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Implementierung von Rechtsnormen: Gewalt gegen Frauen in der Türkei und in Deutschland PDF

125 Pages·2012·1.71 MB·German
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Silvia von Steinsdorff / Helin Ruf-Uçar (Hrsg.) Implementierung von Rechtsnormen Reihe Sozialwissenschaften Band 27 Silvia von Steinsdorff / Helin Ruf-Uçar (Hrsg.) Implementierung von Rechtsnormen Gewalt gegen Frauen in der Türkei und in Deutschland Centaurus Verlag & Media UG Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-86226-173-4 ISBN 978-3-86226-911-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-86226-911-2 ISSN 0177-2813 Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Über- setzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages repro- duziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder ver- breitet werden. © CENTAURUS Verlag & Media KG, Freiburg 2012 www.centaurus-verlag.de Umschlaggestaltung: Jasmin Morgenthaler, Visuelle Kommunikation Satz: Vorlage des Autors Einleitung 7 Dr. Birgit Schweikert: Politische Strategien und Rechtsinstrumente zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – Die Aktionspläne der Bundesregierung und das Gewaltschutzgesetz 13 Prof. Dr. Cornelia Helfferich, Prof. Dr. Barbara Kavemann: Gewalt in Ehe und Partnerschaft: Unterschiede beim Unterstützungsbedarf und bei Beratungsbarrieren und die spezifische Situation von Migrantinnen – Neue Forschungsergebnisse aus Deutschland 25 Dr. Nivedita Prasad: Gewalt gegen Migrantinnen und deren Instrumentalisierung am Beispiel des Umgangs mit dem Thema „Zwangsverheiratung“ 41 Prof. Dr. Yıldız Ecevit: Soziologische Ausführungen über die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen 53 Reyhan Atasü Topçuo(cid:247)lu: Die Problematisierung des Menschenhandels 61 Helin Ruf-Uçar: Die Interaktion zwischen Frauen-NGOs und staatlichen Institutionen in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in der Türkei 71 Vildan Yirmibe(cid:250)o(cid:247)lu: Ehrenmorde – Prozessführung und Implementationsprobleme 85 Prof. Dr. Serpil Sancar: Politischer Kontext der Prävention von Gewalt gegen Frauen 95 Habibe Yılmaz Kayar: KAHDEM Web/KAHDEM Verein – Webseite Türkisches Recht THS (Türk Hukuk Sitesi) 99 Nur Okutan: Implementierung von Rechtsnormen – Ein Beispiel: Der Frauenverein Van (VAKAD) 109 Esra Erba(cid:250): Die Erfahrungen von Mor Çatı in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen 119 5 Einleitung Die Idee für diese Publikation entstand im Anschluss an den im Januar 2009 durchgeführten zweitägigen internationalen Workshop „Implementierung von Rechtsnormen: Gewalt gegen Frauen in der Türkei und in Deutschland“. Für den länderübergreifenden und interdisziplinären Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis haben sich 35 SozialwissenschaftlerInnen, JuristInnen, Vertreterinnen von Frauenorganisationen und öffentlichen Einrichtungen, sowie NachwuchswissenschaftlerInnen zusammengefunden, um über die neuen recht- lichen Entwicklungen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, über die Fort- schritte und Probleme bei der Implementierung und über die diskursive Kodierung von Gewalt in Deutschland und in der Türkei zu diskutieren. Im Laufe der 1990er Jahre hat die transnationale Frauenbewegung auf inter- nationaler Ebene die Anerkennung der Frauenrechte als Menschenrechte durchge- setzt. Diese Entwicklung hat laut Karen Brown Thompson zwei zentrale Verände- rungen herbeigeführt: Frauen gewannen Einfluss auf die internationale Öffent- lichkeit, und der Staat weitete seine Schutzfunktion in die Familienbeziehungen hinein. Weltkonferenzen seit Mitte der 1970er Jahre hatten eine internationale Ver- netzung der Frauenbewegungen ermöglicht und führten schließlich 1993 zu einer Anerkennung der Frauenrechte als Menschenrechte auf der Weltkonferenz in Wien. Die Integration der Geschlechtergleichstellungsfrage in den Menschenrechtsdiskurs erweiterte die Diskussion über die rechtliche, politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Ungleichstellung von Frauen und das Verhältnis von Bürgerinnen und Staat. Gewalt gegen Frauen wurde in dem Beijing Abschlussdokument von 1995 als Menschenrechtsverletzung festgehalten. Der Schutz von Frauen durch den Staat im Falle häuslicher Gewalt und die Verantwortung von Staaten, solche zu verhin- dern, wurde vereinbart. Die Effekte von Normenwandel auf Rechtsetzungs- und Rechtsdurchsetzungs- prozesse gewinnen in der politikwissenschaftlichen Forschung zunehmend an Bedeutung. Insbesondere konstruktivistische Ansätze, die die Bedingungen der Anschlussfähigkeit internationaler Normen an nationale Normen und Normensys- teme erörtern, haben seit 1990 in den Internationalen Beziehungen zugenommen. Nationale Akteure, die die Anschlussfähigkeit einer Norm über diskursive Prozesse ermöglichen, tragen zu einer sozialen Internalisierung der Normen bei. Dieser Prozess der Norminternalisierung auf nationaler Ebene wird in der sozialkonstruk- tivistischen IB-Forschung als „Normsozialisation“ bezeichnet (Risse/Ropp/Sikkink 1999; Finnemore/Sikkink 1998; Checkel 1999). Es bestehen unterschiedliche Er- klärungsansätze, wie im Einzelnen die Anpassung von Staaten an Normen erfolgt. 7 Diese können in Top-down und Bottom-up Ansätze unterteilt werden. Während die Top-down Ansätze die Anpassung von Nationalstaaten an die internationale Ge- meinschaft und ihre Regelsysteme als wesentlich erachten, betonen die Bottom-up Ansätze die Wirkung von Akteuren in den jeweiligen Ländern, insbesondere die Bedeutung von (trans-)national agierenden „NormunternehmerInnen“ (Vgl. Heller 2008: 35f.). Die unreflektierte Übernahme von Normen führt allerdings nicht immer zu einer Internalisierung bzw. Anpassung an Normen. Top-down Ansätze unterstreichen, dass die Anschlussfähigkeit von internationalen Normen an national bestehende Regeln, Verfahren, Erwartungsstrukturen, kognitive Orientierungen und kulturelle Bedeutungsgehalte gegeben sein muss. Diese Anschlussfähigkeit sei entscheidend, um eine rein „mimetische Imitation“ zu vermeiden (Vgl. Heller 2008: 38f; Checkel 1999: 87). Anders als die Top-down Ansätze gehen Bottom-up Ansätze nicht davon aus, dass die Staaten von sich aus zu der Überzeugung gelangen, Menschenrechts- normen in ihre Gesetzbücher zu übernehmen und diese anzuwenden, sondern dass sie aktiv über diskursive Überzeugungsprozesse in diese Regeln hineinsozialisiert werden müssen. In diesen Auseinandersetzungen spielen nichtstaatliche Akteure wie etwa NGOs, Netzwerke, epistemische Gemeinschaften, professionelle Gruppen und insbesondere JuristInnen auf der nationalen und internationalen Ebene eine maßgebliche Rolle. Karen Brown Thompsonhält in diesem Zusammenhang fest: „(...) global norms do not simply emerge and affect actors, but are (and must be) constantly made and remade in the practices of women and men. It is these practices that form the process of normative change. (...) The clear attempt by a number of states to "backslide" shows the ongoing "work" of norm construction and reproduction – norms are es- tablished only through practice“(Brown Thompson 2002: 110). In der Regel versuchen diese Akteure über soziale und mediale Mobilisierung und Druckausübung Einfluss auf die Staaten auszuüben, um sie auf diese Weise zu ei- ner Veränderung zu bewegen (Risse/Ropp/Sikkink 1999). Lobbying, Konferenzen, Demonstrationen, Medienkampagnen, Vernetzungstreffen und Informationsaus- tausche sind die Mittel dieser Organisationen. Die Analyse der Top-down Normsozialisationsprozesse berücksichtigen die staatliche Perspektive, d.h. die Sicht des Gesetzgebers, der Judikative, der staatli- chen Einrichtungen und internationalen sowie supranationalen Organisationen. Die Bottom-up Analyse der Normsozialisation legt hingegen den Schwerpunkt auf den Einfluss nichtstaatlicher Akteure und ihre Bemühungen in der (trans)nationalen De- und Rekonstruktion von Normen. Dies wird durch kommunikative Prozesse 8 vorgenommen, die informative oder symbolische Formen annehmen können. Ziel dieser kommunikativen Prozesse, die Berichte, Demonstrationen oder etwa private Treffen sein können, ist ein Wandel diskursiver Praktiken (Sikkink 2002: 306). Laut Khagram, Riker und Sikkink (2002) sind beide Ansätze wichtig, um die Sozialisation von neuen Normen zu analysieren. Daher schlagen sie eine Verbind- ung von Top-down und Bottom-up Ansätzen vor, die die Wechselwirkung von nationaler Politik, internationalem System und (trans-)nationalen sozialen Akteuren berücksichtigt. Diese multiplen Akteure und Handlungs- bzw. Interaktionsebenen bilden für die Analyse der Implementierung von Rechtsnormen eine wichtige Voraussetzung. Zur Diskussion stehen folgende Aspekte: (cid:120) Materielle und personelle Ressourcen (cid:120) Strategien und Netzwerke (cid:120) Kommunikations- und Kooperationsformen (cid:120) Institutionelle und gesellschaftliche Barrieren in der Durchsetzung von Rechtsnormen gegen Gewalt Ausgehend von der Annahme, dass die Implementierung von Normen zur Be- kämpfung von Gewalt gegen Frauen die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteu- re aus der Wissenschaft und der Praxis erfordert, wollten wir einen länder-, arbeits- und disziplinübergreifenden Austausch herstellen. Der Workshop hatte vor allem zum Ziel, eine Bewertung der Fortschritte in der Implementierung von Rechtsnor- men gegen Gewalt gegen Frauen in der Türkei und in Deutschland aus Sicht der staatlichen Institutionen, der NGOs, der JuristInnen und der WissenschaftlerInnen aus den Sozial-, Rechts- und den Politikwissenschaften zu ermöglichen und die aktuellen Herausforderungen zu erkennen. Für die Sozialwissenschaften gewinnen die Analyse der Implementierungs- strategien und die nähere Betrachtung der gesetzlichen Instrumente, der Aktions- pläne sowie der Programme und der Projekte von staatlichen Stellen und zivilge- sellschaftlichen Einrichtungen zunehmend an Gewicht. Hierbei ist die Interaktion der verantwortlichen Institutionen und Akteure für die Implementierung von Nor- men zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen ein zentraler Forschungsaspekt, um die Effekte und die Reichweite der Implementierung einzuschätzen. Nationale und europäische Kampagnen gegen Gewalt gegen Frauen haben in den letzten Jahren die Aktualität des Themas verstärkt. Die Kampagnen und Studien des Euro- 9 parates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, seien an dieser Stelle beispiel- haft erwähnt.1 Die Analyse des öffentlichen Diskurses ist ein weiterer wichtiger Aspekt, um die Fortschritte in der Implementierung von Normen gegen Gewalt zu bewerten. Der wissenschaftliche Diskurs über Gewalt gegen Frauen birgt viele Probleme. Dies gilt bereits für die Definition des Forschungsgegenstandes. Einige Forscher reduzieren Gewalt auf eine individuelle Ebene und personalisieren bzw. dekon- textualisieren den Forschungsgegenstand. Andere Ansätze leisten einer Skandali- sierung oder Bagatellisierung, einer Moralisierung oder gar Inflation des Gewalt- begriffs bzw. -phänomens Vorschub. Die Diskussion über die kulturelle, politische und soziale Konstruktion von häuslicher Gewalt durch den öffentlichen Diskurs ist ein Bestandteil der institutionellen und gesellschaftlichen Internalisierung von Normen. Die kulturelle Zuschreibung bzw. die kulturelle Kodierung des Gewalt- begriffs im öffentlichen Diskurs ist in jedem Land unterschiedlich und hängt mit gesellschaftlichen Werturteilen zusammen, die wiederum politischer Natur sind (Lamnek/Lüdtke/Ottermann 2006: 11). Diese Aspekte wurden während des Work- shops aufgegriffen und intensiv erörtert. Das Thema Gewalt gegen Frauen wurde in Deutschland lange Zeit nur von der Frauenbewegung thematisiert und erreichte erst in den 1990er Jahren die sozial- wissenschaftliche Forschung (Hagemann-White 2002: 130). Gewalt gegen Frauen wurde bis dahin weitgehend aus einer psychologischen, kriminologischen oder rechtlichen Perspektive erforscht. Diese Herangehensweise erfuhr über die Frage nach den sozialen, strukturellen Ursachen von Gewalt gegen Frauen und nach den Funktionen der Frauenbewegung in der Bekämpfung dieser Gewalt eine Erweite- rung. Die politikwissenschaftliche Relevanz von Gewalt gegen Frauen nahm mit der Transnationalisierung der Frauenbewegung, ihrer Fähigkeit international Gehör zu finden und Gewalt als Resultat des Geschlechterverhältnisses und damit als innenpolitisches Problem zu etablieren, zu (Joachim 2001: 210). In der Türkei haben die Verfassungsreform (2001 und 2004), das neue türkische Zivilgesetzbuch (2002) und die Entwicklungen seit der Novellierung des Strafge- setzbuches (2004) die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern auf eine neue Grundlage gestellt. Diese Neuerungen bilden eine wichtige Voraussetzung für die institutionelle Implementierung und gesellschaftliche Internalisierung rechtlich verankerter Normen. Für die Frauenorganisationen in der Türkei, die Betroffenen von Gewalt helfen, sind sie zugleich eine sehr wichtige Arbeitsgrundlage. Auch auf deutscher Seite hat das Thema Gewalt gegen Frauen mit den Reformen des Sexualstrafrechts, dem Gewaltschutzgesetz (2002), den Aktionsplänen der 1 Für weitere Details siehe: http://www.coe.int/t/dghl/standardsetting/equality/03themes/ violence- against-women/index_en.asp, letzter Zugriff 02.06.2010. 10

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Dieses Buch vereint wissenschaftliche Analysen und Erfahrungsberichte aus der Praxis vom politischen und rechtlichen Umgang mit Gewalt gegen Frauen in Deutschland und in der Türkei. Es werden die aktuelle Rechtslage, politische Strategien, sowie die Unterstützungsstrukturen in den beiden Ländern
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