sich. Die Verfilzung des politischen Systems in In- Umweltschutzregelungen, umfassende Ge- Spekulationsblase hat in vielen Bundes- dien offenbart. Die Opposition ist nicht sundheitsversorgung, die Modernisierung staaten so manche Kleinbauern in eine im mindesten interessiert daran, die Re- des Kapitaltransfers sowie die Reform des Immobilienwirtschaft katapultiert, wo gierung bloßzustellen oder Alternativen Privatsektors und weitere. Die Zivilgesell- eine Logik nie dagewesener Liquidität anzubieten. Alle Parteien scheinen in einer schaft ist, offen gesagt, zutiefst gespalten und somit auch Waffengewalt vorherrscht. vorgegebenen Scharade mitzuwirken, die in den Ansichten darüber, in welchen For- In anderen Bundesländern verursacht das offenbar nicht das Ziel verfolgt, an einer men sich diese Einrichtungen durchsetzen erschreckende Geschlechterverhältnis tief- Lösung zu arbeiten. Keine der Parteien sollten. Und diese Positionen wiederum greifende soziale Krisen und erschüttert hat bislang die Notwendigkeit gesehen, werden eher auf der Grundlage diffuser traditionelle Familienstrukturen. Im urba- eine engagierte Anti-Korruptionsagenda Ängste formuliert und nicht als Produkt nen Indien schnellen die Scheidungsraten zu verfolgen. Selbst nach der verheerenden vernünftiger Argumente. Und schwerer in die Höhe. Frauen erreichen immer hö- Massenvergewaltigung in Delhi hatte kei- wiegt noch, dass die Regierung diese here Stufen von Ausbildung und Qualifika- ne der Parteien den Mut, sich in den Staa- Unterschiede nicht anspricht, in- dem tion, doch bietet die Infrastruktur unserer ten, in denen sie Regierungsverantwortung sie sagt: „Wir nehmen uns eines dieser Städte und Jobmärkte nicht die notwen- tragen, eine Polizeireform anzukündigen. Systeme und versuchen, es gemäß seiner digen Anreize, um diese Arbeitskraft Dies wird durch einen Prozess begünstigt, Logik durchzustrukturieren.“ Am Ende einzuspannen. Die Individuen wiederum 6 meine welt 1/2013 I InDISche DeMokR atIe I werden auf neue Begehrens-, Konsum- nen das Einkommen nicht weniger als Ökonomisches Wachstum und Ehrgeizstrukturen eingeschworen. achtzig, aber nicht mehr als zweihundert Im Hintergrund dieser administrativen, po- Doch auf eine eigenartige Weise scheint Prozent des mittleren Einkommens be- litischen und sozialen Wende arbeitet ein diese Freiheit uns mehr dazu aufzufor- trägt. Doch Folgendes haben diese beiden einflussreiches Faktum: die Notwendigkeit dern, unbedenklicher zu verurteilen und Mittelschichten gemeinsam: Die indische ökonomischen Wachstums. Ökonomisches zu diskriminieren als zu der Zeit, als es Mittelschicht ist zu der privatisiertesten Wachstum, bei allen Begrenzungen, denen das repressive System für uns erledigt hat. Mittelschicht weltweit aufgestiegen. Nahe- es in Indien unterliegt, ist für die dortige Und all die Institutionen, die uns durch das zu achtzig Prozent der Kinder in urbanen Gesellschaft eine einzigartig zuverlässige Dickicht der zu treffenden Entscheidungen Zentren, einige davon auch unterhalb der begleitende Kraft gewesen. Es eröffnet die führen könnten – Familie, Religion oder Armutsgrenze, besuchen Privatschulen. Möglichkeit, eine neue Form von Staat- die traditionelle Zivilgesellschaft – sind Mehr als neunzig Prozent der Gesund- lichkeit einzurichten. Es gab Indien ein nicht gerüstet genug, um es mit den mo- heitskosten werden durch Eigenleistungen Gefühl des Selbstbewusstseins. Ein stei- ralischen und existenziellen Ansprüchen beglichen. Ganze Siedlungen stellen ihr gendes Pro-Kopf-Einkommen von fünf bis sechs Prozent im Jahr hat den Horizont für weitreichende Möglichkeiten eröffnet. Der größte intellektuelle Fehler der letzten fünf Jahre war Sicher ist dadurch auch mehr Raum für Finanzspekulation, Ungleichheit und Um- die mangelnde Bereitschaft, das massive Reformpotenzial weltgefahren gewachsen. Dabei war auch und die vielfältigen Veränderungen in Betracht zu ziehen, der Staat nicht ganz unbeteiligt. Doch ist die mit dem wirtschaftlichen Wachstum einhergingen. dadurch die Idee von der Möglichkeit einer besseren Zukunft untermauert worden. Sollte dieser ideelle Aufschwung nicht wieder in die Der größte intellektuelle Fehler der letz- Ökonomie zurückfließen, könnte das Kräftezerren, ten fünf Jahre war die mangelnde Bereit- schaft, das massive Reformpotential und welches wir zur Zeit beobachten, in die Erzählung eines die vielfältigen Veränderungen in Betracht gesellschaftlichen Zusammenbruchs münden. zu ziehen, die mit dem wirtschaftlichen Wachstum einhergingen. Sollte dieser ideelle Aufschwung nicht wieder in die aufzunehmen, welche durch diese rasanten eigenes Sicherheitspersonal, unterhalten Ökonomie zurückfließen, könnte das Kräf- Veränderungen auf uns einwirken. Die- Energiekraftwerke, Trinkwasserversorgun- tezerren, welches wir zur Zeit beobachten, se Veränderungen bergen gleichwohl ein gen laufen über Privatunternehmen. Über in die Erzählung eines gesellschaftlichen großes freiheitliches Potenzial. Sie werden die Ursachen dieser Privatisierung der Mit- Zusammenbruchs münden. Die größte aber auch von dem Gefühl begleitet, in telschicht kann lange diskutiert werden. Gefahr für Indien ist die mögliche Igno- unbekanntes Territorium vorzudringen. Doch der Einfluss dieser Privatisierung ranz seiner politischen Elite gegenüber Die neuen Formen der sozialen Verortung begünstigt zwei konkurrierende Dynami- dem Reformpotential dieser Tage. Sie läuft des Selbst halten noch nicht recht Schritt ken. Einerseits handelt es sich dabei um Gefahr, wie ein marodes Ancien Regime mit dem Ausmaß des sozialen Wandels. einen Rückzug vom Staat angesichts des- an einer Weltordnung festzukleben, deren sen politischen Scheiterns. Auf der anderen Zeit schon lange abgelaufen ist.  Politische Mauscheleien, widersprüchliche Seite erfordern die dringend benötigten Argumentationsformen und ein irritiertes Staatsreformen die Teilhabe der investiti- soziales Selbstverständnis erschweren die onskräftigen Parteien. Die erschütternde Anmerkungen: institutionelle Kanalisierung der großen Erfahrung der Massenvergewaltigung in 1. Pratham ist die größte Nichtregierungsor- ganisation Indiens, die sich darum bemüht, Wende, die wir gerade beobachten. Der Delhi hat die Erkenntnis geliefert, dass der Qualitätsbildung für unterpriviligierte Kinder Mittelschicht wird eine entscheidende Rol- Rückzug nicht der Königsweg sein kann. zu ermöglichen. le als Mediatorin in diesem Kommunika- Eine Gesellschaft, in der selbst souveräne 2. „Annual Status of Education Report“ von tionsprozess zugesprochen. Bis zu einem Funktionen wie Recht und Gesetz der Will- Pratham 3. Partha Mukhopadhyay arbeitet als Senior Re- bestimmten Punkt ist das auch richtig. Wie kür privater Investition oder sozialer Kon- search Fellow an Centre for Policy Research, Partha Mukhopadhyay3 darlegt, gibt es trolle ausgeliefert werden, hat einen sehr Neu Delhi. zwei Mittelschichten in Indien: die globale prekären Status zu befürchten. Doch wird Deutsch von Axaram Mittelschicht, welche die zehn Prozent an diese unheilvolle Dynamik sich fortsetzen, der Spitze der Vermögensverteilung aus- Staatsversagen, das zu mehr Rückzug aus Quelle: „Tocsin for An Ancien Regime“, Out- macht. Und das, was wir wohl die „lokale“ dem Staat führt? Oder wird es dem Staat look, 4.3.2013, übersetzt und abgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Autors. Mittelschicht nennen werden, die vierzig gelingen, die Reformstimmung im Land in bis fünfzig Prozent der Haushalte, in de- sein Selbstverständnis einfließen zu lassen? meine welt 1/2013 7 I heIMat I mein junges leben – hier und dort alter: 13 konfession: Bi-kuturell MOHINI GUPTE Mohini Gupte Mohini Gupte besuchte eine Marathi- sprachige Grundschule in Pune/Indien und in den Ferien eine deutsche in Stirn geklebt, einen Sari angezogen und keine Parallelklassen, also nur eine erste Dresden. als 13-Jährige hat sie einen Ferien am Strand gemacht hätte. Doch Klasse. Meine Oma also sitzt auf einem SchülerInnenaustausch zwischen ih- bei mir lief es anders, dank meiner Eltern. Stuhl hinter mir. Vor mir um die vierzig rem deutschen Gymnasium und der Manchmal weiß ich aber nicht, ob ich ihnen Schüler und eine Lehrerin. Ich verstehe indischen Schule initiiert. dafür dankbar sein sollte oder eben nicht. Bahnhof, aber ich werde in Ruhe gelassen Bis ich sechs Jahre alt war, lebte ich in und es passiert nichts weiter, also lasse ich Meine Eltern haben vor circa achtzehn Köln. Dann ging ich 2005 zusammen mit Aaji ruhigen Gewissens nach Hause ge- Jahren geheiratet. Eine ganz normale meinem Vater nach Pune, Indien, um hen. Ein Mädchen verfolgt mich auf Schritt deutsche Hochzeit, da meine Mutter dort eingeschult zu werden. Wir lebten und Tritt, sie führt mich zur Toilette, zeigt Deutsche ist. Mein Vater ist kein großer bei meiner Großmutter Aaji und damals mir alles. Später verstehe ich ihren Namen Fan von Festen, sonst wäre die Hochzeit noch mit meinem Großvater Dada. Ich und kann ihn mir merken: Mukta. Durch etwas anders abgelaufen. Nämlich drei- bekam ein eigenes Zimmer. Mein Vater Mukta lerne ich ihre gesamte Clique ken- tägig mit riesigem Bankett, aufwendigen hatte eine Stelle an der Universität Pune nen, und wir sind bis heute noch sehr gute und wunderschönen Kleidern, und alle als Professor, später wurde er Leiter des Freundinnen. In dieser ersten Zeit verste- echten und falschen Verwandten wären Instituts. Er hatte sehr viel zu tun und wir he ich wirklich gar nichts. Ich bekomme gekommen. Der Grund: Mein Vater ist bekamen ihn kaum zu sehen. Das war eine zwar etwas zusätzlichen Sprachunterricht, Inder, der, seit er studiert, in Europa lebt. Zeit für mich, in der ich kein einziges aber ich bin irgendwie so blockiert, dass Er selbst würde sich vielleicht schon als Wort verstand von dem, was Aaji sagte, er mir nicht wirklich hilft. Ungefähr sechs Deutscher bezeichnen, doch er tickt noch da ich ihre Sprache, Marathi, überhaupt Wochen geht das so; ich sitze einfach im wie ein Inder. Und darauf bin ich stolz, nicht verstehen konnte, geschweige denn Unterricht, sage kein Wort und werde dass ich zwei so unterschiedliche Kulturen sprechen. An die Zeit, die danach kam, nur manchmal angesprochen. Mit Aaji kennenlernen durfte und immer noch am erinnere ich mich nur vage. Ich weiß nur zu Hause rede ich Deutsch und sie mit Leben bin. Denn das Leben ist nicht leicht, noch, dass mich meine Eltern in verschie- mir Marathi. Sie kann zwar selbst nicht wenn eine Hälfte von sich selbst in einem dene Schulen schleppten, um dann doch Deutsch sprechen, aber sie versteht es ein anderen Land steckt und man maximal eine andere auszuwählen: Aksharnandan, bisschen und über einen Deutsch-Englisch- nur einmal im Jahr diese zweite Hälfte eine Schule, in der Englisch zweitrangig Mischmasch verstehen wir uns meistens. von sich selbst - in Indien - besuchen darf, ist. Das ist etwas sehr Besonderes. In den um vollständig zu sein. Doch dann ist die meisten Schulen in Pune ist Englisch die Natürlich gab es immer auch Missver- deutsche Hälfte wieder in Deutschland und Hauptsprache, Hindi die erste Fremdspra- ständnisse, aber die waren nicht beson- man ist wieder unvollkommen. Man sehnt che und die eigentliche Muttersprache, ders schlimm. Nach sechs Wochen fing sich in Deutschland nach Indien und in Marathi, die dritte Fremdsprache. Nicht ich auf einmal an, Marathi zu sprechen. Indien sehnt man sich nach Deutschland. in dieser Schule; Englisch lernten wir erst Laut Aaji wurde ich von der stillen Maus ab der dritten Klasse, Marathi und Hindi zu einem überlaufenden Wasserfall. Ich So weit wäre es gar nicht gekommen, wenn ab der ersten. redete wie ein Weltmeister, meinten alle. ich, wie meine indisch-österreichische Ich persönlich kann mich nicht daran Cousine, nur einmal im Jahr nach Indien Der erste Tag: Aaji sitzt mit mir zusammen erinnern. Meine Mutter kam nach drei gefahren wäre, mir einen Bindi auf die in der ersten Klasse. Es gibt an der Schule Monaten aus Deutschland zu uns und ich 8 meine welt 1/2013 I heIMat I übte mit ihr fleißig Deutsch. Einen Monat rien mit meinen Eltern für einen Monat Man spürt das leben bevor in Pune die Sommerferien anfingen, nach Indien gereist und habe bei meiner Als ich letztes Jahr in Pune war, war ich wie flog ich zurück nach Deutschland. Dort Großmutter gewohnt. Sie kam oft auch verändert. Ich hatte total vergessen, wie wurde ich im April in die erste Klasse ei- uns in Deutschland besuchen. Ich habe es dort ist. Der Lärm, die Märkte, selbst ner Grundschule mit sprachlichem Profil zu ihr ein enges Verhältnis, weil wir uns von dem Gestank konnte ich nicht genug aufgenommen. Meine Eltern dachten, dass trotz Missverständnissen und sprachlicher haben. In Indien weiß man wieder, was es ich sprachlich begabt sei, weil ich Mara- Begrenzungen sehr gut verstehen. Sie weiß heißt, lebendig zu sein. Und manchmal thi und Deutsch konnte. Ich war ungefähr bei heiklen Themen immer, was ich mei- muss man sich auch Krankheiten und Tod drei Monate in der deutschen Schule, dann ne, auch wenn ich ihr das nicht so sagen ansehen, um zu spüren, dass man noch waren Sommerferien. Ich flog mit meiner kann. Für mich ist sie mehr als nur ein lebt. Wenn sonntagmorgens die „Bhaji- Mutter und meinem Vater nach Indien Familienmitglied, da sie mir immer bei- wali“ auf der Straße ihre Ware anpreist zurück. Von der indischen zweiten Klasse steht und da sie mit ähnlichen Situationen und ruft, dann spürt man das Leben. Dafür verpasste ich etwas, aber das war nicht Erfahrung hat und mich versteht. Wenn muss man auch manchmal negative Ge- weiter schlimm. ich meine deutsche mit meiner indischen fühle zulassen. Im Gegensatz dazu ist es in Oma vergleiche, merke ich, dass ich zu Deutschland so, dass man nie seine Bahn Wie eine von ihnen Aaji ein innigeres Verhältnis habe. Das verpasst, immer pünktlich kommt, sich nie Aus der deutschen Klasse konnte ich muss nicht heißen, dass ich sie mehr mag irgendwie verschwitzt oder so fühlt. Alles mir nicht viele Gesichter merken, aber als meine deutsche Oma, im Gegenteil. erscheint irgendwie sauber und perfekt. in Indien wurde ich wieder ganz normal Wenn man sich zu gut kennt, geht man Und dadurch wird alles so langweilig. aufgenommen und fühlte mich auch wie sich manchmal gerade auf die Nerven. Man regt sich über Dinge auf, die total eine von ihnen, was ich in Deutschland nicht so empfand. Ich war nie so richtig Ich bin so glücklich, seitdem ich weiß, dass ich dem eine von ihnen, wir blieben uns fremd. Das ging so bis zur dritten Klasse. Drei deutschen Alltag für zwei Monate entfliehen und als Monate Deutschland, der Rest Indien. Nur in der dritten, letzten Klasse war ich von Austauschschülerin nach Indien gehen kann. Anfang bis Ende in Pune und wir machten dann verlängerte Ferien in Australien, wo wir deutsche Freunde besuchten. Dieser Ich glaube, die Nähe zu Aaji hat etwas unwichtig sind. Natürlich ist es auch sehr Aufenthalt war sehr wichtig für mich, um damit zu tun, dass man in Indien immer gut, pünktlich zu sein. Das „schlimmste“ mich an all die seelischen und sprachlichen kleine oder größere „Prüfungen“ bestehen Mal, dass ich zu spät kam, handelte es sich Veränderungen, die mit unserer Rückkehr muss. Da muss man sich zusammentun nur um 13(!) Minuten. In Indien zerfällt der auf mich zukamen, zu gewöhnen. Beson- und gemeinsam nach Lösungen suchen. Tag nicht in Minuten. Meine Verspätung ders in Sachen Deutsch hatte ich sehr viel Das schweißt die Familie zusammen. In wäre eine Lappalie, zu belanglos, um über- nachzuholen; ich hatte kein Gefühl dafür, Deutschland dagegen läuft alles so rei- haupt erwähnt zu werden. Ganz am Anfang ob es der oder die Tisch heißt. bungslos und ohne Probleme, dass man schrieb ich, dass es nicht so leicht sei, als Eine Beobachtung beschäftigt mich sehr. sich erstens langweilt und zweitens nicht Mischling am Leben zu bleiben. Okay, das Es war in der dritten Klasse in Pune. Eine so viel zusammen macht, dass man sich ist vielleicht ein bisschen überzogen, aber deutsche „Freundin“ kam mich für zwei gegenseitig braucht. es gibt drei triftige Gründe dafür: Wochen besuchen. Sie war typisch deutsch: Ich bin so glücklich, seitdem ich weiß, dass 1. Man fliegt so oft zwischen zwei Welten, blonde Haare, blaue Augen und an Kom- ich dem deutschen Alltag für zwei Mona- was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass fort gewöhnt. Im Nachhinein würde ich te entfliehen und als Austauschschülerin einem irgendwann einmal ein Unglück sagen, sie und auch ihre Mutter, die mit- nach Indien gehen kann. Ich werde bei zustößt. reiste, waren völlig überfordert mit der Aaji wohnen und wie ein gewöhnliches 2. In Deutschland passiert es nicht sel- Lebenssituation in Indien. Sie wussten indisches Mädchen zur Schule gehen. Und ten, dass Ausländer von Neonazis nicht, wie sie sich verhalten sollten. Aber da es ja ein Austausch ist, wird auch eine angemacht oder verprügelt werden; nach dem Aufenthalt dachten beide, sie Freundin von mir für einen Monat nach genauso wie in Pune plötzlich die würden Indien verstehen und wüssten, was Dresden kommen. Ich freue mich sehr „German Bakery“ hoch gehen kann. da vor sich geht. Sie irren sich. Nicht einmal auf die Zeit, wenn der laaaaangweilige 3. Man ist oft in sehr emotionalen Situa- ich kann behaupten, ich kenne Indien gut. Unterricht eines laaaaangweiligen Gym- tionen, in denen man sich mal schnell nasiums aufgemischt wird. Ich denke zwar, eben über eine Brücke stürzen könnte. Nun ja, ich habe es ins Gymnasium ge- dass sie sehr schüchtern sein wird, aber ein Insofern weiß ich manchmal nicht, ob es ein schafft und bin jetzt in der achten Klasse. bisschen indisches Feeling kommt sicher schlechtes oder gutes Schicksal ist. Him- Ich bin fast jedes Jahr in den Sommerfe- doch durch. melhochjauchzend und zu Tode betrübt.  meine welt 1/2013 9 I InteRVIe W aktUell I ich bin Oszillant ein Interview mit alokeranjan Dasgupta JüRGEN SANDER Der lyriker alokeranjan Dasgupta wurde 1933 in kalkutta geboren, besuchte die berühmte tagore-Schule Shantiniketan und studierte danach an der Universität kalkutta. 1971 kam er im Rahmen eines humboldtstipendiums nach Deutschland. heute ist er nach Jahren der lehrtätigkeit am Südasieninstitut in heidelberg eme- ritiert. er veröffentlicht jedes Jahr mindestens einen neuen Gedichtband mit ben- galischer lyrik. In Indien und insbesondere in kalkutta gehört er zu den bedeu- tendsten zeitgenössischen Dichtern. Im Interview spricht er über seine Dichtung und sein leben zwischen Indien und Deutschland. Die Fragen stellte Jürgen Sander. Alokeranjan Dasgupta einschätzung die Schule, die Rabindranath Tagore ge- Rede vor etwa 2000 Leuten gehalten. Ich Wo ich auch hingehe, gründet hatte. Die 4 oder 5 Jahre, die ich habe den Kontakt mit den Zuhörern un- überall in der Welt dort verbrachte, waren sehr wichtig für mittelbar gespürt, und das war ein großes habe ich meine eigene Bleibe. mich. Dort habe ich begonnen, universell Erlebnis. Wann immer ich komme und gehe, zu denken. Shantiniketan war ein globales halte ich in meiner Hand Dorf im ursprünglichen Sinne des Wortes. Welche Tendenzen gab und gibt es in dei- eine dornige Bambusflöte – In diesem Dorf trafen sich Menschen aus ner Lyrik? während ich darauf spiele, verletzt sie der ganzen Welt, darunter auch wichtige meine Lippen, Persönlichkeiten aus ganz Indien, wie Ich habe mich schon in meiner Schulzeit und mein Taufkleid fängt an zu bluten: Mahatma Gandhi, Sarojini Naidoo, Nehru ziemlich enttagorisiert. Das heißt, auf der Wenn ich dann blutgetränkt bin, und viele andere. Ich bildete mir ein, um einen Seite gab es Tagore und auf der an- meinen einige, ich sei ein Haushüter, Goethe zu zitieren, eine Art Weltknabe deren Karl Marx - zwei Weltbürger - und die anderen, dass ich ein Eremit sei. zu sein. Schon damals habe ich Goethe ich habe dazwischen oszilliert. Das Wer- und seinen Faust kennen gelernt. tesystem Tagores war in mir. Alle seine (Aus dem Bengalischen übersetzt von Elisabeth Während dieser kurzen Zeit in Shantinike- 2500 Lieder habe ich auswendig gekonnt, Günther) tan gab es bei mir bereits eine Innenwende. auch die Musik, nicht nur den Text. Gleich- Ich fühlte mich hingezogen zu Karl Marx zeitig wollte ich etwas im gegenwärtigen Meine Welt: Wie hat sich dein poetisches und war in der Politik aktiv, weil das Leben Indien verändern. Und ich glaube, schon Konzept im Laufe der Zeit verändert? in Shantiniketan eintönig war – so viel damals habe ich gewusst, dass ein gewisser ungestörte Landschaft, alles wunderbar -, Alexander Puschkin in seiner Lyrik ver- Ich habe immer Gedichte geschrieben. aber ich wollte nicht dort sesshaft werden. sucht hat, zwei Elemente zu kombinieren: Angefangen habe ich, als ich vielleicht 6 Es gab zu viel undialektischen Frieden Volk und Intelligentsia d.h. Intelligentsia oder 7 Jahre alt war. Das war in Kalkutta, dort, also habe ich rebelliert. Die indische i Narod. Das gefiel mir sehr gut, und ich wo ich geboren bin. Zu Beginn des Zweiten kommunistische Partei hatte damals ei- wollte schon als Teenager nicht in einer Weltkrieges wurden wir in ein idyllisches nen Flügel, die Studentenförderation, in l’art-pour-l’art-Isolation steckenbleiben, Dorf im Bundesstaat Bihar evakuiert. Das der ich zwar kein Mitglied war, die mich sondern mit vielen Menschen unterwegs war eine herrliche Zeit für mich, und dort aber motivierte, die umliegenden Distrikte sein. In meinem ersten Lyrikband mün- habe ich eine erste ethnische Orientierung kennenzulernen. Ich war oft unterwegs, deten deshalb verschiedene Strömungen: gewonnen. Die Menschen, die dort leb- habe mit den Dörflern gelebt und auf diese Ethnische Archetypen, Volkslieder, dörf- ten, waren Ureinwohner namens Santhals, Weise das bengalische Landleben erlebt. liche Gemeinschaften, urbanes Kalkutta. und ich habe deren Sprache gelernt. Kurz In dieser Zeit habe ich sozusagen, ich war Als das Buch veröffentlicht wurde, waren darauf, 1945, ging ich nach Shantiniketan, kaum 14 Jahre alt, meine erste politische die Leute fasziniert, aber sie konnten mein 10 meine welt 1/2013

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ten blutrünstig; sein halb aus der Scheide gezogenes Schwert glitzerte. Mary wachte mit einem Ruck auf. Sie stand auf und öffnete das Fenster. Ghosh, Arundhati Roy, Amit Choudhuri,. Kiran Nagarkar und einige andere sind bekannte Namen. Einige von ihnen haben eine feste Anhängerschaft, so
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