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Im Zeichen des Löwen PDF

401 Pages·1999·1.15 MB·German
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Anne Holt Im Zeichen des Löwen scanned 03_2007/V1.0 corrected by @ »Die Türen sind versiegelt, und das Siegel wurde nicht gebrochen. Die Fenster sind unversehrt, die Fensterbänke unberührt.« Und doch liegt Birgitte Volter, die norwegische Ministerpräsidentin, erschossen in ihrem Büro – mit Intuition und Fingerspitzengefühl kommt Hanne Wilhelmsen der Wahrheit Schritt für Schritt näher. ISBN: 3-492-04148-5 Original: Løvens gap (1997) Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs Verlag: Piper Erscheinungsjahr: 1999 Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!! Buch Birgitte Volter war am Ziel. Das Vertrauen in ihre innere Kraft hatte sie nie verlassen, und so war die kürzliche Berufung zur norwegischen Ministerpräsidentin beinah eine unausweichliche Folge ihrer Bemühungen. Doch nun liegt Birgitte Volter erschossen in ihrem Büro. Und niemand kann sich ihren Tod erklären. Es fehlt ein Motiv, und auch die Indizien sprechen eine höchst unklare Sprache. Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen steht vor einem Rätsel, zumal auch die Tatwaffe spurlos verschwunden ist. Einen der wenigen Anhaltspunkte bietet Benjamin Grinde, der letzte, der die Ministerpräsidentin lebend gesehen haben soll. Grinde ist Richter am Obersten Gericht und, wie sich herausstellt, ein Freund Birgitte Volters aus Kinderta- gen. Bevor Grinde aber wertvolle Hinweise liefern kann, nimmt er sich das Leben. In welcher Beziehung stand er zu seiner Vorgesetzten? Und hat es möglicherweise etwas gegeben, das die beiden bis in den Tod miteinander verbunden hat? Im Spannungsfeld von Politik, Intrigen und Macht sieht Anne Holt die Menschen hinter den öffentlichen Figuren, und es gelingt ihr das überzeugende Porträt einer Frau, die mit den Dämonen ihrer Vergangenheit ringt. Autor Anne Holt, geboren 1958 in Norwegen, arbeitete als Journalis- tin, Polizistin und Anwältin, bevor sie 1996 für kurze Zeit zur norwegischen Justizministerin ernannt wurde. Nach dem preisgekrönten Roman »Das einzige Kind« ist »Im Zeichen des Löwen« ihr zweites bei Piper erschienenes Buch um die Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen. Berit Reiss-Andersen arbeitet als Rechtsanwältin in Oslo und war unter Anne Holt Staatssekretärin im Justizministerium. Für unsere Freunde Dr. Glück, den Schafzüchter, und Arnold, den Ritter der Schwafelrunde »Es hilft nichts, Zoologie studiert zu haben, wenn man im Rachen des Löwen steckt.« Gunnar Reiss-Andersen 5 Freitag, 4. April 1997 18.47, Büro der Ministerpräsidentin Die Frau, die im Vorzimmer der Ministerpräsidentin saß, starrte abwechselnd ihr Telefon und die Doppeltür an und wurde dabei von steigender Unruhe erfüllt. Sie trug ein blaues Kostüm, einen netten kleinen klassisch geschnittenen Blazer mit passendem Rock und ein etwas zu buntes Halstuch. Obwohl ein langer Arbeitstag hinter ihr lag, hatte sich keine Haarsträhne aus ihrer eleganten, wenn auch ein wenig unmodernen Frisur gelöst. Die Frisur ließ die Frau älter wirken, als sie tatsächlich war. Viel- leicht wollte sie es so, vielleicht sollte sie ihr eine Würde verleihen, die ihr die vierzig Jahre nicht liefern konnten. Sie hatte genug zu tun, aber anders als sonst schaffte sie nichts. Sie saß einfach nur da. Den einzigen Hinweis auf ihre steigende Befürchtung, daß hier etwas nicht stimmen konnte, boten ihre langen, gepflegten Finger mit den tiefroten Nägeln und zwei Goldringen an jeder Hand. Immer wieder fuhren sie an ihre Schläfe, um unsichtbare Haare glattzustreichen, und schlugen danach mit einem dumpfen Geräusch auf der Schreib- tischunterlage auf, wie eine mit Schalldämpfer abgefeuerte Serie von Schüssen. Plötzlich sprang die Frau auf und ging ans Fenster. Draußen dämmerte es. Fünfzehn Stockwerke tiefer sah sie fröstelnde Menschen durch die Akersgate eilen, manche liefen irritiert im Kreis umher und warteten auf einen Bus, der viel- leicht niemals eintreffen würde. Hinter den Fenstern des Büros der Kulturministerin brannte noch immer Licht. Trotz der Entfernung konnte die Frau im blauen Kostüm sehen, wie die 6 Sekretärin das Vorzimmer verließ, um ihrer Chefin einen Stapel Papiere zu bringen. Die junge Ministerin lachte die ältere Frau an und warf ihre blonden Haare nach hinten. Sie war zu jung für eine Kulturministerin. Und sie war nicht groß genug. Ein langes Abendkleid machte sich einfach nicht gut an einer Frau von knapp eins sechzig. Zu allem Überfluß steckte die junge Dame sich auch noch eine Zigarette an und stellte den Aschenbecher auf den Papierstapel. Sie sollte in diesem Büro nicht rauchen, dachte die Frau in Blau. Da hängen schließlich wahre Kulturschätze. Das kann doch nicht gut sein für die Bilder. Dankbar klammerte sie sich an dieses Gefühl der Irritation. Für einen Moment ließ sich dadurch die Unruhe verdrängen, die inzwischen in eine unbekannte, besorgte Angst umzukippen drohte. Vor zwei Stunden hatte Ministerpräsidentin Birgitte Volter sehr energisch und fast unfreundlich erklärt, sie wolle nicht gestört werden, auf gar keinen Fall. Genau das hatte sie gesagt: »Egal, wie.« Gro Harlem Brundtland hätte niemals »egal, wie« gesagt. Sie hätte gesagt: »Ganz gleichgültig, worum es geht«, vielleicht hätte sie sich auch einfach mit der Anweisung begnügt, nicht gestört werden zu wollen. Selbst wenn sämtliche sechzehn Etagen des Regierungsgebäudes in Flammen gestanden hätten, Gro Harlem Brundtland wäre in Ruhe gelassen worden, wenn sie darum gebeten hätte. Doch Gro war am fünfundzwanzigsten Oktober des Vorjahres zurückgetreten, und nun waren neue Zeiten angebrochen, neue Gewohnheiten und eine neue Sprache angesagt, und Wenche Andersen behielt ihre Gefühle für sich. Sie machte wie immer ihre Arbeit, effektiv und diskret. Vor einer guten Stunde hatte Benjamin Grinde, Richter am Obersten Gericht, das Büro der Ministerpräsidentin verlassen. Er hatte einen anthrazitgrauen italienischen Anzug getragen, in der 7 Doppeltür genickt und sie dann hinter sich geschlossen. Mit einem leisen Lächeln hatte er sich ein Kompliment über ihr neues Kostüm erlaubt, dann hatte er sich seine burgunderrote Lederaktentasche unter den Arm geklemmt und war die Treppe zum Fahrstuhl im vierzehnten Stock hinuntergegangen. Wenche Andersen war ganz mechanisch aufgestanden, um Birgitte Volter eine Tasse Kaffee zu bringen, hatte sich jedoch in letzter Sekunde auf die Anweisung ihrer Chefin besonnen, sie nicht zu stören. Doch allmählich wurde es wirklich spät. Die Staatssekretäre und politischen Berater waren schon gegangen, wie auch das übrige Büropersonal. Wenche Andersen saß an einem Freitagabend allein im fünfzehnten Stock eines Hochhauses im Regierungsviertel und wußte nicht, was sie machen sollte. Im Büro der Ministerpräsidentin herrschte tödliche Stille. Aber das war vielleicht kein Wunder. Es waren schließlich Doppeltüren. 19.02, Odins gate 3 Irgend etwas stimmte nicht mit dem Inhalt des schlichten tulpenförmigen Glases, das er hochhielt, um zu sehen, wie das Licht sich in der roten Flüssigkeit brach. Er horchte auf den Wein, versuchte, sich zu entspannen und ihn so zu genießen, wie ein schwerer Bordeaux es nun einmal verdiente. Angeblich sollte der Jahrgang 1983 eine offene und weiche Note haben. Bei diesem hier aber war die Kopfnote zu herb, und der Mann verzog voller Abscheu den Mund, als er erkannte, daß der Wein auch im Abzug in keinem Verhältnis zu dem Preis stand, den die Flasche gekostet hatte. Brüsk stellte er das Glas hin und griff zur Fernbedienung seines Fernsehers. Die Nachrichten hatten bereits angefangen. Die Sendung interessierte ihn nicht, und die Bilder flimmerten an ihm vorbei, während der Mann nichts registrierte, außer daß der Nachrichtensprecher einen unglaublich ge- 8 schmacklosen Anzug trug. Ein Mann von Welt durfte einfach keine gelben Jacketts tragen. Er hatte es tun müssen. Es hatte keine Alternative gegeben. Jetzt, da alles vorüber war, empfand er überhaupt nichts. Er hatte ein Gefühl der Befreiung erwartet, die Möglichkeit, nach all diesen Jahren aufzuatmen. Er hätte sich so gern erleichtert gefühlt. Statt dessen überkam ihn eine ungewohnte Einsamkeit. Die Möbel kamen ihm plötzlich fremd vor. Das alte, schwere Eichenbüfett, auf dem er schon als Kind herumgeklettert war, und das jetzt in seiner ganzen Pracht sein Wohnzimmer beherrschte, mit Traubenre- liefs und der exklusiven Sammlung japanischer Netsuke- Miniaturen hinter den geschliffenen Glastüren, schien ihm jetzt nur noch düster und bedrohlich. Auf dem Tisch zwischen ihm und dem Fernseher lag ein Gegenstand. Warum er ihn mitgenommen hatte, war ihm völlig unklar. Er schüttelte sich und ließ den Nachrichtensprecher mit einem Tastendruck verschwinden. Es war der Abend vor seinem fünfzigsten Geburtstag. Er kam sich viel älter vor, als er sich steif vom Chesterfieldsofa erhob, um in die Küche zu gehen. Die Pastete würde er am besten schon an diesem Abend machen. Erst nach vierundzwanzig Stunden im Kühlschrank entfaltete sie ihren vollen Geschmack. Für einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, eine weitere Flasche von dem teuren Bordeaux zu öffnen. Er ent- schied sich jedoch dagegen und begnügte sich mit einem Cognac, den er sich großzügig in ein neues Glas einschenkte. Doch auch die Küche bot ihm keine Ablenkung. 9 19.35, Büro der Ministerpräsidentin Die Frisur saß nun nicht mehr so perfekt. Eine starre, blondierte Locke fiel ihr in die Augen, und sie spürte die Schweißperlen auf der Oberlippe. Nervös griff sie zu ihrer Handtasche, öffnete sie und zog ein frischgebügeltes Taschentuch heraus, das sie sich zuerst an den Mund und dann an die Stirn hielt. Jetzt würde sie hineingehen. Vielleicht war etwas passiert. Birgitte Volter hatte das Telefon ausgestöpselt, sie mußte also anklopfen. Vielleicht war die Ministerpräsidentin krank. In den letzten Tagen hatte sie gestreßt gewirkt. Obwohl Wenche Andersen an dem lässigen und ungewohnten Stil der Minister- präsidentin allerlei auszusetzen hatte, mußte sie zugeben, daß sie normalerweise sehr freundlich war. In der vergangenen Woche jedoch war sie fast abweisend gewesen, übellaunig und leicht reizbar. Ob sie krank war? Jetzt würde sie zu ihr gehen. Jetzt. Statt die Ministerpräsidentin zu stören, ging sie auf die Toilet- te. Vor dem Spiegel ließ sie sich viel Zeit. Sie wusch sich ausgiebig die Hände und holte dann eine kleine Tube Handcre- me aus dem Schränkchen unter dem Waschbecken. Gründlich massierte sie ihre Finger und spürte, wie die Creme in die Haut einzog. Unbewußt schaute sie auf die Uhr und atmete schwer. Es waren erst viereinhalb Minuten vergangen. Die kleinen Goldzeiger schienen fast stillzustehen. Ängstlich und resigniert ging sie zurück zu ihrem Schreibtisch; sogar das Geräusch der Toilettentür, die hinter ihr ins Schloß fiel, hatte ihr angst gemacht. Jetzt mußte sie hineingehen. Wenche Andersen erhob sich halbwegs, zögerte und setzte sich wieder. Die Anweisung war eindeutig gewesen. Birgitte Volter wollte nicht gestört werden. »Egal, wie.« Doch sie hatte auch nicht gesagt, daß Wenche Andersen Feierabend machen dürfe, und es wäre unerhört 10

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